Abwälzung der nichtwinterlichen Reinigungspflichten von der Gemeinde auf die Anlieger

Gericht

BayVGH


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

08. 02. 2011


Aktenzeichen

8 ZB 10.1541


Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1- 7 ...

8 II. Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

9 Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt (§ 124 Abs. 2 VwGO, § 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).

10 1. Der Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nicht ausreichend dargetan.

11 Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache dann auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet (BayVGH vom 18. 1. 2011 Az. 8 ZB 10.2239, juris; ThürOVG vom 17.8. 2000, NVwZ 2001, 448; Kopp/Schenke; VwGO, 16. Aufl. 2010, RdNr. 9 zu § 124), sich also wegen seiner Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (vgl. Berkemann, DVBl. 1998, 446/456). Für die Darlegung der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten genügt dabei nicht die allgemeine Behauptung eines überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrads. Vielmehr ist erforderlich, dass der Kläger sich mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil substanziell auseinandersetzt und im Einzelnen darlegt, hinsichtlich welcher aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung auftretenden Fragen sich besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten ergeben sollen (Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, RdNrn. 209 ff. zu § 124 a; Happ, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 124 a RdNrn. 68 ff.).

12 Diesen Anforderungen genügt die pauschale Behauptung des Klägers, das Erstgericht habe sich nicht ausreichend mit dem in der Verordnung vom 7.9.2009 normierten Befreiungstatbestand sowie der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. 4. 2007 auseinandergesetzt, nicht. Es wird weder dargelegt, warum der Fall überdurchschnittliche Schwierigkeiten macht, noch wird ausgeführt, dass der Sachverhalt schwer zu überschauen oder zu ermitteln ist und dass die Hintergründe des Falles und die Auswirkungen der Entscheidung nicht leicht zu erfassen sind (Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Mai 2010, RdNr; 101 zu § 124 a).

13 2. Die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist ebenso wenig in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt.

14 Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache verlangt, dass eine bestimmte, höchstrichterlich noch nicht geklärte und für das Berufungsverfahren erhebliche Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und angegeben wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich ist. Ferner muss dargelegt werden, warum ein Allgemeininteresse an der Klärung der Rechts- oder Tatsachenfrage besteht, warum sie also über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist und ein Allgemeininteresse an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts vorhanden ist (vgl. BVerwG vom 19. 8. 1997, BayVBl. 1998, 507 = NJW 1997, 3328; vom 30. 6. 2006 5 B 99.05, juris; vom 1. 7. 2009, Buchholz 450.1 § 22 a WBO Nr. 1; Meyer-Ladewig/Rudisile, a.a.O., RdNr. 104 zu § 124 a). Nicht ausreichend ist eine nur formelhafte Begründung. Auch die pauschale Behauptung, das Verwaltungsgericht habe falsch entschieden, reicht nicht aus (Happ, in: Eyermann, a.a.O., § 124 a RdNr. 72).

15 Vorliegend bemängelt der Kläger lediglich, dass die auf ihn abgewälzten Reinigungs- und Sicherungspflichten ihn in seinen Grundrechten verletzen würden. Auch müsse in der Abwälzung ein Verstoß gegen das Zwangs- oder Pflichtarbeitsverbot des Art. 4 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gesehen werden. Unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze genügt dieser Vortrag den in § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO normierten Anforderungen offensichtlich nicht. Denn damit wird weder eine klärungsbedürftige Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen noch wird dargelegt, warum ein Allgemeininteresse an der Klärung besteht. Insbesondere fehlt es auch an einer Durchdringung der behaupteten Rechtsfragen in Auseinandersetzung mit der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung, namentlich mit der Grundsatzentscheidung des Senats vom 4. 4. 2007 (BayVBl. 2007, 558 ff.).

16 3. Einer Entscheidung, ob der Zulassungsantrag auch in der Sache Erfolg gehabt hätte, bedurfte es daher wegen der formellen Mängel des Antrags nicht.

17 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in der obergerichtlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt ist, dass die Abwälzung gemeindlicher Reinigungs-, Räum- und Streupflichten auf die Anlieger gemäß Art. 51 Abs. 4 und 5 BayStrWG verfassungsgemäß ist (vgl. BayVerfGH vom 28.3. 1977, BayVBl. 1977, 369; vom 29. 4. 1983, BayVBl. 1983, 494; BVerwG vom 5. 8. 1965, BVerwGE 22, 26 ff.; BayVGH vom 13.7. 1989, BayVBl. 1989, 563 f.; vom 4. 4. 2007, BayVBl. 2007, 558/560). Zwar werden hierdurch Grundrechtspositionen von Anliegern aus dem Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG, Art.103 Abs. 1 BV), dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV) und der Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 101 BV) berührt. Der Eingriff in diese Rechtspositionen erfolgt jedoch grundsätzlich nicht unverhältnismäßig oder sonst unzulässig, denn der Straßenanlieger profitiert im besonderen Maße davon, dass ein Grundstück durch eine Straße erschlossen wird. Der dahinter stehende Gedanke der Vorteilsausgleichung rechtfertigt es, ihm nicht nur Geldleistungspflichten etwa in Gestalt von Erschließungs- und Straßenausbaubeiträgen für den Bau und die Unterhaltung von Straßen aufzuerlegen, sondern ihn auch zur Reinigung des vor seinem Grundstück gelegenen Straßenabschnitts heranzuziehen, damit auf diese Weise - auch in seinem Interesse - die Sicherheit und Leichtigkeit des auf der Straße stattfindenden Verkehrs gewährleistet ist (BayVGH vom 4. 4. 2007, BayVBl. 2007, 558/560). Die Heranziehung zu diesen Reinigungspflichten beruht auf einer unbedenklichen Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums(Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG)unter Berücksichtigung der Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG; BayVGH vom 4. 4. 2007, BayVBl. 2007, 558/560). Zwar wird nach der Eigentumsordnung des Grundgesetzes das privatnützige Eigentum ausdrücklich gewährleistet (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG). Hierbei handelt es sich aber nicht um eine schrankenlose Gewährleistung, die dem Grundstückseigentümer gestattet, ohne irgendwelche Verpflichtungen nach Belieben mit seinem Eigentum zu verfahren. Vielmehr unterliegt das unter Geltung des Grundgesetzes gewährleistete Privateigentum insoweit Beschränkungen, als es nach Art. 14 Abs. 2 GG zum Wohl der Allgemeinheit auch mit Pflichten verbunden ist. Daher können dem Straßenanlieger zum Ausgleich für die ihm durch die Straßenanbindung zuwachsenden Vorteile im Interesse Aller Pflichten in Gestalt von Straßenreinigungspflichten auferlegt werden. Die Heranziehung der Straßenanlieger zur Straßenreinigung ist aber auch mit dem persönlichen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) zu vereinbaren, denn sie braucht von den betroffenen Grundstückseigentümern schon wegen Art. 12 Abs. 2 GG nicht persönlich erfüllt zu werden. Vielmehr können sie sich hierzu Dritter wie beispielsweise Reinigungsfirmen bedienen (vgl. BVerwG vom 5. 8. 1965, BVerwGE 22, 26 ff.; vom 11. 3. 1984, NJW 1988, 2121/2122; BayVGH vom 4. 4. 2007, BayVBl. 2007, 558/560).

18 Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt damit die Abwälzung der gemeindlichen Reinigungs-, Räum- und Streupflicht auch nicht gegen Art. 12 Abs. 2 GG oder gar gegen die von ihm zitierte Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 4 Abs. 2 EMRK). Nach Art. 12 Abs. 2 GG darf niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. Von einem Arbeitszwang gegenüber den Grundstückseigentümern kann vorliegend jedoch keine Rede sein; denn die auferlegten Reinigungs-, Räum- und Streupflichten verlangen von dem Anlieger nicht, dass er seine Verpflichtung durch persönliche Arbeitsleistung erfüllt, sondern übertragen ihm nur die Verantwortlichkeit für den ordnungsgemäßen Zustand an der Sache. Es steht ihm daher frei, seiner Verpflichtung dadurch nachzukommen, dass er die erforderlichen Arbeiten durch einen Hauswart oder eine Reinigungsfirma ausführen lässt. Entscheidend für die infrage stehende öffentlich-rechtliche Pflicht ist somit der Erfolg, nicht dagegen die persönliche Dienstleistung des Pflichtigen (vgl. BayVGH vom 4. 4. 2007, BayVBl. 2007, 558/560).

19 Für die Übertragung der Reinigungs- und Sicherungspflicht auf die Straßenanlieger bestehen jedoch Grenzen. Dem Anlieger dürfen die auferlegten Leistungen nicht unzumutbar sein (vgl. BayVGH vom 4. 4. 2007, BayVBl. 2007, 558/560). Die Gemeinde hat demgemäß, will sie den Straßenanliegern Reinigungs- und Sicherungspflichten auferlegen, sowohl generalisierend bei dem Erlass der einschlägigen Verordnung wie auch im Einzelfall bei der Erteilung von Befreiungen wegen unbilliger Härte, sorgfältig zu prüfen, bei welchen Straßen dies nach den örtlichen Gegebenheiten, insbesondere nach dem auf der jeweiligen Straße üblicherweise herrschenden Straßenverkehr, und in welchem Maß dies zumutbar ist.

20 In der bereits zitierten Grundsatzentscheidung vom 4. 4. 2007 (BayVBl. 2007, 558 ff.) hat der Senat hierzu ausgeführt, dass die Auferlegung von Reinigungs- und Sicherungspflichten nicht über das hinausgehen darf, was einem Anlieger persönlich, insbesondere im Hinblick auf den Schutz von Leben und Gesundheit, aber auch im Hinblick auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit billigerweise zugemutet werden kann. Die Unzumutbarkeit kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben wie beispielsweise aus der zeitlichen und örtlichen Ausdehnung der Reinigungspflichten. Schließlich kann auch die Struktur der Straße und die Leistbarkeit der Pflichten z. B. in besonders schneereichen Gebieten dazu führen, dass die Auferlegung der Reinigungs- und Sicherungspflicht eine unverhältnismäßige, mit dem Sinn und Zweck der Heranziehung der Anlieger nicht mehr vereinbare Belastung darstellt. Daher ist eine Regelung in der Straßenreinigungs- und Sicherungsverordnung, die vom Anlieger die Reinigung der zuzuordnenden Straßenfläche jeweils wiederkehrend innerhalb eines bestimmten Zeitraums verlangt, von der Ermächtigungsnorm des Art. 51 Abs. 4 BayStrWG nicht gedeckt, Unter Berücksichtigung von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG sieht diese Norm das Eingreifen der Reinigungspflicht nämlich nur dann vor, wenn die Reinigung "dringend erforderlich" ist. Bei den Tatbeständen des Art. 51 Abs. 1, 4 und 5 BayStrWG handelt es sich um sicherheitsrechtliche Sachverhalte. Die Gemeinde darf dabei von den Anliegern nicht mehr verlangen, als sie nach Art. 51 Abs. 1 BayStrWG ohne Abwälzung selbst erbringen müsste. Daher markiert das Tatbestandsmerkmal "dringend erforderlich" allgemein die Schwelle der Gefahrenabwehr in Art. 51 Abs. 1, 4 und 5 BayStrWG (vgl. BayVGH vom 4. 4.2007, BayVBl. 2007, 558/562). Weiterhin ist eine zumutbare Beseitigungspflicht allein auf solche Abfälle zu beschränken, die in zulässiger Weise in Hausmülltonnen und Wertstoffcontainern entsorgt werden dürfen. Für Sonderabfälle und Fäkalien hingegen besteht grundsätzlich keine Reinigungs- und Beseitigungspflicht, da der Anlieger sonst besondere, ihm jedoch nicht zumutbare Anstrengungen unternehmen müsste, um diese Gegenstände in geeigneter Weise zu entsorgen. Anderes gilt nur bei Ausübung des Anschluss- und Benutzungszwangs an eine gemeindliche Straßeneinrichtung.

21 Ob indes § 5 der Verordnung der Beklagten diesen Anforderungen gerecht wird, erscheint äußerst zweifelhaft, zumal nach § 5 Abs. 1 der Verordnung - im Gegensatz zu den oben genannten Grundsätzen - dem Anlieger die prinzipielle Verpflichtung auferlegt wird, die Reinigungsfläche "in der Regel aber einmal pro Kalendermonat zu reinigen". Auch § 5 Abs. 3 der Verordnung, wonach die Anlieger verpflichtet sind, den gesamten Straßenkehricht, der über vorhandene Tonnen bzw. über Wertstoffsammelsysteme entsorgt werden kann, zu entfernen, lässt sich kaum mit der oben genannten Rechtsprechung des Senats vereinbaren; denn die Regelung differenziert nicht ausreichend zwischen zumutbaren und unzumutbaren Beseitigungspflichten, was jedoch nicht zuletzt auch im Interesse einer für den Bürger klaren und übersichtlichen Handhabbarkeit geboten erscheint (vgl. BayVGH vom 4. 4. 2007, BayVBl. 2007, 558/561 f.).

22 Aufgrund der oben angesprochenen fehlenden hinreichenden Darlegung von Zulassungsgründen bedürfen beide Fragen jedoch keiner eingehenderen Erörterung.

Rechtsgebiete

Schnee und Glatteis