Morgendliches sakrales Glockenläuten
Gericht
VG Stuttgart
Art der Entscheidung
Pressemitteilung
Datum
13. 12. 2010
Aktenzeichen
11 K 1705/10
Schon 1992 hatte das Bundesvewaltungsgericht ( Az. 4 c 50/89) festgestellt, dass die mit der Nutzung kirchlicher Bauten einhergehenden üblichen Beeinträchtigungen grundsätzlich hinzunehmen sind.
Das VG Stuttgart hat die Klage eines Anwohners gegen das tägliche, zweiminütige Glockenläuten (Betläuten) zwischen 6.00 Uhr und 8.00 Uhr morgens aus dem Glockenturm einer evangelischen Kirchengemeinde abgewiesen.
Der ca. 100 m entfernt wohnende Kläger hatte geltend gemacht, durch das frühmorgendliche Geläut werde er in seiner grundrechtlich geschützten negativen Bekenntnisfreiheit verletzt. Der Staat sei verpflichtet, Störungen der Religionsausübung durch Dritte zu verhindern. Von der beklagten Kirchengemeinde werde er zu einer systematischen stetigen Kenntnisnahme eines akustischen religiösen Zeichens gezwungen. Infolge der Beschallung durch die Kirchenglocken sinke der Immobilienwert seines Grundstücks. Außerdem störe der Lärm der Glocken die Schlafqualität. Das Glockengeläut um 6.00 Uhr morgens sei auch nicht sozial adäquat. 61% der Westdeutschen legten keinen Wert auf Kirchenglockenschall.
Das VG Stuttgart ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat die Klage des Anwohners abgewiesen.
Nach Auffassung des Gerichts hat der Kläger keinen Anspruch auf Unterlassung des liturgischen Glockengeläuts zwischen 6.00 Uhr und 8.00 Uhr morgens. Der vom Kläger geltend gemachten negativen Bekenntnisfreiheit stehe das gleichermaßen geschützte Grundrecht der ungestörten Religionsausübung (zu der auch das Glockengeläut gehört) und der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Kirchengemeinde entgegen. Ein Ausgleich dieser kollidierenden Grundrechtspositionen sei vorliegend nicht geboten, da keine vom Staat geschaffene Lage wie z.B. in Schulen, Gerichtsgebäuden u.ä. besteht, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeit dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist. In einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, habe der Einzelne kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Im Übrigen sei wohl auch die Verkündigung der muslimischen Botschaft durch den Muezzin-Ruf vom Minarett nicht anders als kirchliches Glockengeläut zu beurteilen. Dementsprechend könne die negative Bekenntnisfreiheit Einzelner dem Ruf des Muezzin nicht entgegengehalten werden.
Dem Kläger stehe der von ihm geltend gemachte Unterlassungsanspruch auch nicht nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz zu. Bei der hierbei vorzunehmenden Einzelfallprüfung sei zu berücksichtigen, dass das liturgische Glockengeläut aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und des Schutzes der freien Religionsausübung privilegiert ist. In der Regel stelle das morgendliche Gebetsläuten eine zumutbare, sozialadäquate und allgemein akzeptierte Äußerung kirchlichen Lebens dar, die – wenn sie sich nach Zeit, Dauer und Intensität im Rahmen des Herkömmlichen hält – auch in einer säkularisierten Gesellschaft bei Würdigung der widerstreitenden Interessen hinzunehmen ist. Die sei vorliegend der Fall. Das morgendliche Gebetsläuten finde nicht vor Tagesanbruch statt. Die Zeit der Nachtruhe gelte, auch nach der TA Lärm, um 6 Uhr regelmäßig als beendet. Auch die Dauer des Geläuts von zwei Minuten sei nicht zu beanstanden. Schließlich seien keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Stärke des Geläuts über das Übliche hinausgeht.
Das Gericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Berufung zum Verwaltungsgerichtshof kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils eingelegt werden.
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