Arbeitgeber muss seinem Betriebsrat bzgl. Leiharbeitnehmer Einsicht in die Arbeitnehmerüberlassungsverträge gewähren

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

06. 06. 1978


Aktenzeichen

1 ABR 66/75


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

I. Die Antragsgegnerin beschäftigt in ihrem Betrieb in Kassel bei Bedarf Arbeitnehmer der Firma "P.-Service, Gesellschaft zur Überlassung von Personal für Aushilfsdienst und Teilzeitarbeit mbH", die ihre Hauptverwaltung in Hagen hat und in Kassel ein Büro unterhält. Diese Firma schließt auch mit der Antragsgegnerin Arbeitnehmer-Überlassungsverträge nach dem bei ihr allgemein üblichen und den Verfahrensbeteiligten bekannten Formular ab, das den Auftrag bestätigt, den Einsatzort und die Auftragsdauer nennt sowie die Berechnungen für Arbeitszeit (nach Stunden), Fahrzeit, Auslösung, Fahrgeld, festhält. Der einzelne Leiharbeitnehmer hat seinerseits mit dem Verleihunternehmen - seinem Arbeitgeber - einen schriftl. Formular-Anstellungsvertrag, dessen Muster den Verfahrensbeteiligten ebenfalls bekannt ist.

Zwischen den Verfahrensbeteiligten besteht Streit darüber, welche Unterlagen die Antragsgegnerin vor der beabsichtigten Einstellung eines Leiharbeitnehmers dem Betriebsrat vorzulegen hat und ob dazu insbesondere auch die Arbeitnehmer-Überlassungsverträge zwischen der Antragsgegnerin und der Verleiherin gehören.

Auf Antrag des ASt. (Betriebsrat) hat das ArbG die Antragsgegnerin für verpflichtet erklärt, vor der Übernahme eines Leiharbeitnehmers in ihren Arbeitsprozeß die Zustimmung des Betriebsrates einzuholen und diesem die gemäß § 99 BetrVG erforderl. Unterlagen vorzulegen. Die Anträge bezügl. der Bekanntgabe des Bruttoentgeltes und der einzelvertragl. Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer sowie bezügl. des Einblicksrechtes in die mit den Verleihunternehmen geschlossenen Arbeitnehmer-Überlassungsverträge hat es zurückgewiesen.

In seiner Beschwerde vertritt der ASt. (Betriebsrat) die Auffassung, er müsse zur Wahrnehmung seiner sich aus §§ 75, 80 Abs. 1 BetrVG ergebenden Aufgaben vor der Einstellung eines Leiharbeitnehmers die Angaben zur Person, seine berufl. Qualifikation, den beabsichtigten Einsatz und die Dauer, aber auch die materiellen Arbeitsbedingungen des Leiharbeitnehmers kennen. Diese ergäben sich teilweise aus den einzelnen Arbeitnehmer-Überlassungsverträgen; die Einsichtnahme in diese sei im Rahmen der ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrates erforderl.

Der ASt. hat deshalb (in der Beschwerdeinstanz) beantragt, festzustellen, daß die Antragsgegnerin verpflichtet ist, dem ASt, die vertragl. Arbeitsbedingungen der bei ihr beschäftigten Leiharbeitnehmer mitzuteilen und Einsicht in die mit den Verleihfirmen geschlossenen Verträge zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie wendet eine nicht Arbeitgeber der Leiharbeitnehmer zu sein. Die Arbeitnehmer-Überlassungsverträge, die sie mit dem Verleihunternehmen abschließe, gäben für die arbeitsrechtl. Stellung des Leiharbeitnehmers nichts her. Im übrigen würde die Einsichtnahme des Betriebsrates in diese Verträge einen Eingriff in die Rechte des Verleihunternehmens bedeuten.

Das LAG hat die Beschwerde des ASt. zurückgewiesen und zur Begründung seiner Entscheidung u.a. ausgeführt: Die bei der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern zwangsläufige Aufspaltung der Arbeitgeberfunktion zwischen dem Verleihunternehmen und dem Beschäftigungsbetrieb ergebe auch eine dementsprechende Aufspaltung der betriebsverfassungsrechtl. Zuständigkeiten der Betriebsräte des Entleiherbetriebes und des Verleiherbetriebes. So habe der Beschäftigungsbetrieb die Verpflichtung, seinem Betriebsrat die erforderl. Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Daß der Arbeitgeber dazu nicht oder nicht immer in der Lage sei, berühre den gesetzl. Anspruch des Betriebsrates selbst nicht, sondern schränke ledigl. seine praktische Durchführung eine Was die hier noch offenen Streitfragen betreffe, so sei das Auskunftsbegehren des ASt. über die allgemeinen materiellen Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer mit dem Verleih-Unternehmen erledigt; das gebräuchl. Formular sei im Verfahren vorgelegt worden, und der Betriebsrat kenne somit seinen Inhalt. Sofern die Antragsgegnerin die Dienste eines anderen Verleihunternehmens in Anspruch nehmen sollte, gebe es um die Bekanntgabe des Wortlautes des Formulars nach den Erklärungen der Antragsgegnerin ebenfalls keinen Streit. Das sei aber der Kern des Konflikts. Darüber hinaus überschreite das Auskunftsverlangen des ASt. das tatsächl. und rechtliche Vermögen der Antragsgegnerin Den sonstigen Inhalt der materiellen Arbeitsbedingungen des im Einzelfall "entliehenen" Arbeitnehmer könne die Antragsgegnerin dem ASt. aus tatsächl. Gründen nicht mitteilen, weil es sich insoweit um Vertragsbeziehungen des Leiharbeitnehmers mit dem Verleihunternehmen handele. Für die Überwachung der Einhaltung etwaiger Tarifbestimmungen und sonstiger Normen sowie des Gleichbehandlungsgrundsatzes sei der Betriebsrat des Verleihunternehmens zuständig. Die Einsichtnahme in die Arbeitnehmer-Überlassungsverträge zwischen dem Verleihunternehmen und der Antragsgegnerin brauche letztere aus Rechtsgründen nicht zu gestatten. In diesen Vereinbarungen werde nichts festgelegt, was für die betriebsverfassungsrechtl. Stellung der Leiharbeitnehmer in dem entleihenden Betrieb von Bedeutung wäre. Was die Einsichtsrechte gemäß § 80 Abs. 2 und § 99 Abs. 1 BetrVG betreffe, sei weiter zu bedenken, daß die Entgelte Zahlungen eines anderen Unternehmens seien, für die der Betriebsrat des jeweiligen Beschäftigungsbetriebes - hier also der ASt. - keine Zuständigkeit habe. Ein mögliches Informationsrecht des Wirtschaftsausschusses stehe hier nicht zur Entscheidung.

Die Rechtsbeschwerde des ASt. hatte zum Teil Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. 1. Begründet ist das Rechtsmittel, soweit der ASt. "Einsicht in die mit den Verleihfirmen geschlossenen Verträge" das sind in erster Linie die nach § 12 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) abgeschlossenen Verträge, verlangt.

a) In dem zum Abdruck in der Amtl. Sammlung des Gerichts bestimmten Beschluß vom 14. 5. 1974 - 1 ABR 40/73 - (AP Nr. 2 zu § 99 BetrVG 1972) hat der Senat entschieden, daß die Leiharbeitnehmer i.S. des AÜG betriebsverfassungsrechtl. sowohl dem Verleiherbetrieb als auch dem Entleiherbetrieb angehören. Auch hat der Arbeitgeber des Entleiherbetriebes gegenüber den Leiharbeitnehmern in verschiedener Hinsicht eine zumindest faktische Arbeitgeberstellung (vgl. BAG a.a.O.; wird dort näher ausgeführt). Deshalb besteht u.a. ein legitimes Interesse des Betriebsrates des Entleiherbetriebes, auch bei der Einstellung dieser Arbeitnehmer beteiligt zu werden. Der Senat hat in seinem Beschluß vom 14. 5. 1974 (AP Nr. 2 zu § 99 BetrVG 1972) - ohne daß es dort tragend geworden ist - aber auch ausgeführt, daß sich aus den Besonderheiten des Leiharbeitsverhältnisses tatsächl. Einschränkungen für den Umfang der Unterrichtungspflichten des Entleihers nach § 99 Abs. 1 BetrVG und hinsichtl. der möglichen Zustimmungsverweigerungsgründe des Betriebsrates nach § 99 Abs. 2 BetrVG ergeben mögen. Daran ist festzuhalten.

b) Wenn allerdings das LAG in dem angefochtenen Beschluß die Auffassung vertritt, die Antragsgegnerin brauche die Einsichtnahme in die Arbeitnehmer-Überlassungsverträge nicht zu gestatten, weil in diesen Vereinbarungen nichts festgelegt sei, was für die betriebsverfassungsrechtl. Stellung des Leiharbeitnehmers in dem entleihenden Betrieb von Bedeutung wäre, so wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen diese ohne nähere Begründung erfolgte rechtliche Wertung des Beschwerdegerichts zu Recht. So hat der Senat bereits in seinem Beschluß vom 6. 4. 1973 - 1 ABR 13/72 - AP Nr. 1 zu § 99 BetrVG 1972 - die Auffassung vertreten, daß schon im Interesse der Rechtssicherheit das Auskunftsrecht des Betriebsrates nach § 99 Abs. 1 BetrVG nicht unter vorrangiger und vorweggenommener Prüfung der Gründe des § 99 Abs. 2 BetrVG beschränkt werden könne und die Auskunftsrechte nach § 99 Abs. 1 BetrVG Bedeutung im Hinblick auf die allgemeinen Aufgaben des Betriebsrates hätten. Die Erwägung des LAG, in den Arbeitnehmer-Überlassungsvereinbarungen sei nichts festgelegt, was für die betriebsverfassungsrechtl. Stellung des Leiharbeitnehmers im Entleiherbetrieb von Bedeutung wäre, ist aber gerade - wenn auch in anderer Fallgestaltung - eine derart vorweggenommene Prüfung möglicher Zustimmungsverweigerungsrechte des Betriebsrates. Sie geht im übrigen notwendig von der unrichtigen Voraussetzung aus, es komme bei der Beurteilung der Begründetheit des erhobenen Anspruchs (nur) auf die künftige betriebsverfassungsrechtl. Stellung des Leiharbeitnehmers im Entleiherbetrieb an. Wie aber der Senat schon im Beschluß vom 14. 5. 1974 (AP Nr. 2 zu § 99 BetrVG 1972 [unter II 4 der Gründe]) hervorgehoben hat, obliegt dem Betriebsrat im Rahmen des § 99 BetrVG bei Einstellungen auch die Wahrung der kollektiven Interessen der im Betrieb schon vorhandenen Arbeitnehmer. Die Wahrnehmung gerade dieser Aufgabe bedingt zwingend die Kenntnis der näheren Bedingungen aus der Arbeitnehmerüberlassung, soweit diese dem Arbeitgeber des Entleiherbetriebes selbst bekannt sind. Schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers (Entleihers), seinem Betriebsrat die einzelnen Bedingungen der Arbeitnehmer-Überlassungsverträge nicht offenzulegen, sind nicht ersichtl. Der Entleiher ist - anders als im Falle der Anstellungsverträge der Leiharbeitnehmer - Vertragspartner dieser Vereinbarungen; er kann somit tatsächl. und rechtl. dem Verlangen des Betriebsrates entsprechen. Gründe für eine vertrauliche Behandlung (als Vertragspflicht gegenüber dem Verleiher) sind weder vorgetragen noch ersichtl.; ob sie gegenüber den Rechten des Betriebsrates aus § 99 BetrVG überhaupt Beachtung finden könnten, ist hier nicht zu entscheiden.

2. Mit dem LAG teilt der Senat dagegen die Auffassung, daß dem Verlangen des Betriebsrates des Entleiherbetriebes, ihm die vertragl. Arbeitsbedingungen der bei der Antragsgegnerin beschäftigten Leiharbeitnehmer mitzuteilen, durch die Überlassung der - nicht ausgefüllten - Formularverträge Genüge getan ist. Was das weitere Verlangen angeht, so erwägt das LAG zu Recht, daß dieses über das tatsächl. und rechtl. Vermögen der Antragsgegnerin hinausgeht. Der Inhalt der materiellen Arbeitsbedingungen betrifft im Einzelfall ausschließl. die Vertragsbeziehungen des Leiharbeitnehmers mit seinem Arbeitgeber., dem Verleiher. Für die Überwachungen im Rahmen des § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist deshalb für diese Arbeitnehmer der beim Verleihunternehmen gebildete Betriebsrat und nicht der ASt. zuständig. Im übrigen hat die Antragsgegnerin als Entleiherin selbst nicht einmal Anspruch darauf, die Vertragsgestaltung zwischen Arbeitnehmer und Verleiher im einzelnen zu kennen. Die Rechtsbeschwerde meint zwar unter Hinweis auf den Beschluß des Senats vom 1. 10. 1974 - 1 ABR 77/73 - AP Nr. 1 zu § 106 BetrVG 1972 -, die Antragsgegnerin müsse sich vor Vertragsschluß mit dem Verleiher entsprechend absichern, daß sie ihre Verpflichtungen gegenüber ihrem Betriebsrat erfüllen könne. Abgesehen davon, daß sich für ein solches Verlangen keine rechtl. Grundlage findet, erscheinen dazu folgende Überlegungen angebracht:

a) Das BetrVG insgesamt, und die Bestimmungen der §§ 75, 80 und 99 BetrVG im besonderen, dienen dem Arbeitnehmerschutz. Auch in den §§ 11 und 12 AÜG finden sich Bestimmungen, die geeignet sind, einem ähnl. Schutzbedürfnis Rechnung zu tragen. Danach bedürfen sowohl die Verträge zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer als auch die zwischen Verleiher und Entleiher der Schriftform. Darüber hinaus verlangt § 11 Abs. 1 AÜG konkrete Aufnahme der verschiedensten Daten in diese Vertragsurkunde. Die Nichtbeachtung dieser Vorschrift ist gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 8 AÜG eine Ordnungswidrigkeit. Durch die strengere Regelung und Überwachung im Rahmen des AÜG ist damit auf andere Weise sichergestellt, die Schutzfunktionen, die sonst möglicherweise nur aus dem BetrVG ableitbar sind, anders, aber doch gleichwertig zu gewährleisten. Damit ist der Einwand der Rechtsbeschwerde ausgeräumt, die Erwägungen des LAG würden die soziale Schutzfunktion des Betriebsverfassungsrechtes verkennen.

b) Dem Betriebsrat des Entleiherbetriebes kommt für die Leiharbeitnehmer, soweit deren Vertragsrechte gegenüber dem Verleiher, also ihrem Arbeitgeber angesprochen sind (nur um diese geht es in diesem Zusammenhang), auch keine "Auffangzuständigkeit" zu. Zwar kann nach § 10 Abs. 1 AÜG unter der dort genannten Voraussetzung auch zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer ausnahmsweise ein Arbeitsverhältnis zustandekommen, doch bestimmen sich dann Inhalt und Dauer dieses Arbeitsverhältnis nach den für den Betrieb des Entleihers geltenden Vorschriften und sonstigen Regelungen (§ 10 Abs. 1 Satz 4 AÜG). Für den Betriebsrat des Entleiherbetriebes ist deshalb die Kenntnis der Anstellungsbedingungen des Leiharbeitnehmers zum Verleiher auch unter diesem Gesichtspunkt unnötig.

c) Schließl. sind Verleiher und Entleiher Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt, eine Tatsache, der z.B. auch das in § 9 Nr. 5 AÜG enthaltene Verbot deutlich Rechnung trägt. Schon deshalb, aber auch aus den vorerörterten Gründen, ist die Forderung der Rechtsbeschwerde, der Entleiher müsse durch Vereinbarungen mit dem Verleiher Vorsorge treffen, daß er von den Anstellungsverträgen Kenntnis erhält und diese seinem Betriebsrat offenlegen darf, weder realistisch noch rechtlich zu begründen.

Deshalb gehören zu den "erforderl. Unterlagen", die dem Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. BetrVG vorzulegen sind, zwar die Arbeitnehmer-Überlassungsverträge (§ 12 AÜG), nicht jedoch die Arbeitsverträge (Anstellungsverträge) i.S. des § 11 AÜG.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht