Betrieb einer Kindertagesstätte in Mietwohnung

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

06. 07. 1992


Aktenzeichen

61 S 56/92


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Bekl. sind aufgrund eines im Jahre 1977 mit dem Rechtsvorgänger des Kl. geschlossenen Vertrages Mieter einer Wohnung im 4. Obergeschoß des Vorderhauses. Die Bekl. zu 2 hatte mit dem Bezirksamt C. von Berlin einen Vertrag über eine Tätigkeit als sog. Tagesmutter für die Pflege von höchstens sechs Kindern abgeschlossen. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß derzeit in der 161,62 Quadratmeter großen Fünf-Zimmer-Wohnung regelmäßig fünf fremde Kinder betreut werden. Die Bekl. wurden deswegen mit Schreiben des Kl. vom 23. 5. 1991 erfolglos abgemahnt. Das AG hat die auf Unterlassung der Tagespflegetätigkeit gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. hatte weitgehend Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

In der Sache selbst hat das Rechtsmittel nur teilweise Erfolg. Der Kl. kann von den Bekl. die Unterlassung des Betriebs einer Kinderpflegestelle mit fünf Kindern verlangen. Dagegen besteht kein Anspruch auf vollständige Aufgabe der Betreuungstätigkeit.

1. Der Anspruch des Kl. ist gem. § 550 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien bestehenden Vertrag begründet. Danach kann der Kl. die Unterlassung der bezeichneten Pflegetätigkeit verlangen, weil diese einen vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache darstellt, den die Bekl. ungeachtet der Abmahnung des Kl. fortgesetzt haben. Die Tätigkeit der Bekl. liegt nicht mehr im Rahmen des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache. Diese wurde ihnen zur Benutzung als Wohnung überlassen. Der Inhalt des Begriffs Wohnung ist hinreichend klar bestimmbar, weshalb es entgegen der vom LG Hamburg (NJW 1982, 2387) in einem ähnlich gelagerten Fall vertretenen Auffassung einer ergänzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB) nicht bedarf. Die Überlassung einer Mietsache zum Zwecke des Wohnens bedeutet, daß die Räumlichkeiten zur umfassenden Entfaltung des privaten Lebensmittelpunktes des Mieters dienen sollen. Zur Privatsphäre rechnen dabei alle Lebensäußerungen, die - anders als etwa die Berufsausübung - typischerweise abgeschirmt von der Öffentlichkeit sich ereignen, wie beispielsweise Essen, Schlafen, Umgang mit Familienangehörigen und andere private soziale Kontakte. Nach zutreffender allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur sind auch noch solche Tätigkeiten vom Wohnzweck gedeckt, die zwar einen beruflichen Einschlag haben, nach sozialtypischer Betrachtungsweise aber ihrer Art oder ihrem Umfang nach gegenüber der Nutzung der Mieträume als Wohnung nicht ins Gewicht fallen: So verhält sich ein Schriftsteller, der in seinen Mieträumlichkeiten ein literarisches Werk fertigt, auch dann nicht vertragswidrig, wenn das Buch für ihn ein großer kommerzieller Erfolg wird; ebensowenig verletzt der Wohnraummieter seine vertraglichen Pflichten, der etwa als Lehrer ein Arbeitszimmer einrichtet, als Rechtsanwalt gelegentlich einen Mandanten empfängt, als Sekretärin in geringem Umfang Heimarbeit erledigt oder als Student einem Schüler Nachhilfeunterricht erteilt (vgl. Bub-Treier, Hdb. d. Geschäfts- und Wohnraummiete, III Rdnr. 1002; Emmerich-Sonnenschein, Miete, 6. Aufl., §§ 535, 536 Rdnr. 15; Sternel, MietR, 3. Aufl., II Rdnr. 156, jew. m. w. Nachw.).

Die Grenze des noch vertragsgemäßen Wohngebrauchs ist aber jedenfalls dann überschritten, wenn der Mieter die Mietsache oder auch nur Teile derselben nach Art und Umfang in einer Weise nutzt, die ihrem ganzen Charakter nach bei wertender Betrachtung als regelmäßige kommerzielle Tätigkeit anzusprechen ist, wobei wichtige Kriterien für die Einordnung die nach außen in Erscheinung tretenden Auswirkungen der Tätigkeit wie etwa Publikums- und Lieferantenverkehr sind, nicht zuletzt aber auch die Höhe des mit der Tätigkeit erzielten Gewinns. Die Einrichtung einer sog. Großpflegestelle, in der unstreitig werktäglich fünf Kinder betreut werden, überschreitet daher die Grenzen des vertraglich vereinbarten Wohnzwecks. Es handelt sich bei wertender Betrachtungsweise um eine nicht etwa nur als geringfügig einzustufende regelmäßige Dienstleistung, die äußerlich mit nicht unerheblichem Publikumsverkehr (Bringen und Abholen der Kinder) und einigem Raumbedarf - hier unstreitig zwei von fünf Räumen nebst Mitbenutzung von Küche und Bad - verbunden ist. Am kommerziellen Charakter der Tätigkeit besteht kein Zweifel, weil die Bekl. zu 2 nach dem unwidersprochen gebliebenem Vorbringen des Kl. einen Gesamtumsatz von jährlich mehr als 38000 DM erzielt.

Entgegen der Ansicht der Bekl. und ihres Streithelfers kommt es für das Bestehen des Unterlassungsanspruchs nicht darauf an, ob die als vertragswidrig zu qualifizierende Tätigkeit im öffentlichen Interesse als wünschenswert anzusehen ist, denn einen vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache braucht der Vermieter unter keinen Umständen hinzunehmen. Es kommt auch nicht darauf an, ob sich andere Mieter im Hause durch die Tätigkeit der Bekl. gestört fühlen. Anders als bei einer fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses wegen vertragswidrigen Gebrauchs der Mietsache (§ 553 BGB) ist der Unterlassungsanspruch aus § 550 BGB auch dann begründet, wenn eine erhebliche Verletzung der Rechte des Vermieters im besonderen Fall nicht festgestellt werden kann: Die Überschreitung der durch die privatautonome Gestaltung des Vertrages gezogenen Grenzen des Rechtmäßigen braucht der Vermieter schlicht nicht hinzunehmen, wobei sogar unerheblich ist, ob der Mieter schuldhaft oder ohne Verschulden handelt (vgl. Sternel, II Rdnr. 646). Der vom Kl. geltend gemachte Anspruch verstößt auch nicht gegen das Schikaneverbot (§§ 242, 126 BGB), weil es nicht treuwidrig ist, wenn der Vermieter, der Räumlichkeiten zu Wohnzwecken vermietet hat und damit hinsichtlich Mietzinsgestaltung und Kündigungsschutz an die Bestimmungen des sozialen Mietrechts gebunden ist, seinem Wohnraummieter die gewerbliche Verwertung des Objektes untersagt.

Die von den Bekl. behauptete konkludente Genehmigung der Pflegetätigkeit vermag die Kammer nicht festzustellen. Der - bestrittene - Vortrag, der Kl. selbst bzw. die Hausverwaltung seines Rechtsvorgängers habe von der seit 1983 betriebenen Betreuungstätigkeit Kenntnis gehabt, ist nicht nur schon an sich zu wenig konkret, sondern füllt auch nicht den Tatbestand einer schlüssigen Willenserklärung aus.

Auch das Urteil der Kammer vom 2. 5. 1991 steht nicht entgegen: In jenem Verfahren war über einen anderen Streitgegenstand zu urteilen. Es ging um die Entscheidung, ob der vom Kl. geltend gemachte Räumungsanspruch aufgrund der wegen der vertragswidrigen Betreuungstätigkeit ausgesprochenen Kündigung gerechtfertigt war. Daß die Kammer unter den in jenem Urteil dargelegten besonderen Umständen eine die Vertragsbeendigung gem. §§ 553, 564bI BGB rechtfertigende Pflichtverletzung verneint hat, vermag den hier zur Beurteilung stehenden Unterlassungsanspruch nach § 550 BGB, der die schlichte Rechtswidrigkeit des vertragswidrigen Verhaltens genügen läßt, nicht zu Fall zu bringen.

2. Andererseits steht dem Kl. ein Anspruch gegen die Bekl. auf vollständige Unterlassung der Pflegetätigkeit nicht zu. Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob - wie das LG Hamburg geurteilt hat (NJW 1982, 2387) - etwa die Betreuung von drei Kindern noch vom Wohnzweck gedeckt wäre. Denn nach dem Antrag des Kl., an den die Kammer gebunden ist (§ 308I 1 ZPO), war lediglich darüber zu urteilen, ob die Bekl. die Pflegetätigkeit ganz oder aber zumindest in der konkret ausgeübten Weise - mit fünf Kindern - zu unterlassen haben.

Rechtsgebiete

Mietrecht; Nachbarrecht; Allgemeines Zivilrecht; Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht