Beteiligung des Betriebsrats bei Einsatz von Leiharbeitnehmern

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

14. 05. 1974


Aktenzeichen

1 ABR 40/73


Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der antragstellende Betriebsrat und die Antragsgegnerin streiten darüber, ob der Einsatz von Leiharbeitnehmern der Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG 1972 bedarf.

… II. 2. Es handelt sich hier um Leiharbeitsverhältnisse im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). Die Verleiherfirma hatte eine Erlaubnis gemäß § 1 AÜG. Die Überlassung der Arbeitnehmer an die Antragsgegnerin erfolgte auch nicht für einen längeren Zeitraum als drei Monate (§ 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG). Das AÜG geht davon aus, daß der Leiharbeitnehmer echter Arbeitnehmer des Verleihers, auch im Sinne des Betriebsverfassungsrechts, ist und damit wahlberechtigt und wählbar im Verleiherbetrieb (Ausschußbericht zum AÜG, BT-Drucks. VI/3505 Seite 4; Franssen-Haesen, AÜG, Einleitung Anm. 35; Sandmann-Vielhaber, AÜG, Art. 1, § 1 Anm. 7 a; Dietz-Riehardi, BetrVG, 5. Aufl., § 5 Anm. 25). Streitig ist aber die Frage, ob nach Inkrafttreten des AÜG die frühere, allgemein vertretene Auffassung noch aufrecht erhalten werden kann, der Leiharbeitnehmer gehöre betriebsverfassungsrechtlich sowohl dem Verleiherbetrieb als auch dem Entleiherbetrieb an (vgl. BAG, AP Nr. AP BETRVG § 1 zu § 6 BetrVG und BAGE 16, BAGE Band 16 Seite 1 = NJW 64, NJW Jahr 64 Seite 1873 = AP Nr. AP BETRVG § 3 zu § 4 BetrVG; Fitting-Kraegeloh-Auffarth, BetrVG, 9. Aufl., § 6 Anm. 7 und Fitting-Auffarth, BetrVG, 10. Aufl., § 5 Anm. 7 m.w. Nachw.). Diese Frage bedarf hier hinsichtlich des Wahlrechts im Entleiherbetrieb keiner Entscheidung (bejahend soweit ersichtlich: Franssen-Haesen, aaO Anm. 37 und Ramm, Betr. 73, DB Jahr 73 Seite 1174; offenbar auch Kraft, GK-BetrVG, § 5 Anm. 14). Die Wählbarkeit scheitert schon an dem Erfordernis der sechsmonatigen Betriebszugehörigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG 1972). Jedenfalls hat auch der Arbeitgeber des Entleiherbetriebes gegenüber den auf Zeit beschäftigten Leiharbeitnehmern in verschiedener Hinsicht eine zumindest faktische Arbeitgeberstellung, vor allem hinsichtlich des Weisungsrechts für die Arbeitsleistung.

In diesem, insbesondere dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 BetrVG 1972 unterliegenden Bereich, aber auch für andere Fragen, zum Beispiel gemäß §§ 75, 80 Abs. 1 Nr. 1, 81, 82 Abs. 1, 84, 85, 89 BetrVG 1972 besteht eine „Zuständigkeit” des Entleihers und damit auch ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats des Entleiherbetriebs auch für die Leiharbeitnehmer; es ist nicht auf die „Stammbelegschaft” des Betriebes beschränkt. Der angefochtene Beschluß führt zutreffend die Beispiele einer Betriebsordnung über Torkontrolle, Abstellen von Fahrzeugen, Kleiderordnung usw. und einer Katinenregelung an. Insoweit kann es keine zwei „Klassen” von Arbeitnehmern geben. Der Betriebsrat des Entleiherbetriebes ist zum Beispiel berechtigt und verpflichtet, auch für die Leiharbeitnehmer in Fragen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung tätig zu werden, wie sich aus § 11 Abs. 6 AÜG unmittelbar ergibt. Der Betriebsrat des Verleiherbetriebes hat während der Abordnung von Leiharbeitnehmern in den Entleiherbetrieb insoweit weder rechtliche Befungisse noch die tatsächliche Möglichkeit, tätig zu werden. Würde man jede Zuständigkeit des. Betriebsrates des Entleiherbetriebes verneinen, so würden die Leiharbeitnehmer in zahlreichen Fällen den Schutz des Betriebsverfassungsgesetzes praktisch entbehren, ein offenbar weder vom Gesetzgeber des AÜG noch des BetrVG 1972 beabsichtigtes Ergebnis.

Da auch nach Inkrafttreten des AÜG die Arbeitgeberfunktionen zwischen Verleiher und Entleiher der Natur der Sache nach tatsächlich aufgespalten sind, ergibt sich hier eine entsprechende Aufspaltung der Befugnisse und Zuständigkeiten des Betriebsrats des Verleiherbetriebes und des Entleiherbetriebes für diese Arbeitnehmer (so auch Maurer, BB 64, BB Jahr 64 Seite 512). Es kann eben nicht übersehen werden, daß die Leiharbeiter - wenn auch nur für vorübergehende Zeit - tatsächlich in den Entleiherbetrieb eingegliedert sind und auch der Ordnung dieses Betriebes unterliegen (vgl. auch das Urt. des 2. Senats v. 15. 2. 1974 - 2 AZR 57/73 - zur, Veröffentlichung in AP vorgesehen). Dann besteht aber auch ein legitimes Interesse des Betriebsrats des Entleiherbetriebes, bei der Einstellung dieser Arbeitnehmer beteiligt zu werden. Das Gesetz bietet auch keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Vorschrift des § 99 BetrVG 1972 etwa auf zeitlich befristete Arbeitsverhältnisse keine Anwendung finden sollte.

3. Zu Recht geht das LAG auch davon aus, die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern falle unter den Begriff der „Einstellung” i.S. des § 99 Abs. 1 BetrVG 1972 (so auch ArbG Kassel, Beschl. v. 28. 11. 1973 - 3 BV 10/73 -, Betr. 74, DB Jahr 74 Seite 536; Kraft, aaO § 99 Anm. 5; Maurer, BB 74, BB Jahr 74 Seite 512; Ramm, Betr. 73, DB Jahr 73 Seite 1174; a.M. Dietz-Richardi, aaO § 99 Anm. 15). Unter Einstellung wird nach überwiegender Meinung sowohl die Begründung eines Arbeitsverhältnisses als auch die zeitlich damit zusammenfallende, vorhergehende oder auch nachfolgende tatsächliche Arbeitsaufnahme in einem bestimmten Betrieb verstanden (vgl. statt aller Dietz-Richardi, aaO § 99 Anm. 9; Fitting-Auffarth, aaO § 99 Anm. 7 und Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7, Aufl. 2. Bd., 2. Halbbd., S. 1416, jeweilsm.w. Nachw.). Dabei ist man sich darüber einig, daß der Arbeitsvertrag nicht rechtswirksam zu sein braucht, wie gerade der Zustimmungsverweigerungsgrund des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG 1972 erweist (vgl. Dietz-Richardi, aaO § 99 Anm. 13). Es genügt ein faktisches Arbeitsverhältnis. Dann muß aber sinnvollerweise das gleiche für den Fall gelten, daß ein Arbeitnehmer zwar rechtlich gesehen einen Arbeitsvertrag nur mit dem Verleiher-Arbeitgeber abschließt, er aber faktisch in den Entleiherbetrieb für eine bestimmte Zeit mit seinem Einverständnis eingegliedert ist und dort genauso arbeitet wie jeder „Stammarbeitnehmer” auch. Der Leiharbeitnehmer hat aufgrund seines Arbeitsvertrages mit dem Verleiher die Pflicht, beim jeweiligen Entleiher zu arbeiten und dessen Weisungen zu folgen. Insoweit hat sich durch das Inkrafttreten des AÜG nichts geändert.

4. Die von der Rechtsbeschwerde hiergegen geltend gemachten Bedenken vermögen nicht zu überzeugen. Sicherlich ist der Leiharbeitnehmer kein „Bewerber” für den Entleiherbetrieb, sondern er wird diesem Betrieb auf Grund eines Vertrages zwischen Verleiher und Entleiher und seines Vertrages mit dem Entleiher zugeteilt. Die Antragsgegnerin kann übrigens nach der hier gegebenen Vertragsgestaltung einen ihr zugewiesenen Leiharbeitnehmer binnen einer Woche zurückweisen. § 99 Abs. 1 BetrVG 1972 spricht aber überhaupt nicht von einem „Bewerber”, sondern nur von Bewerbungsunterlagen, die dem Entleiher allerdings regelmäßig nur in geringerem Umfang als bei der Einstellung eigener Arbeitnehmer oder überhaupt nicht zur Verfügung stehen. Das ist aber ebenso wie bei der Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer nicht eine Frage der Beteiligung des Betriebsrats überhaupt, sondern eine Frage der faktischen Beschränkung der Auskunftsmöglichkeiten und Pflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat. Daß das Wiederausscheiden von Leiharbeitnehmern binnen drei Monaten keine Kündigung darstellt und auch ein Beteiligungsrecht hinsichtlich der Eingruppierung von Leiharbeitnehmern im allgemeinen nicht in Betracht kommt, da die Vergütung allein durch den Arbeitsvertrag mit dem Verleiher geregelt ist, kann einer Beteiligung des Betriebsrats des Entleiherbetriebes bei der Frage der Einstellung als solcher nicht entgegenstehen. Es handelt sich um verschiedene Tatbestände.

Ein Vergleich mit Montagearbeitern und freiberuflich tätigen Handwerkern zieht ebenfalls nicht. Derartige Personen sind regelmäßig nicht oder nur in geringem Ausmaß dem. Weisungsrecht des Arbeitgebers des Betriebes unterworfen, in dem sie arbeiten.

Schließlich ist die These der Rechtsbeschwerde in der vorgetragenen allgemeinen Formulierung nicht zutreffend, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehe nur hinsichtlich der Frage, wer eingestellt werden solle, nicht darauf, ob überhaupt jemand eingestellt wird; die Person des zu entsendenden Leiharbeitnehmers bestimme aber der Verleiher; es bleibe daher kein Raum für eine Beteiligung des Betriebsrats des Entleiherbetriebs. Nach der jedenfalls hier vorliegenden Vertragsgestaltung kann die Antragsgegnerin einen Leiharbeitnehmer binnen einer Woche ohne Begründung zurückweisen. Insoweit läuft das Beteiligungsrecht des Betriebsrats keinesfalls ins Leere, wobei hier offen bleiben kann, ob nicht in Hinblick auf das Beteiligungsrecht des Betriebsrats der Entleiher auf eine entsprechende Vertragsgestaltung mit dem Verleiher hinwirken muß. Es gilt auch nur im Grundsatz die These, der Arbeitgeber entscheide allein, ob überhaupt jemand eingestellt wird. Sicherlich kann der Arbeitgeber nicht gegen seinen Willen gezwungen werden, überhaupt Einstellungen vorzunehmen. Die beabsichtigte Einstellung von Leiharbeitnehmern für bestimmte Positionen kann aber unter Umständen einen Zustimmungsverweigerungsgrund für den Betriebsrat gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 5 BetrVG 1972 bilden und der Arbeitgeber deshalb gehindert sein, Leiharbeitnehmer einzustellen. Dem Betriebsrat obliegt im Rahmen des § 99 BetrVG 1972 insbesondere die Wahrung der kollektiven Interessen der Arbeitnehmerschaft des Betriebes, bei Einstellungen der der im Betrieb schon vorhandenen Arbeitnehmer.

5. Insgesamt gesehen mögen sich aus den Besonderheiten des Leiharbeitsverhältnisses gewisse tatsächliche Einschränkungen für den Umfang der Unterrichtungspflichten des Entleihers nach § 99 Abs. 1 BetrVG 1972 und hinsichtlich der möglichen Zustimmungsverweigerungsgründe des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 BetrVG 1972 ergeben. Es besteht aber rechtlich weder die Möglichkeit noch auch ein gerechtfertigter Anlaß, dem Betriebsrat des Entleiherbetriebes die Beteiligung bei der Einstellung von Leiharbeitnehmern grundsätzlich zu versagen. Das führt zur Zurückweisung der Rechtsbeschwerde. Zur Klarstellung war auszusprechen, daß der Betriebsrat gemäß § 99 BetrVG 1972 zu beteiligen war. Einer Zustimmung des Betriebsrats zu personellen Maßnahmen nach § 99 BetrVG 1972 im Sinne der §§ 182 ff. BGB bedarf es nicht. Der Betriebsrat kann lediglich unter den Voraussetzungen des § 99 Abs. 2 BetrVG 1972 seine Zustimmung verweigern.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht