Kein Gegendarstellungsrecht bei redaktionellen Vermutungen oder Schlussfolgerungen

Gericht

LG Offenburg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

30. 11. 2010


Aktenzeichen

2 O 414/10


Tenor

  1. Der Antrag des Verfügungsklägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

  2. Der Verfügungskläger trägt die Kosten des Verfahrens.

  3. Der Streitwert wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand


Tatbestand

Der Verfügungskläger, Journalist und Moderator, wendet sich mit den im Haupt- bzw. Hilfsantrag aufgeführten Gegendarstellungsverlangen gegen den darin wiedergegebenen Satz

"Sicherlich war er auch zu Tränen gerührt, als er vom Schicksal sozial benachteiligter Kinder in seinem Wohnort Potsdam hörte."

in einem von der Antragsgegnerin am 15.10.2010 veröffentlichten Artikel in der Zeitschrift "neue woche".

Er trägt vor, mit der bezeichneten Aussage werde ihm eine sog. innere Tatsachenbehauptung (gemeint wohl: "innere Tatsache", vgl. Seitz/Schmidt, Der Gegendarstellungsanspruch..., 4. Aufl., 6. Kap. Rn. 88) unterstellt. Insbesondere Absichten, Beweggründe, Hoffnungen und Motive seien gegendarstellungsfähige innere Tatsachenbehauptungen (Tatsachen, s.o.). Es müsse dem Verfügungskläger selbst obliegen, die richtigen Motive für sein Handeln kund zu tun. Tatsächlich handle er nicht aus reiner Rührung heraus, sondern überlege sich genau, bei welchen Projekten er spende und bei welchen nicht. Maßgeblich seien auch im vorliegenden Fall genaue sachliche Überlegungen gewesen.

Der Verfügungskläger beantragt

  1. den Erlass der folgenden einstweiligen Verfügung:

    Der Verfügungsbeklagten wird auferlegt, in dem gleichen Teil der Zeitschrift "neue woche", in der der Artikel "TV-Liebling Günther Jauch Triumph & Tränen! Alles über sein geheimes Privat-Leben" erschienen ist, mit gleicher Schrift und unter Hervorhebung des Wortes "Gegendarstellung" als Überschrift durch entsprechende drucktechnische Anordnung und Schriftgröße wie "Triumph und Tränen" sowie der weitere Fließtext der Größe, der Schrift, der Worte "TV-Liebling Günther Jauch" in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Nummer ohne Einschaltung und Weglassungen die folgende Darstellung zu veröffentlichen:

    Gegendarstellung

    In "neue Woche" Nr. 42 vom 15. Oktober 2010 schreiben Sie in einem Artikel auf der Seite 9 mit der Überschrift "TV-Liebling Günther Jauch Triumph & Tränen! Alles über sein geheimes Privat-Leben" über mich:

    "Sicherlich war er auch zu Tränen gerührt, als er vom Schicksal sozial benachteiligter Kinder in seinem Wohnort Potsdam hörte."

    Hierzu stelle ich fest:

    Ich war nicht zu Tränen gerührt, als ich vom Schicksal sozial benachteiligter Kinder in meinem Wohnort Potsdam hörte.

    Potsdam, 28. Oktober 2010

    Günther Jauch

  2. hilfsweise den Erlass der nachfolgenden einstweiligen Verfügung:

    Der Verfügungsbeklagten wird auferlegt, in dem gleichen Teil der Zeitschrift "neue woche", in der der Artikel "TV-Liebling Günther Jauch Triumph & Tränen! Alles über sein geheimes Privat-Leben" erschienen ist, mit gleicher Schrift und unter Hervorhebung des Wortes "Gegendarstellung" als Überschrift durch entsprechende drucktechnische Anordnung und Schriftgröße wie "Triumph und Tränen" sowie der weitere Fließtext der Größe, der Schrift, der Worte "TV-Liebling Günther Jauch" in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Nummer ohne Einschaltung und Weglassungen die folgende Darstellung zu veröffentlichen:

    Gegendarstellung

    In "neue Woche" Nr. 42 vom 15. Oktober 2010 schreiben Sie in einem Artikel auf der Seite 9 mit der Überschrift "TV-Liebling Günther Jauch Triumph & Tränen! Alles über sein geheimes Privat-Leben" über mich:

    "Sicherlich war er auch zu Tränen gerührt, als er vom Schicksal sozial benachteiligter Kinder in seinem Wohnort Potsdam hörte."

    Hierzu stelle ich fest:

    Ich war in dem von Ihnen beschriebenen Fall nicht zu Tränen gerührt.

    Potsdam, 28. Oktober 2010

    Günther Jauch

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, mangels Bestimmtheit fehle es an einem wirksamen Abdruckverlangen. Mit den verschiedenen Fassungen werde das Erfüllungsrisiko auf die Verfügungsbeklagte abgewälzt, was im Gegendarstellungsrecht strikt unzulässig sei. Die Erstmitteilung habe keine innere Tatsache zum Gegenstand, wie sich aus der Formulierung "sicherlich" ergebe.

Wegen der Einzelheiten des gegenseitigen Vorbringens wird auf die im vorliegenden Verfahren eingereichten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie die Schutzschrift 6 AR 108/10 verwiesen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe

Gemäß § 11 des Baden-Württembergischen Landespressegesetzes ist der Verleger eines periodischen Druckwerkes nur dann zum Abdruck einer Gegendarstellung verpflichtet, wenn der den Abdruck Begehrende durch eine in dem Druckwerk aufgestellt Tatsachenbehauptung betroffen ist (Absatz 1 Satz 1).

Der beanstandete Satz

"Sicherlich war er auch zu Tränen gerührt, als er vom Schicksal sozial benachteiligter Kinder in seinem Wohnort Potsdam hörte."

enthält keine gegendarstellungsfähige Tatsachenbehauptung. Er beinhaltet weder die Behauptung, der Verfügungskläger habe tatsächlich geweint bzw. Anzeichen für Tränen und/oder Rührung erkennen lassen noch die Behauptung der inneren Tatsache, dass der Verfügungskläger aufgrund des Schicksals der Kinder entsprechende Gefühlsregungen entwickelt habe. Mit der Formulierung "sicherlich" bzw. "sicherlich ... auch" wird gerade dem Eindruck entgegengewirkt, es handele sich bei den angesprochenen Gefühlsregungen oder Gefühlsäußerungen um etwas tatsächlich Geschehenes, das jemand wahrgenommen habe. Vielmehr drückt das Wort, ähnlich wie z. B. die Worte "wohl", "vermutlich" oder "wahrscheinlich", nach allgemeinem Sprachverständnis aus, dass es sich nur um eine Annahme oder Vermutung des Verfassers handelt. Der Begriff "sicherlich" wird hier auch nicht nur als bloßes Stilmittel verwendet, sondern soll nach Auffassung des Gerichts gerade diese Einschränkung zum Ausdruck bringen. Bei der Vermutung, sicherlich sei der Verfügungskläger zu Tränen gerührt gewesen, handelt es sich auch nicht um die Wiedergabe eines Gerüchts. Weder dem Satz selbst noch dem Gesamtartikel lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass irgendjemand - außer dem Verfasser der Erstmitteilung - angenommen bzw. die Annahme geäußert habe, der Verfügungskläger sei tatsächlich zu Tränen gerührt gewesen. Der einzige Grund für diese Annahme des Verfassers der Erstmitteilung lässt sich den nachfolgenden Sätzen entnehmen, wonach der Verfügungskläger für ein Kinderhilfsprojekt gespendet habe. Daraus wird ersichtlich der Rückschluss gezogen, für diese nicht bestrittene Handlung könnten oder müssten normalerweise ("auch") emotionale Beweggründe mitursächlich gewesen sein, ohne dass dies als feststehend behauptet wird (vgl. OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 109). An dem Umstand, dass weder eine (innere) Tatsache behauptet noch der Eindruck eines tatsächlichen Geschehens hervorgerufen wird, ändert auch die Überschrift "Triumph und Tränen" nichts. Diese Überschrift verspricht ebenso wie die darunter befindliche "Alles über sein geheimes Privatleben" etwas, das der Artikel selbst nicht hergibt. Weder wird dort konkret behauptet, dass jemand triumphiert oder weint, noch wird Geheimes aus dem Privatleben preisgegeben. Die beliebte Alliteration steht in keinem erkennbaren Zusammenhang zu irgend einer Aussage des nachfolgenden Artikels.

Der Satz, der Verfügungskläger zeige "offen wie selten, wie er wirklich ist" bezieht sich, worauf der nachfolgende Doppelpunkt hinweist, nicht auf die mögliche Rührung des Verfügungsklägers, sondern seine objektiven Hilfeleistungen.

Die Frage, ob sich die Gegendarstellung, deren Abdruck verlangt wird, auf eine Tatsachenbehauptung bezieht, ist vom Gericht durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist unerheblich, ob sich die Verfügungsbeklagte im Parallelverfahren - i. Ü. ohne Aufgabe ihres Rechtsstandpunktes und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - zur Unterlassung verpflichtet hat.

Die Kostentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Festsetzung des Streitwerts auf einer Schätzung gemäß § 3 ZPO. Den angegeben Wert von 50.000,00 € hält das Gericht in Anbetracht der Bedeutung der beanstandeten Äußerung für zu hoch.


Beck
Vors. Richterin am Landgericht

Rechtsgebiete

Presserecht