Phantasienamen: Keine Prüfungspflicht der Redaktion auf Übereinstimmung

Gericht

LG München I


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

11. 08. 2010


Aktenzeichen

9 O 21882/09


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kläger macht gegen die Beklagte presserechtliche Geldentschädigungs- und Richtigstellungsansprüche geltend.

In einer Ausgabe des von der Beklagten herausgegebenen Magazins ist unter der Überschrift "Die endlose Sekunde" ein Artikel erschienen, der sich mit einem Vorfall im Rahmen des Einsatzes der Deutschen Bundeswehr in Afghanistan beschäftigt. Bei diesem hatte ein deutscher Soldat durch Schüsse auf ein Fahrzeug eine Frau und zwei Kinder getötet. Der Artikel beginnt mit den Worten "Der Himmel ist wolkenlos und schwarz, kein Mond. Ronny Fischer sitzt in seinem gepanzerten Transporter Dingo ...". Hinter dem Namen Ronny Fischer befindet sich ein Sternchen, und am Fuße der Seite in derselben Spalte befindet sich ein Sternchen, neben dem es heißt "Name von der Redaktion geändert".

Im weiteren Verlauf des Artikels wird der Soldat Ronny Fischer als Unteroffizier der Feldjägerkompanie in Storkow bezeichnet, der 28 Jahre alt sei. Weiter wird mitgeteilt, dass er seinen richtigen Namen nicht nennen wolle. Es wird berichtet, Fischer sei in einem Soldatenmilieu aufgewachsen; sein Opa sei Offizier gewesen, sein Vater Unteroffizier bei der Nationalen Volksarmee der DDR. Fischer selbst habe sich für zwölf Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet, von denen neun hinter ihm lägen. Als Tag des schicksalshaften Einsatzes wird der 28.08.2008 genannt.

Der Kläger heißt Ronny Fischer. Er ist Unteroffizier der Deutschen Bundeswehr und war von Februar bis Juli 2009 in Afghanistan eingesetzt. Der Kläger meint, der Leser des streitgegenständlichen Artikels assoziiere den dort geschilderten Soldaten mit ihm selbst, weshalb er durch die Berichterstattung erkennbar sei. Er sei hierdurch erheblichen Anfeindungen und Gefahren im Hinblick auf einen bevorstehenden weiteren Einsatz in Afghanistan ausgesetzt. Dadurch, dass die Beklagte sich nicht wenigstens bei der Deutschen Bundeswehr rückversichert habe, dass kein Soldat mit dem Namen des Klägers in Afghanistan eingesetzt sei, habe sie gegen ihre journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen; dies müsse insbesondere vor dem Hintergrund häufiger Auslandseinsätze der Deutschen Bundeswehr und einer zugespitzten Gefährdungslage für deutsche Soldaten im Ausland gelten.

Die Beklagte meint, der Kläger sei durch die streitgegenständliche Berichterstattung nicht erkennbar; im Gegenteil sei für jeden Leser deutlich, dass der Soldat, über den berichtet werde, nicht Ronny Fischer heiße, sondern dieser Name lediglich ein von der Redaktion verwendetes Synonym darstelle.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Klage war abzuweisen, weil dem Kläger presserechtliche Ansprüche gegen die Beklagte nicht zustehen.

1. Die streitgegenständliche Berichterstattung macht für jedermann deutlich, dass der wahre Name des Soldaten, von dem der fragliche Artikel handelt, nicht Ronny Fischer ist, sondern dass dieser Name lediglich als Synonym für den Protagonisten des Artikels verwendet wurde. Presserechtlich fehlt es mithin an der Erkennbarkeit des Klägers durch die streitgegenständliche Berichterstattung.

Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Name bei seiner ersten Nennung mit einem Sternchen als Verweis auf eine Fußnote gekennzeichnet ist. Diese Fußnote befindet sich auf der gleichen Seite in derselben Spalte und erläutert, dass der Name von der Redaktion geändert wurde. Entgegen der Auffassung des Klägers wird dieser Hinweis auf den geänderten Namen in der Fußnote auch von dem durchschnittlichen - auch dem flüchtigen - Leser wahrgenommen. Dies auch deshalb, weil die Verwendung von Phantasienamen in Artikeln völlig üblich ist. Selbst wenn also ein Leser des Artikels auch den Kläger kennt, ist für ihn ohne Weiteres erkennbar, dass in dem Artikel gerade nicht der Kläger gemeint ist.

2. Die für die Beklagte tätigen Journalisten haben auch nicht ihre journalistischen Sorgfaltspflichten verletzt. Sie haben zwar über einen real existierenden deutschen Soldaten im Zusammenhang mit einem sich tatsächlich zugetragenen Ereignis berichtet. Hierbei haben sie aber gerade nicht den wahren Namen dieses Soldaten verwendet. Vielmehr wurde ein Phantasiename als Pseudonym hergenommen. Eine journalistische Sorgfaltspflicht dahingehend, bei der Bundeswehr nachzufragen, ob nicht ein in Afghanistan eingesetzter Soldat zufällig diesen Phantasienamen tatsächlich trägt, besteht nicht. Dies gilt auch nicht vor dem Hintergrund der sich zugespitzten Gefahrenlage beim Einsatz deutscher Soldaten im Ausland.

3. Auch die übrigen Voraussetzungen der geltend gemachten Ansprüche liegen nicht vor.

a) Die Zuerkennung einer Geldentschädigung erfordert einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die nicht anders ausgeglichen werden kann als durch eine Geldzahlung; ob eine solche schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, hängt insbesondere von Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie vom Grad seines Verschuldens ab … .

Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass Bedeutung und Tragweite des Eingriffs in sein Persönlichkeitsrecht immens wären, wenn er wirklich für den Soldaten gehalten würde, über den in dem Artikel berichtet wird. Anlass und Beweggrund der Beklagten sowie der Grad ihres Verschuldens sind jedoch nicht geeignet, eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung zu begründen. Ausweislich des Artikels waren Anlass und Beweggrund der Verfasser des Artikels, über die schwierige Situation in Afghanistan für die dort stationierten Soldaten einschließlich der einschneidenden Konsequenzen ihres Handelns zu berichten und zu informieren. Ein Verschulden im Sinne eines Verstoßes gegen journalistische Sorgfaltspflichten kann den für die Beklagte handelnden Journalisten aus Sicht der Kammer nicht gemacht werden.

b) Auch die presserechtlichen Voraussetzungen eines Richtigstellungsanspruchs sind nicht gegeben. Der Richtigstellungsanspruch setzt eine unwahre Tatsachenbehauptung voraus. Dies wiederum erfordert, dass der unvoreingenommene Leser unabweislich davon ausgeht, dass in dem streitgegenständlichen Artikel über den Kläger und nicht über einen anderen Soldaten berichtet wird. Dies ist nach allem Vorgesagten aber nicht der Fall.

Nach alledem kam ein zusprechendes Erkenntnis zugunsten des Klägers aus Rechtsgründen nicht in Betracht, sodass der Klage der Erfolg versagt werden musste.

Rechtsgebiete

Presserecht