Geräuschimmissionen von kommunalem Musikfestival
Gericht
OLG Oldenburg
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
26. 07. 2010
Aktenzeichen
5 W 51/10
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin beabsichtigt, von Donnerstag, den 29. Juli 2010, bis Sonntag, den 1. August 2010, auf dem Gelände einer ehemaligen Baumschule in G… ein Musikfestival zu veranstalten. Geplant sind Darbietungen diverser Musiker, die Freitag und Samstag teilweise bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages auftreten sollen. Die Hauptbühne befindet sich unter freiem Himmel. Daneben ist ein Festzelt vorgesehen, in dem Freitag und Samstag ebenfalls Musiker auftreten sollen; Donnerstagabend ist dort eine Veranstaltung mit einem Diskjockey geplant. In unmittelbarer Nähe des eigentlichen Festival-Geländes sind Park- und Campingflächen vorgesehen sind.
Die Gemeinde G… hat der Antragsgegnerin gemäß § 12 Abs. 1 GastG den Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft aus Anlass des „…“ gestattet. Zum Schutz der Nachbarschaft vor Lärmbelästigungen hat die Gemeinde der Antragstellerin aufgegeben, am Tag (bis 22.00 Uhr) einen Richtwert von 70 dB (A) einzuhalten. Für die Nächte von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag hat sie mit Blick auf die Zeiträume von 22.00 bis 24.00 Uhr jeweils einen Richtwert von 70 dB (A) vorgegeben, für die übrige Nachtzeit einen Richtwert von 55 dB (A).
Die Antragsteller wohnen in der Nähe des Festivalgeländes auf Grundstücken, die jeweils in ihrem Eigentum stehen. Der Antragsteller zu 3) betreibt auf seinem Grundstück außerdem ein Bestattungsunternehmen.
Die Antragsteller begehren den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegnerin untersagt werden soll, durch das „…“ mit Geräuschen auf ihre Grundstücke einzuwirken, die - gemessen 0,5 Meter vor den Fenstern ihrer Wohnhäuser - tagsüber (6.00 bis 22.00 Uhr) einen Beurteilungspegel von 55 dB (A) und eine Geräuschspitze von 75 dB (A) sowie nachts (22.00 bis 6.00 Uhr) einen Beurteilungspegel von 40 dB (A) und eine Geräuschspitze von 50 dB (A) überschreiten. Überdies verlangen sie von der Antragsgegnerin, Abbauarbeiten am Sonntag, den 1. August 2010, zu unterlassen. Parallel dazu gehen sie auf dem Verwaltungsrechtsweg gegen die besagte gaststättenrechtliche Gestattung der Gemeinde G… vor.
Das Landgericht Aurich hat durch Beschluss vom 5. Juli 2010 den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung mit der Begründung abgelehnt, die Antragsteller hätten einen Verfügungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Gegen den Beschluss des Landgerichts, der den Antragstellern am 8. Juli 2010 zugestellt worden ist, haben diese mit einem am 14. Juli 2010 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässig. In der Sache musste ihr jedoch der Erfolg versagt bleiben.
1.
Dem Landgericht ist darin beizupflichten, dass den Antragstellern die geltend gemachten Abwehransprüche nicht zustehen. Insbesondere können die Antragsteller ihr Begehren nicht auf § 1004 BGB stützen. Die Antragsteller sind gemäß § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB verpflichtet, die Geräuschimmission, die von dem Festival „…“ zu erwarten sind, als unwesentliche Einwirkung im Sinne dieser Vorschrift zu dulden. Auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung wird Bezug genommen.
2.
Die gegen den Beschluss des Landgerichts vorgebrachten Einwände vermögen den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung nicht zu rechtfertigen.
a) Der Verweis der Antragsteller auf die Immissionsrichtwerte der Technischen Anleitung Lärm 1998 (TA Lärm) ist nicht geeignet, eine wesentliche Beeinträchtigung im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB zu begründen.
aa) Die TA Lärm besitzt keine unmittelbare Geltung für nicht genehmigungsbedürftige Freizeitanlagen sowie Freiluftgaststätten (Ziff. 1 lit. b TA Lärm). Allerdings bestimmt die Niedersächsische Freizeitlärm-Richtlinie vom 8. Januar 2001 unter Ziffer 2, dass Freizeitanlagen wie nicht genehmigungsbedürftige gewerbliche Anlagen im Sinne der TA Lärm 1998 betrachtet werden. Zu den Freizeitanlagen gehören insbesondere Gründstücke oder Flächen, auf denen im Freien oder in Zelten Diskothekenveranstaltungen, Live-Musik-Darbietungen, Rockkonzerte etc. stattfinden (Ziff. 1 Satz 4 Nds. Freizeitlärm-Richtlinie).
Die Niedersächsische Freizeitlärm-Richtlinie bildet zwar keine Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 3 BGB. Doch kann sie - ebenso wie die Hinweise des Länderausschusses für Immissionsschutz (vgl. BGH, NJW 2003, S. 3699, 3700) - den Gerichten als Hilfe bei der Entscheidung dienen, ob eine wesentliche oder unwesentliche Geräuschimmission vorliegt. Sie ersetzen nicht die Prüfung und Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls, geben dieser Würdigung aber eine Orientierung.
Insofern ist den Antragstellern zu konzedieren, dass eine wesentliche Beeinträchtigung indiziert ist, wenn die - über die Nds. Freizeitlärm-Richtlinie anwendbaren - Richtwerte der TA Lärm überschritten werden (vgl. BGH, NJW 1990, S. 2465, 2466).
bb) Entgegen der Auffassung der Antragsteller können die Immissionsrichtwerte, die die Gemeinde G… in ihrer Gestattung gemäß § 12 GastG vorgegeben hat, allerdings nicht als Überschreitung der TA Lärm-Richtwerte qualifiziert werden.
(1) Auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes hält auch der Senat die Auffassung der Gemeinde G… für berechtigt, wonach es sich bei dem Festival „…“ um ein seltenes Ereignis im Sinne der Ziffer 7.2 TA Lärm handelt. In einer solchen Gestaltung gelten gemäß Ziffer 6.3 TA Lärm prinzipiell höhere Immissionsrichtwerte als in den Regelfällen der Ziffer 6.1 lit. b) bis f)TA Lärm.
(a) Nach der Definition in Ziffer 7.2 TA Lärm sind Ereignisse selten, wenn sie an nicht mehr als zehn Tagen oder Nächten eines Kalenderjahres und in diesem Rahmen auch nicht an mehr als jeweils zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden stattfinden. Das ist hier der Fall.
(b) Soweit die Antragsteller einwenden, es lägen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragsgegnerin auf dem in Rede stehenden Festivalgelände zahlreiche weitere Veranstaltungen mit Rockbands und anderen Musikgruppen durchführen wolle, weist ihr Vortrag zu wenig Substanz auf, um ein seltenes Ereignis im Sinne der Ziffer 7.2 TA Lärm verneinen zu können.
Der Darstellung der Antragsteller zufolge hat ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin die Pläne des Unternehmens in der Sitzung des Ortsrates T… am 20. Oktober 2009 dahin erläutert, dass man auf dem Festivalgelände jedes Jahr 20 und mehr Musikveranstaltungen stattfinden lassen wolle und das Ziel verfolge, eines der großen Rockveranstaltungszentren in Norddeutschland zu werden. Dem kann schon nicht entnommen werden, dass im Jahr 2010 tatsächlich mehr Festivals als „…“ stattfinden werden. Allein die abstrakte Zielvorstellung eines Mitarbeiters der Antragsgegnerin reicht nicht aus, um zu belegen, dass in dem laufenden Kalenderjahr von dem Festivalgelände häufiger als an zehn Tagen oder Nächten Geräusche ausgehen werden, mit denen die Immissionsrichtwerte der Ziffer 6.1 TA Lärm überschritten werden. Konkrete Angaben zu Art und Dauer eventuell geplanter zusätzlicher Veranstaltungen sind nicht ersichtlich. Der Hinweis der Antragsteller, es sei auch deshalb mit weiteren lautstarken Konzerten zu rechnen, weil die Antragsgegnerin das Festivalgelände mit erheblichem Material- und Finanzeinsatz hergerichtet habe, bleibt im Bereich des Spekulativen. Auch der von den Antragstellern vorgelegte Bericht in der …zeitung (Anlage A 23) enthält keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass und gegebenenfalls welche zusätzlichen Veranstaltungen auf dem Festivalgelände geplant sind.
(2) Nach dem Gesagten können die Immissionsrichtwerte für seltene Ereignisse gemäß Ziffer 6.3 TA Lärm als Entscheidungshilfe für den vorliegenden Fall herangezogen werden. Diese betragen für den Beurteilungspegel für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden tagsüber 70 dB (A) und nachts 55 dB (A). Eine derartige Begrenzung sieht die von der Gemeinde G… erteilte Gestattung gemäß § 12 Abs. 1 GastG im Kern vor. Lediglich für die Nachtstunden von 22.00 bis 24.00 Uhr am Freitag und Samstag hat die Gemeinde einen höheren Immissionsrichtwert zugelassen, nämlich - wie an den Tagen - 70 dB (A). Allein diese jeweils zweistündigen Ausnahmen liefern keinen hinreichenden Grund für die Annahme, eine wesentliche Beeinträchtigung im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB sei indiziert. Denn selbst nach den Vorschriften der TA Lärm ist es grundsätzlich möglich, die regelmäßig um 22.00 Uhr beginnende Nachtzeit hinauszuschieben, wenn auch nur um eine Stunde (Ziffer 6.4 TA Lärm). Außerdem hat der Bundesgerichtshof es - nach einer Abwägung im Einzelfall - prinzipiell als möglich angesehen, die Tageszeit im Sinne der immissionsrechtlichen Vorschriften um zwei Stunden bis 24.00 Uhr auszudehnen (vgl. BGH, NJW 2003, S. 3699, 3701). Eine Würdigung der übrigen maßgebenden Umstände des vorliegenden Falles (dazu sogleich) lässt die von der Gemeinde G… gezogenen Grenzen als zumutbar erscheinen.
b) Wie dargelegt, bilden die technischen Regelwerke nur Richtlinien, die nicht schematisch angewendet werden dürfen und eine Prüfung und Abwägung der konkreten Gegebenheiten nicht ersetzen können.
aa) Für die Frage der Wesentlichkeit von Lärmimmissionen sind die Dauer und die Häufigkeit der Einwirkung von erheblicher Bedeutung (vgl. BGH, NJW 2003, S. 3699, 3700).
Aus den oben genannten Gründen muss derzeit davon ausgegangen werden, dass eine Veranstaltung, die hinsichtlich der Geräuschentwicklung mit dem „…" vergleichbar ist, auf dem fraglichen Gelände nur einmal im Jahr stattfindet. Das „…“ dauert zwar von Donnerstag bis Sonntag. Doch hat die Gemeinde G… - wie ausgeführt - Immissionsrichtwerte von 70 dB (A) lediglich an zwei Nächten für jeweils zwei Stunden, nämlich von 22.00 bis 24.00 Uhr, gestattet. Für die Übrigen Nachstunden hat sie der Antragsgegnerin aufgegeben, den deutlich niedrigeren Immissionsrichtwert von 55 dB (A) einzuhalten. Außerdem sind der vorgelegten Programmübersicht zufolge am Sonntag keine Musikdarbietungen mehr vorgesehen (abgesehen von den Auftritten in der Nacht von Samstag auf Sonntag). Am Sonntagmorgen soll bereits mit dem Abbau begonnen werden. Damit konzentriert sich die Belastung durch Geräuschimmissionen im Wesentlichen auf zwei Tage/Nächte. Insgesamt ist damit die Dauer der Geräuschbelästigung selbst innerhalb des zeitlichen Rahmens, den Ziffer 7.2 Satz 1 TA Lärm für seltene Ereignisse steckt, noch verhältnismäßig gering.
bb) Nach der höchstrichterlichen Judikatur kann bei seltenen Störereignissen auch die Bedeutung der Veranstaltung nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. BGH, NJW 2003, S. 3699, 3700).
(1) Dieser Aussage liegt ein Begriffsverständnis zugrunde, dem zufolge als erhebliche Belästigung alles anzusehen ist, was einem verständigen Durchschnittsmenschen auch unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange billigerweise nicht mehr zuzumuten ist. Demgemäß können bei der Prüfung der Erheblichkeit oder Wesentlichkeit von Lärm auch schutzwürdige Interessen der Allgemeinheit und gesetzliche Wertungen eine Rolle spielen (vgl. BGH, a. a. O. mit w. N.). Vor diesem Hintergrund können bei nur einmal jährlich stattfindenden Veranstaltungen von kommunaler Bedeutung selbst solche Lärmeinwirkungen unwesentlich sein, welche die für die Abend- und Nachtzeit aufgestellten Richtwerte in technischen Regelwerken überschreiten (vgl. BGH, a. a. O., S. 3701).
(2) Entgegen der Auffassung der Antragsteller kann dem in Rede stehenden Festival nach Aktenlage eine kommunale Bedeutung nicht abgesprochen werden. Zu Recht verweist das Landgericht in diesem Zusammenhang auf den Genehmigungsbescheid der Gemeinde G… vom 25. Juni 2010, in dem die besondere Bedeutung des Festivals für die Gemeinde näher begründet wird. Das darin zum Ausdruck kommende Interesse, den Bekanntheitsgrad des Standortes durch zahlreiche auswärtige Besucher und eine umfangreiche Medienberichterstattung zu steigern und daraus möglichst auch wirtschaftlichen Nutzen für die Gemeinde zu ziehen, ist als legitime kommunale Intention zu akzeptieren. Das gilt umso mehr, als sich sowohl der Ortsrat T… als auch der Verwaltungsausschuss der Gemeinde G… grundsätzlich für das Festival und den Austragungsort ausgesprochen haben. Der Einwand der Antragsteller, ausweislich des Schreibens des Ortsbürgermeisters B… vom 16. November 2009 habe der Ortsrat seine Zustimmung nur unter der Voraussetzung erteilt, dass die Musikdarbietungen auf zwei Veranstaltungstage begrenzt werden, ändert nichts daran, dass der Ortsrat das „…“ prinzipiell befürwortet. Außerdem wird in dem besagten Schreiben des Ortsbürgermeisters lediglich „die Empfehlung“ ausgesprochen, die erforderliche Genehmigung mit der Auflage zu erteilen, dass „lautstarke“ Musikdarbietungen auf zwei Tage zu begrenzen sind. Dem hat die Gemeinde - wie dargelegt - letztlich dadurch Rechnung getragen, dass sie die Nachtzeit an lediglich zwei Tagen faktisch bis 24.00 Uhr hinausgeschoben hat.
Unter den gegebenen Umständen steht es der Annahme einer kommunalen Bedeutung auch nicht entgegen, dass die Antragsteller sich auf den Widerstand mehrerer Bürger und auf eine Unterschriftenliste mit 123 Unterschriften, also auf eine deutliche Minderheit gemessen an der Gesamteinwohnerzahl, berufen.
cc) Soweit die Antragsteller zu 1) und 2) geltend machen, dass das „…“ ihre Gesundheit gefährde, lässt sich daraus ein Anspruch auf die begehrte Unterlassung ebenfalls nicht ableiten.
(1) Einmal ist dem Landgericht darin beizupflichten, dass sich aus den vorgelegten ärztlichen Attesten (A 17 und A 20) eine durch Lärm unmittelbar drohende Gesundheitsgefahr nicht entnehmen lässt. In beiden Attesten weist der ausstellende Arzt ausdrücklich darauf hin, dass er zu der Frage nach einer möglichen gesundheitlichen Schädigung durch Lärm „nur sehr eingeschränkt Stellung nehmen“ könne, weil er „über eine besondere Ausbildung zur Beurteilung schädigender gesundheitlicher Einflüsse durch Lärm“ nicht verfüge. Dementsprechend benennt er auch keinerlei konkret drohende Gefahren. Dasselbe gilt für den - auf den Antragsteller zu 2) bezogenen - Kurzentlassungsbericht der H…-Klinik (Anlage K 31). Außerdem trägt dieser das Datum vom 2. Februar 2007 und ist damit über drei Jahre alt.
Die in Ablichtung vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen genügen ebenfalls nicht, um ein spezifisches, gerade aus der beanstandeten Lärmbelästigung resultierendes Gefahrenpotenzial glaubhaft zu machen.
So haben die Tochter und eine Nachbarin der Antragstellerin zu 1) erklärt, letztere gerate wegen ihrer Demenzerkrankung in Panik, wenn sie laute Geräusche, fremde Personen auf ihrem Grundstück oder ungewohnten Fahrzeugverkehr wahrnehme. In derartigen Situationen bestehe die Gefahr, dass die Antragstellerin zu 1) weglaufe und orientierungslos herumirre. Danach kommen mehrere unterschiedliche Faktoren als Auslöser für die beschriebene Panik in Betracht. Da sich allerdings noch nicht einmal der behandelnde Hausarzt in der Lage gesehen hat, die Frage nach einer schädigenden Wirkung von Lärm zu beantworten, kann eine konkrete Gefahr erst recht nicht aus einer Stellungnahme medizinischer Laien abgeleitet werden, die den hier interessierenden Störfaktor lediglich pauschal als „laute Geräusche“ beschreiben und einen Zusammenhang zu der behaupteten Panikreaktion offenbar nur vermuten. Überdies stellt sich angesichts der beschriebenen psychischen Labilität die Frage, ob der Antragstellerin zu 1) mit einer bloßen Reduzierung des Lärmpegels überhaupt geholfen wäre, zumal die übrigen Störfaktoren weiterhin möglich wären.
Was die eidesstattliche Versicherung der Ehefrau des Antragstellers zu 2) betrifft, so ergibt sich daraus lediglich, dass der - unter anderem durch eine koronare Herzkrankheit und einen Schlaganfall gesundheitlich stark in Mitleidenschaft gezogene - Antragsteller zu 2) „nervlich nicht mehr belastbar“ sei und „jegliche Aufregung […] zu momentanen Verschlechterungen des Gesundheitszustandes“ führe. Ob gerade die Geräuschbelastung innerhalb der durch den Genehmigungsbescheid der Gemeinde G… gezogenen Grenzen eine möglicherweise gesundheitsschädigende nervliche Belastung des Antragstellers zu 2) auslösen kann, bleibt offen. Dabei drängt sich diese Frage umso mehr auf, als der Antragsteller zu 2) immerhin 300 Meter vom Festivalgelände entfernt wohnt.
(2) Weiter ist zu berücksichtigen, dass bei einer erheblichen Einwirkung auf die Gesundheit oder das Wohlbefinden die Annahme einer wesentlichen Immission zwar in Betracht kommt, dass aber der Schutz vor Lärmbelästigungen nicht generell gilt. Vielmehr kann eine Abwägung zu dem Ergebnis führen, dass das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung einer Veranstaltung - etwa wegen der kommunalen Bedeutung - gegenüber dem Schutzbedürfnis der Nachbarschaft überwiegt (vgl. BGH, NJW 2003, S. 3699, 3701). Außerdem ist die Grenze zwischen wesentlichen und unwesentlichen Beeinträchtigungen grundsätzlich nicht anhand der besonderen Empfindlichkeit oder Belastbarkeit der von einer Immission betroffenen Nachbarn, sondern in Anlehnung an das mutmaßliche Empfinden eines Durchschnittsbewohners des von der Immission betroffenen Gebietes zu ziehen (vgl. Säcker, in: Münchener Kommentar, BGB, 5. Aufl., § 906, Rn. 34 m. w. N.).
Nach diesem Maßstab könnte es den Antragstellern zu 1) und 2) im Falle einer konkret drohenden Gesundheitsgefährdung durchaus zuzumuten sein, innerhalb des verhältnismäßig kurzen Zeitraums einer eventuellen Lärmbelästigung Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, etwa eine kurzfristige Ortsabwesenheit zu organisieren oder - im Fall der Antragstellerin zu 1) - eine geeignete Aufsichtsperson hinzuzuziehen.
dd) Dafür, dass die Antragsgegnerin sich nicht an die in dem gaststättenrechtlichen Genehmigungsbescheid der Gemeinde G… festgelegten Immissionsrichtwerte halten wird, bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte.
(1) Immerhin findet das „…“ bereits seit 2001 alljährlich in der Gemeinde G…statt und soll auch weiterhin dort durchgeführt werden. Konkrete Umstände, die eine Überschreitung der Immissionsrichtwerte befürchten lassen könnten, tragen die Antragsteller auch in der Beschwerdebegründung nicht vor. Überdies dürfte die Antragsgegnerin ein Interesse daran haben, durch eine Beachtung der gemeindlichen Vorgaben einer restriktiver werdenden Genehmigungspraxis vorzubeugen.
(2) Entgegen der Behauptung der Antragsteller hat die Gemeinde auch nicht gänzlich auf Kontrollmechanismen verzichtet. Unter Ziffer 5 des Bescheides vom 25. Juni 2010 wird der Antragsgegnerin aufgegeben, eine nach §§ 26, 28 BImSchG benannte Messstelle mit der Durchführung der schalltechnischen Untersuchung zu beauftragen und die Einhaltung der Immissionsrichtwerte der Gemeinde durch entsprechende Messprotokolle nachzuweisen. Außerdem hat die Antragsgegnerin eine verantwortliche, für die Gemeinde oder die Polizei jederzeit erreichbare verantwortliche Person zu benennen, die befugt ist, Anweisungen gegenüber allen anwesenden Personen (Gäste, Musiker, Personal) zu treffen.
ee) Die Antragsteller rekurrieren weiter darauf, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch von Bedeutung sein kann, ob sich die fragliche Veranstaltung an einen anderen Standort innerhalb der Gemeinde beziehungsweise des Ortsteils verlegen lässt.
(1) Tatsächlich verringert sich das Maß dessen, was einem Anwohner an Geräuscheinwirkungen zuzumuten ist, wenn ein zumutbarer Standortwechsel unterbleibt, obwohl unter Wahrung des Charakters der Veranstaltung die Lärmimmissionen für Anwohner deutlich reduziert werden können. Voraussetzung ist allerdings, dass der Standort, an den die Veranstaltung verwiesen werden soll, ebenso geeignet ist wie die gewählte Fläche, dass die Anwohner dort insgesamt aber deutlich weniger beeinträchtigt werden (vgl. BGH, NJW 2003, S. 3699, 3701).
(2) Dass kann hier nicht festgestellt werden. Die Antragsteller führen zwar ins Feld, dass die Veranstaltung in den vergangenen Jahren in einem Gewerbegebiet stattgefunden hat. Ob dieser Standort im Vergleich mit der jetzt ins Auge gefassten Fläche zumindest ebenso geeignet ist, lässt sich jedoch anhand des Vortrags der Antragsteller nicht beurteilen. Entsprechendes gilt für die Frage, ob in dem besagten Gewerbegebiet Anwohner insgesamt deutlich weniger beeinträchtigt werden. Gegen eine solche Annahme spricht der vorgelegte Briefwechsel zwischen der Antragsgegnerin und den Bevollmächtigten der Antragsteller. So heißt es in dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 14. Mai 2010 (Anlage A 6), um das alte Festivalgelände im Gewerbegebiet herum befinde sich ebenfalls Wohnbebauung; das jetzt avisierte Gelände liege in der Mitte von ausgedehnten Ländereien; auch Mitglieder des Ortsrates T… und W… hätten trotz intensiver Suche keine Örtlichkeit gefunden, die noch weniger umliegende Wohnbebauung aufweise als das Gelände der ehemaligen Baumschule (S. 2 f. der Anlage A 6).
Nach Aktenlage besteht somit kein Anlass, das Maß dessen, was einem Anwohner an Geräuscheinwirkungen zuzumuten ist, wegen einer echten Standortalternative als verringert anzusehen.
ff) Ebenfalls nicht zu Gunsten der Antragsteller auszuwirken vermag sich die von ihnen ergänzend herangezogene Vorschrift des § 4 Abs. 1 NFeiertagsG, wonach öffentlich bemerkbare Handlungen, die die äußere Ruhe stören oder dem Wesen der Sonn- und Feiertage widersprechen, verboten sind. Das Verbot eignet sich hier schon deshalb nicht als Grundlage für einen Unterlassungsanspruch, weil nach § 14 Abs. 1 lit. c) NFeiertagsG die Gemeinden aus besonderem Anlass im Einzelfall Ausnahmen zulassen können. Die Gemeinde G… hat die Veranstaltung ausdrücklich gestattet.
Bei einer solchen Sachlage erscheint das Gebot der Sonntagsruhe nicht geeignet, eine wesentliche Geräuschbeeinträchtigung im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB zu begründen oder den Antragstellern unter einem anderen Gesichtspunkt einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch zu vermitteln.
3.
Nach alledem haben die Antragsteller weder einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung verpflichtet wird, die im Antrag genannten Immissionswerte einzuhalten, noch können sie mit Erfolg von der Antragsgegnerin verlangen, am Sonntag, den 1. August 2010 Abbauarbeiten zu unterlassen. Die sofortige Beschwerde war deshalb insgesamt zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Beschwerdewert richtet sich nach §§ 53 Abs. 1 Nr. 1, 48 Abs. 2 GKG i. V. m. § 3 ZPO.
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