Flughafenmitarbeiter keine Erfüllungsgehilfen des Reiseveranstalters

Gericht

LG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

17. 06. 2010


Aktenzeichen

24 S 243/09


Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz und eine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude im Zusammenhang mit einer misslungenen Pauschalreise.

Der Kläger buchte bei der Beklagten für sich und seine Ehefrau eine All-inclusive-Flugpauschalreise nach Kenia für die Zeit vom 20.2.-28.2.2009 zum Reisepreis von 3.182,- EUR. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Reisebestätigung vom 23.1.2009 Bezug genommen.

Der Hinflug sollte am 20.2.2009 von München über Frankfurt a.M. nach Mombasa erfolgen. Der Zubringerflug München - Frankfurt a. M. mit der L. sollte um 20:10 Uhr starten. Aufgrund einer Verspätung konnten der Kläger und seine Ehefrau um 20:50 Uhr an Bord gehen. Sodann kam es zu massiven Problemen mit der Einstiegstreppe zum Flugzeug. Mitarbeiter des Flughafen Münchens hatten die Einstiegstreppe am Flugzeug so verkeilt, dass sich die Tür nicht mehr schließen ließ. Im Folgenden kam es zu verschiedenen Reparaturversuchen. Letztendlich wurde das Problem mit der Einstiegstreppe durch die Flughafentechniker gelöst. Sodann konnte der Flug nach Frankfurt a. M. starten.

Der Kläger und seine Ehefrau trafen gegen 23:10 Uhr in Frankfurt a.M. ein. Der planmäßige Weiterflug nach Mombasa war jedoch bereits um 22:25 Uhr gestartet.

Die nächste Weiterflugmöglichkeit nach Mombasa bestand erst am 23.2.2009 um 20:20 Uhr. Der Kläger und seine Ehefrau brachen die Reise ab. Sie flogen am nächsten Tag zurück nach München.

Die Beklagte zahlte den Reisepreis an den Kläger zurück.

Der Kläger beansprucht nunmehr Ersatz verschiedener Schadenspositionen (unnötige Reiseaufwendungen) und weiterhin eine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude für sich und seine Ehefrau, die ihre Ansprüche an den Kläger abgetreten hatte.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass sich die Beklagte die Fehler des Bedienpersonals der Einstiegstreppe zurechnen lassen müsse. Die Flughafenmitarbeiter hätten die Einstiegstreppe zu weit an das Flugzeug geschoben, wodurch es zu der Verkeilung gekommen sei. Für dieses schuldhafte Verhalten der Mitarbeiter des Flughafens, die Erfüllungsgehilfen der Beklagten seien, habe die Beklagte einzustehen. …

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass der Vorfall mit der Einstiegstreppe ihr nicht zuzurechnen sei. Das Bodenpersonal sei weder Erfüllungsgehilfe der Beklagten noch der Fluggesellschaft. …

Durch Urteil hat das Amtsgericht (AG Bad Homburg 2 C 1103/09) die Klage abgewiesen.

Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass die Beklagte für den Vorfall mit der Einstiegstreppe nicht einzustehen habe. Das Bodenpersonal des Flughafens sei nämlich nicht Erfüllungsgehilfe der Beklagten. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Der Kläger ist weiterhin der Ansicht, dass die Beklagte sich das Fehlverhalten und das Verschulden des Bodenpersonals bzgl. der Einstiegstreppe zurechnen lasse müsse, da die Mitarbeiter des Flughafens Erfüllungsgehilfen der Beklagten seien.

Im Übrigen wiederholt und vertieft der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen. …

Die Beklagte verteidigt das amtsgerichtliche Urteil. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. …

II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Zutreffend hat das Amtsgericht Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte auf Schadensersatz gemäß § 651f Abs. l BGB und eine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude gemäß § 651f Abs. 2 BGB verneint. Ansprüche gegen den Reiseveranstalter gemäß § 651f Abs. l und 2 BGB setzen jeweils voraus, dass der Reiseveranstalter oder ein Erfüllungsgehilfe des Reiseveranstalters im Sinne von § 278 BGB schuldhaft einen Reisemangel verursacht hat.

Es stellt zweifellos einen Reisemangel dar, dass der Kläger infolge der fehlerhaften Handhabung der Einstiegstreppe durch das Bodenpersonal im Hinblick auf den Zubringerflug von München nach Frankfurt a.M. seinen Anschlussflug von Frankfurt a. M. nach Mombasa verpasst hat und damit die Reise letztlich vereitelt worden ist.

Dieser Reisemangel beruht aber weder auf einem Fehlverhalten der Beklagten als Reiseveranstalterin selbst noch der ausführenden Fluggesellschaft als Leistungsträgerin der Beklagten. Vielmehr beruhte der Reisemangel auf einem schuldhaften Fehlverhalten (Verkeilung der Einstiegstreppe) des Bodenpersonals des Flughafen Münchens.

Die Problematik der vorliegenden Fallkonstellation liegt in der Frage, ob dem Reiseveranstalter schuldhafte Fehlleistungen des Bodenpersonals eines Flughafens im Rahmen der Flugabwicklung zugerechnet werden können. Es ist insoweit fraglich, ob das Bodenpersonal im Ergebnis Erfüllungsgehilfe des Reiseveranstalters i. S. v. § 278 BGB ist, für den der Reiseveranstalter einzustehen hat.

Eine Haftung der Beklagten kann sich vorliegend nämlich nur dann ergeben, wenn die Flughafengesellschaft in München Erfüllungsgehilfe der Beklagten bzw. Erfüllungsgehilfe der Luftfahrtgesellschaft und damit wiederum auch Erfüllungsgehilfe der Beklagten gewesen ist.

