Formerfordernisse an anwaltliche Unterschrift auf Empfangsbekenntnis

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

13. 05. 1992


Aktenzeichen

VIII ZR 190/91


Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 4. 4. 1990 - im Ergebnis - als wirksam angesehen und ausgeführt:

Zu seiner Überzeugung stehe fest, daß das Empfangsbekenntnis von Rechtsanwalt K unterschrieben worden sei, was sich aus einem Vergleich der dort befindlichen Unterschrift mit anderen, von Rechtsanwalt K in sonstigen Verfahren erteilten Unterschriften ergebe. Die auf dem Empfangsbekenntnis befindliche “Wellenlinie” stelle zwar keine den Maßstäben der Rechtsprechung genügende Unterschrift dar, weil sie keinen die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzug aufweise. Der Bekl. sei die Berufung auf den Formmangel nach den Grundsätzen von Treu und Glauben im Rechtsverkehr jedoch untersagt. Dieser das gesamte Recht beherrschende Grundsatz sei dahin anzuwenden, daß die Wirksamkeit der Zustellung nicht an dem Formerfordernis einer ausreichenden Unterschrift scheitern dürfe, weil gerade der Prozeßbevollmächtigte der Bekl. den Formfehler verursacht habe und es mit Treu und Glauben nicht vereinbar erschiene, daß die Bekl. aus der Nachlässigkeit ihres Prozeßbevollmächtigten Vorteile ziehe. Hinzu komme, daß die Beklagtenvertreter selbst zunächst keinerlei Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung geäußert und das Urteil noch in der Berufungsschrift vom 3. 5. 1990 als am 4. 4. 1990 zugestellt bezeichnet hätten. Da diese Zustellung somit die Rechtsmittelfrist in Lauf gesetzt habe, sei die am 23. 8. 1990 eingelegte Berufung verspätet.

II. Die Revision hat keinen Erfolg.

1. Das BerGer. hat - jedenfalls im Ergebnis - zutreffend angenommen, daß die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 4. 4. 1990 wirksam erfolgt ist, so daß die einmonatige Berufungsfrist mit diesem Datum begann. Die am 23. 8. 1990 eingelegte Berufung war damit verspätet (§ ZPO § 516 ZPO).

a) Das OLG geht zu Recht davon aus, daß das Empfangsbekenntnis vom 4. 4. 1990 keine ordnungsgemäße Unterschrift aufweist und deshalb den Formerfordernissen des § 212a ZPO nicht genügte. Die nach § 212a ZPO erforderliche Beurkundung der Zustellung durch einen Rechtsanwalt ist eine unverzichtbare Wirksamkeitsvoraussetzung für die Zustellung (st. Rspr., vgl. BGH, NJW 1989, 838 = LM § 212a ZPO Nr. 20 (unter 2 a) m. w. Nachw. = BGHRZPOO § 212a - Empfangsbekenntnis 5). Die nach dem Gesetz erforderliche Unterschrift des Anwalts ist eigenhändig und handschriftlich zu leisten. Zur näheren Bestimmung der Anforderungen an die anwaltliche Unterschrift sind die gleichen Maßstäbe anzulegen wie bei bestimmenden Schriftsätzen (BGH, NJW 1989, 838 = LM § 212a ZPO Nr. 20 = BGHRZPOO § 212a - Empfangsbekenntnis 5). Als Unterschrift genügt ein Schriftzug, der individuellen Charakter aufweist und einem Dritten, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, ermöglicht, diesen Namen aus dem Schriftbild noch herauszulesen, der Unterzeichnende also erkennbar bleibt (BGH, VersR 1981, 57 m. w. Nachw.). Danach muß die Unterschrift zwar nicht unbedingt lesbar, mindestens einzelne Buchstaben müssen aber - wenn auch nur andeutungsweise - zu erkennen sein, weil es sonst am Merkmal einer Schrift fehlt (BGH, NJW 1985, 1227 = LM § 130 ZPO Nr. 11 unter II 3 b m. w. Nachw.; BGH, NJW 1987, 957 = BGHRZPOO § 130 Nr. 6 - Unterschrift 1; BGH, NJW-RR 1991, 511 = LM § 130 ZPO Nr. 15 = MDR 1991, 223 unter 1 = BGHRZPOO § 130 Nr. 6 - Unterschrift 4). Daß das BerGer. die auf dem Empfangsbekenntnis der Prozeßbevollmächtigten der Bekl. vom 4. 4. 1990 befindliche “Wellenlinie” nicht als eine diesen Anforderungen genügende Unterschrift gewertet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

b) Ein wirksames Empfangsbekenntnis enthält aber die Berufungsschrift vom 3. 5. 1990. Dies reicht für den Vollzug der Zustellung aus (Senat, NJW 1987, 2679 = LM § 212a ZPO Nr. 18 unter II 1 a). Daß das Empfangsbekenntnis erst später ausgestellt wurde als an dem darin bezeichneten und mithin maßgeblichen Zustellungstag, berührt seine Wirksamkeit nicht (BGHZ 35, 236 (239) = NJW 1961, 575 = LM § 212a ZPO Nr. 4; Senat, NJW 1987, 2679 = LM § 212a ZPO Nr. 18 jeweils m. w. Nachw.). Auch die Verwendung des bei anwaltlichen Empfangsbekenntnissen üblichen Vordruckes ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Der Senat hat es deshalb bereits in der erwähnten Entscheidung vom 11. 3. 1987 (NJW 1987, 2679 = LM § 212a ZPO Nr. 18) als für den wirksamen Vollzug einer Zustellung ausreichend erachtet, wenn der Prozeßbevollmächtigte sich in einer Rechtsmittelschrift auf das erstinstanzliche Urteil ausdrücklich mit den Worten “zugestellt am ..." bezieht, sofern auch die weiteren, unabdingbaren Anforderungen an die Vollendung der Zustellung erfüllt sind.

aa) Diese Voraussetzungen sind auch hier gegeben. Die Berufungsschrift ist unterzeichnet von Rechtsanwalt T, der für die Bekl. erstinstanzlich aufgetreten ist und der Sozietät der Beklagtenvertreter angehört. Seine Erklärung, die Berufung werde gegen “das am 4. 4. 1990 zugestellte Urteil des LG L." eingelegt, ist eindeutig und enthält keinen Vorbehalt, das Urteil solle nicht als zugestellt angesehen werden. Einen solchen Vorbehalt haben die Beklagtenvertreter auch zu keinem anderen Zeitpunkt erkennen lassen, sondern die Wirksamkeit der Zustellung lediglich mangels formgültiger Unterschrift auf dem Empfangsbekenntnis in Zweifel gezogen. Sie haben weder in Abrede gestellt, daß das Urteil am 4. 4. 1990 in ihren Gewahrsam gelangte, noch daß die - allerdings nicht formgerechte - Unterschrift auf dem Empfangsbekenntnis von dem Sozietätsmitglied Rechtsanwalt K stammt. Damit lag nicht nur die - erforderliche - anwaltliche Gewahrsamsbegründung, sondern auch die Willensentschließung eines Prozeßbevollmächtigten der Bekl. vor, das Schriftstück als zugestellt zu behandeln (vgl. zum Empfangswillen BGH, NJW 1991, 42 = LM § 212a ZPO Nr. 23 unter II 2b = BGHRZPOO § 212a - Empfangswille 1). Der Empfangswille findet in der Formulierung “zugestellt am 4. 4. 1990” sinnfälligen Ausdruck. An der Empfangsbereitschaft der Beklagtenvertreter können deshalb keine Zweifel bestehen. Da die somit allein noch erforderliche Unterschrift in der Berufungsschrift vom 3. 5. 1990 vollzogen wurde, ist die Zustellung mit Wirkung zum 4. 4. 1990 geschehen (BGHZ 35, 236 (239) = NJW 1961, 575 = LM § 212a ZPO Nr. 4; Senat, NJW 1987, 2679 = LM § 212a ZPO Nr. 18).

bb) Der Senat sieht auch im Hinblick auf die von der Revision gegen diese Rechtsprechung erhobenen Bedenken keinen Anlaß, von seiner Auffassung abzugehen. Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei der Erklärung in der Rechtsmittelschrift vom 3. 5. 1990 nur um eine unverbindliche, rechtsirrige Meinungsäußerung zur mutmaßlich erfolgten Zustellung handele, liegen nicht vor. Es kommt nicht darauf an, ob sich der Anwalt, der in der Rechtsmittelschrift eine solche Erklärung abgibt, an das Datum der bereits früher erfolgten Zustellung erinnert. Er wird dies regelmäßig - wie auch hier - dem Fristenkalender oder einem in der Akte selbst enthaltenen Vermerk entnehmen. Die der Rechtsmittelschrift vom 3. 5. 1990 angefügte Kopie einer Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils trägt den Eingangsstempel der Kanzlei der Beklagtenvertreter mit Datum vom 4. 4. 1990 und den handschriftlichen Vermerk “zugestellt am ... Ablauf Berufungsfrist: Freitag, 4. 5. 1990”. Ob das im Empfangsbekenntnis angegebene Zustellungsdatum zutrifft, wäre im übrigen für die Frage der Formwirksamkeit ohne Bedeutung (BGHZ 35, 236 (238) = NJW 1961, 575 = LM § 212a ZPO Nr. 4). Entscheidend ist dafür allein der äußere Tatbestand der Beurkundung des Empfangs eines Schriftstückes zum Gewahrsam und zum Verbleib (BGH, NJW 1969, 1298 = LM § 212a ZPO Nr. 7 unter I 3). Ein Irrtum des Prozeßbevollmächtigten darüber, daß die Zustellung bislang mangels ordnungsgemäßer Unterschrift noch nicht wirksam vollzogen war, wäre überdies unbeachtlich, da er auf die Wirksamkeit dieser prozessualen Erklärung keinen Einfluß hätte (vgl. BGH, NJW 1974, 1469 = LM § 198 ZPO Nr. 16 unter II 1).

2. Nach allem kommt es auf die Frage, ob die Berufung der Bekl. auf die nicht ordnungsgemäße Unterschrift ihres Bevollmächtigten im Empfangsbekenntnis vom 4. 4. 1990 gegen Treu und Glauben verstieß und deswegen unbeachtlich wäre, nicht an.

Rechtsgebiete

Verfahrens- und Zwangsvollstreckungsrecht; Anwalts-, Notar-, Steuerberater- und anderes Berufsrecht