Betriebsübergang oder Funktionsnachfolge?
Gericht
EuGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
21. 10. 2010
Aktenzeichen
C-242/09
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. L 82, S. 16).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Albron Catering BV (im Folgenden: Albron) gegen die FNV Bondgenoten (im Folgenden: FNV) und Herrn Roest zum Zweck der Bestimmung, ob im Rahmen eines Konzerns, innerhalb dessen eine der Konzerngesellschaften zentrale Arbeitgeberin ist und ihre Arbeitnehmer an die verschiedenen Gesellschaften, die den Konzern bilden, entsendet, der Übergang der Tätigkeiten einer Gesellschaft dieses Konzerns auf eine Gesellschaft, die nicht diesem Konzern angehört, nämlich Albron, unter die durch die Richtlinie 2001/23 eingeführten Bestimmungen zum Schutz der Arbeitnehmer fällt.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Die Richtlinie 2001/23 kodifiziert die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. L 61, S. 26) in der durch die Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. Juni 1998 (ABl. L 201, S. 88) geänderten Fassung.
Dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/23 zufolge „sind Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleisten“.
Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/23 bestimmt:
„a) Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.
b) Vorbehaltlich Buchstabe a) und der nachstehenden Bestimmungen dieses Artikels gilt als Übergang im Sinne dieser Richtlinie der Ubergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit.“
Art. 2 der Richtlinie 2001/23 sieht vor:
„1. Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
a) ‚Veräußerer‘ ist jede natürliche oder juristische Person, die aufgrund eines Übergangs im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 als Inhaber aus dem Unternehmen, dem Betrieb oder dem Unternehmens- bzw. Betriebsteil ausscheidet;
b) ‚Erwerber‘ ist jede natürliche oder juristische Person, die aufgrund eines Übergangs im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 als Inhaber in das Unternehmen, den Betrieb oder den Unternehmens- bzw. Betriebsteil eintritt;
…
d) ‚Arbeitnehmer‘ ist jede Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgrund des einzelstaatlichen Arbeitsrechts geschützt, ist.
2. Diese Richtlinie lässt das einzelstaatliche Recht in Bezug auf die Begriffsbestimmung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses unberührt.
…“
Art. 3 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2001/23 lautet:
„1. Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über
Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Veräußerer und der Erwerber nach dem Zeitpunkt des Übergangs gesamtschuldnerisch für die Verpflichtungen haften, die vor dem Zeitpunkt des Übergangs durch einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis entstanden sind, der bzw. das zum Zeitpunkt des Übergangs bestand.
2. Die Mitgliedstaaten können geeignete Maßnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, dass der Veräußerer den Erwerber über alle Rechte und Pflichten unterrichtet, die nach diesem Artikel auf den Erwerber übergehen, soweit diese dem Veräußerer zum Zeitpunkt des Übergangs bekannt waren oder bekannt sein mussten. Unterlässt der Veräußerer diese Unterrichtung des Erwerbers, so berührt diese Unterlassung weder den Übergang solcher Rechte und Pflichten noch die Ansprüche von Arbeitnehmern gegenüber dem Erwerber und/oder Veräußerer in Bezug auf diese Rechte und Pflichten.
3. Nach dem Übergang erhält der Erwerber die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrags bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrags in dem gleichen Maße aufrecht, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren.
Die Mitgliedstaaten können den Zeitraum der Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen begrenzen, allerdings darf dieser nicht weniger als ein Jahr betragen.“
Nationales Recht
Art. 610 Abs. 1 des Buchs 7 des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs (Burgerlijk Wetboek) definiert den Arbeitsvertrag im Sinne des niederländischen Rechts wie folgt:
„Der Arbeitsvertrag ist der Vertrag, durch den sich eine Partei, der Arbeitnehmer, gegenüber der anderen Partei, dem Arbeitgeber, für bestimmte Zeit zur entgeltlichen Arbeitsleistung verpflichtet.“
Art. 663 des Buchs 7 des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs sieht vor:
„Durch den Übergang eines Unternehmens gehen die Rechte und Pflichten, die sich zu diesem Zeitpunkt für den Arbeitgeber in diesem Unternehmen aus einem Arbeitsvertrag zwischen ihm und einem dort beschäftigten Arbeitnehmer ergeben, von Rechts wegen auf den Erwerber über. Der Arbeitgeber und der Erwerber haften jedoch nach dem Übergang ein Jahr lang gesamtschuldnerisch für die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag, die vor diesem Zeitpunkt entstanden sind.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Heineken International ist ein niederländischer Konzern, in dem Brauereien zusammengefasst sind. Innerhalb dieses Konzerns ist das gesamte Personal bei Heineken Nederlands Beheer BV (im Folgenden: HNB) beschäftigt. HNB fungiert als zentraler Arbeitgeber und stellt Personal zu den verschiedenen Betriebsgesellschaften des Heineken‑Konzerns in den Niederlanden ab.
Herr Roest war bei HNB vom 17. Juli 1985 bis 1. März 2005 als Mitarbeiter der Abteilung „Lieferung von Mahlzeiten“ beschäftigt. Er wurde, ebenso wie ungefähr 70 andere Mitarbeiter dieser Abteilung, zur Heineken Nederland BV (im Folgenden: Heineken Nederland) abgestellt, die bis 1. März 2005 an verschiedenen Orten die Lieferung von Mahlzeiten an Beschäftigte des Heineken‑Konzerns durchführte. Im Rahmen dieser Entsendung galt der Unternehmenstarifvertrag von HNB.
Herr Roest ist Mitglied der FNV, einer Gewerkschaft, die u. a. das Ziel hat, die Interessen ihrer Mitglieder in den Bereichen Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zu vertreten, insbesondere durch Abschluss von Tarifverträgen.
Die von Heineken Nederland ausgeübten Tätigkeiten der Lieferung von Mahlzeiten wurden durch Vertrag am 1. März 2005 Albron übertragen.
Albron führt in den gesamten Niederlanden u. a. eine Tätigkeit der Lieferung von Mahlzeiten, also der Verwaltung und des Betriebs von Verpflegungsdienstleistungen, insbesondere in Betriebskantinen, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor aufgrund eines dafür abgeschlossenen Vertrags mit einem Auftraggeber durch. Herr Roest wurde ab 1. März 2005 bei Albron als Mitarbeiter der Abteilung „Betriebskantinen“ beschäftigt.
Die FNV und Herr Roest erhoben gegen Albron Klage beim Kantonrechter auf Feststellung, dass die Übertragung der Tätigkeiten der Lieferung von Mahlzeiten am 1. März 2005 zwischen Heineken Nederland und Albron ein Unternehmensübergang im Sinne der Richtlinie 2001/23 ist und dass die bei HNB beschäftigten Arbeitnehmer, die zu Heineken Nederland abgestellt wurden, ab diesem Zeitpunkt von Rechts wegen bei Albron beschäftigt waren.
Die FNV und Herr Roest beantragten ferner, Albron aufzugeben, auf das zwischen ihr und Herrn Roest bestehende Arbeitsverhältnis rückwirkend zum 1. März 2005 die Arbeitsbedingungen anzuwenden, die bis zu diesem Zeitpunkt im Verhältnis zwischen HNB und Herrn Roest galten, soweit sie sich auf den ausstehenden Lohn seit 1. März 2005 beziehen, und Albron aufzugeben, die gesetzliche Erhöhung von 50 % gemäß Art. 625 des Buchs 7 des niederländischen bürgerlichen Gesetzbuchs sowie die gesetzlichen Zinsen ab dem Fälligkeitstag zu zahlen. Schließlich beantragten die FNV und Herr Roest, Albron die Kosten aufzuerlegen.
Mit Urteil vom 15. März 2006 gab der Kantonrechter diesen Klageanträgen mit Ausnahme des Antrags auf die gesetzliche Erhöhung von 50 % statt.
Albron legte gegen dieses Urteil Rechtsmittel beim Gerechtshof te Amsterdam ein.
Unter diesen Umständen hat der Gerechtshof te Amsterdam das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die Richtlinie 2001/23/EG in dem Sinne auszulegen, dass es sich nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 nur dann um einen Übergang von Rechten und Pflichten auf den Erwerber handelt, wenn der Veräußerer des zu übertragenden Unternehmens auch formell der Arbeitgeber der betroffenen Arbeitnehmer ist, oder bringt der mit der Richtlinie 2001/23 beabsichtigte Schutz der Arbeitnehmer mit sich, dass beim Übergang eines Unternehmens einer zu einem Konzern gehörenden Betriebsgesellschaft die Rechte und Pflichten in Bezug auf die für dieses Unternehmen tätigen Arbeitnehmer auf den Erwerber übergehen, wenn das gesamte innerhalb des Konzerns tätige Personal bei einer (ebenfalls zu diesem Konzern gehörenden) Personalgesellschaft beschäftigt ist, die als zentraler Arbeitgeber fungiert?
2. Wie lautet die Antwort auf den zweiten Teil der ersten Frage, wenn die dort genannten Arbeitnehmer, die für ein zu einem Konzern gehörendes Unternehmen arbeiten, bei einer anderen, ebenfalls zu diesem Konzern gehörenden Gesellschaft beschäftigt sind, die keine Personalgesellschaft wie in der ersten Frage beschrieben ist?
Zu den Vorlagefragen
Zur Begründetheit
Mit seinen beiden Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob beim Übergang eines zu einem Konzern gehörenden Unternehmens auf ein nicht zu diesem Konzern gehörendes Unternehmen im Sinne der Richtlinie 2001/23 das Unternehmen das Konzerns, zu dem die Arbeitnehmer ständig entsandt waren, ohne jedoch mit diesem durch einen Arbeitsvertrag verbunden zu sein (im Folgenden: nichtvertraglicher Arbeitgeber), auch als „Veräußerer“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie betrachtet werden kann, wenn es in diesem Konzern ein Unternehmen gibt, mit dem die betreffenden Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag verbunden waren (im Folgenden: vertraglicher Arbeitgeber).
Zunächst ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2001/23, dass Veräußerer ist, wer aufgrund eines Übergangs im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie die Arbeitgebereigenschaft verliert.
Aus dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens ergibt sich offenkundig, dass der nichtvertragliche Arbeitgeber durch die Einstellung der übertragenen Tätigkeit seine Eigenschaft als nichtvertraglicher Arbeitgeber verloren hat. Daher lässt sich nicht ausschließen, dass er als ein „Veräußerer“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 betrachtet werden kann.
Sodann betrifft, wie sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 ergibt, der Schutz, den diese Richtlinie den Arbeitnehmern bei einem Wechsel des Betriebsinhabers gewährt, die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis, wobei die Frage, ob ein Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis besteht, nach Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie nach einzelstaatlichem Recht zu beurteilen ist.
Das gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 bestehende Erfordernis entweder eines Arbeitsvertrags oder, alternativ und somit gleichwertig, eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Übergangs führt zu der Annahme, dass nach dem Willen des Unionsgesetzgebers eine vertragliche Beziehung zum Veräußerer nicht unter allen Umständen dafür erforderlich ist, dass den Arbeitnehmern der durch die Richtlinie 2001/23 gewährte Schutz zugute kommen kann.
Dagegen geht aus der Richtlinie 2001/23 nicht hervor, dass das Verhältnis zwischen Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis ein Subsidiaritätsverhältnis wäre und dass daher bei mehreren Arbeitgebern systematisch auf den vertraglichen Arbeitgeber abgestellt werden müsste.
Somit hindert in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens die Richtlinie 2001/23 nicht daran, dass der nichtvertragliche Arbeitgeber, an den die Arbeitnehmer ständig überstellt sind, ebenfalls als „Veräußerer“ im Sinne der Richtlinie 2001/23 betrachtet werden kann.
Schließlich gilt nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/23 „als Übergang im Sinne dieser Richtlinie der Ubergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit“.
Daher setzt ein Übergang eines Unternehmens im Sinne der Richtlinie 2001/23 insbesondere einen Wechsel der juristischen oder persönlichen Person voraus, die für die wirtschaftliche Tätigkeit der übertragenen Einheit verantwortlich ist und die in dieser Eigenschaft als Arbeitgeber der Arbeitnehmer dieser Einheit Arbeitsverhältnisse mit diesen – gegebenenfalls ungeachtet des Fehlens vertraglicher Beziehungen mit diesen Arbeitnehmern – begründet.
Somit kann der Stellung eines vertraglichen Arbeitgebers, der jedoch nicht für die wirtschaftliche Tätigkeit der übertragenen wirtschaftlichen Einheit verantwortlich ist, für die Zwecke der Bestimmung der Person des Veräußerers nicht systematisch Vorrang gegenüber der Stellung eines für diese Tätigkeit verantwortlichen nichtvertraglichen Arbeitgebers gebühren.
Dies wird bestätigt durch den dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/23, der die Notwendigkeit hervorhebt, die Arbeitnehmer bei einem „Inhaberwechsel“ zu schützen. Dieser Begriff kann in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens den nichtvertraglichen Arbeitgeber bezeichnen, der für die Durchführung der übertragenen Tätigkeit verantwortlich ist.
Wenn daher in einem Konzern zwei Arbeitgeber nebeneinander bestehen, von denen der eine vertragliche Beziehungen und der andere nichtvertragliche Beziehungen zu den Arbeitnehmern dieses Konzerns unterhält, kann als „Veräußerer“ im Sinne der Richtlinie 2001/23 auch der Arbeitgeber betrachtet werden, der für die wirtschaftliche Tätigkeit der übertragenen Einheit verantwortlich ist und der in dieser Eigenschaft Arbeitsverhältnisse mit den Arbeitnehmern dieser Einheit begründet, und zwar auch bei Fehlen vertraglicher Beziehungen zu diesen Arbeitnehmern.
Daher ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass bei einem Übergang im Sinne der Richtlinie 2001/23 eines einem Konzern angehörenden Unternehmens auf ein Unternehmen, das diesem Konzern nicht angehört, als „Veräußerer“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie auch das Konzernunternehmen, zu dem die Arbeitnehmer ständig abgestellt waren, ohne jedoch mit ihm durch einen Arbeitsvertrag verbunden gewesen zu sein, betrachtet werden kann, obwohl es in diesem Konzern ein Unternehmen gibt, an das die betreffenden Arbeitnehmer durch einen Arbeitsvertrag gebunden waren.
Zu den zeitlichen Wirkungen des vorliegenden Urteils
Albron hat in ihren Erklärungen die Möglichkeit angesprochen, dass der Gerichtshof, sollte er feststellen, dass ein Sachverhalt wie der des Ausgangsverfahrens von der Richtlinie 2001/23 erfasst wird, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich auf die bei ihm anhängigen Rechtssachen beschränkt.
Zur Stützung ihres Antrags macht Albron zum einen geltend, dass die Zahl der Klagen gegen HNB und andere Unternehmen, die eine Übertragung vorgenommen hätten, „erheblich“ sei und dass HNB den in den Dienst von Albron eingetretenen Beschäftigten bereits eine Abfindung gezahlt habe. Zum anderen hätten die Wirtschaftsbeteiligten in Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein berechtigtes Vertrauen darauf, dass die Anwendung der Richtlinie 2001/23 vom Bestehen eines Arbeitsvertrags mit dem Veräußerer abhängig sei.
Nach ständiger Rechtsprechung wird durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV vornimmt, erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen (vgl. insbesondere Urteile vom 2. Februar 1988, Blaizot u. a., 24/86, Slg. 1988, 379, Randnr. 27, vom 15. Dezember 1995, Bosman, C‑415/93, Slg. 1995, I‑4921, Randnr. 141, und vom 10. Januar 2006, Skov und Bilka, C‑402/03, Slg. 2006, I‑199, Randnr. 50).
Daher kann der Gerichtshof die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, nur ganz ausnahmsweise aufgrund des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit beschränken. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich, guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen (vgl. Urteile vom 18. Januar 2007, Brzeziñski, C‑313/05, Slg. 2007, I‑513, Randnr. 56, und vom 13. April 2010, Bressol u. a., C‑73/08, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 91).
Der Gerichtshof hat auf diese Lösung nur unter ganz bestimmten Umständen zurückgegriffen, wenn die Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen bestand, die insbesondere mit der großen Zahl von Rechtsverhältnissen zusammenhingen, die gutgläubig auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen worden waren, und wenn sich herausstellte, dass die Einzelnen und die nationalen Behörden zu einem mit der Unionsregelung unvereinbaren Verhalten veranlasst worden waren, weil eine objektive, bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite der Gemeinschaftsbestimmungen bestand, zu der eventuell auch das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission beigetragen hatte (vgl. insbesondere Urteile vom 27. April 2006, Richards, C‑423/04, Slg. 2006, I‑3585, Randnr. 42, und Brzeziñski, Randnr. 57).
Im vorliegenden Verfahren ist festzustellen, dass Albron dem Gerichtshof nichts vorgetragen hat, was geeignet wäre, eine Gefahr schwerwiegender Störungen im Zusammenhang mit einer großen Zahl von Rechtsstreitigkeiten darzutun, die aufgrund des vorliegenden Urteils gegen HNB und andere Unternehmen, die eine Übertragung vorgenommen haben, eingeleitet werden könnten. Ferner ist, wie der Generalanwalt in Nr. 59 seiner Schlussanträge vorgetragen hat, jedenfalls irrelevant, dass HNB den Arbeitnehmern, die zu Albron gewechselt sind, bereits eine Abfindung gezahlt hat.
Daher braucht nicht geprüft zu werden, ob das Kriterium der Gutgläubigkeit der Betroffenen erfüllt ist.
Deshalb sind die zeitlichen Wirkungen des vorliegenden Urteils nicht zu beschränken.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Bei einem Übergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen eines einem Konzern angehörenden Unternehmens auf ein Unternehmen, das diesem Konzern nicht angehört, kann als „Veräußerer“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie auch das Konzernunternehmen, zu dem die Arbeitnehmer ständig abgestellt waren, ohne jedoch mit diesem durch einen Arbeitsvertrag verbunden gewesen zu sein, betrachtet werden, obwohl es in diesem Konzern ein Unternehmen gibt, an das die betreffenden Arbeitnehmer durch einen Arbeitsvertrag gebunden waren.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Niederländisch.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen