Wegfall der Höhepunkte der Kreuzfahrt

Gericht

OLG Köln


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

14. 07. 2008


Aktenzeichen

16 U 82/07


Leitsatz des Gerichts

1. Bei einer Kreuzfahrt, deren maßgeblicher Zweck nicht die Erholung, sondern eine Reiseroute mit besonderen kulturellen und landschaftlichen Höhepunkten ist, verbietet sich eine schematische Beurteilung zur Höhe des Minderungsanspruchs, wie beispielsweise eine einfache Relation der mangelfreien zu den mängelbehafteten Tagen. Vielmehr hat eine Gewichtung unter wertender Betrachtung der einzelnen Programmpunkte und des insgesamt mit der Reise verbundenen Urlaubserlebnisses zu erfolgen.
2. Der Wegfall verschiedener Ausflüge mit Schlauchbooten in der Antarktis sowie eine Verkürzung des vorgesehenen Kreuzens vor dieser Küste – ein „Highlight” einer Kreuzfahrt unter anderem in die Antarktis – führen zu einer Minderung, die die Beträge für die mängelbehafteten Einzeltage spürbar überschreitet.
3. Eine erhebliche Beeinträchtigung einer Reise nach § BGB § 651f BGB § 651F Absatz II BGB kann im Regelfall erst angenommen werden, wenn der

Tatbestand


Tatbestand:

Die Kl. buchten für die Zeit vom 27. 8. bis zum 13. 11. 2006 bei der Bekl. die Kreuzfahrt „Von der Arktis zur Antarktis” auf der MS A von Hamburg zum Preis von 20889 Euro zuzüglich Versicherungsprämie, Kerosinzuschlägen und Bahnkosten. Diese führte von Hamburg zunächst nach Grönland, sodann entlang der nordamerikanischen Ostküste in die Karibik und das Mündungsdelta des Orinoco. Nach Durchfahrt durch den Panama-Kanal ging es weiter entlang der südamerikanischen Ostküste in die Antarktis und schließlich wieder nordwärts nach Feuerland, von wo aus entweder der Rückflug nach Deutschland erfolgen oder gegen einen gesondert ausgewiesenen Reisepreis ein Anschlussprogramm in Argentinien in Anspruch genommen werden konnte. Auf Grund eines Fehlers der Reederei bei der kalkulierten Geschwindigkeit des Schiffes war es nicht möglich, alle im Katalog der Bekl. beschriebenen Leistungen anzubieten. Es kam deswegen zum Ausfall und zur Abkürzung von Vorbeifahrten, Hafeneinfahrten und Landgängen. Unabhängig hiervon erwiesen sich in der Antarktis zwei von insgesamt acht angebotenen Schlauchbootanlandungen schon deshalb nicht als durchführbar, weil die Ziele wegen der Eissituation vor Ort und der Brutzeit von Vögeln grundsätzlich zu der vorgesehenen Jahreszeit nicht angefahren werden konnten. Die Kl. haben in erster Instanz die Rückzahlung von 11069 Euro (= 55% eines mit 21610 Euro errechneten Reisepreises, davon 30% unter dem Gesichtspunkt der Minderung und 25% als Schadensersatz abzüglich vorprozessual gezahlter 816 Euro) begehrt.

Das LG hat das Minderungsbegehren in Höhe von 768 Euro als gerechtfertigt angesehen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. hatte insoweit Erfolg, als die Bekl. nunmehr verurteilt wurde, an die Kl. 2391,60 Euro sowie 38,91 Euro vorprozessuale Anwaltskosten zu zahlen. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

... II. Den Kl. steht gem. §§ BGB § 651c, BGB § 651d BGB i.V. mit § BGB § 638 BGB § 638 Absatz III, BGB § 638 Absatz IV BGB ein Rückzahlungsanspruch von 3207,60 Euro zu, weil sie berechtigt sind, den Reisepreis in dieser Höhe zu mindern. Abzüglich der von der Bekl. vorprozessual gezahlten 816 Euro verbleiben 2391,60 Euro. Das weitergehende Begehren ist nicht gerechtfertigt. Zwischen den Parteien ist es dem Grunde nach nicht im Streit, dass die Kreuzfahrt wegen des nicht vollständig entsprechend den Katalogangaben durchgeführten Programms mangelhaft war. Streitig ist alleine der Umfang eines Minderungsrechts der Kl., das die Bekl. durch die vorprozessuale Zahlung als solches anerkannt hat. Zur Höhe des zurückzuzahlenden Betrags hält der Senat in Ausübung der durch § BGB § 638 BGB § 638 Absatz III 2 BGB n.F. eröffneten Schätzungsmöglichkeit einen Betrag von 3207,60 Euro für gerechtfertigt. Dem liegen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Wegen des Umfangs der nicht entsprechend der Katalogbeschreibung durchgeführten Programmpunkte folgt der Senat den Feststellungen des LG, allerdings mit der Maßgabe, dass der Senat auch darin, dass das nach der Leistungsbeschreibung geschuldete, tatsächlich aber unterbliebene „Kreuzen vor Kap Hoorn”, also einem der berühmtesten Panoramen dieser Erde, einen zu berücksichtigenden Reisemangel darstellt. Dieser wird nicht vollständig dadurch kompensiert, dass das Schiff sich auf der Rückfahrt in einer Entfernung von zwölf Seemeilen dem Kap genähert hat. Ein Kreuzen vor einer Landmarke impliziert unter der Voraussetzung, dass die Wetterverhältnisse dies zulassen, die Möglichkeit einer näheren Betrachtung, die bei einer bloßen Vorbeifahrt in einer Entfernung von zwölf Seemeilen nicht möglich ist. Es war zwar bei der Vorbeifahrt am Kap diesig; dafür aber, dass die Wetterverhältnisse ein näheres Heranfahren nicht ermöglichten, bestehen indes keine Anhaltspunkte.

2. Es handelt sich bei der Reise „Von der Arktis zur Antarktis” nach der Reisebeschreibung um eine Kreuzfahrt „der Superlative”, deren maßgeblicher Zweck nicht die Erholung und das Vergnügen einer Schiffsreise ist. Von wesentlicher Bedeutung ist vielmehr die gewählte Reiseroute, die mit den vorgesehenen Anlandungen und dem Kreuzen vor bestimmten Panoramen kulturelle und landschaftliche Erlebnisse verspricht sowie dem Kennenlernen verschiedener Länder und Kulturen dient. Auch dies macht die Leistungsbeschreibung deutlich, indem mehrfach bei Programmpunkten davon gesprochen wird, dass es sich um einen „Höhepunkt” der Reise handele. Von daher verbietet sich im Rahmen der Schätzung des Umfangs des Minderungsanspruchs eine schematische Beurteilung im Wege einer bloßen Gegenüberstellung der Reiseleistungen, die an einem bestimmten Tag erbracht worden sind, wie Unterkunft und Verpflegung an Bord und den ausgefallenen Leistungen. Ebenso wenig kann der Umfang der Minderung dadurch ermittelt werden, dass die Tage, an denen die Reise mangelfrei war, in Relation gesetzt werden, zu den Tagen, an denen die versprochenen Leistungen nicht oder nur eingeschränkt erbracht wurden. Es macht nämlich einen Unterschied, ob es sich um einen Tag auf hoher See ohne Erlebniswert außerhalb der auf dem Schiff selbst angebotenen Erholungsmöglichkeiten gehandelt hat oder um einen solchen, an dem dem Reisenden ein „Höhepunkt” versprochen war. Es hat daher eine Gewichtung unter wertender Betrachtung der einzelnen Programmpunkte und nicht lediglich eine Addition einzelner Tabellenwerte zu erfolgen (OLG Celle, NJW-RR 2003, NJW-RR Jahr 2003 Seite 200). Dies folgt schon daraus, dass es bei der Bemessung der Minderung – wie bereits das LG zu Recht ausgeführt hat – nach zutreffender Auffassung grundsätzlich auf die Reise als Gesamtheit ankommt, also darauf, inwieweit das mit der Reise verbundene Urlaubserlebnis bzw. der Nutzen der Reise beeinträchtigt ist (BGH, NJW 2000, NJW Jahr 2000 Seite 1188 [NJW Jahr 2000 Seite 1191]: vgl. weiter Tonner, in: MünchKom, 4. Aufl., § 651c Rdnr. 22, § 651d Rdnr. 15 u. Staudinger/Eckert, BGB, 2003, § 651d Rdnr. 37 jeweils m. Nachw. zum Meinungsstand).

3. Vorliegend besteht allerdings die Besonderheit, dass es sich um eine Reise gehandelt hat, die durch unterschiedliche Kultur- und Landschaftszonen geführt hat (Nordatlantik und Arktis; Ostküste Nordamerikas; Karibik; Pazifikküste Südamerikas mit Antarktis) und die auch in vier gesonderten Abschnitten bzw. in Kombination einzelner Abschnitte buchbar war. Hiervon haben Reisende auch Gebrauch gemacht, wie dem Senat aus weiteren anhängigen Verfahren wegen des dritten und vierten Abschnitts bekannt ist. Hiernach erscheint es angezeigt, wegen der Einstandspflicht des Reiseveranstalters auf die gesondert buchbaren Abschnitte abzustellen, wobei wegen des relativ geringen Umfangs der Mängel die beiden ersten Reiseabschnitte zusammengefasst werden können.

4. Von diesen Ansatzpunkten her gilt:

a) In den ersten beiden Reiseabschnitten (20 Tage + 19 Tage) war die Reise nicht wesentlich beeinträchtigt. Jeweils nur an zwei Tagen ist eine Programmänderung eingetreten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass im Katalog der Besuch der Inuit-Siedlung/Baffin Island (der ausgefallen ist) sowie die Besichtigung der Städte Boston (6,5 Std. statt 10,5 Std.) und New York (2 Tage statt 2,5 Tage) besonders hervorgehoben sind und es sich bei Qaqortoq nach dem unbestrittenen Vortrag der Kl. um den schönsten Ort Südgrönlands handelt. Der Senat hält daher auf der Grundlage eines Reisepreises von 264 Euro pro Tag = 10296 Euro für die beiden Abschnitte eine Minderung um 5% = 514,80 Euro für angezeigt.

b) Deutlich höher ist dagegen die Beeinträchtigung des Urlaubserlebnisses während des 3. Reiseabschnitts zu bemessen, nämlich mit 10% = 475,20 Euro bei einem anteiligen Reisepreis von 4752 Euro für diesen 18-tägigen Abschnitt. Hier ist es zwar ebenfalls nur an zwei Tagen zu Programmänderungen gekommen. Jedoch bezogen sich diese auf einen Höhepunkt der Reise laut Katalogbeschreibung, nämlich auf den Orinoko-Strom und dessen Delta (Feststellungen des LG zu e u. f). Die für den 10. 10. 2006 vorgesehene Flussfahrt in der „grünen Hölle” des Orinoko fand im Dunklen statt und das für den 12. 10. 2006 vorgesehene Kreuzen im Delta entfiel gänzlich, allerdings mit einer ersatzweisen Anlandung in dem Ort Curiapo.

c) Deutlich gemindert, nämlich um 40% = 2217,60 Euro war der 21-tägige letzte Reiseabschnitt mit einem anteiligen Reisepreis von 5544 Euro. Hier ist es zu den in dem angefochtenen Urteil unter g bis l aufgeführten Beeinträchtigungen gekommen, wobei – siehe oben – auch das entfallene Kreuzen vor Kap Hoorn auf der Hinfahrt als – allerdings teilweise kompensierter – Reisemangel anzusehen ist. Besonders ins Gewicht fallen dabei die strapaziöse Busrückfahrt nach dem ohnehin verkürzten Besuch von Arequipa, der Fortfall der Anlandung in Puerto Montt und des von dort vorgesehenen Ausflugs in die „einzigartige Vulkanwelt”, der Ausfall der Halbtagesvorbeifahrt in der Laguna San Raphael und die massiven Programmänderungen in der Antarktis, die dazu geführt haben, dass drei der Anlandungen per Schlauchboot entfielen und der Gesamtaufenthalt von vier auf zweieinhalb Tage verkürzt wurde. Gerade das Antarktisprogramm wurde in einem gesonderten Prospekt der Bekl. – mit Recht – als ein besonderes Erlebnis herausgestellt. Es entfielen aber nicht nur ein Teil der attraktiven Schlauchbootanlandungen, sondern auch ein großer Teil der Zeit für ein Erleben der Antarktis insgesamt, also auch bei einer Vorbeifahrt an außergewöhnlichen Panoramen.

d) Das weitergehende Rückzahlungsbegehren der Kl., die aus dem Gesichtspunkt der Minderung 30% des Reisepreises (= 6266,70 Euro) zurückverlangen, ist hiernach nicht begründet.

Ein Schadensersatzanspruch gem. § BGB § 651f BGB § 651F Absatz II BGB wegen entgangener Urlaubsfreude steht den Kl. nicht zu. Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine für den Anspruch erforderliche erhebliche Beeinträchtigung der Reise im Regelfall erst dann angenommen werden, wenn der Gesamtwert der Reise um mehr als 50% gemindert ist (OLG Köln, NJW-RR 2000, NJW-RR Jahr 2000 Seite 1439). Damit befindet sich der Senat im Einklang mit der ganz überwiegenden Rechtsprechung und – zunehmend – auch der Literatur (vgl. Tonner, in: MünchKomm, § 651f Rdnrn. 49, 51 m. Nachw. zum Meinungsstand, a.A. noch in der 3. Aufl. Rdnr. 31; Führich, ReiseR Rdnr. 412 ebenfalls a.A. noch in der Vorauflage Rdnr. 348; Geib, in: BeckOK-BGB, § 651f Rdnr. 14).

Bezogen auf die Gesamtreise liegt die vorliegend gerechtfertigte Minderung von ca. 15% des Gesamtpreises deutlich unterhalb der niedrigeren Erheblichkeitsschwelle zwischen 20 bis 33%, die von abweichenden Stimmen in der Rechtsprechung und Literatur angesetzt wird. Ein gänzlicher Verzicht auf die Erheblichkeitsschwelle, wie er unter Bezugnahme auf das „Leitner-Urteil” des EuGH (NJW 2002, NJW Jahr 2002 Seite 1255) teilweise gefordert wird, weil § BGB § 651f BGB § 651F Absatz II BGB insoweit europarechtswidrig und damit nicht anwendbar sei (z.B. wohl Tonner, in: MünchKomm, § 651f Rdnr. 53), ist nicht gerechtfertigt. Art. EWG_RL_90_314 Artikel 5 der Pauschalreise-Richtlinie verschafft einem Reisenden nach der Rechtsprechung des EuGH zwar „grundsätzlich” einen Anspruch auf immaterielle Entschädigung bei einem Reisemangel, was aber nicht ausschließt, dass der nationale Gesetzgeber, der einen solchen Anspruch normiert, auch die Voraussetzungen regelt. Die Erheblichkeitsschwelle des § BGB § 651f BGB stellt eine derartige Umschreibung der Anspruchsvoraussetzungen dar (so zutr. Führich, Rdnr. 409).

Allerdings ist die Gewährung einer Entschädigung nach § BGB § 651f BGB § 651F Absatz II BGB auch dann möglich, wenn nicht die gesamte Reise, sondern nur ein Teil hiervon Mängel von erheblichem Gewicht aufweist (Staudinger/Eckert, § 651f Rdnr. 66). Vorliegend könnte dies wegen des letzten Teils der Reise in Betracht kommen. Die Erheblichkeitsschwelle einer Beeinträchtigung der Reise von mindestens 50% ist indes auch wegen dieses Teils nicht erreicht. Abweichungen vom Regelfall sind zwar möglich. Diese können aber aus Gründen der Rechtssicherheit nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen eingreifen, bei denen ein Abstellen auf den Orientierungswert das Maß der Beeinträchtigung nicht zutreffend wiederspiegelt, etwa bei bestimmten Personengruppen, zum Beispiel Kindern oder behinderten Menschen, bei denen die Intensität der Beeinträchtigung entsprechend dem Erlebniswert anders als bei der Normalgruppe zu bewerten ist (Führich, Rdnr. 412). Auch wenn sich vorliegend – unstrittig zumindest bei einem Teil der Reisenden – vor allem angesichts der Art und Weise, in der seitens der Bekl. bzw. ihrer Leistungsträger über die Programmänderungen informiert wurde, eine durchaus verständliche Verärgerung breitgemacht hatte, was naturgemäß mit einer Beeinträchtigung des Urlaubsgenusses verbunden sein kann, ist demgegenüber festzustellen, dass trotz der nicht zu verkennenden Beeinträchtigungen das Erleben der Pazifikküste Südamerikas mit kulturellen Hintergründen und markanten Orten sowie der Antarktis als solches geboten wurde. So fand der Ausflug nach Arequipa statt; Santiago de Chile konnte – wenn auch nur für zwei statt fünf Stunden – besichtigt werden. Anlandungen per Schlauchboot in der Antarktis sind ebenfalls erfolgt. Ein Eindruck von Kap Hoorn konnte letztlich, wenn auch nur aus großer Entfernung vermittelt werden. Nach alledem hält der Senat, der in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hatte, dass eine Anwendung des § BGB § 651f BGB § 651F Absatz II BGB in Betracht kommen könne, aber die Meinung des Senats noch offen sei, ein Abweichen vom Regelfall nicht für gerechtfertigt.

Rechtsgebiete

Reiserecht

Normen

BGB §§ BGB 651c, 651d, 651f