Blockabstimmung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

17. 12. 1973


Aktenzeichen

II ZR 47/71 (KG)


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kläger ist Mitglied des beklagten Landesverbandes Berlin der SPD. Er gehört der Abteilung 2 des Kreises Wilmersdorf an. Am 25. 2. 1969 fand in der Abteilung 2 des Kreises Wilmersdorf die Kreisdelegiertenwahl statt; für 20 Abteilungsmitglieder war jeweils ein Delegierter zu wählen. Die Kreisdelegiertenversammlung führte am 25. 4. 1969 die Wahlen des Kreisvorstands und der Delegierten zum Landesparteitag durch. Der Landesparteitag wählte am 30./31. 5. 1969 den Parteivorstand, die Mitglieder der Landesschiedskommission und die Kandidaten, die von der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus zur Wahl als Bundestagsabgeordnete vorgeschlagen wurden. Für diese Wahlen galt § 3 Abs. 1 der Wahlordnung des beklagten Landesverbandes, der bestimmt:

„Sollen durch einen Wahlgang mehrere gleichartige Wahlämter besetzt werden, so sind die Kandidaten mit der höchsten Stimmenzahl gewählt, die die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben; haben nicht genügend Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht, so findet ein zweiter Wahlgang statt, in dem die relative Mehrheit entscheidet.”

Der Kläger hält die genannten Wahlen für ungültig. Er behauptet, die Wahlen der Abteilung 2 sowie der Kreisdelegiertenversammlung des Kreises Wilmersdorf seien nach dem sog. Blockwahlsystem (vom Beklagten als „Prinzip der vollen Stimmausnutzung” bezeichnet) durchgeführt worden. Die Besonderheit dieses Wahlverfahrens besteht darin, daß der Wähler genau so viele Kandidaten wählen muß, wie Positionen zu besetzen sind; eine Stimmabgabe für weniger Kandidaten (teilweise Stimmenthaltung) ist unzulässig und führt zur Ungültigkeit des Stimmzettels überhaupt. Dieses Wahlsystem, so meint der Kläger, stehe im Widerspruch zur Wahlordnung des Beklagten. Außerdem verstoße es gegen demokratische Grundsätze, insbesondere gegen die Verfassungsgebote der Freiheit und Gleichheit der Wahl (Art. 21 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 GG, § 10 Abs. 2 Satz 1 PartG). Ein Verstoß gegen den Grundsatz der freien Wahl sei gegeben, weil die Blockwahl Angehörige innerparteilicher Minderheiten, die nicht für alle zu besetzenden Positionen eigene Kandidaten aufstellen könnten, dazu zwinge, entweder auch Kandidaten anzukreuzen, denen sie nicht ihre Stimme geben wollten, oder sich nicht an der Wahl zu beteiligen. Das verletze zugleich den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit. Während Mehrheitswähler ausschließlich ihre eigenen Kandidaten wählen können, müßten Minderheitswähler Kandidaten der Mehrheit mitwählen, wodurch deren Wahlchancen zu Lasten der eigenen Kandidaten erhöht würden.

Das LG hat der auf Feststellung der Ungültigkeit dieser Wahlen gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das KG - unter Zulassung der Revision - durch Teilurteil im wesentlichen zurückgewiesen.

Im Jahre 1971 wurde durch eine von der SPD erlassene Wahlordnung, die auch für die Kreis- und Landesverbände gilt, ein gemäßigtes Blockwahlverfahren eingeführt. Danach ist bei einer Wahl von mehreren Kandidaten in einem Wahlgang die Stimmabgabe nur noch ungültig, wenn für weniger als die Hälfte der zu Wählenden eine Stimme abgegeben worden ist. Im Hinblick auf diese Neuregelung - die Amtszeit der nach dem früheren Blockwahlverfahren gewählten Organe war 1971 bzw. 1972 abgelaufen - hat der Kläger auf die Revision des Beklagten wegen Wegfalls des Feststellungsinteresses den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Beklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen und seinen Klageabweisungsantrag aufrechterhalten.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

… B. Da sich der Kläger wegen der nach Erlaß des Berufungsurteils in Kraft getretenen Neuregelung des Wahlverfahrens zu Recht auf ein erledigendes Ereignis (Wegfall des Feststellungsinteresses) berufen hat, hängt die Entscheidung darüber, ob die Hauptsache für erledigt zu erklären oder die Klage abzuweisen ist, davon ab, ob die Feststellungsklage ursprünglich zulässig und begründet war.

II. In der Sache vertritt das Berufungsgericht die Ansicht, die angefochtenen Wahlen seien - soweit über sie bisher entschieden ist - wegen der Anwendung des Blockwahlsystems ungültig. Dem ist im Ergebnis beizutreten.

1. Das Blockwahlverfahren verstößt allerdings nicht, wie das Berufungsgericht meint, gegen die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl.

a) Die im Grundgesetz gewährleistete Wahlfreiheit bedeutet, daß jeder Wahlberechtigte sein Wahlrecht ohne Zwang und sonstige Beeinflussung von außen ausüben kann und dadurch instand gesetzt wird, eine seiner Überzeugung entsprechende Wahlentscheidung zu treffen. Dagegen hat der Wählende grundsätzlich keinen Anspruch, auch von solchen Einschränkungen und Sachzwängen frei zu sein, die sich aus dem Wahlsystem ergeben, welches der Gesetzgeber - im vorliegenden Fall: das zuständige Parteiorgan - vorgesehen hat. Diese Auffassung, die das BVerfG für den Fall der sog. Listenwahl im Rahmen von Staatswahlen vertreten hat (BVerfGE 7, 63, 69 = NJW 57, 1313; vgl. auch BVerfGE 15, 165, 166), gilt in gleicher Weise für innerparteiliche Wahlen. Auch bei diesen können die Prinzipien des Wahlsystems und -verfahrens - die zur Abstimmung gestellte Wahlfrage, die Modalitäten des Wahlgangs und der Stimmenverrechnung - nur einheitlich festgelegt werden, was eine Freiheit des einzelnen Wählers insoweit ausschließt.

b) Ähnliche Erwägungen gelten grundsätzlich für das Gebot der Wahlrechtsgleichheit. Auch unter diesem Gesichtspunkt steht es dem Gesetzgeber bzw. dem zuständigen Parteiorgan frei, innerhalb welchen Wahlsystems sie die Wahlrechtsgleichheit verwirklichen wollen (vgl. BVerfGE 6, 84, 89 = NJW 57, 377; BVerfGE 11, 351, 360 = NJW 60, 2283). Durch den wahlrechtlichen Gleichheitsgrundsatz sind sie nur dahingehend gebunden, daß alle abgegebenen Stimmen den gleichen Zählwert und - soweit das Verhältniswahlsystem angewandt wird - den gleichen Erfolgswert haben müssen (BVerfGE 1, 208, 244 ff.; 7, 63, 70 = NJW 57, 1313; BVerfGE 13, 243, 246; 16, 130, 139 = NJW 63, 1600; für innerparteiliche Wahlen vgl. Maunz-Dürig, GG, Art. 21 Rdnr. 58 i.V.m. Art. 20 Rdnr. 34 sowie § 10 Abs. 2 PartG). Ferner verbietet die Gleichheit der Wahl, bestimmte Wählergruppen nach Bildung, Religion, Vermögen, Klasse, Rasse oder Geschlecht, nach der Art der politischen Meinung, für die sich der Wählende entschieden hat, oder nach sonstigen Kriterien, die außerhalb des Wahlsystems liegen und sich auch nicht aus zwingenden Erfordernissen eines geordneten Wahlverfahrens ergeben, unterschiedlich zu behandeln (BVerfGE 6, 84, 91 = NJW 57, 377; BVerfGE 15, 165, 166 f.; für die innerparteilichen Wahlen vgl. Hencke, Recht der politischen Parteien 2. Aufl. S. 87 f.). Ungleichbehandlungen dagegen, die unmittelbare Folge des Wahlsystems sind, sind mit dem wahlrechtlichen Gleichheitsprinzip grundsätzlich vereinbar.

c) Unzutreffend ist auch die vom Kläger in diesem Zusammenhang vertretene Auffassung, das Gebot der Erfolgschancengleichheit bei der innerparteilichen Willensbildung erfordere es, daß in den Parteiorganen alle innerparteilichen Richtungen und Kräfte repräsentiert sein müßten, was durch das Blockwahlsystem verhindert werde (vgl. Gutachten E. Küchenhoff, S. 47 f.; abgedruckt in Schmidt-Bärlein-Bonin, Das Blockwahlsystem in der SPD, S. 32 ff.). Das Gebot der Erfolgschancengleichheit bei der Wahl kann für innerparteiliche Gruppen grundsätzlich keinen weitergehenden Inhalt haben als für den einzelnen Wähler; die Erfolgschancengleichheit wird nur innerhalb des jeweiligen Wahlsystems garantiert. Demgegenüber ließe sich eine Erfolgschancengleichheit, wie sie der Kläger geltend macht, nur im Rahmen eines Verhältniswahlrechts verwirklichen, da jedes Mehrheitswahlsystem - und zwar die Mehrheitswahl als solche, nicht erst, wie der Kläger offenbar meint, ihre Verbindung mit dem Prinzip der vollen Stimmausnutzung - grundsätzlich zum Ausschluß der Minderheitskandidaten von der Besetzung der Repräsentationsorgane führt.

2. Verstößt danach das Blockwahlsystem nicht gegen die Gebote der Wahlrechtsfreiheit und -gleichheit, so kann es jedoch aus anderen Gründen demokratischen Anforderungen (Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG) nicht genügen, denen ein innerparteiliches Wahlrecht entsprechen muß.

Auszugehen ist hierbei von dem im Staatsrecht anerkannten Grundsatz, daß die Auswahl des Wahlsystems und die Festlegung der Wahlrechtsgrundsätze im einzelnen im Ermessen des Gesetzgebers steht (BVerfGE 3, 19, 24 = NJW 53, 1341; BVerfGE 3, 383, 394; 5, 77, 81; 6, 84, 89 = NJW 57, 377). Das gilt für innerparteiliche Wahlen entsprechend: Da das Ziel jeder demokratischen Wahlrechtsgestaltung, den wirklichen Wählerwillen unverfälscht zur Geltung zu bringen, hier ebenso wie im staatlichen Bereich von keinem der möglichen Wahlsysteme voll erreicht werden kann, hat das satzungsmäßig hierzu berufene Parteiorgan die Vor- und Nachteile, die jedes Wahlsystem zwangsläufig mit sich bringt, gegeneinander abzuwägen und sich für eines der in Betracht kommenden Systeme zu entscheiden. Den Gerichten steht insofern nur ein beschränktes Prüfungsrecht zu. Nachprüfbar ist nur die Frage, ob die Gestaltung des Wahlrechts ermessensfehlerhaft ist, insbesondere ob bei dem betreffenden Wahlsystem das Ausmaß, in dem der Wählerwille ungenügend oder verfälscht zum Ausdruck kommt, unverhältnismäßig groß ist, ohne daß dafür ein anderer, unter demokratischen Gesichtspunkten zu billigender und zum Ausgleich geeigneter Grund angeführt werden kann. Für die Zulässigkeit der Blockwahl, wie sie innerhalb des beklagten Landesverbandes gehandhabt wurde, ergibt sich daraus:

Gegen die Blockwahl ist, wie dem Berufungsgericht zuzustimmen ist, einzuwenden, daß sie insbesondere solche Mitglieder in einer über das Mehrheitswahlsystem hinausgehenden und wahlrechtlich bedenklichen Weise benachteiligt, die sich wegen ihrer politischen Überzeugung oder aus arideren Gründen in einer innerparteilichen Minderheit befinden. Wenn - wie im vorliegenden Fall - verhältnismäßig viele Stellen zu besetzen sind, ist mit Wählern zu rechnen, die trotz ihres Rechts, eigene Wahl vorschlage zu machen, nicht genügend Bewerber zur Verfügung haben, von denen sie in den höheren Parteigremien repräsentiert sein wollen. Diese Wähler müssen ihre Stimmen zu einem Teil Kandidaten geben, die politisch nicht ihre Auffassungen vertreten oder ihnen aus anderen Gründen nicht erwünscht sind, oder sie müssen überhaupt darauf verzichten, an der Wahl teilzunehmen. Beteiligen sie sich, so mindern sie durch die notgedrungene Unterstützung nicht genehmer Bewerber zugleich die Wahlchancen der eigenen Kandidaten. Das Wahlsystem ist daher, ob gewollt oder nicht, darauf angelegt, daß bestimmte Wähler der Wahl fernbleiben oder daß sie die Erfolgschancen und politische Aussagekraft der Stimmen, die sie favorisierten Kandidaten geben, durch weitere Stimmen selbst wieder entwerten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß das im Ergebnis auf eine teilweise Verfälschung des Wählerwillens hinausläuft.

Andererseits wirkt sich das Blockwahlsystem dahin aus, daß für die Wahl eines jeden der verhältnismäßig vielen Repräsentanten eine hohe Wahlbeteiligung erzielt wird. Ohne den Zwang zur vollen Ausnutzung aller Stimmen besteht die Gefahr, daß ein nicht unerheblicher Teil der Mitglieder nur einige wenige - vielleicht besonders prominente oder persönlich näher bekannte - Kandidaten wählt und sich im übrigen der Stimme enthält. Die Wahl eines Teils der Kandidaten ist damit mehr oder weniger dem Zufall überlassen, und sie beruht häufig auf der Stimmabgabe einer nur kleinen Mitgliederzahl; der „wahre” Mehrheitswille der Wählergesamtheit bleibt verdeckt. Demgegenüber werden die Mitglieder durch die Notwendigkeit, für sämtliche zu besetzende Stellen einen Kandidaten zu wählen, wenn die Stimmabgabe nicht überhaupt ungültig sein soll, zur Mitwirkung der Wahl aller ihrer Repräsentanten aktiviert. Das Blockwahlsystem zielt somit auf Wahlentscheidungen ab, denen durchgängig für alle zu besetzenden Parteiämter der erklärte Wille einer möglichst großen Mitgliederschaft zugrundeliegt und die insofern dem Mehrheitswillen der Wählergesamtheit nahekommen.

Weder Art. 21 GG noch das Vereinsrecht verbieten einer Partei, durch besondere Gestaltung ihrer Wahlordnung eine möglichst umfassende Beteiligung der Mitglieder an allen personellen Entscheidungen durchzusetzen. Parteien und Vereine überhaupt sind grundsätzlich darin frei, zu bestimmen, welches Maß von aktiver Teilnahme sie für die Durchführung der satzungsmäßigen Zwecke von den Mitgliedern verlangen wollen. Gewiß läßt sich die Ansicht vertreten, der inneren Ordnung einer demokratischen Partei entspreche es besser, die Mitglieder nicht durch bestimmte Vorschriften zur Wahldisziplin anzuhalten, sondern die Besetzung der Parteiämter der freien geistigen Auseinandersetzung der innerparteilichen Kräfte auch zu überlassen, soweit es darum geht, die Mitglieder zur vollen Ausnutzung der ihnen jeweils zur Verfügung stehenden Stimmen zu veranlassen. Es kann aber nicht Sache der Gerichte sein, sich für eines von mehreren demokratischen Idealen, deren innerparteiliche Ausformung unter der Herrschaft des Grundgesetzes denkbar ist, zu entscheiden und das Wahlsystem einer Partei daran zu messen, ob es diesem Ideal entspricht.

Wohl aber ist zu prüfen, ob das Ziel, durch den Zwang zu voller Stimmenausnutzung zu Mehrheitsentscheidungen einer möglichst hohen Mitgliederzahl zu gelangen, die negative Auswirkung der Blockwahl aufwiegt: die Verfälschung des Wahlergebnisses, soweit Mitglieder zu Stimmabgaben wider ihre Überzeugung oder zum Fernbleiben von der Wahl genötigt werden. Gerade auf der untersten Parteiebene muß nach demokratischen Grundsätzen Rücksicht auf Wähler genommen werden, die sich zwar an die allgemeine Parteilinie halten, sich aber in diesem Rahmen in innerparteilichen Minderheiten befinden. Soweit nur einzelne Wähler für ihre Person oder kleine im Parteileben unbedeutende Gruppen betroffen werden, ist die mögliche Auswirkung auf die Willensbildung der Mitgliedergesamtheit und damit das Schutzbedürfnis unerheblich. Je geringer das Verhältnis der Zahl der abzugebenden Stimmen im Verhältnis zur Zahl der Mitglieder ist, um so eher kann auch von Minderheiten erwartet werden, daß sie genügend Mitglieder ihrer Richtung zur Kandidatur bewegen und damit auch wählen können - oder sie vertreten eine Überzeugung, die in der übrigen Mitgliederschaft zu wenig Anhänger hat, um besondere Berücksichtigung zu verdienen. Je mehr Stimmen dagegen im Verhältnis zur Mitgliederzahl abgegeben werden müssen, um so eher ist es möglich, daß auch größere Minderheiten nicht genügend Kandidaten präsentieren können und damit die Grenze erreicht wird, jenseits deren es nach demokratischen Grundsätzen im Interesse relevanter Minderheiten nicht mehr vertretbar erscheint, die volle Stimmausnutzung zu fordern.

Der vorliegende Rechtsstreit gibt keinen Anlaß, die Grenze abstrakt festzulegen. Den gesetzlichen Fall einer „Blockwahl” - die Wahl der Präsidien der Gerichte (§§ 21 a, 21 b GVG) - hält der Senat zwar hinsichtlich der Zahlenverhältnisse für verfassungsrechtlich unbedenklich, insoweit aber mit innerparteilichen Wahlen wegen der wesentlich anderen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten für unvergleichbar. Sicher ist dem Senat, daß sich auch eine gemäßigte Blockwahl, wie sie nunmehr § 8 Abs. 1 Satz 2 der SPD-Wahlordnung von 1971 vorschreibt, innerhalb des gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG dem zuständigen Parteiorgan eingeräumten Ermessens hält. Hätten die Wähler bei den umstrittenen Berliner Abteilungswahlen nur für die Hälfte der zu wählenden Kandidaten Stimmen abzugeben gehabt, so hätte sich - da auf je 20 Mitglieder ein Kreisdelegierter zu wählen war (§ 17 b Abs. 1 Satz 3 der Berliner Satzung 1969) - ein Verhältnis der abzugebenden Stimmen zur Wahl der insgesamt wählbaren Mitglieder von 1: 40 ergeben. Auch wenn man berücksichtigt, daß unter diesen Voraussetzungen eine Minderheit wesentlich größer als 2½% der Mitgliederschaft hätte sein müssen, um ausreichend Kandidaten zu benennen, weil erfahrungsgemäß eine ganze Anzahl von Mitgliedern zur Kandidatur nicht bereit ist, so wird doch bei diesem Zahlenverhältnis deutlich, daß Minderheiten, die sich in einer Größenordnung von etwa 5% der Mitgliederzahl bewegen, im Regelfall und bei einigem Engagement, wie es in einer politischen Partei vorauszusetzen ist, von den negativen Auswirkungen der Blockwahl nicht erfaßt werden. Minderheiten bis zu dieser Größe im Interesse der Aktivierung der allgemeinen Wahlbeteiligung, wie es oben dargelegt worden ist, zu vernachlässigen, erscheint im Rahmen des Art. 21 GG vertretbar.

Bei der strikten Blockwahl, wie sie bei den Berliner Wahlen im Jahre 1969 angewandt wurde, lagen die Verhältnisse für innerparteiliche Minderheiten ungünstiger. Bestand eine Stimmpflicht für alle zu wählenden Delegierten, so daß für je 20 Mitglieder ein Delegierter zu wählen war, so war die Wahrscheinlichkeit, nicht lediglich Kandidaten des eigenen Vertrauens wählen zu können, verhältnismäßig groß; Minderheitsgruppierungen hätten, um ausreichend Kandidaten aufbringen zu können, schon etwa 10% der Wählerschaft für sich haben müssen, wenn man davon ausgeht, daß etwa die Hälfte zur Annahme der Wahl bereit gewesen wäre. Die wahlrechtliche Benachteiligung einer so erheblichen Minderheitsgruppe und die damit verbundene Verfälschung des Wählerwillens dürfte zumindest im Grenzbereich dessen gelegen haben, was noch mit demokratischen Grundsätzen in Einklang zu bringen ist.

3. Eine abschließende Beurteilung dieser Frage ist jedoch entbehrlich. Ebensowenig bedarf es im vorliegenden Fall der Prüfung, ob und unter welchen Voraussetzungen die Blockwahl in höheren Parteigremien demokratischen Grundsätzen widerspricht. Die Anwendung des Blockwahlsystems im beklagten Landesverband war nämlich schon mangels satzungsmäßiger Grundlage unzulässig.

Wie der Kläger mit Recht gerügt hat, war das Blockwahlverfahren weder im Parteistatut noch in der Wahlordnung des beklagten Landesverbandes vorgesehen, vielmehr wurde seine Anwendung jeweils im Einzelfall von den betreffenden Wahlgremien beschlossen. Eine derartige Handhabung war unzulässig. Nach § 32 Abs. 1 Satz 3 BGB werden Beschlüsse der Mitgliederversammlung - dazu gehören auch Wahlen - mit der Mehrheit der erschienenen Mitglieder gefaßt. Wird nun, wie im Falle der Blockwahl, die Mehrheitswahl in einer ganz spezifischen Weise ausgestaltet und damit vom einfachen Mehrheitsprinzip abgewichen, so muß dies nach der zwingenden Vorschrift des § 40 BGB - und weil es sich insoweit um eine für das Vereinsleben grundlegende Entscheidung handelt - in der Satzung geregelt werden. …

4. War das Blockwahlverfahren unzulässig, so ist weiter entscheidend, ob der Verstoß für das Ergebnis der vom Kläger angefochtenen Wahlen ursächlich war (vgl. RGZ 90, 206, 208; 103, 6, 7 ff.; 110, 194, 197; BGHZ 59, 369, 375 = NJW 73, 235).

a) Dies ist für die Wahlen, bei denen das Blockwahlverfahren unmittelbar angewandt worden ist, ohne weiteres zu bejahen. Soweit nach dem Blockwahlsystem gewählt wurde, läßt sich für keine der abgegebenen Stimmen mit hinreichender Sicherheit feststellen, daß sie ohne Anwendung der Blockwahl ebenfalls abgegeben worden wäre, und ebensowenig ausschließen, daß sich weitere Wähler beteiligt hätten.

Das Berufungsgericht hat die Anwendung des Blockwahlverfahrens für die Wahl der Kreisdelegierten in der Abteilung 2 des Kreises Wilmersdorf und die Wahlen des Kreisvorstands und der Landesdelegierten in der Kreisdelegiertenversammlung festgestellt. …

b) Für die vom Landesparteitag vorgenommenen Wahlen - die Wahl des Landesvorstands, der Landesschiedskommission und der der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses vorgeschlagenen Bundestagskandidaten - ist nach dem Vorbringen der Parteien davon auszugehen, daß bei diesen Wahlen das Blockwahlverfahren nicht angewandt worden ist. Insoweit kommt ein Rechtsverstoß, der das Wahlergebnis beeinflußt haben könnte, nur dergestalt in Betracht, daß an der Abstimmung Landesdelegierte teilgenommen haben, die bei den vorangegangenen Wahlen ungültig - nämlich nach dem Blockwahlverfahren - gewählt worden sind. Dies hat das Berufungsgericht für mindestens 55 Delegierte festgestellt und angenommen, hierdurch sei - soweit bisher entschieden - das Wahlergebnis hinsichtlich der Mitglieder des Landesvorstands (ausgenommen den Landeskassierer), des Vorsitzenden und der stellvertretenden Beisitzer der Landesschiedskommission sowie von 11 der vorgeschlagenen Bundestagskandidaten beeinflußt worden. Auch insoweit liegt ein Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten nicht vor.

Unzutreffend ist die Auffassung der Revision, auch wenn die Wahl der 55 nach dem Blockwahlsystem gewählten Landesdelegierten unzulässig gewesen sei, so sei sie doch - entsprechend den im Bundestagswahlrecht geltenden Grundsätzen (§§ 47 BWahlG, 16 Abs. 1 WahlprüfG) - zunächst gültig gewesen. Der für die Bundestagswahl und andere staatliche Wahlen geltende Grundsatz, daß ein ungültig gewählter Abgeordneter seine Rechte und Pflichten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Gültigkeit der Wahl behält, beruht auf dem öffentlichrechtlichen Prinzip, daß Staatsakte, insbesondere auch die Bestellung von Staatsorganen, erhöhten Bestandsschutz genießen und grundsätzlich nur mit Wirkung für die Zukunft anfechtbar sind (vgl. K.-H. Seifert, Bundeswahlgesetz, 2. Aufl., GG Art; 41 Rdnr. 14). Eine Übertragung des Grundsatzes auf innerparteiliche Wahlen, die dem privaten Vereinsrecht unterliegen, kommt nicht in Betracht. Derartige Wahlen sind - jedenfalls wenn, wie hier, ihre Ungültigkeit alsbald geltend gemacht wird - von Anfang an nichtig (BGHZ 59, 369, 371 ff. = NJW 73, 235).

5. Im Ergebnis hat damit das Berufungsgericht die Unwirksamkeit der angefochtenen Wahlen, soweit es darüber bisher entschieden hat, zutreffend bejaht. Der Klagabweisungsantrag des Beklagten war, soweit das Berufungsgericht zu seinem Nachteil entschieden hat, zu keiner Zeit begründet, und der Kläger hat den Rechtsstreit nach Wegfall seines Rechtsschutzinteresses zu Recht für erledigt erklärt.

Rechtsgebiete

Gesellschaftsrecht; Allgemeines Zivilrecht