Betreuung von drei fremden Kindern in einer Mietwohnung

Gericht

LG Hamburg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

22. 04. 1982


Aktenzeichen

7 S 63/82


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. ist Eigentümerin eines Grundstücks. Die Bekl. bewohnt auf diesem Grundstück aufgrund eines zwischen den Parteien geschlossenen schriftlichen Mietvertrages eine 4-Zimmerwohnung mit einer Wohnfläche von 90 qm. In dem vorgenannten schriftlichen Mietvertrag heißt es in § 1 u. a.: “Zur Benutzung als Wohnung werden im Hause ... vermietet wie besehen ...". In § 21 Nr.1 des schriftlichen Mietvertrages heißt es: “Der Mieter darf die Mieträume zu anderen als dem in § 1 bestimmten Zweck nur mit schriftlicher Erlaubnis des Vermieters benutzen." Die Bekl. hat ein eigenes Kind im Alter von 4 Jahren, das mit ihr in der vorgenannten Wohnung wohnt. Darüber hinaus betreut sie 5 weitere fremde Kinder täglich als sogenannte Tagesmutter, und zwar ein Kind in der Zeit von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr, zwei Kinder in der Zeit von 8.00/9.30 bis 13.00 Uhr und zwei Kinder von 8.00/9.30 Uhr bis 15.00 Uhr. Drei Kinder sind zwischen 2 und 3 1/2 Jahre alt, zwei Kinder sind etwa 1 Jahr alt. Diese Betreuung wird organisatorisch über das Jugendamt abgewickelt. Für jedes fremde Kind, das von der Bekl. betreut wird, erhält sie vom Jugendamt bzw. von den Eltern einen Betrag von 310 DM. Von diesem Geld sind die Nahrungsmittelkosten zu bezahlen. In einer Informationsschrift der Arbeitsgemeinschaft Tagesmutter, Bundesverband für Eltern, Pflegekinder und Tagesmütter e. V. heißt es u. a.: “Tagesmutter? Pflegemutter? Ist diese Arbeit mit einer Berufstätigkeit zu vergleichen?

Teilweise: Ja

Sie müssen sich an die Vereinbarung halten, Sie müssen die gesetzlichen Vorschriften einhalten, Sie bekommen außer der Aufwandentschädigung ein kleines Erziehungsgeld zugebilligt. Sie tragen eine große Verantwortung, Sie leisten harte Erziehungsarbeit und ein Mehr an Hausarbeit, Sie sollten sich weiterbilden in Fragen der Erziehung und der Entwicklung des Kindes.

Teilweise: Nein

Tages- und Pflegemutter ist kein anerkannter Beruf, es gibt keine Ausbildungsmöglichkeiten von staatlicher Seite, es gibt weder Lohn noch Gehalt, es gibt keinerlei Sozialversicherung, keinen Schutz bei Krankheit oder Schwangerschaft, keine generelle Urlaubsregelung oder gar bezahlten Urlaub, und keinen Kündigungsschutz, aber Kinder und Eltern brauchen dringend Tages- und Pflegemütter." Das Jugendamt begrenzt die zulässige Anzahl der zu betreuenden Kinder durch die Tagesmutter auf höchstens fünf. Die Kl. ist der Rechtsansicht, daß die Art der Tätigkeit der Bekl. eine gewerbliche Tätigkeit sei und somit gegen § 21 Nr. 1 und § 1 des zwischen den Parteien geschlossenen schriftlichen Mietvertrages verstoße. Sie mahnte die Bekl. ab und wiederholte diese Abmahnung durch Schreiben ihres Prozeßbevollmächtigten. Die Bekl. setzte ihre Tätigkeit als Tagesmutter fort. Die Kl. trägt vor: Durch ständigen Besuch von Kindern in der Wohnung der Bekl. werde das Treppenhaus über das gebotene Maß hinaus benutzt, insbesondere werden auch Kleinkinderwagen im Treppenhaus abgestellt. Sie verlangt mit der Klage Unterlassung. Die Bekl. trägt vor: Nachbarn hätten sich bisher in keiner Weise über eine etwaige Unruhe durch die Kinder beschwert. Lediglich einmal sei ein Kind zu laut gewesen. Auch das habe zu keinerlei Beschwerde geführt. Sie habe die Nachbarin auf diese Frage angesprochen, diese habe nicht einmal etwas gehört. Die anderen Mitmieter hätten ihr erklärt, daß sie ihr Verhalten unterstützen.

Das AG hat die Bekl. verurteilt, es zu unterlassen, im Rahmen ihrer Tätigkeit als Tagesmutter mehr als drei fremde Kinder in der Wohnung zu betreuen. Die Berufung der Bekl. und die selbständige Anschlußberufung der Kl. führten nicht zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Kammer teilt die Auffassung des AG, wonach die Kl. von der Bekl. lediglich insoweit gem. § 550 BGB i. V. mit den §§ 1 und 21 des Mietvertrages der Parteien Unterlassung ihrer Tätigkeit als Tagesmutter in der Wohnung verlangen kann, als diese dort mehr als drei fremde Kinder regelmäßig gegen Entgelt betreut. Soweit sich die Beaufsichtigung auf bis zu drei nicht zur Familie gehörende Kinder bezieht, ist sie durch die Vermietung der Räume “zur Benutzung als Wohnung” getragen. Zwar kann nicht festgestellt werden, daß sich die Parteien bei Abschluß des Vertrages überhaupt konkrete Vorstellungen über die Zulässigkeit der heute von der Bekl. ausgeübten Kinderbetreuung im Rahmen des Mietgebrauchs gemacht haben. Bei interessengerechter Auslegung gem. § 157 BGB trägt der vereinbarte Vertragszweck jedoch im Grundsatz diese Tätigkeit. Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern es, den Wohnbereich als einen Freiraum des einzelnen Mieters anzuerkennen, der eigenständige persönliche Lebensgestaltung und -entfaltung weitestgehend ermöglichen muß und in diesem Rahmen lediglich durch solche örtlichen und personellen Umstände des Mietverhältnisses begrenzt wird, die berechtigte Belange des Vertragspartners oder Dritter tangieren. Innerhalb dieses Freiraums liegt die Entscheidung der Bekl., in der gemieteten Wohnung, die von ihrer Größe her dazu geeignet ist, ihr Kind nicht allein, sondern zusammen mit weiteren Kindern, die regelmäßig zu einer zeitlich begrenzten Betreuung gebracht werden, zu erziehen. Das geringe Entgelt, das die Bekl. für diese Betreuung entgegennimmt, rechtfertigt per se noch keine Einstufung dieses Erziehungskonzepts und dieser Lebensführung als gewerbliche Tätigkeit, die den Vertragszweck übersteigt.

Zu beachten ist weiterhin, daß das pädagogische Konzept dieses Tagesmutter-Modells gerade darin besteht, Kinder in den privaten Wohn- und Lebensbereich der Tagesmutter und ihrer Familie zu integrieren und sie nicht in gesonderten Institutionen unterzubringen. Die Betreuung von Kindern durch eine Tagesmutter fügt sich damit in den allgemeinen Lebenssachverhalt des “Wohnens” ebenso ein, wie dies z. B. für regelmäßige Besuche von erwachsenen oder minderjährigen Freunden der Mieter, Beaufsichtigung von Schularbeitsgemeinschaften usw. ohne Zweifel der Fall wäre.

Die Tätigkeit einer Tagesmutter stellt auch keine so außergewöhnliche Erscheinung dar, daß sie möglicherweise - da in solchem Falle nicht von der “Verkehrssitte” i. S. des § 157 BGB getragen - einem Vermieter nur bei ganz überragenden Interesse der Mieterin zuzumuten wäre. Dies geht zum einen daraus hervor, daß solche Betreuungsverhältnisse bereits durch das Jugendamt in größerem Umfang organisiert, verwaltet und gefördert werden; zum anderen illustriert bereits ein Blick in die Kleinanzeigen aktueller Zeitungen und Zeitschriften, daß diese Form der Gestaltung des familiären Lebens häufig gewählt wird und weiter im Zunehmen begriffen ist.

Die grundsätzliche Zulässigkeit der Tagesmuttertätigkeit schließt jedoch nicht aus, daß ihre konkrete Ausgestaltung - insbesondere durch die Anzahl der aufgenommenen Kinder oder die Art ihrer Beschäftigung im Tagesverlauf - den Wohncharakter der Mieträume übersteigt und damit den vertraglich vereinbarten Rahmen der Nutzung sprengt. Dies wäre z. B. dann anzunehmen, wenn die Kinderbetreuung den Umfang und Charakter eines institutionellen Kindergartens annähme, der Erwerbscharakter durch hohe Entgelte in den Vordergrund träte, andere Hausbewohner durch Lärm o. ä. belästigt würden oder das Haus seinen privaten Charakter dadurch verlöre, daß durch das notwendige regelmäßige Kommen und Gegen von Angehörigen der Kinder, die diese bringen und abholen, quasi ein Publikumsverkehr entstünde. Die Kammer verkennt nicht, daß die Grenze zwischen der zulässigen Tagesmuttertätigkeit und ihrem qualitativen Umschlag in eine vom Wohnzweck nicht mehr getragene Nutzung fließend ist, sich im Laufe der Zeit durch veränderte Verkehrsanschauungen verschieben kann und die Aufstellung allgemeingültiger, meßbare Werte nicht zuläßt. Die Entscheidung, wo der Bereich der vertraglichen Wohnnutzung überschritten wird, muß deshalb in besonderem Maße eine Einzelfallentscheidung sein, die die konkreten Umstände auf beiden Seiten des Vertragsverhältnisses einbezieht.

Die Kammer hält die Einschätzung des AG für angemessen, wonach die Betreuung von mehr als drei fremden Kindern in der Wohnung der Bekl. einen Umfang annimmt, der die Risikoverteilung des Mietvertrages einseitig zu Lasten der Kl. verschiebt, so daß hier die Grenze vertragsgemäßen Gebrauchs überschritten wird. Angesichts der Wohnungsgröße von 90 qm und der nach der Lebenserfahrung höheren Abnutzung von Wohnung und Treppenhaus ist der Kl. die Aufnahme von mehr als drei Kindern zusätzlich zu dem eigenen Kind der Bekl. nicht mehr als vertragsgemäß zuzumuten. Zu berücksichtigen ist dabei auch die Verpflichtung der Kl. gegenüber den anderen Mietern des Hauses. Hier beruft sie sich zu Recht auf erhöhte Betriebskosten, die die übliche Umlage nach Quadratmetern im Verhältnis der Mieter zueinander beeinflussen. Insbesondere aber erreicht die Betreuung von mehr als drei Kindern unter den gegebenen Verhältnissen eine Außenwirkung auf das gesamte Haus, die vom üblichen Wohncharakter abweicht. Dieses erfolgt außer der potentiellen spezifischen Geräuschbeeinträchtigung der anderen Wohnungen vor allem durch den mit dem Hinbringen und Abholen der Kinder zwangsläufig verbundenen Personenumlauf im Treppenhaus, der seinem Umfang nach dem Publikumsverkehr gewerblich genutzter Mieträume vergleichbar wird und vom Vermieter nicht mehr hingenommen werden muß. Zwar können unter Umständen vergleichbar intensive Auswirkungen auch von einer reinen Wohnnutzung ausgehen, etwa bei einer kinderreichen Familie. Ähnlich überragende Interessen, wie sie in derartigen Fällen über den grundsätzlichen Schutz der Familie vorhanden sind, stehen der Bekl. aber nicht zur Seite. Ihr berechtigtes Interesse auf freie Gestaltung des persönlichen Lebensraumes ist bereits weitgehend berücksichtigt worden.

Rechtsgebiete

Mietrecht; Nachbarrecht; Allgemeines Zivilrecht; Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht