Diebstahl geringwertiger Sachen als Kündigungsgrund

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

11. 12. 2003


Aktenzeichen

2 AZR 36/03


Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das LAG hat angenommen, das Verhalten der Kl. am 11. 1. 2001 sei zwar arbeitsvertragswidrig und daher abmahnungswürdig gewesen. Einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung habe es aber nicht dargestellt. Zwar könne auch der bloße Versuch eines Vermögensdeliktes zu Lasten des Arbeitgebers grundsätzlich geeignet sein, ohne vorherige Abmahnung eine Entlassung zu begründen. Dabei komme unter Umständen auch die unbefugte Aneignung geringwertiger Gegenstände als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung in Betracht. Die Mitnahme der 62 Minifläschchen mit Alkoholika habe jedoch keinen Anlass gegeben, an der Redlichkeit der Kl. ernsthaft zu zweifeln. Für die Bekl. als Handelsunternehmen sei es letztlich belanglos gewesen, wie mit dieser nicht mehr verkäuflichen Ware verfahren worden sei. Zur Veräußerung sei die Ware nicht bestimmt gewesen und habe deshalb für die Bekl. keinen wirtschaftlichen Wert dargestellt. Bei Gegenständen von äußerst geringem Wert wie den beiden Küchenrollen seien bei der Interessenabwägung die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Interessenabwägung falle hier eindeutig zu Gunsten der Kl.aus. Die Kl. habe der Berufungskammer den Eindruck vermittelt, dass sie der Diebstahlsvorwurf schwer getroffen und gedemütigt habe. Bei dem ihr zur Last gelegten Vorwurf habe es sich eher um eine Kurzschlusshandlung als um eine bewusste Schädigung der Bekl. gehandelt. Die fristlose Entlassung habe deshalb eine Überreaktion der Bekl. dargestellt.

II. Dem folgt der Senat nicht.

1. Ob das Verhalten der Kl. am 11. 1. 2001 einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung i.S. von § 626 I BGB darstellt, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen.

a) Zwar kann die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs des wichtigen Grundes (§ 626 I BGB) im Revisionsverfahren allein darauf überprüft werden, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Tatsachen, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei beachtet hat (st. Rspr. des Senats z.B. BAG [13. 9. 1995], BAGE 81, 27 [32] = NZA 1996, 81 = NJW 1996, 540; BAG [12. 8. 1999], BAGE 92, 184 [191] = NZA 2000, 421 = NJW 2000, 1969). Schon auf der Stufe des wichtigen Grundes an sich hält die Berufungsentscheidung allerdings dieser eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

b) Im Ansatz zutreffend ist das LAG davon ausgegangen, vollendete oder auch nur versuchte Eigentums- oder Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers seien grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu stützen und solche Delikte stellten an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Tatbestände des Diebstahls und der Unterschlagung setzen Rechtswidrigkeit sowie Vorsatz voraus und sind strafbewehrt. Dem Arbeitnehmer muss die Widerrechtlichkeit seines Verhaltens deshalb bewusst sein. Auf Grund der durch den Arbeitsvertrag begründeten Nebenpflicht zur Loyalität hat er auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Diese Verpflichtung beinhaltet zugleich das Verbot, den Arbeitgeber rechtswidrig und vorsätzlich durch eine Straftat zu schädigen. Der Arbeitnehmer bricht durch die Eigentumsverletzung unabhängig vom Wert des Schadens in erheblicher Weise das Vertrauen des Arbeitgebers (BAG [12. 8. 1999], NZA 2000, 421 = NJW 2000, 1969).

c) Dies gilt auch für den Diebstahl bzw. die Unterschlagung geringwertiger Sachen aus dem Eigentum des Arbeitgebers. Die rechtswidrige und vorsätzliche Verletzung des Eigentums oder Vermögens des Arbeitgebers ist stets, auch wenn die Sachen nur geringen Wert besitzen, als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich geeignet (Prüfung auf der ersten Stufe des § 626 I BGB). Erst die Würdigung, ob dem Arbeitgeber deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist bzw. der vertragsgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar ist (Prüfung auf der zweiten Stufe des § 626 I BGB), kann zu der Feststellung der Nichtberechtigung der außerordentlichen Kündigung führen (BAG, NZA 2000, 421 = NJW 2000, 1969). Damit verstößt die Auffassung des LAG, die unbefugte Aneignung geringwertiger Gegenstände komme nur „unter Umständen” als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung in Betracht und solche Umstände lägen hier nicht vor, gegen § 626 I BGB. Wie die Revision zutreffend rügt, verlässt das LAG damit die der Rechtssicherheit dienende systematische Zweiteilung des § 626 I BGB in den wichtigen Grund an sich und die nachfolgende Zumutbarkeitsprüfung, indem es Umstände, die erst der Interessenabwägung zuzuordnen sind und eine Wertung voraussetzen (geringer Wert, unverkäuflich, wirtschaftlicher Wert), bereits für geeignet hält, den wichtigen Grund an sich auszuschließen.

d) Die Revision rügt auch zu Recht, das LAG habe bei der von ihm vorgenommenen Interessenabwägung wesentliche Umstände des Sachverhalts nicht einbezogen bzw. falsch gewichtet.

aa) Die Wegnahme von immerhin 62 Minifläschchen mit Alkoholika durfte das LAG, wie die Revision zutreffend geltend macht, nicht mit der Begründung unberücksichtigt lassen, diese Waren seien nicht mehr zur Veräußerung bestimmt gewesen und hätten daher für die Bekl. keinen wirtschaftlichen Wert mehr dargestellt; für die Bekl. als Handelsunternehmen sei es letztlich belanglos gewesen, wie mit dieser nicht mehr verkäuflichen Ware verfahren worden sei. Der wirtschaftliche Wert einer Sache hängt nicht allein von dessen Verkaufsfähigkeit ab. Selbst wenn die Bekl. nicht mehr vor hatte, derartige Minifläschchen im normalen Geschäftsbetrieb, etwa auf einem Wühltisch zu reduziertem Preis, zu veräußern, hatte sie immer noch die nahe liegende Möglichkeit, diese Fläschchen etwa bei Betriebsfesten zu verwenden oder einfach zu verschenken. Der Inhalt der Fläschchen stellte eine erhebliche Menge an hochprozentigem Alkohol dar. Legt man den Preis zu Grunde, den ein Dritter für derartige Alkoholika in einem anderen Geschäft hätte zahlen müssen (ca. 20 Euro), so ist es ausgeschlossen, dieser Ware - wie das LAG meint - jeden wirtschaftlichen Wert abzusprechen. Nur die Bekl. als Eigentümerin hatte das Recht, über diese Waren zu verfügen. Die Kl. war demgegenüber nicht befugt, sich daran selbst zu bedienen.

bb) Bei den zwei Rollen Küchenkrepp trifft es zwar zu, dass die beiden angebrochenen Rollen von äußerst geringem Wert waren. Auch hier rügt die Revision allerdings zutreffend, dass das LAG nicht erkennbar der Frage nachgegangen ist, ob die beiden Küchenrollen lediglich als Tarnung oben auf den Minifläschchen lagen, wie es der Betriebsratsvorsitzende nach seiner Aussage vor dem ArbG nach dem äußeren Erscheinungsbild der von der Kl. gepackten Plastiktüte angenommen hat.

cc) Die Revision rügt weiter zutreffend, dass bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen war, wie es sich in einem Einzelhandelsbetrieb wie dem der Bekl. auf das Verhalten anderer Arbeitnehmer auswirken musste, wenn die Bekl. derartige Versuche von Eigentumsdelikten in ihrem Betrieb ohne größere Sanktionen zuließ. In einem Handelsunternehmen, dessen Waren den Arbeitnehmern anvertraut sind, kann es allein aus Gründen der Abschreckung der anderen Arbeitnehmer erforderlich sein, in Diebstahlsfällen hart durchzugreifen.

dd) Das LAG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Kl. ihre vertraglichen Pflichten vor allem dadurch verletzt hat, dass sie nicht die Genehmigung ihrer Vorgesetzten eingeholt hat, bevor sie die Ware mitnahm. Diese Pflichtverletzung kann jedoch nicht mit dem LAG lediglich als eine gewisse Eigenmächtigkeit ohne ernsthafte Auswirkung auf die Vertrauenswürdigkeit der Kl. angesehen werden. Schon die Betriebsdisziplin wird durch ein solches eigenmächtiges Hinweggehen über die Person des Vorgesetzten, der die Eigentumsrechte des Arbeitgebers zu vertreten hat, gefährdet. Selbst wenn die Kl. - wovon das LAG offenbar ausgeht - mit der heimlichen Wegnahme der Fläschchen lediglich erreichen wollte, dass diese nicht auf alle Kolleginnen verteilt wurden, stellt dies ein unredliches Verhalten gegenüber ihren Kolleginnen dar.

e) Auch die materiell-rechtliche Rüge der Revision, das LAG habe nicht hinreichend geprüft, ob eine Abmahnung zur Ahndung des Verhaltens der Kl. wirklich ausgereicht hätte, greift durch. Nach der ständigen Senatsrechtsprechung ist bei schweren Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers eine Abmahnung nur dann nicht entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten werde nicht als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen (BAG [21. 6. 2001], NZA 2002, 1030 = NJW 2002, 2582 L = AP BAT § 54 Nr. 5). Ein Arbeitnehmer in einem Warenhausbetrieb muss normalerweise davon ausgehen, dass er mit einem Diebstahl oder einer Unterschlagung auch geringwertiger Sachen im Betrieb seines Arbeitgebers seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. Es hätte deshalb einer eingehenderen Begründung bedurft, weshalb im vorliegenden Fall nach den Gesamtumständen eine Abmahnung zur Ahndung des erheblichen Fehlverhaltens der Kl. als ausreichend anzusehen ist. Der bloße Hinweis auf den guten Eindruck, den die Kl. in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, kann als entscheidender Gesichtspunkt hierzu nicht ausreichen.

f) Ohne Eingriff in den Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz kann der Senat den Fall nicht abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit ist deshalb an das LAG zurückzuverweisen, damit dieses unter Zugrundelegung des richtigen Prüfungsmaßstabs eine fehlerfreie Interessenabwägung nachholen kann.

2. Sollte das LAG erneut zu dem Ergebnis gelangen, dass kein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vorlag, so wird zu prüfen sein, ob die Kündigung in eine ordentliche Kündigung umzudeuten ist und ein verhaltensbedingter Grund zur ordentlichen Kündigung i.S. von § 1 II KSchG vorlag. Da das LAG in dem angefochtenen Urteil nur von „Entlassung” spricht und auch das ArbG nur die Voraussetzungen des § 626 I BGB geprüft hat, ist nicht eindeutig erkennbar, ob die Voraussetzungen einer Umdeutung und einer fristgerechten Kündigung nach § 1 II KSchG überhaupt geprüft worden sind. Immerhin spricht nach dem bisherigen Parteivorbringen alles dafür, dass sich die Bekl. in jedem Fall von der Kl. trennen und deshalb für den Fall der Unwirksamkeit ihrer fristlosen Kündigung eine ordentliche Kündigung aussprechen wollte. Dies entspricht auch der Betriebsratsanhörung. Die Kl. hat außerdem ausdrücklich die Feststellung beantragt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Bekl. auch nicht ordentlich aufgelöst worden ist. Wenn ein Diebstahlsversuch schon stets geeignet ist, einen wichtigen Grund an sich für eine außerordentliche Kündigung darzustellen, so kommt er erst recht als verhaltensbedingter Kündigungsgrund i.S. von § 1 II KSchG in Betracht. Von weiteren Hinweisen sieht der Senat ab, da nicht einmal feststeht, ob es auf diese Prüfung nach der Zurückverweisung überhaupt noch ankommt.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht