Kein presserechtlicher Unterlassungsanspruch bei wertneutralen Abweichungen vom tatsächlichen Geschehen

Gericht

AG Charlottenburg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

24. 10. 2011


Aktenzeichen

237 C 168/11


Tenor

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand


Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Anspruch.
Die Klägerin als Fernsehmoderatorin präsentierte bis 2003 unter anderem die …-Show … und moderiert seit 2004 die …-Show … für das … . Die Beklagte gibt unter anderem die Zeitschrift … heraus. Am 24.06.2011 veröffentlichte die Beklagte auf dem Titelblatt dieser Zeitschrift ein Foto der Klägerin und ihres Lebensgefährten … mit der Titelschlagzeile "… & ihr … - Erschütternd! Todes-Drama überschattet die junge Liebe". Auf Seite 61 der Zeitschrift wurde dann berichtet, dass die Klägerin um die Tänzerin … (20) aus Bochum bangte, das Küken ihres berühmten Show-Balletts, und dass die Ärzte an der Hamburger Klinik tagelang um das Leben der hübschen Profi-Tänzerin kämpften.
Der Manager des "… Showballetts …" soll laut Berichterstattung zu … gesagt haben, dass die Klägerin und er sich große Sorgen um … machten, an sie dachten und für sie beteten. Laut Bericht sollte die erkrankte Tänzerin schließlich aus dem künstlichen Koma geweckt worden sein und zum Zeitpunkt der Berichterstattung wieder ansprechbar gewesen sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Titelblatt und den Bericht auf Seite 61 der … vom 24.06.2011 verwiesen (Anlagen K1 und K2/Bl. 8 und 9 d. A). Mit Schreiben vom gleichen Tag ließ die Klägerin die Beklagte durch ihre Prozessbevollmächtigte zur Abgabe einer vorformulierten Unterlassungsverpflichtungserklärung bis spätestens 29.06.2011 auffordern mit der Begründung, durch die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen verletze sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin, weil die Titelschlagzeile in Verbindung mit der Überschrift der Berichterstattung im Innenteil den zwingenden Eindruck erwecke, im näheren Umfeld der Klägerin und ihres Lebensgefährten sei jemand verstorben. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 28.06.2011 erklärte die Beklagte allein aus Gründen des redaktionellen Interesses, dass sie sich gegenüber der Klägerin verpflichtete, die zitierte Schlagzeile mit dem Begriff Todes - Drama im Zusammenhang mit den Geschehnissen um die Tänzerin … nicht mehr zu veröffentlichen und/oder veröffentlichen zu lassen. Die Erklärung wurde ausdrücklich ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage abgegeben. Auf die genannten Schreiben wird wegen der Einzelheiten verwiesen (Anlagen K3 und K4/Bl. 10 - 12 und 13/14 d. A). Anschließend wurde die Beklagte unter Hinweis auf eine Geschäftsführung ohne Auftrag bzw. eine Verpflichtung zum Schadensersatz aufgefordert, der Klägerin die Kosten der Inanspruchnahme ihrer Prozessbevollmächtigten zu erstatten. Laut Kostennote vom 29.06.2011 wurden die Anwaltskosten bei einem Gegenstandswert von 20.000,00 € mit 1.176,91 € berechnet. Dies lehnte die Beklagte unter Hinweis darauf ab, selbst wenn das Begriffspaar "Todes-Drama" so auszulegen seien sollte, dass es notwendigerweise das tatsächliche Ableben einer Person voraussetze, sei nicht erkennbar, dass in der Unrichtigkeit eine in Bezug auf die Klägerin unverzichtbare Ehrbeeinträchtigung, also spezifische Persönlichkeitsrechtsverletzung zu sehen sei. Auf das klägerische Schreiben vom 29.06.2011 nebst Kostennote und das Antwortschreiben der Beklagten vom 05.07.2011 wird verwiesen (Anlagen K5 und K6/Bl. 15 - 18 d. A.).

