Verspätung durch medizinischen Notfall auf dem vorausgegangenen Flug

Gericht

AG Wedding


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

28. 10. 2010


Aktenzeichen

2 C 115/10


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten um Ausgleichsansprüche aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung zur Ausgleichs- und Unterstützungsleistung für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen.

Die Kläger buchten über einen Reiseveranstalter bei der Beklagten einen Flug von M. nach B. Vorgesehener Abflugtermin war um 10:10 Uhr Ortszeit, die Ankunft in B. sollte um 13:25 Uhr erfolgen; tatsächlich verließ die Maschine erst um 15:41 Uhr das Gate in M. und erreichte B. um 18:49 Uhr, also mit einer Verspätung von über 5 Stunden.

Auf dem Vorflug des eingesetzten Flugzeuges von Düsseldorf nach M. kehrte der Pilot aufgrund eines medizinischen Notfalls an Bord der Maschine zum Ausgangsflughafen nach Düsseldorf zurück.

Dort verließ die Maschine das Gate um 11:50 Uhr und erreichte M. um 14:42 Uhr. Die Kläger forderten die Beklagte mit Schreiben vom 25.11.2009, 7.12.2009 und 7.1.2010 auf, eine Ausgleichszahlung in Höhe von 400,- EUR pro Person, also insgesamt 1.200,- EUR zu zahlen.

Mit Schreiben vom 2.12.2009 und 25.1.2010 lehnte die Beklagte die Zahlung eines Ausgleiches in dieser Höhe ab, stellte jedoch bereits am 2.12.2009 einen Scheck in Höhe von 50,- EUR als Erstattungsbetrag für die Verspätung aus.

Der Prozessbevollmächtigte der Kläger stellte für seine außergerichtlichen Bemühungen am 11.2.2010 eine Rechnung über 155,30 EUR, deren nichtanrechenbaren Teil die Kläger im eigenen Namen für die Rechtsschutzversicherung geltend machen.

Die Kläger sind der Ansicht, dass die Beklagte gemäß Art. 7 VO aufgrund der Verspätung des Fluges verpflichtet sei, eine Ausgleichszahlung von 400,- EUR pro Person zu leisten.

Sie behaupten, dass die Beklagte nicht die notwendigen Vorkehrungen getroffen habe, um einen zügigen Weiterflug aus Düsseldorf zu gewährleisten und vertreten die Auffassung, dass insoweit die Verspätung der Beklagten zurechenbar sei. …

Die Beklagte behauptet, alles Zumutbare unternommen zu haben, um die Folgen des medizinischen Notfalls abzuwenden. …

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Zwischen den Parteien bestand unstreitig ein Beförderungsvertrag. Auf diesen ist gemäß Art. 3 Abs. l die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung, Annullierung und großer Verspätung von Flügen anwendbar, da die Kläger ihre Reise auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats angetreten haben. Ein Ausgleichsanspruch gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b VO besteht jedoch nicht.

Durch die EG-Verordnung Nr. 261/2004 sollen die Rechte von Fluggästen im europäischen und eingeschränkt auch im internationalen Luftverkehr verbessert werden. Der Anwendungsbereich von Art. 7 VO wurde deshalb erweitert auf die Fälle der über dreistündigen Verspätung eines Fluges (vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2009 Rechtssachen C-402/07 und C-432/ 07, RRa 2009, 282).

Die Verspätung des Flugs war aber gemäß Art. 5 Abs. 3 VO auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Zu den außergewöhnlichen Umständen muss nach der nicht abschließenden Aufzählung im Erwägungsgrund Nr. 14 VO, der bei der Interpretation heranzuziehen ist, auch ein medizinischer Notfall, der jedenfalls zum Zeitpunkt des Abfluges nicht vorhersehbar war, zählen. Solche außergewöhnlichen Umstände waren hier aufgrund der Erkrankung des Passagiers und der damit verbundenen Verzögerung sowie der notwendigen Rückkehr nach Düsseldorf gegeben.

Bei der Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 VO handelt es sich um einen verschuldensabhängigen Anspruch. Er greift nur dann, wenn der Luftbeförderer schuldhaft handelt, wobei eine Beweislastumkehr gilt, d. h. gemäß Art. 5 Abs. 3 VO der Beförderer nachweisen kann, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurück geht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Die Beklagte hat substantiiert und schlüssig dargelegt, dass sie die Verzögerung aufgrund der notwendigen Rückkehr nach Düsseldorf nicht hätte abwenden können. Nach ihrem Vortrag ist davon auszugehen, dass die Notwendigkeit einer Rückkehr zum Abflughafen Düsseldorf aufgrund der Wetterlage und der Bedürfnisse des Patienten aber auch aufgrund der besseren Zusammenarbeit zwischen Flughafen und Fluggesellschaft sowie Rettungskräften gegeben war. Der lange Aufenthalt in Düsseldorf nach der außerplanmäßigen Rückkehr zur Versorgung des Patienten kann der Beklagten im Gegensatz zu der Auffassung der Kläger hier nicht zur Last gelegt werden, denn das Gericht geht nach dem Vortrag der Beklagten davon aus, dass die notwendige längere Aufenthaltszeit in Düsseldorf darauf zurückzuführen war, dass hier ein außerplanmäßiger Flug außerhalb des Flugplans für diesen Tag vorlag, der die Beantragung einer neuen Start- und Landegenehmigung voraussetzte.

Entgegen der Auffassung der Kläger führt auch nicht der Umstand, dass in M. zügig abgefertigt und weniger als eine Stunde nach Ankunft wieder gestartet werden konnte, dazu, dass hier ein Verschulden der Beklagten anzunehmen ist. Es ist schlüssig vorgetragen, dass die Beklagte aufgrund des langen Aufenthaltes in Düsseldorf die Gelegenheit hatte und nutzte, bereits vor Abflug des Flugzeuges in Düsseldorf eine aufgrund der Verspätung ebenfalls erforderliche Start- und Landegenehmigung für M. zu beantragen.

Während in Düsseldorf zunächst die Versorgung des erkrankten Passagiers erfolgen musste, musste die Maschine in M. "nur" von den Passagieren bestiegen und deren Gepäck nach einem gängigem koordinierten Ablauf eingeladen werden.

Auch der Behauptung der Kläger, das Ausladen des Gepäckstückes des erkrankten Passagiers in Düsseldorf hätte schneller erfolgen können, folgt das Gericht nicht.

Vielmehr steht fest, dass das Auffinden und Ausladen eines einzelnen Gepäckstückes naturgemäß mehr Zeit in Anspruch nimmt als das Be- und Entladen aller an Bord befindlichen Gepäckstücke. Die Gepäckstücke sind markiert und können schnell identifiziert werden. Dennoch ist das Auffinden eines einzelnen aller an Bord befindlichen Gepäckstücke naturgemäß mit mehr Zeitaufwand verbunden und erfordert einen logistisch größeren Aufwand als das in seinem Ablauf stark koordinierte Ausladen allen Gepäcks.

Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Schadensersatz aus den §§ 283, 280 Abs. 1, S. 2 BGB, da die Beklagte aufgrund des Vorliegens der außergewöhnlichen Umstände kein Verschulden trifft.

Den Klägern steht auch kein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 89,55 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz für die nicht festsetzbaren außergerichtlichen Anwaltskosten aus §§ 280 Abs. 1, 2 BGB zu, da diese keinen ersatzfähigen Schaden darstellen. Der verzugsbedingte Schadensersatz besteht in Abhängigkeit von der Begründetheit des Hauptanspruches, der hier jedoch nach den obigen Ausführungen nicht gegeben ist. …

Rechtsgebiete

Reiserecht