„Bahnbrechende“ Entscheidung: Wegfall der Wiederholungsgefahr ohne Unterlassungserklärung – Landgericht Hamburg lockert „Stolpe“-Rechtsprechung

Gericht

LG Hamburg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

22. 10. 2010


Aktenzeichen

324 O 100/10


Tenor

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Die Kostendes Rechtsstreits trägt die Klägerin.

  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

und beschließt: Der Streitwert wird auf € 35.000,- festgesetzt.

Tatbestand


Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Unterlassung eines durch eine Äußerung in einer Berichterstattung in der von der Beklagten verlegten Zeitung … erweckten Eindrucks.

Die Klägerin ist eine wegen verschiedener Vorwürfe gekündigte Mitarbeiterin des … . Die Beklagte verlegt die Tageszeitung … in deren Ausgabe vom 6. Oktober 2009 auf Seite 8 ein Artikel unter der Überschrift "Nach Betrugs-Vorwürfen gegen …Chefin - Ex… Programmdirektor springt in den Tod" erschien. Zwischen den beiden Überschriften war eine Fotografie der Antragstellerin abgedruckt, zu der die Bildinnenschrift lautete: "Arbeitete eng mit … zusammen: die gefeuerte …Fernsehfilmchefin … .

Wegen der Einzelheiten der Berichterstattung wird auf Anlage K 1 Bezug genommen.

Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die vom … gegen die Klägerin aufgestellten Betrugsvorwürfe (mit-)ursächlich für den Selbstmord des früheren Programmdirektors waren.

Mit Schreiben vom 9. Oktober 2009 forderte die Klägerin die Beklagte auf, eine vertragsstrafenbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben (Anlagen K 2 und K 3). Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 13. Oktober 2009 ab. In dem Ablehnungsschreiben heißt es unter anderem: [...] angesichts der Stolpe-Rechtsprechung möchte ich unmissverständlich darauf hinweisen, dass im vorliegenden Fall lediglich ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Tod von Herrn … und den Vorwürfen gegen Ihre Mandantin hergestellt wurde. Es war und ist nicht beabsichtigt einen Kausalzusammenhang zwischen den Ereignissen herzustellen. In Anbetracht dieser von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderten Klarstellung sehe ich mich außerstande, die geforderte Unterlassungserklärung abzugeben. [...] (Anlage K 4). Hierauf erwirkte die Klägerin die einstweilige Verfügung der Kammer vom 13. November 2009 (Az.: 595/09). Die Beklagte stellte unter dem 22. Dezember 2009 einen Antrag nach § 926 ZPO (Anlage K 5), worauf die Klägerin die hiesige Klage erhob.

Die Klägerin wendet sich gegen den ihrer Ansicht nach durch die streitgegenständliche Passage erweckten Eindruck, die Betrugsvorwürfe gegen die Klägerin seien aufgrund ihrer früheren engen Zusammenarbeit mit dem Ex…Programmdirektor (mit-)ursächlich für dessen Suizid. Die Klägerin ist der Auffassung, der angegriffene Eindruck werde erweckt und sei unwahr; die "Klarstellung" in dem Schreiben vom 13. Oktober 2009 reiche nicht aus. Es werde durch die Überschriften kein rein zeitlicher Zusammenhang hergestellt; das Wort "nach" weise nämlich bereits darauf hin, dass ein Ereignis bedingt durch ein anderes später eingetreten sei. Das Wort "nach" sei hier daher vielmehr als kausale Präposition verwandt worden. Damit handle es sich bereits nicht um eine mehrdeutige Berichterstattung, so dass das Argument aus der Stolpe-Entscheidung nicht verfange. Die Wiederholungsgefahr sei nicht ausgeräumt, da weder eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung noch eine Abschlusserklärung auf die erwirkte einstweilige Verfügung abgegeben worden sei. Die als "Klarstellung" bezeichnete Erklärung der Beklagten vom 13. Oktober 2009 erfülle die Anforderungen an eine Klarstellung im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht, denn sie sei keine ernsthafte und inhaltlich ausreichende Erklärung dahin, die mehrdeutige Äußerung nicht mehr oder nur mit einem klarstellenden Zusatz zu wiederholen. Die Beklagte habe lediglich zum Ausdruck gebracht, die Äußerung "sei so nicht gemeint gewesen". Sie habe jedoch nicht versichert, sie nicht mehr zu tätigen.

Bei der angegriffen Berichterstattung handele es sich ferner nicht um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zum einen werde ein Eindruck und nicht lediglich ein Verdacht erweckt; zum anderen sei die Berichterstattung vorverurteilend und tendenziös.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall bis zu 250.000,00 €, Ordnungshaft höchstens insgesamt 2 Jahre, zu vollziehen am Vorstand), zu unterlassen,

durch folgende Berichterstattung,

den Eindruck zu erwecken, die Betrugsvorwürfe gegen die Klägerin seien aufgrund ihrer früheren engen Zusammenarbeit mit dem Ex-…Programmdirektor … (mit-)ursächlich dafür, dass dieser in den Tod sprang.

Die Beklagte beantragt,

den Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, vor dem Hintergrund der Stolpe-Rechtsprechung scheitere der Unterlassungsanspruch wegen der Klarstellung in dem Schreiben vom 13. Oktober 2009. Die Beklagte habe die von der Klägerin und von der Kammer in der streitgegenständlichen Passage liegende Deutungsmöglichkeit nicht gesehen und habe der Äußerung diese Variante nicht beimessen wollen. Der Aussagegehalt sei durch die Klarstellung vom 13. Oktober 2009 durch die Beklagte ausdrücklich festgelegt und inhaltlich begrenzt worden. Die Beklagte nehme ausdrücklich nicht das Recht in Anspruch, die beanstandete Veröffentlichung ohne klarstellenden Zusatz im Sinne des Schreibens vom 13. Oktober 2009 zu verbreiten.

Es handele sich vorliegend um eine verdeckte Aussage. Es sei bei der Regel, dass bei Unterlassungsansprüchen grundsätzlich jede nicht fernliegende Deutung zur Verurteilung grundsätzlich ausreichen könne zu berücksichtigen, dass der Kommunikationsprozess nicht eingeschnürt werden dürfe. Dafür müsse der Äußernde seine Äußerung zur Vermeidung zivilrechtlicher Haftung klarstellen können. Dies sei in der Entscheidung BVerfG NJW 2008, 1654 festgelegt und von der Beklagten beachtet worden. Die zitierte Entscheidung halte ausdrücklich fest, dass eine einfache und kostengünstige Klarstellungsoption offen stehen müsse. Im Falle einer nicht dynamischen Veröffentlichung wie bei einem Printmedium sei es im zitierten Sinne des Bundesverfassungsgerichts ausreichend, wenn die Beklagte zur Klarstellung einen persönlichen Brief an die Klägerin wähle, welche diese Klarstellung frei benutzen könne. Eine Veröffentlichung einer "echten Klarstellung" wäre hingegen eine Richtigstellung, für die auch nach Stolpe andere Auslegungsgrundsätze gelten würden.

Davon abgesehen scheitere der Unterlassungsanspruch auch daran, dass es sich bei der angegriffenen Berichterstattung um eine zulässige Verdachtsberichterstattung handele; sie befasse sich mit den auch im Wikipedia-Eintrag zur Klägerin dargelegten Hintergründen der "…-Affäre" (vgl. Anlage B 1). Die Darstellung erwecke keinen Eindruck sondern lediglich einen Verdacht, denn im Fließtext werde die Mitursächlichkeit lediglich als eine Möglichkeit genannt. Die Auslegung habe stets im Gesamtkontext zu erfolgen. Etwas anderes gelte auch nicht für den Titelseiten- und Kioskleser, denn die hier angegriffene Berichterstattung sei nicht auf der Titelseite erschienen. Auch der Überschriftenleser könne hier den angegriffenen Eindruck nicht erhalten, denn auch Überschriften seien im Kontext zu beurteilen. Der sorgfältige Durchschnitts-Überschriftenleser erhalte nur den Verdacht einer Mitursächlichkeit.

Die Voraussetzungen einer Verdachtsberichterstattung seien vorliegend eingehalten. Es habe ein öffentliches Informationsinteresse an dem Freitod des ehemaligen …Programmdirektors gegeben. Dieser habe im zeitlichen Zusammenhang mit den ebenfalls die Öffentlichkeit interessierenden Betrugsvorwürfen gegen die Klägerin gestanden. Es habe für einen Kausalzusammenhang beider Ereignisse hinreichende Anknüpfungspunkte gegeben. Zum einen sei ein zeitlicher Zusammenhang gegeben. Die Straftaten hätten in dem Verantwortungsbereich … gelegen. Dieser hätte eng mit der Klägerin zusammen gearbeitet, so dass er es als besonderen Vertrauensbruch empfunden haben müsse, dass diese ihm Drehbücher "untergeschoben" hätte. Der … Intendant … habe zudem … kurz vor dessen Tod von den Vorwürfen gegen die Klägerin informiert und versichert, dass diesen dies völlig unvorbereitet getroffen habe. Man habe auch versucht, eine Stellungnahme der Klägerin zu erhalten und letztlich mit deren Anwalt gesprochen, dessen Erklärung sie sich zurechnen lassen müsse. Darüber hinaus sei auch die Darstellung als Verdacht eingehalten. Die Ursachen für den Freitod blieben offen, der Leser zöge nicht den Schluss, der Selbstmord sei eindeutig auf die Betrugsvorwürfe zurückzuführen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 13. August 2010 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe

I.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.

1.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterfassungsanspruch nicht zu; insbesondere ergibt er sich nicht aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S.2 BGB analog in Verbindung mit § 186 StGB und Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG.

Die Behauptung, die Betrugsvorwürfe gegen die Klägerin seien aufgrund ihrer früheren Zusammenarbeit mit dem Ex-…Programmdirektor …(mit-)ursächlich dafür, dass dieser in den Tod sprang, ist unstreitig in der inkriminierten Berichterstattung nicht ausdrücklich enthalten. Ob es sich vorliegend um eine verdeckte Behauptung oder um eine offen mehrdeutige Äußerung handelt, kann im Ergebnis dahin stehen. Denn handelte es sich, was für die Klägerin die günstigste Auslegungsvariante darstellen würde, um eine offen mehrdeutige Äußerung im Sinne der Stolpe-Rechtsprechung (BVerfG, 1 BvR 1696/98 vom 25.10.2005), so wäre die Wiederholungsgefahr durch die Klarstellung der Beklagten vom 13. Oktober 2009 entfallen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung 1 BvR 967/05 vom 19. Dezember 2007 (BVerfG NJW 2008, 1654) unter Randzeichen 33 und 34 ausgeführt:

[...] Im Hinblick auf Ansprüche auf Unterlassung zukünftiger Äußerungen geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass verfassungsrechtlich erhebliche Einschüchterungseffekte durch Maßnahmen des Persönlichkeitsschutzes nicht ausgelöst werden, soweit der Äußernde die Möglichkeit hat, die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts eines anderen ohne übermäßige Belastungen für sich durch eigenes Tun abzuwehren. Bei mehrdeutigen Äußerungen kann dies durch Klarstellung ihres Inhalts geschehen. Soweit eine nunmehr eindeutige Aussage keine Rechtsverletzung bewirkt, entfällt ein Unterlassungsanspruch.

Das Selbstbestimmungsrecht des Äußernden über den Inhalt der Aussage wird durch die den Äußernden treffende Obliegenheit zur Klarstellung als Möglichkeit, die Verurteilung zur Unterlassung zu vermeiden, nicht angetastet. Auch sind verfassungsrechtlich erhebliche einschüchternde oder einschnürende Wirkungen für den Grundrechtsgebrauch jedenfalls dann nicht zu erwarten, wenn diese Obliegenheit nur auf den Bereich bezogen wird, in dem ein erheblicher Teil des Publikums eine oder mehrere der Deutungsalternativen in einer das Persönlichkeitsrecht verletzenden Weise versteht. Dabei muss gesichert sein, dass für die Klarstellung und damit die Abwendung der Unterlassungsverpflichtung ein einfacher Weg eröffnet ist. Nachteilige Wirkungen auf die Ausübung der Kommunikationsfreiheit wären insbesondere zu erwarten, wenn eine hohe Kostenlast auf den zukäme, der eine mehrdeutige Äußerung getroffen hat, auch wenn er nach Erkennen der Mehrdeutigkeit und des persönlichkeitsverletzenden Inhalts einer Deutungsalternative eine Klarstellung vorgenommen hat, die eine Persönlichkeitsverletzung ausschließt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist auch maßgebend, ob die Auferlegung der Kosten dem Grundsatz der Angemessenheit entspricht. Die Kostenhöhe kann unzumutbar sein, wenn durch sie Einschüchterungseffekte hinsichtlich der Freiheit der Äußerung zu erwarten sind.

Von der in dieser Entscheidung erwähnten Klarstellungsmöglichkeit hat die Beklagte durch ihr Schreiben vom 13. Oktober 2009 an die Klägerin Gebrauch gemacht und damit die mögliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Beklagten durch eigenes Tun abgewendet. Die Beklagte hat gegenüber der Klägerin ernstlich zum Ausdruck gebracht, dass von ihr weder beabsichtigt war noch beabsichtigt ist, einen Kausalzusammenhang zwischen den in der streitgegenständlichen Passage genannten Ereignissen herzustellen. In der Klageerwiderung hat sie zudem erneut deutlich gemacht, die beanstandete Veröffentlichung ohne klarstellenden Zusatz im Sinne des Schreibens vom 13. Oktober 2009 nicht wieder verbreiten zu wollen.

II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 3 ZPO.

Rechtsgebiete

Presserecht