Die Klägerin beruft sich darauf, durch die Veröffentlichung auf der Titelseite habe die Beklagte den falschen Eindruck erweckt, eine ihr und/oder ihrem Lebensgefährten nahe stehende Person sei gestorben. Sie meint, dieser falsche Eindruck verletze ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht, so dass ihr diesbezüglich ein Unterlassungsanspruch zugestanden habe. Daran ändere es auch nichts, dass die Beklagte im Innenteil der Zeitschrift schließlich klargestellt habe, dass sich die Berichterstattung mit der Erkrankung einer Tänzerin des … Show-Balletts … beschäftigt habe, es der Tänzerin jedoch bereits wieder besser gehe. Selbst die Berichterstattung im Innenteil erwecke bei dem Leser zunächst den Eindruck, jemand in ihrem engen Umfeld sei gestorben und erst ganz am Ende des Artikels werde der Leser darüber aufgeklärt, dass die erkrankte Tänzerin bereits wieder bei Bewusstsein und ansprechbar sei. Die Klägerin macht geltend, in den Fällen, in denen die Titelseite eine selbständige Aussage enthalte, könne diese ohne Rücksicht auf den Inhalt der Artikel im Innenteil des Mediums angegriffen werden. Sie vertritt die Auffassung, das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse auch den Schutz vor Unwahrheiten. Bewusst unwahre Behauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits zum Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststehe, lägen außerhalb des Schutzbereiches des Art. 5 Abs. 1 GG. Vorliegend sei der Beklagten ohne Weiteres bewusst gewesen, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels überhaupt kein "Todes-Drama" existiert habe und insbesondere auch kein "Todes-Drama", welches die Beziehung zwischen ihr und ihrem Lebensgefährten, der die erkrankte Tänzerin noch nicht einmal kenne, "überschatte". Die falsche Behauptung, ein Todes - Drama würde ihre Beziehung zu ihrem Lebensgefährten überschatten, betreffe ihre Privatsphäre. Da die Beklagte bewusst einen falschen Eindruck über den Zustand ihrer Beziehung zu ihrem Lebensgefährten bzw. die angeblichen Auswirkungen eines nicht existierenden "Todes-Dramas" verbreitet habe, habe ihr der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1 in Verbindung mit § 1004 analog BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zugestanden. Die Klägerin beruft sich darauf, der für die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs angesetzte Gegenstandswert von 20.000,00 € sei in jeglicher Hinsicht angemessen, da es sich vorliegend um eine Berichterstattung auf der Titelseite der … gehandelt habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.176,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, der Klägerin stehe ein Kostenerstattungsanspruch nicht zu. Die beanstandete Veröffentlichung verletzte nicht die Persönlichkeitsrechte der Klägerin, weshalb die Unterlassungserklärung auch ohne Anerkennung einer Rechtspflicht abgegeben worden sei. Sie habe nie die Behauptung aufgestellt, eine der Klägerin und ihrem Lebensgefährten nahe stehende Person sei "gestorben", sie habe nur von einem "Todes-Drama" berichtet. Die schwer erkrankte Ballett-Tänzerin, von der im Artikel die Rede sei, habe tatsächlich auf der Schwelle zum Tod gestanden. Sie habe im künstlichen Koma gelegen und sich in höchster Lebensgefahr befunden, die Ärzte hätten tagelang um ihr Leben gekämpft. Die Klägerin habe daher über das Management verkünden lassen, dass sie sich "große Sorgen" um die Tänzerin gemacht habe. Soweit auf der Titelseite und in der Überschrift des Artikels von einem "Todes-Drama" die Rede sei, stelle dies eine zulässige Wertung ihrerseits (Meinungsäußerung!) dar. Ein "Todes-Drama" sei der zusammenfassende Begriff für dramatische Vorgänge, die sich um eine oder mehrere Personen im Zusammenhang mit einem todesgefährlichen Ereignis zutrügen. Dass dabei tatsächlich jemand zu Tode komme, setze diese Floskel ihrem Verständnis nach nicht notwendig voraus. Auch bereits wenn jemand mit dem Tode ringe, sei dieser Vorgang von der Wertung "Todes-Drama" gedeckt. Selbst wenn der nur die Titelseite wahrnehmende Leser die dortige Aussage so interpretiert habe, dass irgendeine Person, deren Verhältnis oder Verbindung zur Klägerin dem Leser an dieser Stelle völlig unbekannt sei, zu Tode gekommen sei, so fehle es jedenfalls an der Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin. Diese Rechtswidrigkeit sei bei einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht indiziert und müsse im Rahmen einer Abwägung der jeweiligen Rechtspositionen positiv festgestellt werden. Das Recht auf Pressefreiheit finde nach Art. 5 Abs. 2 GG seine Grenzen an den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch §§ 823, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB gehörten. Das durch diese Vorschriften geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht gewähre aber nur Schutz vor solchen Äußerungen, die geeignet seien, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken. Eine Äußerung, die aus Sicht des Betroffenen zwar eine objektive Falschdarstellung enthalte, sei daher nichts rechtswidrig und zu untersagen, wenn sich die Abweichung vom tatsächlichen Sachverhalt wertneutral verhalte, also für das Persönlichkeitsrecht nicht von Bedeutung sei. Die streitgegenständliche Darstellung könne sich nicht schwerwiegend auf die Ehre, das Ansehen oder den sozialen Geltungsanspruch der Klägerin auswirken, nachdem die Tänzerin aus ihrem Ballett tatsächlich lebensbedrohlich erkrankt gewesen und um ihr Überleben gekämpft habe. Für die Außendarstellung der Klägerin spiele das konkret erlittene Schicksal der erkrankten Tänzerin keine Rolle, nachdem dieses der Klägerin nicht zugerechnet werde und sie nur reflexartig von dem als "Drama" bezeichneten Ereignis betroffen sei.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe

Die Klage ist als unbegründet abzuweisen, weil der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zusteht. Weder ergibt sich ein solcher Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB noch als Schadensersatzanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 249 BGB. Denn die Klägerin hatte keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Unterlassung der Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen im Hinblick auf die Titelzeile und die Überschrift der Berichterstattung im Innenteil der Zeitschrift … vom 24.06.2011 gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG.
Das Gericht vermag schon nicht zu erkennen, weshalb durch die Titelzeile "… & ihr … - Erschütternd! Todesdrama überschattet die junge Liebe" und die entsprechende Überschrift der Berichterstattung im Innenteil der Zeitschrift eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB erfolgt sein soll. Zwar versteht der Leser den Begriff "Todes-Drama" zunächst tatsächlich so, dass eine Person im persönlichen Umfeld der Klägerin verstorben ist. Aus der Berichterstattung auf Seite 61 der Zeitschrift ist dann jedoch zu entnehmen, dass damit gemeint sein soll, dass eine Tänzerin aus dem Show-Ballett …, mit der die Klägerin beruflich zusammenarbeitet, tatsächlich tagelang mit dem Tod gerungen hat und im künstlichen Koma lag, worüber sich auch die Klägerin unstreitig Sorgen machte. Die persönliche Betroffenheit der Klägerin betreffend den Gesundheitszustand der Tänzerin aus ihrem Show-Ballett spiegelt sich in der Titelzeile und in der Überschrift der Berichterstattung wieder, worin das Gericht keine Persönlichkeitsrechtsverletzung zu erkennen vermag. Allein durch die Wahl des Begriffes "Todes-Drama" hat die Beklagte nach Auffassung des Gerichts noch nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzt. Von einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ist nämlich nur dann auszugehen, wenn eine Person von negativen, unwahren Äußerungen betreffend ihrer Persönlichkeit betroffen ist. Davon kann hier nicht ausgegangen werden, weil von einem "Todes -Drama" einer Dritten nur im Zusammenhang mit einer emotionalen Betroffenheit der Klägerin, deren Darstellung für sie nicht nachteilig ist, berichtet wurde. Selbst wenn ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin durch die Titelzeile mit dem Begriff "Todes-Drama" und die entsprechende Überschrift der Berichterstattung unterstellt würde, wäre der (unterstellte) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht jedenfalls nicht rechtswidrig. Bei einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist die Rechtswidrigkeit nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern im Rahmen einer Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles und Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit positiv festzustellen (vgl. Palandt - Sprau, 70. Aufl., § 823 BGB Rz. 95).
Daher kommt es für die Zulässigkeit einer Äußerung maßgeblich darauf an, ob es sich um eine Tatsachenbehauptung oder um eine Meinungsäußerung handelt. Hier ergibt sich aus der Titelschlagzeile und der Überschrift der Berichterstattung für den Durchschnittsleser, dass das Privatleben der Klägerin durch ein "Todes-Drama" in ihrem persönlichen Umfeld "überschattet", d. h. beeinträchtigt sein sollte. Dabei handelte es sich nicht um eine (nachprüfbare) Tatsachenbehauptung, sondern um eine Meinungsäußerung. Da die Klägerin sich unstreitig Sorgen um die mit dem Tode ringende Tänzerin aus ihrem Show-Ballett gemacht hat, ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte durch ihre Berichterstattung, nach der davon auch die "junge Liebe" der Klägerin betroffen gewesen sein soll, widerrechtlich in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin eingegriffen hat. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gibt einem Betroffenen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, wie es ihm selbst genehm ist. Ein Betroffener kann nur dann Unterlassungsansprüche geltend machen, wenn sich eine Berichterstattung schwerwiegend auf sein Ansehen und seine Persönlichkeitsentfaltung auswirkt (Art. 5 Abs. 2 GG). Mit der hier streitgegenständlichen Darstellung des "Todes-Dramas", das auch das Privatleben der Klägerin überschatten haben soll, war ein schwerwiegendes Unwerturteil des Durchschnittspublikums, wie es die Annahme einer Anprangerung voraussetzt, nicht verbunden. Selbst wenn der Begriff "Todes-Drama" gleichgesetzt würde mit einem Todesfall im persönlichen Umfeld der Klägerin, würde es sich zwar um eine objektive Falschdarstellung handeln, die jedoch als wertneutral einzustufen wäre. Die Abweichung ist nämlich für das Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht von Bedeutung. Denn ob die lebensgefährlich erkrankte Tänzerin tatsächlich gestorben ist oder nicht, spielt für den Sinngehalt der Äußerung, dass die Klägerin davon persönlich betroffen war, keine Rolle. Da sie sich unstreitig Sorgen um die Tänzerin gemacht hat, war die Darstellung, die vom Durchschnittsleser als persönliche Betroffenheit der Klägerin verstanden wird, auch nicht falsch. Ein rechtswidriger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit der Beklagten (Art. 5 Abs. 1 GG) liegt nicht vor (Zitate aus dem Urteil des LG Köln vom 07.07.2010 zu 28 O 211/10, veröffentlicht bei juris).

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709 S. 2, 711 S. 1, 2 ZPO.


Dame

Rechtsgebiete

Presserecht