OLG Oldenburg zu Abmahnkosten bei Zweitabmahnung

Gericht

OLG Oldenburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

10. 02. 2012


Aktenzeichen

6 U 247/11


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten um die Erstattung der durch eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung entstandenen Kosten. Die Kl. vertreibt im Internet bundesweit über die Handelsplattform eBay Parfums. Der Bekl. betreibt seine Verkaufstätigkeit, die sich ebenfalls auf Parfums bezieht, ebenfalls auf der Handelsplattform eBay. I.R.d. Recherche von Konkurrenzangeboten bemerkte die Kl. von dem Bekl. begangene Wettbewerbsverstöße.

Infolge einer gesetzeswidrigen Belehrung über das Widerrufsrecht und fehlender Information über die Speicherung von Kundendaten mahnte die Kl. den Bekl. ab und forderte ihn zu einer Unterlassungserklärung und zur Zahlung der Rechtsanwaltskosten auf. Der Bekl. teilte mit, ihm sei wegen der behaupteten Verletzungshandlung eine einstweilige Verfügung des LG Berlin v. 28.3.2011 – beantragt durch einen anderen Mitbewerber – zugestellt worden. Mit weiterem Schreiben übersandte er auf Hinweis der Kl. eine sog. Abschlusserklärung. Daraufhin wies die Kl. darauf hin, nach Überprüfung der übersandten Unterlagen gehe sie nicht von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr aus. Die Ast. der einstweiligen Verfügung sei weitgehend im Bereich Kosmetika tätig, darauf beschränke sich die einstweilige Verfügung; ferner forderte sie nochmals zur Abgabe der Unterlassungserklärung auf. Sie habe nämlich die Abmahnung wegen Parfums ausgesprochen. Der Bekl. hielt an seinem Einwand nach § 8 Abs. 4 UWG fest, gab zur Vermeidung von Weiterungen die geforderte Unterlassungserklärung ab, verweigerte jedoch die Zahlung der auf Grund der Abmahnung entstandenen Anwaltskosten.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. ... Der Kl. steht gegen den Bekl. ein Anspruch auf Erstattung der Kosten der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung i.H.v. € 651,80 gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG zu. Die von der Kl. geltend gemachten Abmahnkosten, deren Höhe der Bekl. nicht bestritten hat, waren erforderlich und sind damit ersatzfähig, denn sie wurden durch eine berechtigte und begründete Abmahnung veranlasst.

Unstreitig ist zwischen den Parteien ein vom Bekl. begangener Wettbewerbsverstoß gem. §§ 3, 4 Nr. 11, 5 Abs. 1, 5a Abs. 1 und 2 UWG. Davon kann für die Berufungsinstanz ohne weiteres ausgegangen werden. Der Bekl. hat den Wettbewerbsverstoß nicht in Abrede gestellt und sogar eine Unterlassungserklärung abgegeben. Die Abmahnung war berechtigt, weil das beanstandete Verhalten wettbewerbswidrig war, und nicht missbräuchlich; ferner war sie infolge des Bestehens eines Unterlassungsanspruchs befugt (vgl. dazu Köhler/Bornkamm/Bornkamm, UWG, 30. Aufl. 2012, § 12 Rdnr. 1.68).

Infolge des Wettbewerbsverstoßes war die Kl. grds. berechtigt, den Bekl. abzumahnen und die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung zu beanspruchen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 UWG). Sinn der vorgerichtlichen Abmahnung ist es, dem Schuldner Gelegenheit zu geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungserklärung beizulegen. Die Abmahnung soll danach dem Schuldner den Weg weisen, wie er den Gläubiger klaglos stellen kann, ohne dass die Kosten eines Gerichtsverfahrens anfallen. Nur wenn die Abmahnung diese Funktion erfüllt, handelt es sich um eine berechtigte Abmahnung i.S.d. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG. Denn der gesetzliche Kostenerstattungsanspruch (Aufwendungsersatzanspruch) gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG in Bezug auf die Abmahnkosten rechtfertigt sich daraus, dass die Abmahnung auch im Interesse des Schuldners liegt (vgl. BGHNJW 2010, 1208, Rdnr. 8; Bornkamm, a.a.O., § 12 Rdnr. 1.80).

Die Kl. ist Mitbewerberin des Bekl., beide Parteien verkaufen über das Internet Parfums an Endverbraucher. Als eine Mitbewerberin kann die Kl. ein berechtigtes Interesse an der Rechtsverfolgung haben, wenn sie durch unlautere Wettbewerbshandlungen des Konkurrenten beeinträchtigt werden kann. Das kann grds. der Fall sein, wenn Informationspflichten i.R.d. Widerrufsbelehrung verletzt werden, wenn auch aus Sicht der Kl. solche Verstöße von eher unterdurchschnittlichem Gewicht sind, die sie nicht besonders beeinträchtigen (vgl. OLG Hamm, U. v. 10.8.2010 – 4 U 60/10). Die Abmahnung war deshalb geeignet, auch im lnteresse des Bekl. als Schuldner den Streit beizulegen. ... Es kann dahinstehen, ob die Begriffe Kosmetika und Parfum in juristischem Sinne als gleichwertig/identisch zu qualifizieren sind. Denn jedenfalls hat der Bekl. auf Intervention der Kl. zusätzlich die von ihm geforderte Unterlassungserklärung betreffend Parfum abgegeben. Damit hat er den Wettbewerbsverstoß sowie die Berechtigung der Abmahnung und der geforderten Unterlassungserklärung anerkannt und sich freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begeben.

Eine missbräuchliche Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs sowie eine unbillige Belastung des Bekl. mit Kosten, die zur Erreichung des Ziels einer Streitbeilegung ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht erforderlich sind, können nicht festgestellt werden. Auch unter diesem Aspekt kann nicht von einer unberechtigten Abmahnung ausgegangen werden.

Dies gilt zunächst im Hinblick auf die von einer weiteren Mitbewerberin bei dem LG Berlin erwirkte einstweilige Verfügung.

Bei einer erfolglosen Abmahnung durch einen Dritten (weiteren Mitbewerber), der sich der Schuldner nicht unterwerfen, sondern es vielmehr auf eine gerichtliche Klärung ankommen lassen will, besteht für einen Gläubiger, der davon Kenntnis hat, vor der Stellung eines Verfügungsantrags bzw. vor Klageerhebung kein Anlass, erneut abzumahnen (vgl. Bornkamm, a.a.O., § 12 Rdnr. 1.55). Maßgeblich ist aber stets auf die Kenntnis des Gläubigers abzustellen. Weiß der (weitere) Gläubiger – also vorliegend die Kl. – nicht, dass ein anderer Gläubiger den Schuldner bereits ohne Erfolg abgemahnt hat, stellt sich die erneute Abmahnung als erforderlich und i.S.d. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG auch als berechtigt dar (vgl. Bornkamm, a.a.O., § 12 Rdnr. 1.56 und 1.81).

Als der Prozessbevollmächtigte im Auftrag der Kl. eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung vornahm, hatte die Kl. von der beantragten einstweiligen Verfügung einer Mitbewerberin sowie deren Erlass durch das LG Berlin per B. v. 28.3.2011 keine Kenntnis. Durch den Erlass der einstweiligen Verfügung entfiel die erforderliche Wiederholungsgefahr nicht, solange das Hauptverfahren durchgeführt werden und zu einer Aufhebung der einstweiligen Verfügung führen konnte. Der Bekl. konnte den Entfall einer Wiederholungsgefahr nur dadurch bewirken, dass er eine sog. Abschlusserklärung (bzw. ein Abschlussschreiben) beibrachte (vgl. dazu Bornkamm, a.a.O., § 12 Rdnr. 1.78 und 3.74); auf diese Möglichkeit hatte die Kl. zu Recht hingewiesen. Als die Parteien über ihre Prozessbevollmächtigten korrespondierten und dabei u.a. auch über die Kosten der Abmahnung stritten, waren die nun geltend gemachten vorprozessualen Rechtsanwaltskosten längst angefallen.

I.Ü. wird vertreten, die sog. Abschlusserklärung (auf Anforderung des Gläubigers) entspreche von seiner Funktion der Abmahnung; deshalb sei es gerechtfertigt, den Anspruch auf Erstattung der Kosten für dieses Schreiben der Bestimmung des § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG in analoger Anwendung zu entnehmen (vgl. Bornkamm, a.a.O., § 12 Rdnr. 1.78 und 3.78 unter Hinweis auf BGHWRP 2008, 805).

Soweit verschiedene Gläubiger unabhängig voneinander agieren, erweist sich eine Mehrfachabmahnung bzw. -verfolgung auch nicht als rechtsmissbräuchlich (vgl. Bornkamm, a.a.O., § 12 Rdnr. 1.56; § 8 Rdnr. 4.17). Vielmehr kann der Gläubiger seinen Anspruch gerichtlich durchsetzen. ...

Der Hinweis des Prozessbevollmächtigten des Bekl. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat i.R.d. Erörterung der Rechtslage, die Annahme einer Erstattungspflicht könne zu einer vielfachen Inanspruchnahme des Bekl. führen, ändert an der festgestellten Ersatzpflicht nichts. Die Gefahr einer vielfachen Inanspruchnahme des Schuldners durch andere Wettbewerber liegt gerade darin begründet, dass der begangene Wettbewerbsverstoß, an dem der Schuldner festhält, durch das Medium Internet in der gesamten Bundesrepublik erkannt werden und Abmahnungen nach sich ziehen kann. Der Schuldner kann zahlreichen Inanspruchnahmen effektiv nur durch eine schnelle Reaktion begegnen, in dem er das zu Recht beanstandete Verhalten umgehend unterlässt und auf eine bereits erfolgte Abmahnung nebst ggf. abgegebener strafbewehrter Unterlassungserklärung an geeigneter Stelle hinweist. Solange der Gläubiger keine Kenntnis besitzt, kann er berechtigt eine Abmahnung aussprechen und die Kosten erstattet verlangen.

Entgegen der Annahme des Bekl. steht den erfolgten Darlegungen die Entscheidung des BGH (NJW 2010, 1208) nicht entgegen. In dieser Entscheidung ging es um die Kosten einer zweiten Abmahnung durch einen bestimmten Wettbewerbsverband gegen den identischen Schuldner.

Ein Missbrauch i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG infolge mehrfacher Abmahnungen kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Die konkrete Fallkonstellation ist nicht vergleichbar mit Sachverhalten, in denen ein Konzern eine Abmahnung ausspricht und eine Unterlassungserklärung fordert, indem einzelne Filialen dieses Begehren durchsetzen und damit (bewusst) die Kosten in die Höhe treiben. Denn es kann zu Recht davon ausgegangen werden, dass der betreffende Konzern sich einer einzigen Rechtsanwaltssozietät bedient, sodass die Kosten gering gehalten werden können (s. dazu etwa OLG HammWRP 2011, 501 [= MMR 2011, 241]). Die Kl. selbst ist auch nicht mit mehreren Abmahnungen gegen den Bekl. vorgegangen, sodass ihr nicht angelastet werden kann, die Kostenlast erheblich erhöht zu haben.

Der Rechtsauffassung des Bekl. in dem vorprozessualen Schreiben seines Prozessbevollmächtigten v. 11.4.2011, der geltend gemachte Unterlassungsanspruch (sowie die Abmahnung) seien rechtsmissbräuchlich, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Dazu ist zunächst auszuführen, dass sich der Missbrauch i.S.d. Bestimmung in § 8 Abs. 4 UWG nur auf die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs bezieht. Wenn es um Nebenansprüche – wie dem Erstattungsanspruch der Abmahnkosten – geht, kann der Missbrauchseinwand dagegen nur als materiell-rechtliches Hindernis dem Anspruch der Kl. entgegengehalten werden (vgl. OLG Hamm, U. v. 10.8.2010 – 4 U 60/10). Für die Frage eines rechtsmissbräuchlichen Vorgehens kann allerdings auch auf § 242 BGB abgestellt werden (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; Köhler/Bornkamm/Köhler, a.a.O., § 8 Rdnr. 4.6).

Ein Rechtsmissbrauch scheidet nach den Gesamtumständen ebenfalls aus. Das Vorliegen eines Missbrauchs ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der gesamten Umstände zu beurteilen (vgl. BGHGRUR 2001, 354, 355; Köhler, a.a.O., § 8 Rdnr. 4.11). ... Von einem Missbrauch wäre etwa auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs das Gebührenerzielungsinteresse wäre ... Solche Umstände kann der Senat nicht feststellen. Trotz des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat der Bekl. an der beanstandeten Widerrufsbelehrung zunächst festgehalten, bis das LG die einstweilige Verfügung erließ. Soweit ersichtlich, hat die Kl. bislang wegen eines erneuten Wettbewerbsverstoßes eine Verwirkung der Vertragsstrafe nicht geltend gemacht; Gegenteiliges wird auch von dem Bekl. nicht einmal behauptet. Dass sie allein in Gebührenerzielungsinteresse tätig wurde, ist mangels konkreter Anhaltspunkte nicht ersichtlich. ...

Rechtsgebiete

Wettbewerbsrecht