Baby darf nachts schreien
Gericht
AG Hamburg-Bergedorf
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
11. 11. 2008
Aktenzeichen
409 C 285/08
Tatbestand:
Die Parteien streiten über - wie die Klägerin behauptet - rückständigen Mietzins, der Beklagte macht Minderung und fristlose Kündigung geltend.
Mit Beginn ab 01.12.1999 waren die Parteien - die Klägerin als Vermieterin - für eine Wohnung ... verbunden. Zudem gab es einen Stellplatzmietvertrag unter den Parteien.
Unter dem 27.02.2008 hat der Beklagte fristlos gekündigt und sich auf Lärm berufen. Die Klägerin hat dies mit Schreiben vom 19.03.2008 zurückgewiesen.
Die Klägerin begehrt - wie sie meint - rückständige Miete und beantragt,
wie im Tenor zu Ziffer 1. und 2. ausgeführt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte legt eine Reihe von Lärmprotokollen vor und meint, aufgrund behaupteten Lärms aus der Wohnung über ihm sei er zur fristlosen Kündigung und Minderung berechtigt.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze einschließlich der dort genannten Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist aus § 535 BGB heraus begründet, die fristlose Kündigung des Beklagten und sein Berufen auf Minderungsrechte unbegründet.
Es fehlt bereits an ausreichendem Vortrag zu einer beachtenswerten Lärmbelästigung aus der Wohnung über derjenigen des Beklagten.
Der Beklagte beruft sich unter anderem auf ein Lärmprotokoll vom 26.02.2008, wofür insgesamt 32 Tage Kinderlärm aufgeführt ist, der sich in der Zeit bis 22.00 Uhr abgespielt haben soll. Auch die übrigen Lärmprotokolle oder „Beschwerden“ des Beklagten beschäftigen sich weitestgehend überwiegend mit behauptetem Kinderlärm bis 22.00 Uhr, oder aber mit Weinen von Kindern des Nachts, das er gehört habe.
Dieser Vortrag reicht weder für ein Minderungsrecht aus, noch ist er ausreichend, um eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund zu belegen.
Kinderlärm ist sozialadäquat. Diesen müssen Mitbewohner in Mehrfamilienhäusern im Grundsatz hinnehmen. Zwar gilt in Mehrfamilienhäusern ein Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Interessen anderer Mitbewohner. Kinder haben jedoch natürlicherweise einen Spiel- und Bewegungsdrang, der häufig mit Geräuschentwicklungen verbunden ist. Es mag dahinstehen, ob Kinderlärm sozusagen die „Musik“ der Zukunft ist. Jedenfalls ist Kinderlärm im Grundsatz kein Grund, der von einer Mietpartei gegenüber der Vermieterin als Grund herreichen könnte, um eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund darstellen zu können. Kinder, insbesondere kleine Kinder, wie hier, müssen die Möglichkeit behalten, sich entsprechend ihrer natürlichen Entwicklung gebärden, bewegen und äußern zu können. Insoweit sind auch die §§ 1626 Abs. 2 und 1631 Abs. 1 und 2 BGB zu berücksichtigen. Bei der Pflege und Erziehung eines Kindes müssen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln berücksichtigen. Mit anderen Worten: Bei kleinen Kindern ist in besonderem Maße deren bisher unzureichende Fähigkeit des Kindes zu beachten, verantwortungsbewusst zu handeln, also auch den Bewegungsdrang und die Lärmentwicklung zu zügeln und auch auf Nachbarn Rücksicht zu nehmen. Eine solche Fähigkeit wächst erst mit weiterem Alter heran.
Hier kommt hinzu, dass der Beklagte sich schon über Lärmentwicklung durch die Kinder der Mieter in der Oberwohnung beschwert, der bis 22.00 Uhr erfolgt ist, also während einer normalen Tageszeit, in der ohnehin jeder Mieter einen gewissen Geräuschpegel aus umliegenden Wohnungen eines Mehrfamilienhauses hinzunehmen verpflichtet ist. Wohnen als solches ist mit Lärm verbunden, kein Mieter hat Anspruch darauf, aus Nachbarwohnungen keine Geräusche hören zu können. Das ist gerade die Eigenart eines Mehrfamilienhauses, wo der Beklagte eine Wohnung bewusst angemietet hat.
Auch ein Weinen der kleinen Kinder und ein Schreien des Nachts stellt keinen wichtigen Grund dar, der den Beklagten zu einer fristlosen Kündigung oder zu einer Minderung berechtigen könnte. Es ist leider so: Kleine Kinder wachen des Nachts auf, weinen und schreien, ohne sofort von den Eltern beruhigt werden zu können. Das ist schlicht Teil der natürlichen Entwicklung eines Kindes. Ein Kind wacht zum Beispiel des Nachts mit Magenschmerzen auf, es vermag sich aber im Gegensatz zum Erwachsenen nicht anders zu artikulieren, als zu weinen und zu schreien. Ein Erwachsener würde versuchen, Hilfe zu holen, in dieser Form kann das ein Kleinkind nicht. Ein Kleinkind kann auch nicht ohne Weiteres sofort sagen, was ihm fehlt,sondern drückt dies durch Weinen und Schreien aus. Insoweit bleibt den Eltern nichts anderes übrig, als zu versuchen, dieses kleine Kind zu beruhigen, auch wenn nicht sofort der Grund erkennbar ist, warum dieses Kind weint und schreit. Das ist dem Kleinkind da sein immer immanent und deshalb als sozialadäquat auch von Mietern anderer Wohnungen aus Nachbarwohnungen hinzunehmen. Es wäre menschlich schrecklich, wollte man kleinen Kindern verbieten, nachts zu schreien oder zu weinen, wenn das Kind Schmerzen hat oder sonst aus unerklärlichen Gründen zu diesen Lebensäußerungen gelangt.
Der Vorsitzende will mit den obigen Ausführungen keinesfalls einer uneingeschränkten Lärmentwicklung eine Berechtigung geben. Der Vorsitzende hat gesehen, dass der Beklagte sich für die Intensität auf das Zeugnis seiner Ehefrau berufen hat und auf das Zeugnis einer Mitarbeiterin der Klägerin, die nach bestrittener Behauptung des Beklagten tagsüber Lärmbelästigungen aus der Wohnung oberhalb derjenigen des Beklagten gehört haben sollen. Betreffend Vortrag und Beweisangebot der Zeugin ..., Mitarbeiterin der Klägerin, ist schon zu berücksichtigen, dass diese nur im Dezember 2007 nach Vortrag des Beklagten vor Ort gewesen sein soll und das tagsüber. Die Klägerin meinte dazu in der mündlichen Verhandlung, die Zeugin ... sei nur einmal im Dezember vor Ort gewesen. Selbst wenn dies - tagsüber - so gewesen sein sollte: Das ist kein wichtiger Grund im Sinne des Gesetzes.
Auch der Vortrag und das Beweisangebot Ehefrau des Beklagten reicht dem Vorsitzenden insoweit nicht aus. Der Beklagte hat nur von Lärmbelästigungen erheblicher Intensität geschrieben, ohne das konkretisieren zu können. Insbesondere im Hinblick darauf, dass der Beklagte sich weitestgehend überwiegend auf Kinderlärm vor 22.00 Uhr bezogen ist, also einer Zeit, wo man als Mieter in einem Mehrfamilienhaus noch mit eher deutlichen Lärmentwicklungen aus Nachbarwohnungen rechnen muss und diese hinzunehmen hat, reicht der Vortrag von „erheblicher Intensität“ dem Vorsitzenden nicht aus. Im Hinblick darauf, dass der Beklagte sich schon auf Kinderlärm vor 22.00 Uhr bezieht und diesen als nicht hinnehmbar bezeichnet, ist der Vorsitzende davon überzeugt, dass bei dem Beklagten jedenfalls eine gesteigerte Empfindlichkeit vorliegt, die dann jedenfalls keinen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen kann.
Nebenentscheidungen: §§ 91, 709 ZPO.
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