Annullierung des Fluges aufgrund Aschewolke

Gericht

AG Rüsselsheim


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

21. 12. 2011


Aktenzeichen

3 C 229/11


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten um Schadensersatz infolge der Annullierung eines Fluges sowie um die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Der Kläger und seine Ehegattin buchten eine Pauschalreise (All-inclusive-Verpflegung) bei einem Reiseveranstalter, in deren Rahmen die Beklagte am 20.4.2010 eine Flugbeförderung von Male nach Frankfurt a.M. erbringen sollte.

Der Reiseveranstalter kündigte den Reisevertrag am Abend des 19.4.2010 und teilte dem Kläger mit, dass Kosten für etwaige zusätzliche Nächte zu seinen Lasten zu gehen haben. Der gebuchte Flug wurde dann aufgrund einer durch einen isländischen Vulkan im gesamten nordeuropäischen Luftraum verursachten Aschewolke nicht durchgeführt. Der Kläger und seine Ehegattin wurden erst am 24.4.2010 nach Deutschland zurückbefördert. Während der Zeit konnte der Kläger keinen Kontakt zu der Beklagten herstellen; er hatte lediglich Kontakt zur örtlichen Repräsentanz des Reiseveranstalters. Diese riet ihm wegen der katastrophalen Verhältnisse dringend ab, sich zum Flughafen nach Male zu begeben, sondern die bisherige Unterkunft beizubehalten.

Der Reiseveranstalter leistete an den Kläger eine Erstattung in Höhe von 175 EUR und überließ ihm im Übrigen eine Gutschrift für eine neue Reise in Höhe von weiteren 125 EUR. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers forderte die Beklagte mit Schreiben vorn 23.9.2010 zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 833,27 EUR (1115,12 USD) auf, was die Beklagte ablehnte.

Der Kläger behauptet, dass ihm infolge der Nichtdurchführung des Fluges Kosten in Höhe von insgesamt 1115,12 USD (833,27 EUR) für Übernachtungen, Mahlzeiten und Getränke entstanden seien, da er und seine Ehegattin die Zeit bis zum tatsächlichen Abflug in dem zuvor von ihnen besuchten Hotel haben verbringen müssen. ... Aus der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung sei der Klägerseite überdies ein Schaden in Form eines bestehenden Honoraranspruchs des Prozessbevollmächtigten in Höhe von 120,67 EUR entstanden.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger den Betrag in Höhe von 833,27 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 20.12.2010 zu zahlen, den Kläger von Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten in Höhe von 120,67 EUR freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (im Folgenden: VO) gemäß Art. 3 Abs.6, S. 2 VO ausgeschlossen sei, da der Reiseveranstalter den Reisevertrag gekündigt habe. Auch ein Freistellungsanspruch im Hinblick auf vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren sei mangels Verzugs nicht begründet.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Klage ist zulässig und in der erkannten Höhe begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 601,39 EUR gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs.3, 281 Abs. 1, Abs.2 BGB i.v.m. Art. 5 Abs. 1, lit. b, 9 Abs. 1, lit. a, lit. b VO.

Die Beklagte hat den von dem Kläger gebuchten Flug annulliert im Sinne des Art. 5 VO. Sie war hiernach verpflichtet, dem Kläger und seiner Mitreisenden Mahlzeiten und Erfrischungen sowie - da absehbar war, dass ein Flug frühestens erst an einem späteren Tag möglich sein wird - eine Hotelunterbringung anzubieten. Diese (gesetzlichen) Pflichten hat die Beklagte verletzt, da sie dem Kläger und seiner Mitreisenden keine entsprechenden Angebote gemacht hat.

Ein Verschulden der Beklagten an der Pflichtverletzung wird vermutet, § 280 Abs. 1, S. 2 BGB. Dem steht nicht entgegen, dass sich der Kläger und seine Ehegattin unstreitig nicht unmittelbar an die Beklagte gewandt haben, um mit ihr über eine Unterbringung zu sprechen. Nach Art. 9 Abs. l VO hat das Luftfahrtunternehmen dem Fluggast die Betreuungsleistungen selbstständig anzubieten, ohne dass es auf eine Geltendmachung dieser Rechte durch den Fluggast ankommt (so auch EuGH, Urt. v. 13.10.2011, Rs. C-83/1O Rodriguez, RRa 2011, 282, Rn. 45, mit Verweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin vom 28.6.2011, Rn. 61). Etwas anderes kann im Lichte der vorgenannten Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof nur dann gelten, wenn es dem Luftfahrtunternehmen gänzlich unmöglich war, dem Fluggast die Betreuungsleistungen anzubieten; dies etwa in dem Fall, in dem das Luftfahrtunternehmen den Aufenthaltsort des Fluggastes nicht kennt oder kennen konnte und eine Kontaktaufnahme ausgeschlossen war. Hierzu wurde indes nicht vorgetragen.

Auf ein Verschulden der Beklagten im Hinblick auf die Ursache für die Annullierung des Fluges kommt es nicht an. Unerheblich ist auch, dass die Ursache für die Annullierung - nämlich die Sperrung des Luftraums aufgrund von Vulkanasche - einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO darstellen könnte. Art. 5 Abs. 3 VO ist vorliegend nicht einschlägig, da diese Norm allein auf Ausgleichsleistungen nach Art. 7 VO bezogen ist und nicht für Unterstützungs- und Betreuungsleistungen gilt. Dies folgt bereits aus dem unmissverständlichen Wortlaut der Vorschrift, der sich allein auf eine Bezugnahme auf Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 VO beschränkt. Entsprechendes folgt aus der Systematik, da Art. 5 Abs. 3 VO die Ausnahmen im Hinblick auf die Rechtsfolgen einer Annullierung abschließend regelt und sich in Art. 9 VO keine entsprechende Vorschrift findet. Dies findet seine Unterstützung auch in der teleologischen Auslegung der Norm, da der Verordnungsgeber - vor dem Hintergrund der Stärkung der Versorgung "gestrandeter Fluggäste" im Sinne des Verbraucherschutzes mit dem Anspruch auf Betreuungsleistungen ersichtlich eine Leistungspflicht der Luftfahrtunternehmen schaffen wollte, die auch dann gilt, wenn das Luftfahrtunternehmen die Annullierung selbst nicht zu verantworten hat. Eine analoge Anwendung von Art. 5 Abs. 3 VO auf Betreuungsansprüche ist schließlich schon deshalb nicht geboten, da es sich bei der Vorschrift um eine Ausnahmeregelung handelt, für die sich Analogien grundsätzlich verbieten.

Der Ersatzpflicht der Beklagten steht ihre Behauptung, dass der Reiseveranstalter R. Touristik den Reisevertrag am 19.4.2011 gekündigt habe, nicht entgegen. Die Beklagte hat entgegen des richterlichen Hinweises vom 18.5.2011 nicht zum Grund der Kündigung vorgetragen. Insbesondere hat sie nicht vorgebracht, dass die Kündigung aus anderen Gründen als der Annullierung des gebuchten Fluges erfolgt ist. Die Beklagte trägt diesbezüglich die Darlegungs- und - soweit erforderlich - Beweislast. In Art. 3 Abs. 6, S. 2 VO ist vorgesehen, dass die Verordnung in solchen Fällen ausnahmsweise nicht gilt. Aufgrund des Umstands, dass diese Regelung nach ihrem Wortlaut einen Ausnahmetatbestand und nicht etwa eine Anwendungsvoraussetzung für die VO darstellt, hat die Beklagte das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 3 Abs. 6, S. 2 VO darzutun (so schon AG Rüsselsheim, Urt. v. 16.11.2011 - 3 C 64/11 (36)).

Angesichts der vorliegenden Umstände war unter Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Fristsetzung durch den Kläger im Hinblick auf die Leistungserbringung durch die Beklagte entbehrlich, § 281 Abs. 2 BGB.

Dem Kläger ist aufgrund der Pflichtverletzung der Beklagten ein Schaden in Höhe von 601,39 EUR entstanden. In Höhe von 56,88 EUR (58,62 USD und 17,50 USD) - nämlich die Kostenpositionen "Thundi Bar" vom 21. und 22.4.2010 - ist der klägerische Vortrag trotz richterlichen Hinweises vom 18.5.2011 unsubstantiiert geblieben. Der Kläger hat sich diesbezüglich lediglich darauf zurückgezogen, dass an der "Thundi Bar" Getränke erworben worden seien. Ausführungen, weshalb hierfür innerhalb von 2 Tagen immerhin 76,12 USD aufwendet wurden, während in den vorangegangenen 2 Urlaubswochen an der "Thundi Bar" lediglich insgesamt 24 USD ausgegeben wurden, bleibt der Kläger schuldig. Auf den Umstand, dass der Kläger mit dem Reiseveranstalter eine All-inclusive-Verpflegung vereinbart hatte, kommt es für die Ersatzpflicht des Luftfahrtunternehmens nicht an.

Das einfache Bestreiten des übrigen Schadens durch die Beklagte ist nicht hinreichend substantiiert, da der Kläger zu den übrigen Schadenspositionen unter Vorlage insoweit eindeutiger Rechnungskopien vorgetragen hat. Unter Berücksichtigung der hieraus folgenden Darlegungslast hätte die Beklagte den Schaden in qualifizierter Form bestreiten müssen.

Ein Mitverschulden des Klägers im Hinblick auf den entstandenen Schaden ist nicht zu erkennen. Dies folgt auch nicht daraus, dass sich der Kläger nicht um ein anderes Hotel bemüht oder die Beklagte hierzu konsultiert hatte. Die darlegungsbelastete Beklagte hat nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, dass der Kläger die Möglichkeit einer günstigeren Unterbringung gehabt hätte oder sie den Kläger günstiger hätte unterbringen können.

In Höhe von 175 EUR ist die Klage indes unbegründet. Der Kläger muss sich die unstreitig vom Reiseveranstalter erhaltene Zahlung in genannter Höhe im Rahmen der Vorteilsausgleichung (§ 249 BGB) anrechnen lassen (hierzu schon Palandt, BGB [70. Aufl.], vor § 249 Rn. 67 ff.). Das zum Schadenersatz führende Ereignis, nämlich die Annullierung des Fluges bei fehlendem Angebot von Betreuungsleistungen nach Art. 9 VO, hat dem Kläger einen Vorteil - nämlich jedenfalls die Auszahlung von 175 EUR - gebracht. Zwischen schädigendem Ereignis und dem erhaltenen Vorteil besteht ein adäquater Kausalzusammenhang, da der Reiseveranstalter ohne die Ereignisse keine Zahlung an den Kläger geleistet hätte. Die Anrechnung des erhaltenen Betrages entspricht überdies dem Zweck des Schadensersatzes, da sie zum einen den Kläger nicht unzumutbar belastet; im Ergebnis hat er Ersatz für seinen gesamten tatsächlichen Schaden erhalten. Die Anrechnung begünstigt aber auch zum anderen die Beklagte nicht in unbilliger Weise, da Reiseveranstalter und Beklagte dem Kläger anderenfalls in der Summe einen Betrag erstatten würden, der den tatsächlich eingetretenen Schaden überschreitet und den Kläger ohne Grund bereichert. Den vom Reiseveranstalter entschädigungshalber überlassenen Gutschein muss sich der Kläger im Wert indes nicht anrechnen lassen. Der Gutschein bindet den Kläger an eine neue Reisebuchung und stellt deswegen keinen ersatzfähigen Vorteil dar.

Die Klägerseite kann im Rahmen ihrer Ersatzforderung auch Freistellung von den im Rahmen der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufzuwendenden Kosten verlangen, §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs.1, Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1, lit. b, 9 Abs. 1, lit. a, lit. b VO. Auf einen Verzug kommt es nicht an, da die entstandenen Rechtsanwaltsgebühren unmittelbar Teil des aufgrund der oben erörterten Pflichtverletzung der Beklagten entstandenen Schadens sind. Ein Verschulden der Beklagten an der Pflichtverletzung wird vermutet (§ 280 Abs.1 S. 2 BGB). Die Klägerseite durfte vorgerichtlich einen Rechtsanwalt beauftragen und diesbezüglich eine Verbindlichkeit in Form von Rechtsanwaltsgebühren eingehen.

Es kann dahinstehen, ob seitens des Prozessbevollmächtigten der Klägerseite eine ordnungsgemäße Rechnungsstellung erfolgt ist. Die Rechnungsstellung nach § 10 Abs. 1 RVG ist nur für die Einforderbarkeit der Vergütung im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten maßgeblich und ohne Bedeutung für die Fälligkeit des Anspruchs - insbesondere im Hinblick auf einen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch (OLG München, Beschl. v. 19.7.2006 - 10 U 2476/06). Wie sich aus § 10 Abs. 3 RVG ergibt, steht eine fehlende Rechnungsstellung einem materiellrechtlichen Anspruch des Rechtsanwalts nicht entgegen; dieser entsteht bereits mit dem ersten Tätigwerden des Anwalts und wird gemäß § 8 Abs. 1, S. 1 RVG mit der Erledigung des Auftrags oder der Beendigung der Angelegenheit - unabhängig von einer Rechnungsstellung - fällig. …

Rechtsgebiete

Reiserecht