Gerichtsstand bei grenzüberschreitender Persönlichkeitsrechtsverletzung

Gericht

EuGH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

25. 10. 2011


Aktenzeichen

C-509/09; C-161/10


Entscheidungsgründe

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1, im Folgenden: Verordnung) und von Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. L 178, S. 1, im Folgenden: Richtlinie).

Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten, eines Rechtsstreits zwischen Herrn X und der eDate Advertising GmbH (im Folgenden: eDate Advertising) sowie eines Rechtsstreits zwischen Herrn Olivier Martinez und Herrn Robert Martinez auf der einen Seite und der MGN Limited (im Folgenden: MGN) auf der anderen Seite, wegen der zivilrechtlichen Haftung der Beklagten im Zusammenhang mit im Internet veröffentlichten Informationen und Fotos.


Rechtlicher Rahmen

Die Verordnung

Der elfte Erwägungsgrund der Verordnung lautet:

„Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein, außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.“

Art. 2 Abs. 1 der Verordnung, der zu Abschnitt 1 („Allgemeine Vorschriften“) des Kapitels II („Zuständigkeit“) gehört, sieht vor:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

Art. 3 Abs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.“

In Art. 5 Nr. 3, der zu Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) des Kapitels II gehört, heißt es:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

3. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.“

Die Richtlinie

Der vierte Satz des 22. Erwägungsgrundes der Richtlinie lautet:

„Um den freien Dienstleistungsverkehr und die Rechtssicherheit für Anbieter und Nutzer wirksam zu gewährleisten, sollten die Dienste der Informationsgesellschaft zudem grundsätzlich dem Rechtssystem desjenigen Mitgliedstaates unterworfen werden, in dem der Anbieter niedergelassen ist.“

Im 23. Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es:

„Diese Richtlinie zielt weder darauf ab, zusätzliche Regeln im Bereich des internationalen Privatrechts hinsichtlich des anwendbaren Rechts zu schaffen, noch befasst sie sich mit der Zuständigkeit der Gerichte; Vorschriften des anwendbaren Rechts, die durch Regeln des Internationalen Privatrechts bestimmt sind, dürfen die Freiheit zur Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft im Sinne dieser Richtlinie nicht einschränken.“

Der 25. Erwägungsgrund der Richtlinie lautet:

„Nationale Gerichte, einschließlich Zivilgerichte, die mit privatrechtlichen Streitigkeiten befasst sind, können im Einklang mit den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen Maßnahmen ergreifen, die von der Freiheit der Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft abweichen.“

Nach ihrem Art. 1 Abs. 1 soll die Richtlinie „einen Beitrag zum einwandfreien Funktionieren des Binnenmarktes leisten, indem sie den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellt“.

Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie schafft weder zusätzliche Regeln im Bereich des internationalen Privatrechts, noch befasst sie sich mit der Zuständigkeit der Gerichte.“

Art. 2 Buchst. h Ziff. i der Richtlinie sieht vor:

„Der koordinierte Bereich betrifft vom Diensteanbieter zu erfüllende Anforderungen in Bezug auf

– die Aufnahme der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, beispielsweise Anforderungen betreffend Qualifikationen, Genehmigung oder Anmeldung;

– die Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, beispielsweise Anforderungen betreffend das Verhalten des Diensteanbieters, Anforderungen betreffend Qualität oder Inhalt des Dienstes, einschließlich der auf Werbung und Verträge anwendbaren Anforderungen, sowie Anforderungen betreffend die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters.“

Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie lautet:

„(1) Jeder Mitgliedstaat trägt dafür Sorge, dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen.

(2) Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen.“

Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie nennt die Voraussetzungen, unter denen die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen können, die im Hinblick auf einen Dienst der Informationsgesellschaft von Absatz 2 abweichen.


Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Rechtssache C‑509/09

Der in Deutschland wohnhafte X wurde im Jahr 1993 zusammen mit seinem Bruder von einem deutschen Gericht wegen Mordes an einem bekannten Schauspieler zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Januar 2008 wurde er auf Bewährung entlassen.

Die in Österreich niedergelassene eDate Advertising betreibt unter der Adresse „www.rainbow.at“ ein Internetportal. In der Rubrik „Info-News“ hielt die Beklagte bis zum 18. Juni 2007 auf den für Altmeldungen vorgesehenen Seiten eine auf den 23. August 1999 datierte Meldung zum Abruf bereit. Darin wurde unter Nennung des Namens des X sowie seines Bruders mitgeteilt, die beiden hätten beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Deutschland) Beschwerde gegen ihre Verurteilung eingelegt. Neben einer kurzen Beschreibung der im Jahr 1990 begangenen Tat wurde der von den Verurteilten beauftragte Anwalt mit den Worten zitiert, sie wollten beweisen, dass mehrere Hauptbelastungszeugen im Prozess nicht die Wahrheit gesagt hätten.

X forderte eDate Advertising zur Unterlassung der Berichterstattung sowie zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung auf. eDate Advertising antwortete auf dieses Schreiben nicht, entfernte aber am 18. Juni 2007 die beanstandete Meldung aus ihrem Internetauftritt.

Mit seiner Klage vor den deutschen Gerichten verlangt X von eDate Advertising, es zu unterlassen, über ihn im Zusammenhang mit der Tat unter voller Namensnennung zu berichten. eDate Advertising rügte in erster Linie die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Da die Klage in den beiden Vorinstanzen Erfolg hatte, verfolgt sie ihren Antrag auf Klageabweisung vor dem Bundesgerichtshof weiter.

Der Bundesgerichtshof führt aus, der Erfolg dieser Klage hänge davon ab, ob die Vorinstanzen ihre internationale Zuständigkeit zur Entscheidung des Rechtsstreits nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung zu Recht bejaht hätten.

Falls die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben sei, stelle sich die Frage, ob deutsches oder österreichisches Recht anzuwenden sei. Dies hänge von der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie ab.

Zum einen könnte das Herkunftslandprinzip ein Korrektiv auf materiell-rechtlicher Ebene darstellen. Das sachlich-rechtliche Ergebnis des nach den Kollisionsregeln des Gerichtsstaats für anwendbar erklärten Rechts werde im konkreten Fall gegebenenfalls inhaltlich modifiziert und auf die weniger strengen Anforderungen des Herkunftslandrechts reduziert. Nach dieser Deutung ließe das Herkunftslandprinzip die nationalen Kollisionsregeln des Gerichtsstaates unberührt und käme – wie die Grundfreiheiten des EG-Vertrags – erst im Rahmen eines konkreten Günstigkeitsvergleichs auf materiell-rechtlicher Ebene zum Einsatz.

Zum anderen könnte durch Art. 3 der Richtlinie ein allgemeines kollisionsrechtliches Prinzip etabliert werden, das unter Verdrängung der nationalen kollisionsrechtlichen Regelungen zur alleinigen Anwendung des im Herkunftsland geltenden Rechts führe.

Sehe man das Herkunftslandprinzip als sachlich-rechtliche Rechtsanwendungsschranke, wäre deutsches internationales Privatrecht anwendbar, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Klage endgültig abzuweisen, da ein Unterlassungsanspruch des Klägers nach deutschem Recht zu verneinen wäre. Messe man dem Herkunftslandprinzip dagegen kollisionsrechtlichen Charakter bei, wäre der Unterlassungsanspruch des X nach österreichischem Recht zu beurteilen.

Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis einzutreten droht“ in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung bei (drohenden) Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Inhalte auf einer Internet-Website dahin gehend auszulegen,

dass der Betroffene eine Unterlassungsklage gegen den Betreiber der Website unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat der Betreiber niedergelassen ist, auch bei den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben kann, in dem die Website abgerufen werden kann,

oder

setzt die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem der Betreiber der Website nicht niedergelassen ist, voraus, dass ein über die technisch mögliche Abrufbarkeit hinausgehender besonderer Bezug der angegriffenen Inhalte oder der Website zum Gerichtsstaat (Inlandsbezug) besteht?

2. Wenn ein solcher besonderer Inlandsbezug erforderlich ist:

Nach welchen Kriterien bestimmt sich dieser Bezug?

