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Gericht

KG


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

22. 09. 2011


Aktenzeichen

10 U 164/10


Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 5. Oktober 2010 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 27 O 430/10 - geändert:

Die Zwangsvollstreckung aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen des Landgerichts Berlin vom 3. Mai 2010 und 20. Mai 2010 - 27 O 484/09 - wird für unzulässig erklärt.

Der Beklagte wird verurteilt, die genannten Kostenfestsetzungsbeschlüsse an die Klägerin herauszugeben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe


Gründe

(Ohne Tatbestand, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.)

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg. Die Vollstreckungsabwehrklage (§§ 794 Abs. 1 Nr. 2, 795, 767 Abs. 1, 2 ZPO) ist zulässig und begründet, da die Klägerin gegen die in den Kostenfestsetzungsbeschlüssen des Landgerichts vom 3. und 20. Mai 2010 (Anlagen K 1 und K 2) titulierten Forderungen über insgesamt 982,78 € wirksam mit einem Teil der ihr von der … abgetretenen Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Hamburg vom 14. September 2009 (Anlage K 5) aufgerechnet hat. Durch die Aufrechnung sind die Ansprüche erloschen, § 389 BGB. Die Klägerin kann deshalb analog § 371 BGB auch die Herausgabe der Kostenfestsetzungsbeschlüsse verlangen (vgl. Beck'scher Online-Kommentar, § 767 ZPO, RNr. 73).

1. Die abgetretene Forderung der … bestand nach der vom Beklagten am 2. November 2009 erklärten Aufrechnung (Anlage B 9) noch in Höhe von 1.515,69 €.

a) Der Beklagte hat wirksam mit einem prozessualen Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 510,00 € (hälftige Gerichtskosten 1. Instanz aus dem Rechtsstreit Landgericht Hamburg - 324 O 450/07) aufgerechnet. Mit dem Kostenerstattungsanspruch kann aufgerechnet werden, sobald die Kostengrundentscheidung ergangen ist. Nicht erforderlich ist, dass die Kosten bereits festgesetzt wurden und die Kostenentscheidung rechtskräftig ist. Allerdings setzt die Aufrechenbarkeit voraus, dass die Erstattungsforderung unstreitig ist (Musielak, ZPO, 7. Aufl., Vorbem. zu § 91 - § 107 RNr. 14). Das ist der Fall. Die Klägerin bestreitet nicht das Bestehen der Forderung, sondern macht nur geltend, dass sie im Kostenfestsetzungsverfahren festgesetzt werden müsse.

b) Der Beklagte hat weiter wirksam mit einer Restforderung von 866,32 € auf Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten aufgerechnet (Veröffentlichung in der "…" Nr. …). Dem Beklagten stand gemäß §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 249 BGB ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 1.641,96 € zu (1,3-Geschäftsgebühr, Wert: 50.000 €), auf den unstreitig 775,64 € bezahlt worden sind; die Differenz beträgt 866,32 €.

c) Danach ist wie folgt abzurechnen:

Forderung der … 6.188,66 €
Zahlung - 3.296,65 €
Aufrechnung des Beklagten (866,32 € + 510,00 €) - 1.376.32 €
Differenz 1.515.69 €

2. Die Aufrechnung der Klägerin ist nicht gemäß § 393 BGB unzulässig. Zwar umfasst das Aufrechnungsverbot des § 393 ZPO auch Kostenerstattungsansprüche aus einem Unterlassungsurteil, sofern dieses Urteil auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Verurteilten beruht (OLG Köln, NJW-RR 1990, 829; Staudinger, Neubearb. 2006, § 393 BGB RNr. 22). Die Klägerin hat durch die in dem Rechtsstreit 10 U 89/09 beanstandete und untersagte Textberichterstattung jedoch keine vorsätzliche unerlaubte Handlung begangen.

Gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ist die Aufrechnung nicht zulässig, § 393 ZPO. Die Vorschrift verlangt Vorsatz im zivilrechtlichen Sinn, also Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolgs bei Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. Bedingter Vorsatz genügt. Auch ein unentschuldigter Verbotsirrtum des Deliktstäters führt dazu, dass das Aufrechnungsverbot nicht eingreift. Die Beweislast für das Vorliegen einer vorsätzlichen Handlung trägt der Aufrechnungsgegner (vgl. Staudinger, a.a.O., RNrn. 7, 32).

Der Senat kann nicht feststellen, dass die Klägerin den Beitrag im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit veröffentlicht hat. Der BGH hat in neueren Entscheidungen betont (vgl. etwa NJW 2011, 744), dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht schon davor Schutz bietet, überhaupt in einem Bericht individualisierend benannt zu werden. Ein Schutz besteht nur in spezifischen Hinsichten. Dabei kommt es vor allem auf den Inhalt der Berichterstattung an. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt insoweit vor einer Beeinträchtigung der Privat- oder Intimsphäre, vor herabsetzenden, vor allem ehrverletzenden Äußerungen oder davor, dass einem Betroffenen Äußerungen unterschoben werden, die er nicht getan hat. Ein von dem Kommunikationsinhalt unabhängiger Schutz ist im Bereich der Textberichterstattung aber nur unter dem Gesichtspunkt des Rechts am gesprochenen Wort anerkannt, das die Selbstbestimmung über die unmittelbare Zugänglichkeit der Kommunikation - etwa über die Herstellung einer Tonbandaufnahme oder die Zulassung eines Dritten zu einem Gespräch - garantiert. Damit lässt sich die in dem Hinweis des Senats vom 8. Februar 2010 in dem Rechtsstreit 10 U 89/09 gegebene Begründung nicht vereinbaren. Auf das Vorliegen eines zeitgeschichtlichen Ereignisses (§ 23 KUG) kommt es für die Wortberichterstattung nicht an.

Die Berichterstattung über die Abwesenheit des hiesigen Beklagten beim Rosenball ist der Sozialsphäre zuordnen. Soweit über die Gründe dafür berichtet worden ist (Tod des Vaters der Freundin), ist die Privatsphäre betroffen. Die Frage der Rechtmäßigkeit der Berichterstattung ist aufgrund einer Abwägung der gegenläufigen Grundrechtspositionen zu entscheiden. Dass der Klägerin bewusst war, dass die Berichterstattung aufgrund der vorzunehmenden Abwägung als rechtswidrig einzustufen ist, kann - insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen in dem Rechtsstreit 10 89/09 - nicht festgestellt werden (Abwesenheit des an 3. Stelle stehenden Antragstellers bei einer "Pflichtveranstaltung" des Fürstentums und Mitteilung der Verhinderungsgründe). Damit steht nicht fest, dass das Aufrechnungsverbot greift.

3. Die Nebenentscheidungen folgen §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.


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