Drei IVW-Quartale deutlicher Vorsprung reicht für Spitzenstellung

Gericht

LG Hamburg


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

19. 03. 2012


Aktenzeichen

312 O 226/10


Tenor

Die Kostenentscheidung der einstweiligen Verfügung vom 23.04.2010 (Tenor zu II.) wird aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

Die Kosten des Erlassverfahrens trägt die Antragstellerin zu 3/10 und die Antragsgegnerin zu 7/10 nach einem Streitwert von € 250.000,00.

Die Antragstellerin trägt 2/7, die Antragsgegnerin trägt 5/7 der Kosten des Widerspruchsverfahrens.

Entscheidungsgründe


Gründe:

I.

Die Parteien verlegen Zeitschriften. Die Antragstellerin verlegt u.a. die jeweils donnerstags erscheinende Zeitschrift "stern". Für sie ist die Bildmarke DE 965 055 "STERN" eingetragen (Anlage AS 1). Sie schützt u.a. Druckereierzeugnisse, insbesondere Zeitschriften, Zeitungen und Bücher.

Die Antragsgegnerin verlegt u.a. die Zeitschrift "BUNTE".

Im Heft Nr. 16 der Zeitschrift "Werben & Verkaufen" (W&V) vom 22. April 2010 (Anlage AS 2) ließ die Antragsgegnerin auf den Seiten 4 und 5 eine doppelseitige Anzeige schalten, in der auf der linken Seite vor rotem Hintergrund großformatig die Bildmarke der Antragstellerin und darunter links unten in der Ecke klein die Internetadresse www.bunte.de abgebildet war. Auf der rechten, ebenfalls rot gestalteten Seite fand sich etwa am unteren Rand des oberen Drittels die Aussage

"Ohne BUNTE wäre er am Donnerstag die Nummer 1 am Kiosk"

und ganz unten in kleinerer Schriftgröße

"Mit einem Plus von knapp 7 % auf 322.000 Hefte im Einzelverkauf* ist BUNTE donnerstags am Kiosk die Nummer 1. Und mit einer stabilen Gesamtauflage von 651.000 verkauften Exemplaren* weiterhin Deutschlands größtes People-Magazin. *IVW 1/2010".

Rechts davon war ein grafisch gestaltetes Zeichen

"BUNTE
LEIDENSCHAFT FÜR MENSCHEN"

zu sehen.

Ausweislieh einer Übersicht der IVW vom 1. Quartal 2010 (Anlage AS 3) verkaufte die "BUNTE" im Einzelverkauf 321.790 Exemplare, davon 55.668 im Ausland, der "stern" hingegen 295.137 Exemplare, von denen 27.515 im Ausland abgesetzt wurden. Der "SPIEGEL" verkaufte 347.614 Hefte im Einzelverkauf, davon 51.512 im Ausland.

Die "BUNTE" hatte danach eine Verbreitung von 658.086 Stück und eine Druckauflage von 852.835 Stück, der "stern" eine Verbreitung von 903.597 Stück und eine Druckauflage von 1.118.438 Stück.

Laut einer Übersicht der IVW über die Verkaufszahlen einzelner Ausgaben wurden im ersten Quartal 2010 im Einzelverkauf mehr Heftausgaben 3/2010 und 11/2010 des "stern" abgesetzt als solche der "BUNTE" (Anlage AS 4).

Bis einschließlich des Quartals I/2009 lag der gesamte Einzelverkauf des "stern" teilweise vor dem der "BUNTE", vgl. Anlage AS 13. Im Quartal II/2009 lag der Einzelverkauf der "BUNTE" demnach 1110 Stück über dem des "stern". Vom Quartal III/2009 bis einschließlich I/2010 verkaufte die "BUNTE" im Einzelverkauf jeweils ungefähr 24.000 Exemplare mehr als der "stern".

Die "BILD" verkaufte im ersten Quartal 2010 durchschnittlich 2.974.733 Exemplare täglich (Anlage AS 5).

Die Antragstellerin ließ die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 22.04.2010 (Anlage AS 9) abmahnen. Die Antragsgegnerin antwortete hierauf nicht.

Die Antragstellerin macht eine Irreführung geltend. Sie beruft sich außerdem auf eine unlautere Ausnutzung ihrer Bildmarke und auf eine unzulässige vergleichende Werbung. Die Kammer hat am 23.04.2010 beschlossen:

  1. Im Wege der einstweiligen Verfügung - der Dringlichkeit wegen ohne mündliche Verhandlung - wird der Antragsgegnerin unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens Euro 250,000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre)

    verboten,

    wie aus Anlage A ersichtlich einen Vergleich zwischen stern und BUNTE als Anzeige zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen;

    und/oder

    auf einer Anzeigen-Doppelseite auf der linken Seite die Bildmarke

    (Registernummer: 965 055) abzubilden und darunter ohne weitere Angaben auf derselben Seite den Schriftzug www.bunte.de, insbesondere wie aus Anlage A ersichtlich;

    und/oder

    neben der Abbildung der vorstehend bezeichneten Bildmarke mit folgender Aussage zu werben oder werben zu lassen: "Ohne BUNTE wäre er am Donnerstag die Nr. 1 am Kiosk.", insbesondere wie aus Anlage A ersichtlich;

    und/oder

    mit folgender Aussage zu werben oder werben zu lassen: "Mit einem Plus von knapp 7 % auf 322.000 Hefte im Einzelverkauf* ist BUNTE donnerstags am Kiosk die Nummer 1.", wie aus Anlage A ersichtlich;

    und/oder

    mit folgender Aussage zu werben oder werben zu lassen: "Und mit einer stabilen Gesamtauflage von 651.000 verkauften Exemplaren* weiterhin Deutschlands größtes People-Magazin. *IVW 1/2010", wie aus Anlage A ersichtlich

  2. Die Kosten des Verfahrens fallen der Antragsgegnerin zu 9/10 und der Antragstellerin zu 1/10 nach einem Streitwert von Euro 250.000,00 zur Last.

Aus den letzten zwei Alternativen des Verbots hat die Kammer hierbei das im Verbotsantrag vor der Benennung der konkreten Verletzungshandlung (Anlage A) enthaltene "insbesondere" gestrichen.

Gegen die einstweilige Verfügung hat sich die Antragsgegnerin mit ihrem Widerspruch gewandt.

Die Antragsgegnerin hat angekündigt, zu beantragen,

die einstweilige Verfügung vom 23.04.2010 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin hat angekündigt, zu beantragen,

den Widerspruch der Antragsgegnerin vom 20. Juli 2010 zurückzuweisen und die einstweilige Verfügung vom 23. April 2010 zum Aktenzeichen 312 O 226/10 zu bestätigen.

In der mündlichen Verhandlung am 26.10.2010 haben die Parteien den Rechtsstreit bzgl. des Antrags zu I. in der dritten und/oder-Verknüpfung übereinstimmend für erledigt erklärt.

Im Übrigen hat die Antragsgegnerin die einstweilige Verfügung der Kammer vom 23.04.2010 bzgl. des ersten, zweiten, vierten und fünften der durch und/oder verbundenen Verbotstenöre unter Verzicht auf die Rechte aus §§ 924, 926, 927 ZPO als endgültige Regelung anerkannt und den Widerspruch zurückgenommen.


II.

1. Nachdem die Parteien hinsichtlich des dritten der mit "und/oder" verknüpften Verbote den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist hierzu noch eine Kostenentscheidung gemäß § 91 a ZPO zu treffen. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes fallen diese Kosten nach billigem Ermessen der Antragstellerin zur Last.

a. Der Widerspruch war zulässig und hätte zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung geführt. Der Antrag auf deren Erlass war hinsichtlich des dritten Verbots zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses zulässig, aber unbegründet gemäß §§ 8, 3, 5 UWG.

Der Antragsgegnerin ist verboten worden, neben der Abbildung der Bildmarke

mit folgender Aussage zu werben oder werben zu lassen: "Ohne BUNTE wäre er am Donnerstag die Nr. 1 am Kiosk.", insbesondere wie aus Anlage A ersichtlich.

Die Aussage ist nicht irreführend.

a. Das ausgesprochene abstrakte Verbot ist in dieser Form ohnehin zu weitgehend und unbegründet. Auch ohne direkt hinzugefügten aufklärenden Vermerk, der u.U. aus der Kerngleichheit hinausführte und einen anderen Streitgegenstand begründete, ist es denkbar, dass das Umfeld der Aussage "Ohne BUNTE wäre er am Donnerstag die Nr. 1 am Kiosk." so gestaltet wird, dass den sogleich im Einzelnen aufgeführten möglichen Irreführungsaspekten hinreichend deutlich entgegengewirkt wird.

b. Auch in der Reduktion auf die konkrete Verletzungsform, also wie geschehen in der Anlage A, liegt aber keine Irreführung vor.

aa. Wortwörtlich genommen wäre die angegriffene Aussage in der konkreten Form allerdings irreführend. Auch am Donnerstag ist die "BUNTE" nach der Zahl der verkauften Exemplare nicht die Nummer 1, sondern die "BILD" mit durchschnittlich 2.974.733 Exemplaren (1. Quartal 2010, Anlage AS 5). Eine Beschränkung der Anzeige auf Zeitschriften (bei der die "BILD" außen vor bliebe) ist nicht ausdrücklich ersichtlich. Eben so wenig geht aus der Anzeige und der angegriffenen Aussage ausdrücklich hervor, dass sich die "Nummer 1" nur auf einen Vergleich von "stern" und "BUNTE" beziehen soll.

bb. Die Kammer sieht dennoch keine Irreführungsgefahr. Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass jedem angesprochenen Leser - die aus der Werbebranche stammen - bewusst ist, dass Tageszeitungen ohnehin sehr viel mehr Exemplare absetzen und sich der Vergleich nur auf Zeitschriften bezieht.

Es handelt sich nicht um einen Fall der Missverständlichkeit oder Mehrdeutigkeit, bei dem der Verwender die ihm ungünstigere Inhaltsangabe gegen sich gelten lassen muss (BGH GRUR 1982, 563, 564 - Betonklinker mwN). Vielmehr ist hier für das Vorliegen einer Irreführung entscheidend, wie das Verkehrsverständnis ist, d.h. ob überhaupt relevante Teile der angesprochenen Verkehrskreise Tageszeitungen als nicht in den Vergleich einbezogen sehen. Für den angesprochenen Verkehr besteht nach Auffassung der Kammer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keine Mehrdeutigkeit.

Die W&V richtet sich nach ihrer Selbstdarstellung u.a. an "Werbungtreibende, Agenturen, Werbemittler und Medienunternehmen" sowie "Geschäftsführer, Inhaber, Vorstände, Direktoren oder Verlagsleiter" (Anlage AS 10). Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass nur ein unwesentlicher Anteil dieser angesprochenen (Fach- )Kreise mit dem Printmarkt so wenig vertraut ist, dass er angesichts der angegriffenen Aussage davon ausgeht, dass die "BUNTE" als "die Nummer 1 am Kiosk" mehr Exemplare verkauft als Tageszeitungen. Es handelt sich um beruflich sich mit diesem Markt beschäftigende Verkehrskreise, die eine Fachzeitschrift zum Thema Werbung lesen.

Die Darlegung und Glaubhaftmachung, dass es sich anders verhält, hätte nach allgemeinen Grundsätzen der Antragstellerin oblegen, die die Voraussetzungen der Irreführung darzulegen hat, etwa mittels einer Verkehrsbefragung o.ä. Hieran fehlt es aber.

c. Es liegt auch keine unzulässige Spitzen- oder Alleinstellungsbehauptung vor. Eine solche ist nach ständiger Rechtsprechung wegen der anderenfalls bestehenden Gefahr einer Irreführung nur zulässig, wenn die Werbebehauptung wahr ist, der Werbende einen deutlichen Vorsprung gegenüber seinen Mitbewerbern vorzuweisen hat und der Vorsprung die Aussicht auf eine gewisse Stetigkeit bietet (BGH GRUR 2004, 786, 788 - Größter Online-Dienst; BGH GRUR 2002, 182, 183 - Das Beste jeden Morgen; BGH GRUR 2003, 800, 802 - Schachcomputerkatalog). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

aa. Auf die Gesamtauflage oder den Gesamtverkauf kann es hierbei entgegen der Meinung der Antragstellerin nicht ankommen, da "am Kiosk" klar genug für "Einzelverkauf" (im Gegensatz etwa zu "Abonnements") steht.

bb. Die Verkaufszahlen der "BUNTE" wiesen einen deutlichen und stetigen Vorsprung auf. Bis ein Jahr vor der Schaltung der angegriffenen Anzeige, nämlich bis einschließlich des Quartals I/2009, lag der gesamte Einzelverkauf des "stern" regelmäßig und in der überwiegenden Zahl der Quartale vor dem der "BUNTE", vgl. Anlage AS 13. Im Quartal II/2009 lag der Einzelverkauf der "BUNTE" 1110 Stück über dem des "stern", während seit dem Quartal III/2009 ein deutlich größerer Vorsprung vorliegt, nämlich von jeweils mindestens 24.000 Exemplaren. Damit lag bei wöchentlich erscheinenden Zeitschriften in einem Zeitraum von einem Jahr vor Schaltung der streitgegenständlichen Anzeige ein Vorsprung vor, der bereits ein Quartal später und damit seit einem dreiviertel Jahr vor der Anzeige auch deutlich war.

d. Das Argument der Antragstellerin, die angegriffene Aussage stimme bei einem Vergleich zwischen dem "stern" und "BUNTE" nur dann, wenn auch die Auslandsverkäufe mit einbezogen würden, ist nicht durchgreifend. Die Aussage enthält keine Beschränkung auf Verkäufe nur in Deutschland. Ein solches Verkehrsverständnis erscheint gegriffen; zudem hätte es auch hier der Antragstellerin oblegen, ein entsprechendes Verkehrsverständnis glaubhaft zu machen.

e. Auch kann es keine Rolle spielen, dass die "BUNTE" nicht an jedem Kiosk immer die Nummer 1 ist. Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass sich die angesprochenen Verkehrskreise ausschließlich für die Durchschnittszahlen interessieren und diese auch ihrem Verständnis zugrunde legen.

f. Insofern ist es auch unerheblich, ob die "BUNTE", gemessen am Umsatz, im Bahnhofsbuchhandel auf Platz 4 hinter dem Stern auf Platz 2 liegt. Durch den erläuternden Satz "Mit einem Plus von knapp 7 % auf 322.000 Hefte im Einzelverkauf* ist BUNTE donnerstags am Kiosk die Nummer 1", die aufgrund des sparsamen Umfangs der Texte am Blickfang teilhat, ist klargestellt, dass sich die Aussage auf die Zahl der verkauften Hefte bezieht.

2. Der Rechtsstreit ist im Übrigen in der mündlichen Verhandlung durch Abschlusserklärungen hinsichtlich der übrigen Verbote erledigt worden. Die Antragsgegnerin hat insoweit den Widerspruch zurückgenommen und trägt diesbezüglich die Kosten des Verfahrens entsprechend § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.

3. Die Kammer bewertete die Verbotsanträge gemäß Antragsschrift mit einem Streitwert von jeweils € 50.000,00 und das vierte und fünfte Verbot gemäß Beschluss vom 23.04.2010 - nach Zurückführung auf die konkrete Verletzungsform - mit einem Streitwert von jeweils € 37.500,00. Damit ergeben sich für Erlass- und Widerspruchsverfahren die aus dem Tenor ersichtlichen Kostenquoten.


Perels
Dr. Bremer
Loos

Rechtsgebiete

Wettbewerbsrecht; Werberecht