Kommt es darauf an, ob sich die angegriffene Website gemäß der Bestimmung des Betreibers zielgerichtet (auch) an die Internetnutzer im Gerichtsstaat richtet, oder genügt es, dass die auf der Website abrufbaren Informationen objektiv einen Bezug zum Gerichtsstaat in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen – Interesse des Klägers an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts und Interesse des Betreibers an der Gestaltung seiner Website und an der Berichterstattung – nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Website, im Gerichtsstaat tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann?

Kommt es für die Feststellung des besonderen Inlandsbezugs maßgeblich auf die Anzahl der Abrufe der beanstandeten Website vom Gerichtsstaat aus an?

3. Wenn es für die Bejahung der Zuständigkeit keines besonderen Inlandsbezugs bedarf oder wenn es für die Annahme eines solchen genügt, dass die beanstandeten Informationen objektiv einen Bezug zum Gerichtsstaat in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen im Gerichtsstaat nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Website, tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann, und die Annahme eines besonderen Inlandsbezugs nicht die Feststellung einer Mindestanzahl von Abrufen der beanstandeten Website vom Gerichtsstaat aus voraussetzt:

Ist Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie dahin gehend auszulegen,

dass diesen Bestimmungen ein kollisionsrechtlicher Charakter in dem Sinne beizumessen ist, dass sie auch für den Bereich des Zivilrechts unter Verdrängung der nationalen Kollisionsnormen die alleinige Anwendung des im Herkunftsland geltenden Rechts anordnen,

oder

handelt es sich bei diesen Vorschriften um ein Korrektiv auf materiell-rechtlicher Ebene, durch das das sachlich-rechtliche Ergebnis des nach den nationalen Kollisionsnormen für anwendbar erklärten Rechts inhaltlich modifiziert und auf die Anforderungen des Herkunftslandes reduziert wird?

Für den Fall, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie kollisionsrechtlichen Charakter hat: Ordnen die genannten Bestimmungen lediglich die alleinige Anwendung des im Herkunftsland geltenden Sachrechts oder auch die Anwendung der dort geltenden Kollisionsnormen an mit der Folge, dass ein renvoi des Rechts des Herkunftslands auf das Recht des Bestimmungslands möglich bleibt?

Rechtssache C‑161/10

Der französische Schauspieler Olivier Martinez und sein Vater Robert Martinez rügen vor dem Tribunal de grande instance de Paris, ihr Privatleben und das Recht am eigenen Bild von Olivier Martinez seien dadurch verletzt worden, dass auf der Internetseite „www.sundaymirror.co.uk“ ein in englischer Sprache abgefasster, nach der vorgelegten, nicht beanstandeten französischen Übersetzung mit „Kylie Minogue est de nouveau avec Olivier Martinez“ (Kylie Minogue ist wieder mit Olivier Martinez zusammen) überschriebener Text vom 3. Februar 2008 mit Details zu ihrem Treffen eingestellt worden sei.

Die Klage, die auf Art. 9 des französischen Code civil gestützt wird, nach dem „jeder … das Recht auf Achtung seines Privatlebens [hat]“, richtet sich gegen die Gesellschaft englischen Rechts MGN, die die Website der britischen Zeitung Sunday Mirror betreibt. Diese Gesellschaft macht geltend, das Tribunal de grande instance de Paris sei nicht zuständig, da kein hinreichender Bezug zwischen der streitigen Veröffentlichung im Internet und dem geltend gemachten Schaden im französischen Hoheitsgebiet bestehe, während die Kläger die Auffassung vertreten, ein solcher Bezug sei nicht erforderlich und jedenfalls gegeben.

Das vorlegende Gericht führt aus, bei einem schädigenden Ereignis, das auf einer Verbreitung über das Internet beruhe, könne nur dann angenommen werden, dass es im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingetreten sei, wenn ein hinreichender, wesentlicher oder signifikanter Bezug zu diesem Hoheitsgebiet bestehe.

Die Beantwortung der Frage, ob ein Gericht eines Mitgliedstaats für die Entscheidung über eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten zuständig sei, die im Internet mittels einer von einer Person mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen und im Wesentlichen für die Öffentlichkeit in diesem anderen Staat bestimmten Website begangen worden sei, gehe nicht eindeutig aus dem Wortlaut der Art. 2 und 5 Nr. 3 der Verordnung hervor.

Unter diesen Umständen hat das Tribunal de grande instance de Paris das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Art. 2 und 5 Nr. 3 der Verordnung dahin gehend auszulegen, dass sie dem Gericht eines Mitgliedstaats die Zuständigkeit für die Entscheidung über eine Klage wegen einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten, die möglicherweise durch die Veröffentlichung von Informationen und/oder Fotografien auf einer in einem anderen Mitgliedstaat von einer Gesellschaft mit Sitz in diesem Staat – oder auch in einem anderen Mitgliedstaat, jedenfalls nicht im erstgenannten Mitgliedstaat – betriebenen Internet-Website begangen worden ist, verleihen,

– sei es allein deshalb, weil diese Website vom erstgenannten Staat aus konsultiert werden kann,

– sei es nur dann, wenn zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Gebiet des erstgenannten Staates eine hinreichende, wesentliche oder signifikante Verknüpfung besteht, wobei sich dann die Frage stellt, ob sich diese Verknüpfung ergeben kann aus

– dem Umfang der Aufrufe der streitigen Seite vom erstgenannten Mitgliedstaat aus, absolut oder im Verhältnis zu allen Aufrufen dieser Seite,

– dem Wohnort oder der Staatsangehörigkeit der Person, die eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte rügt, oder allgemein der betroffenen Personen,

– der Sprache, in der die streitige Information verbreitet wird, oder jedem anderen Umstand, der geeignet ist, den Willen des Betreibers der Website zu belegen, sich speziell an die Öffentlichkeit im erstgenannten Staat zu wenden,

– dem Ort, an dem sich der beschriebene Sachverhalt abgespielt hat und/oder an dem die gegebenenfalls veröffentlichten Fotografien aufgenommen worden sind,

– anderen Kriterien?

Mit Beschluss vom 29. Oktober 2010 hat der Präsident des Gerichtshofs gemäß Art. 43 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs die Rechtssachen C‑509/09 und C‑161/10 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden.


Zur Zulässigkeit

Nach Ansicht der italienischen Regierung sind die in der Rechtssache C‑509/09 vorgelegten Fragen mangels Erheblichkeit für das Ausgangsverfahren für unzulässig zu erklären. Die Unterlassungsklage stelle eine gerichtliche Dringlichkeitsmaßnahme dar und setze daher den Gegenwartsbezug des schadensverursachenden Verhaltens voraus. Aus der Darstellung des Sachverhalts ergebe sich jedoch, dass das angeblich schädigende Verhalten zum Zeitpunkt der Erhebung der Unterlassungsklage nicht mehr gegeben gewesen sei, da der Betreiber der Website die streitige Meldung bereits vor Beginn des Verfahrens entfernt habe.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen hat. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (vgl. Urteil vom 17. Februar 2011, TeliaSonera Sverige, C‑52/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Der Gerichtshof kann es nämlich nur dann ablehnen, über das Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts zu befinden, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, insbesondere wenn das Problem hypothetischer Natur ist (vgl. Urteil TeliaSonera Sverige, Randnr. 16).

Es ist aber nicht ersichtlich, dass die Unterlassungsklage im Ausgangsverfahren gegenstandslos geworden wäre, weil der Betreiber der Website die streitige Meldung bereits vor Beginn des Verfahrens zurückgezogen hat. Wie nämlich in Randnr. 18 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hatte die Unterlassungsklage in den beiden unteren Instanzen Erfolg.

Jedenfalls hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Art. 5 Nr. 3 der Verordnung nach seinem Wortlaut nicht voraussetzt, dass der Schaden gegenwärtig vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2002, Henkel, C‑167/00, Slg. 2002, I‑8111, Randnrn. 48 und 49). Daher fällt eine Klage, mit der verhindert werden soll, dass sich ein als rechtswidrig angesehenes Verhalten wiederholt, unter diese Bestimmung.

Das Vorabentscheidungsersuchen ist mithin als zulässig anzusehen.


Zu den Vorlagefragen

Zur Auslegung des Art. 5 Nr. 3 der Verordnung

Mit den ersten beiden Fragen in der Rechtssache C‑509/09 und der einzigen Frage in der Rechtssache C‑161/10, die gemeinsam zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte wissen, wie die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung im Fall der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Inhalte einer Website auszulegen ist.

Zur Beantwortung dieser Fragen ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen der Verordnung nach ständiger Rechtsprechung autonom und unter Berücksichtigung ihrer Systematik und ihrer Zielsetzungen auszulegen sind (vgl. u. a. Urteil vom 16. Juli 2009, Zuid-Chemie, C‑189/08, Slg. 2009, I‑6917, Randnr. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Da zum anderen die Verordnung in den Beziehungen der Mitgliedstaaten das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) ersetzt hat, gilt die Auslegung der Bestimmungen dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof auch für die der Verordnung, soweit die Bestimmungen dieser Gemeinschaftsrechtsakte als gleichbedeutend angesehen werden können (Urteil Zuid-Chemie, Randnr. 18).

Nach ständiger Rechtsprechung beruht die besondere Zuständigkeitsregel, mit der in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung vom Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte am Beklagtenwohnsitz abgewichen wird, darauf, dass zwischen der Streitigkeit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt (vgl. Urteil Zuid-Chemie, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Ferner ist zu beachten, dass die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ sowohl den Ort des ursächlichen Geschehens als auch den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs meint. Diese beiden Orte können unter dem Aspekt der gerichtlichen Zuständigkeit eine signifikante Verknüpfung begründen, da jeder von beiden je nach Lage des Falles für die Beweiserhebung und für die Gestaltung des Prozesses einen besonders sachgerechten Anhaltspunkt liefern kann (Urteil vom 7. März 1995, Shevill u. a., C‑68/93, Slg. 1995, I‑415, Randnrn. 20 und 21).

Zur Anwendung dieser beiden Anknüpfungskriterien bei Klagen auf Ersatz eines immateriellen Schadens, der durch eine ehrverletzende Veröffentlichung verursacht worden sein soll, hat der Gerichtshof entschieden, dass bei Ehrverletzungen durch einen in mehreren Vertragsstaaten verbreiteten Presseartikel der Betroffene eine Schadensersatzklage gegen den Herausgeber sowohl bei den Gerichten des Vertragsstaats, in dem der Herausgeber der ehrverletzenden Veröffentlichung niedergelassen ist, als auch bei den Gerichten jedes Vertragsstaats erheben kann, in dem die Veröffentlichung verbreitet worden ist und in dem das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist; dabei sind die erstgenannten Gerichte für die Entscheidung über den Ersatz sämtlicher durch die Ehrverletzung entstandener Schäden und die letztgenannten Gerichte nur für die Entscheidung über den Ersatz der Schäden zuständig, die in dem Staat des angerufenen Gerichts verursacht worden sind (Urteil Shevill u. a., Randnr. 33).

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof zudem festgestellt, dass zwar die Beschränkung der Zuständigkeit der Gerichte des Verbreitungsstaats auf die im Gerichtsstaat verursachten Schäden Nachteile mit sich bringt, der Kläger jedoch stets die Möglichkeit hat, seinen Anspruch insgesamt entweder bei dem für den Wohnsitz des Beklagten zuständigen Gericht oder bei dem Gericht anhängig zu machen, das für den Ort der Niederlassung des Herausgebers der ehrverletzenden Veröffentlichung zuständig ist (Urteil Shevill u. a., Randnr. 32).

Diese Erwägungen lassen sich, wie der Generalanwalt in Nr. 39 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, auf andere Medien und Kommunikationsmittel übertragen und auf vielfältige in den verschiedenen Rechtsordnungen bekannte Verletzungen von Persönlichkeitsrechten erstrecken, zu denen auch die von den Klägern der Ausgangsverfahren gerügten gehören.

Wie jedoch sowohl die vorlegenden Gerichte als auch die Mehrzahl der Parteien und Beteiligten, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, vortragen, unterscheidet sich die Veröffentlichung von Inhalten auf einer Website von der gebietsabhängigen Verbreitung eines Mediums wie eines Druckerzeugnisses dadurch, dass es grundsätzlich auf die Ubiquität dieser Inhalte abzielt. Die Inhalte können von einer unbestimmten Zahl von Internetnutzern überall auf der Welt unmittelbar abgerufen werden, unabhängig davon, ob es in der Absicht ihres Urhebers lag, dass sie über seinen Sitzmitgliedstaat hinaus abgerufen werden, und ohne dass er Einfluss darauf hätte.

Das Internet schränkt also den Nutzen des Verbreitungskriteriums ein, da die Reichweite der Verbreitung im Internet veröffentlichter Inhalte grundsätzlich weltumspannend ist. Auch ist es nicht immer technisch möglich, diese Verbreitung sicher und zuverlässig für einen konkreten Mitgliedstaat zu quantifizieren und so den ausschließlich in diesem Mitgliedstaat verursachten Schaden zu beziffern.

Die Schwierigkeiten bei der Übertragung des im Urteil Shevill u. a. aufgestellten Kriteriums der Verwirklichung des Schadenserfolgs auf den Bereich des Internets kontrastieren, wie der Generalanwalt in Nr. 56 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, mit der Schwere der Verletzung, die der Inhaber eines Persönlichkeitsrechts erleiden kann, der feststellt, dass ein dieses Recht verletzender Inhalt an jedem Ort der Welt zugänglich ist.

Daher sind die in Randnr. 42 des vorliegenden Urteils angeführten Anknüpfungskriterien dahin gehend anzupassen, dass das Opfer einer mittels des Internets begangenen Verletzung eines Persönlichkeitsrechts nach Maßgabe des Ortes, an dem sich der Erfolg des in der Europäischen Union durch diese Verletzung verursachten Schadens verwirklicht hat, einen Gerichtsstand für den gesamten Schaden in Anspruch nehmen kann. Da die Auswirkungen eines im Internet veröffentlichten Inhalts auf die Persönlichkeitsrechte einer Person am besten von dem Gericht des Ortes beurteilt werden können, an dem das mutmaßliche Opfer den Mittelpunkt seiner Interessen hat, entspricht die Zuweisung der Zuständigkeit an dieses Gericht dem in Randnr. 40 des vorliegenden Urteils angeführten Ziel einer geordneten Rechtspflege.

Der Ort, an dem eine Person den Mittelpunkt ihrer Interessen hat, entspricht im Allgemeinen ihrem gewöhnlichen Aufenthalt. Jedoch kann eine Person den Mittelpunkt ihrer Interessen auch in einem anderen Mitgliedstaat haben, in dem sie sich nicht gewöhnlich aufhält, sofern andere Indizien wie die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit einen besonders engen Bezug zu diesem Staat herstellen können.

Die Zuständigkeit des Gerichts des Ortes, an dem das mutmaßliche Opfer den Mittelpunkt seiner Interessen hat, steht mit dem Ziel der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften im Einklang (vgl. Urteil vom 12. Mai 2011, BVG, C‑144/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 33), und zwar auch hinsichtlich des Beklagten, da der Urheber eines verletzenden Inhalts zu dem Zeitpunkt, zu dem dieser Inhalt im Internet veröffentlicht wird, in der Lage ist, den Mittelpunkt der Interessen der Personen zu erkennen, um die es geht. Daher ermöglicht es das Kriterium des Mittelpunkts der Interessen sowohl dem Kläger, ohne Schwierigkeiten festzustellen, welches Gericht er anrufen kann, als auch dem Beklagten, vorherzusehen, vor welchem Gericht er verklagt werden kann (vgl. Urteil vom 23. April 2009, Falco Privatstiftung und Rabitsch, C‑533/07, Slg. 2009, I‑3327, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Anstelle einer Haftungsklage auf Ersatz des gesamten Schadens sind nach dem im Urteil Shevill u. a. aufgestellten Kriterium der Verwirklichung des Schadenserfolgs ferner die Gerichte jedes Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war. Diese sind nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist.

Daher ist auf die ersten beiden Fragen in der Rechtssache C‑509/09 und auf die einzige Frage in der Rechtssache C‑161/10 zu antworten, dass Art. 5 Nr. 3 der Verordnung dahin auszulegen ist, dass im Fall der Geltendmachung einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Inhalte, die auf einer Website veröffentlicht worden sind, die Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt, die Möglichkeit hat, entweder bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem der Urheber dieser Inhalte niedergelassen ist, oder bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, eine Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens zu erheben. Anstelle einer Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens kann diese Person ihre Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war. Diese sind nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist.

Zur Auslegung des Art. 3 der Richtlinie 2000/31

Mit seiner dritten Frage in der Rechtssache C‑509/09 möchte der Bundesgerichtshof wissen, ob die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie kollisionsrechtlichen Charakter in dem Sinne haben, dass sie auch für den Bereich des Zivilrechts unter Verdrängung der nationalen Kollisionsnormen für die Dienste der Informationsgesellschaft die alleinige Anwendung des im Herkunftsland geltenden Rechts anordnen oder ob es sich bei diesen Bestimmungen um ein Korrektiv des nach den nationalen Kollisionsnormen für anwendbar erklärten Rechts handelt, um dieses gemäß den Anforderungen des Herkunftslands inhaltlich zu modifizieren.

Bei der Prüfung dieser Bestimmungen sind nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden (vgl. Urteile vom 19. September 2000, Deutschland/Kommission, C‑156/98, Slg. 2000, I‑6857, Randnr. 50, vom 7. Dezember 2006, SGAE, C‑306/05, Slg. 2006, I‑11519, Randnr. 34, und vom 7. Oktober 2010, Lassal, C‑162/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 49).

In diesem Sinne ist der verfügende Teil eines Unionsrechtsakts untrennbar mit seiner Begründung verbunden und erforderlichenfalls unter Berücksichtigung der Gründe auszulegen, die zu seinem Erlass geführt haben (Urteile vom 29. April 2004, Italien/Kommission, C‑298/00 P, Slg. 2004, I‑4087, Randnr. 97 und die dort angeführte Rechtsprechung, und Lassal, Randnr. 50).

Die Richtlinie, die auf der Grundlage der Art. 47 Abs. 2 EG, 55 EG und 95 EG erlassen worden ist, soll nach ihrem Art. 1 Abs. 1 einen Beitrag zum einwandfreien Funktionieren des Binnenmarkts leisten, indem sie den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellt. In ihrem fünften Erwägungsgrund werden als rechtliche Hemmnisse für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts in diesem Bereich die Unterschiede der innerstaatlichen Rechtsvorschriften sowie die Rechtsunsicherheit hinsichtlich der auf Dienste der Informationsgesellschaft jeweils anzuwendenden nationalen Regelungen genannt.

Für die meisten Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs zielt die Richtlinie aber nicht auf eine Harmonisierung des Sachrechts ab, sondern definiert einen „koordinierten Bereich“, in dessen Rahmen es die Regelung des Art. 3 nach dem 22. Erwägungsgrund der Richtlinie ermöglichen soll, die Dienste der Informationsgesellschaft grundsätzlich dem Rechtssystem desjenigen Mitgliedstaats zu unterwerfen, in dem der Anbieter niedergelassen ist.

Hierzu ist zum einen festzustellen, dass das Rechtssystem des Sitzmitgliedstaats des Diensteanbieters auch den Bereich des Zivilrechts umfasst, was sich u. a. aus dem 25. Erwägungsgrund der Richtlinie und daraus ergibt, dass der Anhang der Richtlinie die zivilrechtlichen Ansprüche und Pflichten aufführt, auf die die Regelung des Art. 3 keine Anwendung findet. Zum anderen ist dessen Anwendung auf die Verantwortlichkeit der Diensteanbieter in Art. 2 Buchst. h Ziff. i zweiter Gedankenstrich der Richtlinie ausdrücklich vorgesehen.

Aus Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie ergibt sich vor dem Hintergrund der oben dargestellten Bestimmungen und Ziele, dass die in der Richtlinie vorgesehene Regelung die Erfüllung der Anforderungen des im Sitzmitgliedstaat des Diensteanbieters geltenden Sachrechts auch für den Bereich des Zivilrechts vorschreibt. Mangels zwingender Harmonisierungsbestimmungen auf Unionsebene kann nämlich nur die Anerkennung des zwingenden Charakters der nationalen Regelung, der die Anbieter und ihre Dienste nach dem Willen des Gesetzgebers unterworfen sind, die volle Wirksamkeit der Freiheit zur Erbringung dieser Dienste gewährleisten. Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie stützt eine solche Sichtweise, da er die als abschließend anzusehenden Voraussetzungen nennt, unter denen die Mitgliedstaaten von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie abweichen können.

