Im Hausflur angeketteter Kinderwagen

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

15. 09. 2009


Aktenzeichen

63 S 487/08


Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Schöneberg vom 25.09.2008 - 10a C 129/07 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden unter Androhung eines Ordnungsgeldes, ersatzweise Ordnungshaft verurteilt, es zu unterlassen, ihren Kinderwagen im Haupttreppenhaus des Gebäudes M.-Straße ..., X1. anzuketten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe


Gründe:

Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Im Übrigen wird gemäß § 313a Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 540 Abs. 2 ZPO von der Darstellung eines Tatbestandes abgesehen.

Die zulässige Berufung ist im nur tenorierten Umfang in der Sache begründet.

Die Beklagten haben einen Anspruch auf das Abstellen des Kinderwagens im Treppenhaus aus der vertraglichen Gebrauchsgewährung der Mietsache (BGH Urt. v. 10.11.2006 - V ZR 46/06).

Dem steht auch nicht die im Mietvertrag vereinbarte Klausel, dass das Abstellen von Gegenständen im Treppenhauses nur mit Zustimmung des Vermieters erfolgen dürfe, entgegen.

Diese Klausel ist nach § 307 BGB unwirksam, da sie den vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache in unzulässigerweise pauschal formularmäßig einschränkt (LG Hamburg Urt. v. 06.08.1991 - 316 S 110/91, Staudinger Neubearbeitung 2006 § 535 Rn. 48).

Zutreffend geht das Amtsgericht von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, bei der auch die Grundrechte zu berücksichtigen sind, aus.

Zwar ist es zutreffend, dass die Grundrechte im Zivilrecht nur mittelbar gelten, deren Geltung erschöpft sich entgegen der Ansicht der Klägerin jedoch nicht in denjenigen Normen, durch die sie konkretisiert werden. Vielmehr sind die Grundrechte im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung aufgrund der Einheitlichkeit der Rechtsordnung am konkreten Fall abzuwägen.

Im vorliegenden Fall ist bei der Interessenabwägung zugunsten des Vermieters vor allem dessen Schutzpflicht gegenüber anderen Mietern des Hauses zu berücksichtigen. Konkretisiert wird diese Verpflichtung, wie die Klägerin zutreffend vorträgt, durch die Brandschutzbestimmungen des § 14 BauO Bln, der auch im Zivilrechtsverhältnis zwischen Vermieter und Mieter mittelbare Wirkung entfaltet.

Im vorliegenden Fall liegt jedoch keine konkrete Verletzung der Brandschutzbestimmungen vor.

Damit die Brandschutzbestimmungen im hier vorliegenden Vertragsverhältnis unmittelbare Wirkung entfalten kann und zu einem Überwiegen der Interessen der Klägerin führen kann, müssten sie durch Verwaltungsakte der zuständigen Behörde, die auf konkrete Rechtsfolgen gerichtet sind, die Ausgestaltung des Nutzungsrechts im zugrunde liegenden Vertragsverhältnis konkretisieren.

§ 14 BauO Bln gibt lediglich das abstrakte Ziel des Brandschutzes vor, eröffnet aber durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe einen Ermessensspielraum, der eine Einzelfallabwägung seitens der zuständigen Behörde zur Konkretisierung erforderlich macht.

Daran fehlt es hier. Das zuständige Bezirksamt hat kein Verwaltungsverfahren i. S. d. § 9 VwVfG durchgeführt, das auf eine konkrete Verbotsverfügung an die Klägerin gerichtet ist.

Dagegen überwiegt das Interesse der Beklagten an der Nutzung des Hausflures zum Abstellen des Kinderwagens im Treppenhauses.

Zwar sind im Rahmen der Interessenabwägung auch durch den Vermieter angebotene Alternativabstellmöglichkeiten zu berücksichtigen, bei deren Vergleichbarkeit grundsätzlich ein Überwiegen des Interesse des Vermieters anzunehmen ist, die Klägerin hat den Beklagten im vorliegenden Fall jedoch keine zumutbaren Alternativen angeboten.

Dies gilt selbst vor dem Hintergrund, wenn sich die Brandschutzbestimmungen durch einen belastenden Verwaltungsakt bereits konkretisiert hat. In diesem Fall schlägt die Dispositionsbefugnis des Vermieters bezüglich vergleichbarer Ersatzflächen dann in eine Dispositionspflicht um, wenn derartige Gemeinschaftsflächen vorhanden sind (Sternel, Mietrecht aktuell, VI, Rn. 149).

Bei dem angebotenen Abstellplatz im lichten Innenhof steht nach der Inaugenscheinnahme des Amtsgerichts fest, dass aus den Fenstern über diesem Abstellplatz Zigarettenkippen unmittelbar in den Kinderwagen geworfen werden. Die Klägerin hat auch hiergegen weder geeignete Maßnahmen, dieses zu verhindern vorgetragen, noch bestritten, dass in der Vergangenheit regelmäßig Zigarettenkippen durch die Fenster des Hauses gerade auf diesen Abstellplatz geworfen wurden.

Die Auffassung der Klägerin, der Vermieter könne das Verhalten der anderen Mieter und deren Besucher nicht beeinflussen, so dass die Beklagten Vorsorgemaßnahmen wie eine Schutzplane oder ähnliches zu treffen hätten, ist unzutreffend.

Zunächst ist der Vermieter aufgrund der grundsätzlich vom vertragsgemäßen Gebrauch umfassten Abstellmöglichkeit im Treppenhaus darlegungs- und beweisbelastet für die Vergleichbarkeit und die Zumutbarkeit der angebotenen alternativen Abstellfläche.

Im vorliegenden Fall ist jedoch unstreitig, dass im Innenhof regelmäßig Zigarettenkippen aus den Fenstern genau an den Ort, an dem der Kinderwagen stattdessen stehen sollte, geworfen werden. Die Klägerin trägt auch nicht vor, diesen Umstand durch den Bau einer Überdachung unterhalb der Fenster oder ähnliche Maßnahmen beseitigt zu haben, so dass eine Vergleichbarkeit dieses Orts mit dem Treppenhaus, in dem unstreitig diese Gefahr nicht gegeben ist, nicht besteht.

Bei dem anderen angebotenen alternativen Abstellplatz des abschließbaren Raumes ist die Vergleichbarkeit ebenfalls zu verneinen.

Die Beklagten haben behauptet, in diesem Raum befinde sich Ungeziefer. Bei der Inaugenscheinnahme durch das Amtsgericht wurde in diesem Raum sowohl Tierkot als auch der Geruch von Ratten oder ähnlichem Ungeziefer wahrgenommen, so dass die Vergleichbarkeit allein bereits aus diesem Grund nicht gegeben ist. Auf die Erwägungen, ob zusätzlich eine Unzumutbarkeit aus dem längeren Weg, der dafür jedoch ebenerdig ist, resultiert, kommt es daher im vorliegenden Fall nicht an.

Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass die Inaugenscheinnahme des Amtsgerichts nur den Momentzustand am Tag des Termins festgehalten hat, die Klägerin hat jedoch im Verlauf des Rechtsstreits auch in der Berufungsinstanz nicht behauptet, dass dieser Zustand durch den Einbau einer Lüftungsanlage und die endgültige Beseitigung des Ungeziefers beseitigt worden sei. Vielmehr hat sie diese Maßnahmen lediglich angeboten. Solange ein vergleichbarer Zustand jedoch nicht hergestellt worden ist, müssen die Beklagten sich nicht auf die bislang unzumutbare Alternative verweisen lassen.

Ein Abstellen des Kinderwagens in der Wohnung der Beklagten ist ebenfalls unzumutbar, da der Kinderwagen unstreitig nicht in den Aufzug passt und die Beklagten nicht verpflichtet sind, ihn gegebenenfalls mehrmals am Tag über die Treppe bis in das zweite Obergeschoss zu tragen.

Die Klägerin hat jedoch einen Anspruch gegen die Beklagten auf das Unterlassen des Ankettens des Kinderwagens unmittelbar hinter der Hauseingangstür.

Das Anketten ist im Gegensatz zum Abstellen als eine Steigerung des Gebrauchs der Mietsache nicht mehr vertragsgemäß.

Dagegen steht das Interesse des Vermieters, auch anderen Mietern eine uneingeschränkte vertragsgemäße Nutzung der Mietsache gewährleisten zu müssen, das hier im Zuge der Interessenabwägung das Interesse der Beklagten, ihr Eigentum vor dem Zugriff Dritter zu schützen, überwiegt.

Bei der Inaugenscheinnahme hat das Amtsgericht festgestellt, dass sich beim Abstellen des Kinderwagens an diesem Platz sowohl der eine Flügel der Hauseingangstür nicht mehr vollständig öffnen lässt, als auch das Geländer der unteren Stufen nicht mehr zum Festhalten genutzt werden kann.

Durch das Anketten lässt sich der Kinderwagen im Falle eines Umzuges eines anderen Mieters oder in ähnlichen Situationen, die jeweils eine vollständige Öffnung beider Flügel der Hauseingangstür notwendig machen, nicht entfernen.

Ähnlich verhält es sich mit der eingeschränkten Nutzbarkeit des unteren Treppengeländers.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 BGB.

Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Vorinstanzen

Amtsgericht Schöneberg 10a C 129/07

Rechtsgebiete

Mietrecht; Nachbarrecht