Kein Anspruch gegen die Gemeinde auf Durchführung des Winterdienstes

Gericht

VG Aachen


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

05. 01. 2011


Aktenzeichen

6 L 539/10


Tenor


Tenor:

  1. Der Antrag wird abgelehnt.

    Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

  2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Entscheidungsgründe


Gründe:

Der mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2010 sinngemäß gestellte Antrag,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die P. -N. -Straße in T. -P1. mit Salz oder abstumpfenden Mitteln (Lavagemisch) unverzüglich zu streuen,

ist zulässig, aber unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Dabei hat der Antragsteller sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden materiellen Anspruchs (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Maßgebend hierfür sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.

Dabei kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte, es sei denn, dass eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung).

Gemessen an diesem Maßstab ist die beantragte einstweilige Anordnung nicht zu erlassen. Denn unabhängig davon, ob mangels Darlegung unzumutbarer Nachteile für die Antragsteller bereits das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache-entscheidung der begehrten einstweiligen Anordnung entgegensteht, und unabhängig davon, ob die Antragsteller einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht haben, kann ihr Eilantrag keinen Erfolg haben, weil sie jedenfalls das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht haben.

Die Rechtsansicht der Antragsteller, ihnen stehe gegen die Antragsgegnerin ein einklagbarer Anspruch zu, die Fahrbahn der Gemeindestraße, durch die das von ihnen bewohnte Haus erschlossen wird, nicht nur - wie es geschieht - von Schnee zu räumen, sondern zusätzlich mit Salz oder abstumpfenden Mitteln (Lavagemisch) abzustreuen, ist unzutreffend.

Den Antragstellern ist zwar einzuräumen, dass die Antragsgegnerin (1.) nach § 1 Straßenreinigungsgesetz NRW - StrReinG NRW - zur ordnungsgemäßen Reinigung der Gemeindestraßen innerhalb der geschlossenen Ortslagen einschließlich der Winterwartung und (2.) nach § 9a Abs. 1 Satz 2 des Straßen- und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen - StrWG NRW - im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht zur Erhaltung der Verkehrssicherheit auf den Gemeindestraßen verpflichtet ist sowie (3.) nach § 9 Abs. 3 StrWG NRW als Trägerin der Straßenbaulast nach besten Kräften über die ihr nach § 9 Abs. 1 StrWG NRW obliegenden Aufgaben hinaus die Gemeindestraßen bei Schnee und Eisglätte räumen und streuen soll. Außerdem hat die Antragsgegnerin sich in § 1 Absätze 2 und 3 ihrer Satzung über die Straßenreinigung vom 10. Dezember 1999 - Straßenreinigungssatzung - in der Fassung der Änderungssatzung vom 15. Februar 2000 selbst die grundsätzliche Verpflichtung auferlegt, innerhalb der geschlossenen Ortslagen im Rahmen des zur Straßenreinigung gehörenden Winterdienstes bei Schnee- und Eisglätte (1.) Schnee von Fahrbahnen und Gehwegen zu räumen sowie (2.) Gehwege und Fußgängerüberwege, (3.) die Fahrbahnen der in einer Anlage zur Satzung konkret bezeichneten "gefährlichen Stellen" und (4.) im Einzelfall bei eingetretener bzw. vorhandener Glättebildung die von der Anlage zur Satzung nicht erfassten Straßenflächen mit abstumpfenden oder auftauenden Stoffen abzustreuen.

In der Rechtsprechung der Zivilgerichte ist geklärt, dass eine Verletzung der aus § 1 StrReinG NRW und § 9a Abs. 1 Satz 2 StrWG NRW folgenden Pflichten zur ordnungsgemäßen Reinigung der Gemeindestraßen und zur Erhaltung der Verkehrssicherheit auf den Gemeindestraßen grundsätzlich geeignet ist, einen Amtshaftungs-anspruch auszulösen, weil diese Pflichten gegenüber den einzelnen Straßen-benutzern als Dritten i.S. des § 839 BGB bestehen.

Vgl. zur Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Straßenreinigungsgesetz NRW z.B. BGH, Urteil vom 5. Juli 1990 - III ZR 217/89 -, [juris], Rdnrn. 8 bis 10 und 13 ff.

Den der Antragsgegnerin somit obliegenden Amtspflichten i.S. des § 839 BGB, die Gemeindestraßen ordnungsgemäß zu reinigen und ihre Verkehrssicherheit zu gewährleisten, steht jedoch kein subjektiv-öffentliches Recht der Straßenbenutzer auf Erfüllung der Amtspflichten gegenüber. Die maßgeblichen Vorschriften - hier die §§ 1 StrReinG NRW und 9a Abs. 1 Satz 2 StrWG NRW - enthalten nämlich weder einen Hinweis auf ein durch sie geschütztes Individualinteresse noch auf einen in ihrem Rahmen individuell begünstigten Personenkreis. Der Begünstigte wird erst individualisiert, wenn infolge der Verletzung der Räum- und Streupflicht ein Schadensfall eingetreten ist. Dementsprechend kommt - wie bereits ausgeführt - im Schadensfall zwar ein Amtshaftungsanspruch des Geschädigten aus § 839 BGB gegenüber der jeweils verpflichteten Gemeinde in Betracht. Ein einklagbarer Anspruch der Straßenbenutzer auf ordnungsgemäße Erfüllung des Winterdienstes durch die Gemeinden besteht demgegenüber nicht. Vielmehr sollen die gesetzlichen Regelungen des Winterdienstes in Nordrhein-Westfalen lediglich objektiv-rechtlich im Interesse der Allgemeinheit die gefahrfreie Benutzung der öffentlichen Straßen zum öffentlichen Verkehr ermöglichen und die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer gewährleisten.

So bereits VG Karlsruhe, Urteil vom 27. Juni 1997 - 9 K 397/97, [juris], Orientierungssätze 1 bis 3; zustimmend: Wichmann, Straßenreinigung und Winterdienst in der kommunalen Praxis, 4. Auflage, Rdn. 4, S. 42; Bauer in Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6. Auflage, Kapitel 41, Rdn. 39, S. 1385.

Der geltend gemachte Anspruch der Antragsteller auf Erfüllung des Winterdienstes durch die Antragsgegnerin in einer bestimmten Qualität ergibt sich somit weder aus den §§ 1 StrReinG NRW und 9a Abs. 1 Satz 2 StrWG NRW noch aus § 9 Abs. 3 StrWG NRW, aus dem im Übrigen auch keine Amtspflicht i.S. des § 839 BGB gegenüber Straßenbenutzern abzuleiten ist.

Vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1990 - III ZR 217/89 -, a.a.O., Rdnr. 9.

Lediglich der Vollständigkeit halber weist die Kammer in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Rechtsprechungs- und Literaturhinweise in den Schriftsätzen des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller keinen Anlass zu einer für sie günstigeren Wertung geben, weil die Zitatstellen für die zu treffende Entscheidung unergiebig sind. Die zitierten Entscheidungen und Literaturstellen setzen sich - soweit sie verifizierbar sind - nämlich nicht mit der entscheidungserheblichen Frage auseinander, ob der aus den in Rede stehenden landesrechtlichen Normen abzuleitenden Verpflichtung der Gemeinde, bei besonderen Gefahrenlagen zur ordnungsgemäßen Reinigung der Gemeindestraßen und zur Erhaltung der Verkehrssicherheit auf den Gemeindestraßen auch Salz oder abstumpfende Mittel im Rahmen des Winterdienstes einzusetzen, ein einklagbares subjektiv-öffentliches Recht der Straßenbenutzer auf Erfüllung der Streupflicht gegenübersteht.

Den Antragstellern steht ein Anspruch auf Abstreuen der P. -N. -Straße in T. -P1. mit Salz oder abstumpfenden Mitteln auch nicht mit Rücksicht auf das von ihnen hervorgehobene Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und auf Eigentum in der Ausprägung des Anliegergebrauchs (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. §§ 14 Abs. 3 Satz 2 und 14a StrWG NRW,

vgl. Sauthoff, Öffentliche Straßen, 2. Auflage, Rdn. 339 f.)

zu. Ihnen ist zwar einzuräumen, dass unter dem Aspekt der Gefahrenbeseitigung ein Rechtsanspruch des Bürgers auf Tätigwerden gem. § 1 StrReinG NRW besteht, wenn das der Gemeinde eingeräumte ordnungsrechtliche Entschließungsermessen auf Null reduziert ist, weil durch jede andere Entscheidung als ein Tätigwerden der Gemeinde Grundrechte des Betroffenen konkret gefährdet sind. Die bloße Möglichkeit, dass solche Gefahren eintreten könnten, begründet jedoch keinen Anspruch auf ein Tätigwerden der Gemeinde.

Vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 27. Juni 1997 - 9 K 397/97, a.a.O., Rdnrn. 20 und 24.

Davon ausgehend steht den Antragstellern der geltend gemachte Anspruch nicht zu, weil sie keine konkreten Gefahren vorgetragen haben, die ihnen drohen, wenn die P. -N. -Straße nicht mit Salz oder abstumpfenden Mitteln abgestreut wird. Zu den behaupteten Gesundheitsgefahren wird lediglich vorgetragen, sie - die Antragsteller - hätten wegen der spiegelglatten Straße vor dem Haus am 23. Dezember 2010 nicht in die Kreisstadt Euskirchen gelangen können. Zu der behaupteten Beeinträchtigung ihres Anliegergebrauchs haben sie ebenfalls nicht nachvollziehbar dargelegt, dass sie nachhaltig dadurch beeinträchtigt werden, dass die P. -N. -Straße nicht mit Salz oder abstumpfenden Mitteln abgestreut wird; dass ihnen aufgrund des winterbedingten Straßenzustandes die ordnungsgemäße und angemessene Nutzung ihres (Wohn-)Grundstücks unmöglich geworden ist, wird nicht schlüssig vorgetragen. Schließlich fehlt jede Darlegung nachvollziehbarer Gründe dafür, dass die behaupteten Gesundheitsgefahren und Beeinträchtigungen des Rechts auf Anliegergebrauch sich nicht dadurch vermeiden lassen, dass die Antragsteller ihr eigenes Verhalten an die geschilderten Straßenverhältnisse anpassen, indem sie - was ihnen angesichts des ungewöhnlich strengen Winters durchaus zuzumuten ist - zum Beispiel ihr Kraftfahrzeug außerhalb des eigenen Grundstücks an einer Stelle parken, von der aus sie gefahrlos abfahren und beliebige Ziele wie etwa die Kreisstadt Euskirchen ansteuern können. Insgesamt ist damit festzustellen, dass die Antragsteller eine konkrete Gefahrenlage, die ausnahmsweise zum Schutz von Grundrechten eine Streupflicht der Antragsgegnerin in Bezug auf die P. -N. -Straße begründen könnte, nicht geschildert haben.

Auch Art. 3 Abs. 1 GG gebietet keine andere Entscheidung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz vermag kein subjektives Recht auf Gleichbehandlung bezüglich einer ausschließlich objektiven Pflicht zu begründen.

Vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 27. Juni 1997 - 9 K 397/97, a.a.O., Rdnr. 23.

Weil der Räum- und Streudienstplan der Antragsgegnerin rein objektives Recht ist, kann deshalb daraus selbst dann, wenn andere Straßen wie möglicherweise die Dronkestraße und umgebende Straßen ohne einen rechtfertigenden Grund bevorzugt von Schnee geräumt worden sind, ein subjektives Recht der Antragsteller auf Gleichbehandlung unter keinem Gesichtspunkt konstruiert werden.

Letztlich ergibt sich der behauptete Anspruch auf Abstreuung der P. -N. -Straße mit Salz oder abstumpfenden Mitteln auch nicht daraus, dass die Antragsteller nach der XII. Satzung zur Änderung der Gebührensatzung zur Straßenreinigung der Antragsgegnerin vom 19. Dezember 2008 für die Straßenreinigung einschließlich Winterdienst eine jährliche Benutzungsgebühr von 1,11 EUR je m Grundstücksseite zu entrichten haben. Dafür, dass durch die Entrichtung einer derart geringfügigen Jahresgebühr nach abgabenrechtlichen Grundsätzen ein Anspruch der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin entstanden sein könnte, den Winterdienst in ihrem Sinn zu intensivieren, ist nichts ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Sie berücksichtigt, dass vorliegend wegen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache der ungekürzte Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG anzusetzen ist.

Rechtsgebiete

Schnee und Glatteis