Ausgangspunkt ist zunächst die allgemeine Definition des Bundesgerichtshofs bzgl. eines Erfüllungsgehilfen. Danach gilt: Ob jemand als Erfüllungsgehilfe eines anderen anzusehen ist, bestimmt sich nicht danach, in welchen rechtlichen Beziehungen er zu ihm oder dessen Gläubiger steht; maßgebend ist allein, ob er nach den rein tatsächlichen Vorgängen des gegebenen Falles mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird. Erfüllungsgehilfe ist also die Person, die rein tatsächlich bei der Erfüllung der Verbindlichkeit eines Schuldners mit dessen Willen tätig wird (BGHZ 35, 32, 35 m.w.N.; vgl. auch zusammenfassend Palandt/Grüneberg, BGB [69. Aufl. 2010], § 278, Rn. 7 m.w.N.).

Soweit ersichtlich war die hier konkret zu entscheidende Fallkonstellation Gegenstand zweier Urteile mit vergleichbaren Fallkonstellationen.

Das LG Hannover (NJW-RR 1989, 820, 820, 821) hat eine Erfüllungsgehilfeneigenschaft des Bodenpersonals des Flughafens verneint. Dagegen hat das OLG Düsseldorf (NJW-RR 1992, 1330, 1331) die Erfüllungsgehilfeneigenschaft der Angestellten der Flughafengesellschaft bejaht.

In der Literatur hat sowohl die Entscheidung des LG Hannover (zustimmend: Führich, Reiserecht [5. Aufl.], Rn.104; Staudinger / Eckert, BGB, 2003, § 65lf, Rn. 30; Palandt/ Sprau, BGB] [69. Aufl. 2010], § 651a, Rn. 11; wohl auch Beck'scher Onlinekommentar / Bamberger / Roth / Geib, BGB [Mai 2010], § 651j, Rn. 7) als auch die Entscheidung des OLG Düsseldorf (zustimmend: Münch-Komm-BGB/Tonner, BGB, 5. Aufl., 2009, § 651j, Rn. 8) Zustimmung gefunden.

Nach einer Gesamtwürdigung der Umstände folgt die Kammer der Auffassung, dass der Flughafenbetreiber und dessen Mitarbeiter nicht als Erfüllungsgehilfen des Reiseveranstalters anzusehen sind.

Zwar passt die allgemeine Definition des Bundesgerichtshofes bzgl. des Erfüllungsgehilfen dem Wortlaut nach auch auf den Flughafenbetreiber im Verhältnis zum Reiseveranstalter. Jedoch hält es die Kammer in diesen Fallkonstellationen für angezeigt, das Merkmal "Willen des Schuldners" restriktiv auszulegen. Der Reiseveranstalter hat nämlich bei der Durchführung von Flugreisen von bestimmten Flughäfen aus keine Wahl in Bezug auf den involvierten Flughafenbetreiber. Diesen muss der Reiseveranstalter als gegeben hinnehmen, auch wenn dieser nicht seinem Willen entsprechen sollte. Insoweit sind Personen aus dem Kreis der Erfüllungsgehilfen auszunehmen, die keine vom Reiseveranstalter organisierbaren Leistungen erbringen (vgl. Palandt / Sprau, BGB [69. Aufl. 2010], § 651a, Rn. 11).

Zutreffend hat das LG Hannover (a.a.O.) ausgeführt, dass auch für den Flughafenbetreiber und dessen Mitarbeiter gilt, dass sie weder von einem Einzelreisenden noch von einem Reiseunternehmen ausgewählt oder sonst wie in ihrer Tätigkeit beeinflussbar sind. Ihre Leistungen sind praktisch "monopolisiert" und müssen von allen Reisenden im grenzüberschreitenden Flugverkehr so hingenommen werden wie sie gerade angeboten werden. Typisch für das eigene Personal eines Reiseveranstalters und das seiner Leistungsträger (Hotelier, Beförderungsunternehmen, Reiseleiter usw.) ist aber gerade, dass er dieses auswählen und den Erfolg der von ihnen erbrachten Leistungen beeinflussen kann, was dann wiederum die Attraktivität eines Reiseveranstalters ausmacht. Auf die dabei organisierbaren Leistungen beschränkt sich deshalb die Gewährleistungspflicht eines Reiseveranstalters.

Sähe man dies anders, würde dies zu einer uferlosen Haftung des Reiseveranstalters in Bezug auf den Flughafenbetreiber führen. Der Reiseveranstalter würde nämlich für jede auch noch so geringfügige schuldhafte Fehlleistung des Flughafenbetreibers haften, und dies weltweit. Eine solche Risikoverteilung hält die Kammer für nicht mehr sachgerecht.

Aus den genannten Erwägungen scheidet auch eine Zurechung des Fehlverhaltens des Bodenpersonals über die Erfüllungsgehilfenkette über die Fluggesellschaft aus. In diesen Fallkonstellationen kann das Bodenpersonal des Flughafenbetreibers nämlich auch nicht als Erfüllungsgehilfe der Fluggesellschaft im Sinne von § 278 BGB angesehen werden.

Nach all dem scheidet eine Haftung der Beklagten als Reiseveranstalterin aus.

2. Mangels Hauptforderung scheiden auch die geltend gemachten Nebenforderungen aus.

III. … Die Revision war gemäß § 543 Abs. l, S.1 Nr. l ZPO zuzulassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob der Flughafenbetreiber Erfüllungsgehilfe des Reiseveranstalters ist, ist - soweit ersichtlich - obergerichtlich noch nicht geklärt.

Des Weiteren besteht der Zulassungsgrund des § 543 Abs. 2, Nr. 2 ZPO, da die aufgeworfene Rechtsfrage in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet wird.

Rechtsgebiete

Reiserecht