Keine Haftung für Telefonate eines Diebes eines Handys
Gericht
AG Nürtingen
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
02. 03. 2010
Aktenzeichen
10 C 692/09
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien schlossen am 10.2.2005 einen auf 24 Monate befristeten Mobilfunkvertrag zu einer monatlichen Grundgebühr von 7,49 € brutto. Dem Beklagten wurde daraufhin die Rufnummer ... unter der Kundennummer ... zur Verfügung gestellt. Unter Ziff. 12.3 der in dem Vertrag vom 10.2.2005 einbezogenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin, die der Beklagte durch Unterzeichnung des Vertrages akzeptierte, heißt es:
"Preise, die durch eine unbefugte Nutzung des Anschlusses entstanden sind, hat der Kunde zu zahlen, wenn und soweit er die unbefugte Nutzung zu vertreten hat. Nach Verlust der ... Karte hat der Kunde nur die Verbindungspreise zu bezahlen, die bis zum Eingang der Meldung bei ... angefallen sind."
Im Mai 2006 benutzte die Tochter des Beklagten dessen Mobiltelefon inklusive der eingelegten Netzkarte bei einem Schüleraustausch in Frankreich. Am 17.5.2006 wurde der Tochter des Beklagten das Mobiltelefon in betriebsbereitem Zustand von einem unbekannten Täter entwendet. Ab 13:38 Uhr desselben Tages telefonierte der unbekannte Täter bis zur Sperrung des Mobiltelefons am 19.5.2006 um 09:51 Uhr fast ununterbrochen ins Ausland, vornehmlich nach Algerien, wofür Verbindungsentgelte i.H.v. netto 2.856,44 €, brutto 3.313,47 €, für den Beklagten anfielen.
Mit Rechnung vom 2.6.2006 forderte die Klägerin von dem Beklagten die Zahlung des in dem Monat Mai 2006 angefallenen Gesamtbetrages i.H.v. 3.328,49 € brutto auf. Der Beklagte zahlte hierauf nicht. Die Klägerin forderte weiter von dem Beklagten für die Monate Juli 2006 bis September 2006 die Zahlung der jeweilig angefallenen Grundgebühren sowie Sperr- und Kündigungskosten i.H.v. insgesamt 59,86 € brutto. ...
Auszüge aus den Gründen:
Der Beklagte hat die klägerischen Ansprüche i.H.v. 9,52 € anerkannt, so dass er diesbezüglich gem. § 307 ZPO durch ein Teilanerkenntnisurteil zu verurteilen war.
Im Übrigen ist die zulässige Klage, soweit über sie aufgrund der teilweisen Klagerücknahme noch zu entscheiden war, überwiegend unbegründet.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten aus dem Mobilfunkvertrag einen Anspruch auf Zahlung der durch den Beklagten und dessen Tochter verursachten Verbindungsgebühren i.H.v. weiteren, neben dem anerkannten Teil von 9,52 €, 5,50 € brutto für den Monat Mai 2006, sowie der für die Monate Juni bis August 2006 angefallenen Grundgebühren i.H.v. jeweils 7,49 € brutto, insgesamt also 37,49 €.
Ein vertraglicher Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten aus dem Mobilfunkvertrag auf Ersatz der durch den unbekannten Täter vom 17.5.2006 bis zum 19.5.2006 verursachten Kosten i.H.v. insgesamt 3306,61 € brutto besteht jedoch nicht, da die Haftungsregelung unter Ziff. 12.3 der Allgemeinen Geschäftsbedingen nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist und daher das Missbrauchsrisiko aufgrund des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion nicht auf den Beklagten übertragen wurde.
Eine tatsächliche Nutzung des Mobilfunkvertrages als auch eine Leistungserbringung an den Beklagten ist unstreitig in Höhe der von dem unbekannten Täter verursachten Kosten nicht erfolgt.
Die wirksam zwischen den Parteien einbezogene Allgemeine Geschäftsbedingung unter Ziff. 12.3 ist nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, da sie den Kunden entgegen den Geboten nach Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Sie bestimmt in Umkehrung des dispositiven Gesetzesrechts eine pauschale, durch schutzwürdige Interessen der Klägerin nicht gedeckte Risikoabwälzung zu Lasten des Beklagten und benachteiligt diesen damit unangemessen.
Nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB sind Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Das ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht vereinbar ist. Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit, ob die dispositive gesetzliche Regelung nicht nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht, sondern eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots darstellt (vgl. BGHZ 89, 211). Dabei brauchen Grundgedanken eines Rechtsbereichs nicht in Einzelbestimmungen formuliert sein. Es reicht aus, dass sie in allgemeinen, am Gerechtigkeitsgedanken ausgerichteten und auf das betreffende Rechtsgebiet anwendbaren Grundsätzen ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. BGH v. 9.10.1985 - VIII ZR 217/84, BGHZ 96, 103 [109]).
Gegen die Zulässigkeit der Haftungsklausel spricht, dass das auf den Kunden verlagerte Risiko mangels betragsmäßiger Haftungsbegrenzung für diesen unkalkulierbar ist (vgl. ähnlich OLG Schleswig, MMR 1998, 41 [43] unter Verweis auf BGHZ 114, 238).
Es ist ein wesentlicher Grundgedanke, dass die in der Risikoabwälzung der betragsmäßig unbegrenzten Haftung für den Kunden liegende Benachteiligung durch die Gewährung anderweitiger Vorteile zu kompensieren ist. Eine solche Kompensation ist in der vorliegenden Konstellation nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Allein die Nutzungsüberlassung des Mobiltelefons an den Kunden und eine Haftung für unverschuldete Missbrauchsfälle der Klägerin vermag die unbegrenzte Missbrauchshaftung des Netzkarteninhabers in zu vertretenden Fällen nicht zu kompensieren. Für den Netzkarteninhaber und damit den Beklagten ist das auf ihn aufgrund der unbegrenzten Haftung übertragene Risiko, wie der vorliegende Fall zeigt, unkalkulierbar. Die Klägerin hat indes keine Verpflichtung übernommen, selbst bei für sie (möglichen) erkennbaren Fällen des Missbrauchs der Netzkarte, einer weit dem Normalfall überschreitenden Benutzung des Mobiltelefons, Einhalt zu gebieten.
Des Weiteren ist die Bestimmung der Ziff. 12.3 als überraschend gem. § 350c Abs. 1 BGB anzusehen.
Mit Unterzeichnung des Mobilfunkvertrages und Kenntnisnahme der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin musste der Beklagte nicht mit einer Klausel rechnen, die bei unbefugten Gebrauch eine unbegrenzte Haftung auferlegt.
Die Einschränkung, wonach eine Haftung des Kunden nur im Falle des Vertretenmüssens erfolgen soll, ändert nichts an der AGB-rechtlichen Unwirksamkeit. Das Telefonieren über eine vertragsgebundene Mobilfunknetzkarte ist äußerst missbrauchsanfällig. Der Kunde hat hier, zumindest technisch, keine Einflussmöglichkeit. Das Risiko einer missbräuchlichen Nutzung ist für den Kunden nicht abschätzbar und belastet ihn daher überobligatorisch (vgl. Hahn, MMR 1999, 586 [590]). Das Merkmal des Vertretenmüssens kann hier daher an vorgenannter Einschätzung nichts ändern. Ohnehin wäre vorliegend bereits äußerst fraglich, ob der Beklagte den unbefugten Gebrauch hätte (zumindest im vollen Umfang) vertreten müssen.
Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich. Die Klage war daher im Umfang der durch den unbekannten Täter verursachten Verbindungsgebühren abzuweisen.
Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten stehen der Klägerin als Verzugsschaden gem. §§ 280 Abs. 1, 286, 288 Abs. 1 BGB in der tenorierten Höhe gemessen an der zuerkannten Hauptforderung von 37,49 € zu, mit Verzugszinsbeginn ab Eingang der Streitsache beim AG Nürtingen, da es insofern an einer alsbaldigen Zustellung der Streitsache i.S.d. § 696 Abs. 3 ZPO mangelt. § 187 Abs. 1 BGB findet aufgrund vergleichbarer Interessenlage analoge Anwendung.
Die Voraussetzungen des § 696 Abs. 3 ZPO sind nicht gegeben, so dass auf den Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheides nicht abzustellen war, sondern auf den Posteingangsstempel des empfangenden Gerichts (vgl. BGH, NJW 2009, 1213).
Die Sache ist nicht im Sinne dieser Vorschrift alsbald nach der Erhebung des Widerspruchs an das Prozessgericht abgegeben worden. "Alsbald" ist wie "demnächst" in § 167 ZPO zu definieren (vgl. BGHZ 175, 360 [362]; BGH v. 16.12.1987 - VIII ZR 4/87, BGHZ 103, 20 [28]). Die Sache ist alsbald abgegeben, wenn dem Antragsteller lediglich eine geringfügige Verzögerung der Abgabe bis zu 14 Tagen anzulasten ist. Der Antragsteller ist gehalten, nach Mitteilung des Widerspruchs ohne schuldhaftes Zögern die Abgabe an das Streitgericht zu veranlassen. In der Regel ist von ihm zu erwarten, dass er binnen eines Zeitraums von zwei Wochen nach Zugang der Mitteilung des Widerspruchs die restlichen Gerichtsgebühren einzahlt und den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens stellt.
Die Klägerin verzögerte die Abgabe der Sache an das Prozessgericht erheblich. Erst mehr als vier Monate nach der Benachrichtigung über den Widerspruch des Beklagten stellte sie den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens und zahlte die weiteren Gerichtskosten ein. Die Streitsache ist beim AG Nürtingen am 22.4.2009 eingegangen.
Der zuerkannte Anspruch auf Zahlung der übrigen Verzugszinsen ist gem. §§ 286, 288 Abs. 1 BGB begründet.
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