Bei der Auslegung des Art. 3 der Richtlinie ist aber auch deren Art. 1 Abs. 4 zu berücksichtigen, wonach die Richtlinie keine zusätzlichen Regeln im Bereich des internationalen Privatrechts hinsichtlich des anwendbaren Rechts schafft.

Hierzu ist zum einen darauf hinzuweisen, dass eine Auslegung der Binnenmarktregel des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie dahin, dass sie zu einer Anwendung des im Sitzmitgliedstaat geltenden Sachrechts führt, nicht ihre Einordnung als Regel im Bereich des internationalen Privatrechts nach sich zieht. Dieser Absatz verpflichtet die Mitgliedstaaten nämlich in erster Linie dazu, dafür Sorge zu tragen, dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesen Mitgliedstaaten geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen. Die Auferlegung einer solchen Verpflichtung weist nicht die Merkmale einer Kollisionsregel auf, die dazu bestimmt wäre, einen spezifischen Konflikt zwischen mehreren zur Anwendung berufenen Rechtsordnungen zu lösen.

Zum anderen untersagt Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie den Mitgliedstaaten, den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat aus Gründen einzuschränken, die in den koordinierten Bereich fallen. Aus Art. 1 Abs. 4 in Verbindung mit dem 23. Erwägungsgrund der Richtlinie folgt dagegen, dass es den Aufnahmemitgliedstaaten grundsätzlich freisteht, das anwendbare Sachrecht anhand ihres internationalen Privatrechts zu bestimmen, soweit sich daraus keine Einschränkung der Freiheit zur Erbringung von Diensten des elektronischen Geschäftsverkehrs ergibt.

Somit verlangt Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie keine Umsetzung in Form einer speziellen Kollisionsregel.

Allerdings sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie so auszulegen, dass der Koordinierungsansatz des Unionsgesetzgebers den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten tatsächlich sicherstellen kann.

Der Gerichtshof hat hierzu bereits entschieden, dass zwingenden Bestimmungen einer Richtlinie, die für die Verwirklichung der Ziele des Binnenmarkts erforderlich sind, ungeachtet einer abweichenden Rechtswahl zur Anwendung zu verhelfen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. November 2000, Ingmar, C‑381/98, Slg. 2000, I‑9305, Randnr. 25, und vom 23. März 2006, Honyvem Informazioni Commerciali, C‑465/04, Slg. 2006, I‑2879, Randnr. 23).

Zur Regelung des Art. 3 der Richtlinie ist festzustellen, dass die Unterwerfung der Dienste des elektronischen Geschäftsverkehrs unter die Rechtsordnung des Sitzmitgliedstaats ihres Anbieters nach Art. 3 Abs. 1 es nicht ermöglichen würde, den freien Verkehr dieser Dienste umfassend sicherzustellen, wenn die Diensteanbieter im Aufnahmemitgliedstaat letztlich strengere Anforderungen als in ihrem Sitzmitgliedstaat erfüllen müssten.

Daher lässt es Art. 3 der Richtlinie vorbehaltlich der bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 gestatteten Ausnahmen nicht zu, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters geltende Sachrecht vorsieht.

Nach alledem ist auf die dritte Frage in der Rechtssache C‑509/09 zu antworten, dass Art. 3 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er keine Umsetzung in Form einer speziellen Kollisionsregel verlangt. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch vorbehaltlich der bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie gestatteten Ausnahmen im koordinierten Bereich sicherstellen, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters geltende Sachrecht vorsieht.


Kosten

Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

  1. Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass im Fall der Geltendmachung einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Inhalte, die auf einer Website veröffentlicht worden sind, die Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt, die Möglichkeit hat, entweder bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem der Urheber dieser Inhalte niedergelassen ist, oder bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, eine Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens zu erheben. Anstelle einer Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens kann diese Person ihre Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war. Diese sind nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist.

  2. Art. 3 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) ist dahin auszulegen, dass er keine Umsetzung in Form einer speziellen Kollisionsregel verlangt. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch vorbehaltlich der bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2001/31 gestatteten Ausnahmen im koordinierten Bereich sicherstellen, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters geltende Sachrecht vorsieht.

Unterschriften


* Verfahrenssprachen: Deutsch und Französisch.

Rechtsgebiete

Informations- und Telekommunikationsrecht