Notzutrittsrecht des Vermieters

Gericht

VerGH Thüringen


Datum

26. 02. 2004


Aktenzeichen

VerfGH 19/02


Leitsatz des Gerichts

Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verfassungsbeschwerde nach Art. THVERF Artikel 80 THVERF Artikel 80 Absatz I Nr. 1 ThürVerf., § 31 ThürVerfGHG liegt vor, wenn die angefochtene Entscheidung ihrem Inhalt nach Grundrechte des Beschwerdeführers berührt oder Eingriffe in den grundrechtlich geschützten Bereich für gerechtfertigt erklärt, und zwar auch dann, wenn die angefochtene Entscheidung den Beschwerdeführer wirtschaftlich nicht unmittelbar beeinträchtigt.

Entscheidungsgründe


Gründe: ...

II. 3. Einer Sachprüfung steht nicht entgegen, dass die angefochtene Entscheidung auf Bundesrecht (§§ BGB § 858, BGB § 862 BGB) gestützt und in einem bundesrechtlich geregelten Verfahren (§§ ZPO § 935ff. ZPO) ergangen ist. Allerdings beschränkt dies die Prüfungskompetenz des ThürVerfGH darauf, ob die Thüringer Gerichte das einschlägige Bundesrecht mit einem Inhalt zur Geltung gebracht haben, der mit dem objektiven Regelungsgehalt dieser Rechtsnormen in keiner Weise vereinbar ist, d.h., ihm so offenkundig widerspricht, dass die die angefochtene Entscheidung tragenden „Rechtssätze” im geltenden Recht keinesfalls zu finden sind.

4. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einem mit dem Inhalt der §§ BGB § 858 BGB § 858 Absatz I, BGB § 862 BGB § 862 Absatz I BGB völlig unvereinbaren Verständnis dieser Rechtsnormen. Das AG und ihm folgend das LG haben als möglichen Verfügungsanspruch den Anspruch aus § BGB § 862 BGB § 862 Absatz I BGB auf Beseitigung einer auf sog. verbotener Eigenmacht beruhenden Besitzstörung herangezogen. Verbotene Eigenmacht liegt gem. § BGB § 858 BGB § 858 Absatz I BGB vor, wenn dem Besitzer, das heißt derjenigen Person, welche an einer Sache - hier der Wohnung - die „tatsächliche Gewalt” im Sinne der Sachbeherrschung innehat, die Sachherrschaft entzogen oder diese beeinträchtigt wird. Diese Einwirkung wird der sie bewirkenden Person als Störer zugerechnet. Die Einwirkung ist rechtswidrig, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder Störung des Besitzes gestattet.

Von dieser Rechtslage gehen beide Gerichte aus. Das AG hat den Besitzstörungsanspruch des Bf. deswegen für letztlich unbegründet erachtet, weil nach den Gesamtumständen des Falls die Vermieterin berechtigt gewesen sei, sich ein Bild vom Wohnungsinnern zu verschaffen. Dieses Recht leitet das AG auch aus § BGB § 229 BGB ab. Danach ist eine Besitzstörung dann gerechtfertigt, wenn „obrigkeitliche Hilfe” nicht sofort zu erlangen ist oder wenn ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass der Eingreifer einen ihm zustehenden Anspruch nicht werde verwirklichen können.

Es ist dem Bf. einzuräumen, dass diese Voraussetzungen des Selbsthilferechts nach § BGB § 229 BGB im Ausgangsfall offenkundig nicht vorgelegen haben. Der Anspruch des Vermieters auf Mitwirkung des Mieters bei der Feststellung der für die Nebenkostenabrechnung maßgeblichen Werte war nicht dadurch ernstlich gefährdet, dass der Bf. bei drei am 5. und 6. 2. 2002 unternommenen Versuchen, ihn in seiner Wohnung zu erreichen, nicht angetroffen worden ist. Die Vermieterin hat nichts vorgetragen, woraus sich ein solcher Sachverhalt ableiten ließe. Ihr war nach eigenem Vorbringen vielmehr bekannt, dass der Bf. sich ganz selten in der Wohnung aufhält. Sie musste daher davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer nicht erfahren hatte, dass und wann die Vermieterin zwecks Verbrauchswertermittlung Zutritt zur Wohnung begehrt. Aus dem der Entscheidung des AG zu Grunde gelegten und vom LG übernommenen Vortrag der Vermieterin folgt im Übrigen, dass die bisher gemessenen Verbrauchswerte außerordentlich gering waren, so dass von daher die Vermieterin nicht so erhebliche Nachteile bei der Endabrechnung zu befürchten hatte oder annehmen durfte, ohne den „Einbruch” in die Wohnung des Bf. seien sonstige wichtige, ihr zustehende Rechtsgüter gefährdet. Schließlich ist die Vermieterin damals davon ausgegangen, dass der Bf. unter Betreuung steht. Ihr war auch bekannt, wer die Betreuung in der Vergangenheit geführt hatte. Deswegen hätte es zumindest sehr nahe gelegen, das die Vermieterin sich wegen der Realisierung ihrer mietrechtlichen Ansprüche zunächst an die Mutter des Bf. wendet, welche nach Annahme der Vermieterin weiter als Betreuerin für den Bf. „zuständig” ist.

Das AG und das LG haben die angefochtene Entscheidung aber auch darauf gestützt, dass die Vermieterin zur Sorge berechtigt gewesen sei, dem Bf. sei in der Wohnung ein Unglück zugestoßen, und dass diese Sorge ihr gestattet habe, die verschlossene Wohnung zu öffnen. Damit wird nicht auf § BGB § 229 BGB sondern auf das sog. Notstandsrecht nach § BGB § 228 BGB abgestellt. Danach ist die Besitzstörung nicht widerrechtlich erfolgt, wenn sie zur Abwehr einer Gefahr erforderlich war, sofern der Schaden nicht außer Verhältnis zur Gefahr steht. Die Gerichte des Ausgangsverfahrens haben eine solche Gefahr aus einem seelisch-pathologischen Befund beim Bf. abgeleitet und sie auf das Leben des Bf. selbst bezogen. Es dürfte keinesfalls willkürlich sein, eine solche Gefährdung als Grundlage einer Notstandslage zu bejahen und ihr für ein an sich rechtswidriges Verhalten rechtfertigende Kraft zuzuerkennen. Es hält sich (gerade noch) im Bereich des Sachangemessenen, wenn die beiden Zivilgerichte die tatsächlichen Grundlagen einer solchen Situation im Ausgangsfall bejahen. Mag es auch nahe gelegen haben, zunächst einmal bei der Familie des Bf. nach dessen Verbleib zurückzufragen, so ist es doch nicht als willkürlich zu erachten, wenn die Zivilgerichte die vor der Wohnung des Beschwerdeführers am 6. 2. 2002 gegebene Situation dahin bewerten, dass ein sofortiges Eindringen in die Wohnung angezeigt war. Im Übrigen hätte das auf das Unterlassen künftigen Verhaltens gerichtete Verfügungsbegehren eine Wiederholungsgefahr vorausgesetzt. Hierzu ist vom Bf. weder etwas vorgetragen noch ergibt diese Gefahr sich irgendwie aus dem unstreitigen Sachverhalt. Auf Grund dieser Würdigung der Sach- und Rechtslage entfällt der Verfügungsanspruch ganz, soweit er darauf gerichtet war, der Vermieterin ein vom Bf. nicht genehmigtes weiteres Eindringen in die Wohnung zu untersagen. Anders ist es dagegen, soweit der Bf. die Herausgabe der Wohnungsschlüssel begehrt hat. Dass insoweit das LG dem Bf. folgt, entspricht der Argumentation und dem Willen des Bf. Es ist daher einerseits sachangemessen gewesen, dass das LG hieraus die Kostenbeteiligung der Vermieterin ableitet, dass es andererseits aber auch den Bf. an den Kosten des Verfahrens teilnehmen lässt. Die Bestimmungen der jeweiligen Anteile dahin, dass die Gerichtskosten halbiert werden und die außergerichtlichen Kosten jeweils selbst zu tragen sind, ist der Sachlage nach angemessen.

Rechtsgebiete

Mietrecht; Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht; Verfassungsrecht

Normen

ThürVerf. Art. THVERF Artikel 80 THVERF Artikel 80 Absatz I Nr. 1; BGB §§ BGB § 858 BGB § 858 Absatz I, BGB § 862 BGB § 862 Absatz I, BGB § 228