Kündigung des Reisevertrages / Minderungsquote
Gericht
LG Frankfurt a.M.
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
17. 12. 2009
Aktenzeichen
2-24 S 140/09
Die Berufung der Klägerin gegen das am 4.6.2009 verkündete Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main - Az. 32 C 3339/08-84 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird abgesehen (§§ 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO).
II.
Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte und fristgemäß begründete Berufung der Klägerin ist in der Sache nicht begründet.
Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht überwiegend abgewiesen. Der Klägerin steht darüber hinaus kein weiterer Zahlungsanspruch zu.
Auf das Rechtsverhältnis der Parteien ist das Reisevertragsrecht gemäß §§ 651 a ff BGB anzuwenden, da die Beklagte eine Mehrzahl von Reiseleistungen schuldete. Nach der Reisebestätigung umfassten die Reiseleistungen Unterkunft und Verpflegung mit Halbpension.
Sind die Vorschriften des Reisevertragsrechts anzuwenden, gehen sie als spezielle Vorschriften den allgemeinen Regeln vor.
Auf dieser Grundlage bestehen weder Ansprüche auf Rückzahlung des Reisepreises gemäß § 651 e Abs. 3 BGB, noch Schadensersatz gemäß § 651 f Abs. 1 BGB oder Ansprüche auf Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit gemäß § 651 f Abs. 2 BGB.
Zwar geht das Amtsgericht zu Recht davon aus, dass ein Mangel der Reise darin zu sehen ist, dass entgegen der Zusage der Beklagten in der Reisebestätigung und im Reiseprospekt das der Klägerin zugewiesene Zimmer in dem Hotel A. über keinen Balkon verfügt.
Allerdings ist dem Amtsgericht auch dahingehend zuzustimmen, dass die Klägerin wegen des fehlenden Balkons den Reisevertrag mit der Beklagten nicht kündigen durfte. Wenn auch der fehlende Balkon mit einer Minderung von 20% zu bewerten ist, liegt darin gleichwohl kein erheblicher Mangel i. S. d. § 651 e Abs. 1 BGB.
Zwar nahm die Kammer - was das Amtsgericht vorliegend jedoch unberücksichtigt gelassen hat - in ständiger langjähriger Rechtsprechung eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651 e I 1 BGB dann an, wenn Mängel vorlagen, die im Gesamtgewicht eine Minderungsquote von jedenfalls 20% rechtfertigten (vgl. z. B. nur Kammer, NJW-RR 1995, 1521, 1522; Kammer, Urteil v. 26.09.2008, Az.: 2-24 S 105/07).
Die Kammer hält an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest und gibt sie auf.
In Rechtsprechung und Literatur wird die Frage, wie eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651 e I BGB zu bestimmen ist, unterschiedlich beantwortet (vgl. zusammenfassend Führich, Reiserecht, 5. Aufl., 2005, Rn. 363-365 mit entsprechenden Fundstellennachweisen). Vereinzelt wurde der 20%-Grenze der hiesigen Kammer gefolgt.
Die wohl überwiegende Rechtsprechung geht in Anlehnung an die ebenso überwiegende Rechtsprechung zu § 651 f II BGB von einer starren 50%-Grenze, also von einem Überschreiten der Erheblichkeitsschwelle bei Mängeln mit einem Gesamtgewicht von 50%, aus.
Weiterhin wird, insbesondere vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main (RRa 1995, 224, 225; NJW-RR 2005, 132, 132/133; RRa 2006, 160, 162 u. 259, 261), die Auffassung vertreten, dass eine am Reisezweck und am Reisecharakter orientierte Gesamtwürdigung aller Umstände erforderlich sei und auf starre Prozentsätze nicht abgehoben werden könne.
Der Bundesgerichtshof hat sich im Urteil vom 07.10.2008 (NJW 2009, 287, 288) unter Zitierung des OLG Frankfurt am Main der letztgenannten Auffassung angeschlossen und ausgeführt, dass in welchem Maße ein Mangel die Reise beeinträchtigt, aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung zu beurteilen ist.
Die Kammer schließt sich nunmehr ebenfalls der Auffassung an, dass zur Beurteilung einer erheblichen Beeinträchtigung im Sinne von § 651 e I 1 BGB nicht lediglich auf starre Prozentsätze abgehoben werden kann, sondern vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen ist. Danach gilt im Anschluss an die BGH-Rechtsprechung nach der nunmehrigen Rechtsprechung der Kammer der Grundsatz, dass in welchem Maße ein Mangel die Reise beeinträchtigt, aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung zu beurteilen ist. Maßgebend ist vor allem auch, ob dem Reisenden die Fortsetzung der Reise angesichts der Reisemängel zumutbar ist (vgl. auch OLG Frankfurt am Main, RRa 2006, 160, 162 u. 259, 261). Jedoch ist die Kammer weiterhin der Auffassung, dass (fiktive) Minderungsquoten bei der Beurteilung der erheblichen Beeinträchtigung bei einer Gesamtwürdigung der Umstände berücksichtigt werden können. So geht auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main davon aus, dass fiktive Minderungssätze durchaus ergänzend herangezogen werden können und als Anhalt dienen können (vgl. OLG Frankfurt am Main, RRa 2006, 160, 162 u. 259, 261; ebenso Palandt/Sprau, BGB, 68. Aufl., 2009, § 651 e, Rn. 2). Nach Auffassung der Kammer stellt die (fiktive) Minderungsquote nämlich einen tauglichen Indikator bzgl. der Beeinträchtigung der Reise dar. Darüber hinaus bietet die Quantifizierung auch eine gewisse Rechtssicherheit.
Danach hält es die Kammer für sachdienlich auch im Rahmen einer vorzunehmenden Gesamtwürdigung einer bestimmten (fiktiven) Minderungsquote eine Indizwirkung für das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung im Sinne von § 651 e I 1 BGB zukommen zu lassen. In diesem Zusammenhang hält es die Kammer im Hinblick auf eine (fiktive) Minderungsquote bei § 651 e I 1 BGB für angezeigt, eine Annäherung zur Regelung des § 651 f II BGB herzustellen. In beiden Vorschriften wird auf eine „erhebliche Beeinträchtigung“ abgestellt. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (Urteil v. 31.08.2006, Az. 2-24 S 281/05, RRa 2007, 69 ff.; Urteil v. 07.12.2007, Az. 2-24 S 53/07, RRa 2008, 76 ff.) liegt eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise im Sinne von § 651 f II BGB vor, wenn Reisemängel in dem Ausmaße vorliegen, dass eine Reisepreisminderung in Höhe von mindestens 50% gerechtfertigt ist. An dieser Rechtsprechung hält die Kammer fest.
Dagegen vertritt die Kammer nunmehr die Auffassung, dass im Hinblick auf § 651 e BGB zu beachten ist, dass die durch eine Kündigung herbeigeführte Beendigung des Vertrages so einschneidend ist, dass sie nur unter erschwerten Voraussetzungen zugelassen werden sollte (vgl. auch MüKo-Tonner, BGB, 5. Aufl., 2009, § 651 e, Rn. 9). Aufgrund dessen hält die Kammer nunmehr die zuletzt vertretene Minderungsquote von 20% für zu gering, als dass ihr eine Indizwirkung für eine erhebliche Beeinträchtigung zugesprochen werden könnte. Nach einer Gesamtwürdigung aller Gesichtspunkte hält die Kammer eine (fiktive) Minderungsquote von 35% für tauglich, um die Voraussetzungen für eine Kündigung ausreichend aber auch nicht zu sehr zu erschweren.
Danach ist davon auszugehen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651 e I 1 BGB vorliegt, wenn dem Reisenden aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung eine Fortsetzung der Reise nicht zumutbar ist, wobei die Unzumutbarkeit regelmäßig bei einer (fiktiven) Minderungsquote von 35% indiziert ist. Es ist aber nochmals zu betonen, dass die Feststellung einer (fiktiven) Minderungsquote nicht von einer umfassenden Gesamtwürdigung der Umstände entbindet. Es handelt sich gerade nicht um eine starre Prozentgrenze, sondern es kommt immer auf den Einzelfall an.
Gemessen an diesen Grundsätzen liegt in dem fehlenden Balkon keine erhebliche Beeinträchtigung vor. Der nicht vorhandene Balkon ist nach einer Gesamtwürdigung der Umstände nicht so erheblich, dass er das Verbleiben der Klägerin und ihres Mitreisenden im gebuchten Hotel unzumutbar gemacht hätte.
Die Bewertung des Amtsgerichts mit einer Minderungsquote von 20% ist durchaus angemessen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der sonstige Aufenthalt in dem Hotel nicht zu beanstanden ist. Nach dem Prospekt erfolgt die Unterbringung in einfach-rustikalen Zimmern, was auf eine einfache Ausstattung schließen lässt. Die Vorzüge des Hotels liegen vielmehr in seiner Lage in unberührter Natur im Intelvital und in der guten Küche, weniger jedoch in der Unterbringung und Ausstattung der Zimmer. In der Bewertung des Verhältnisses der Reiseleistungen in mangelfreier und mangelhafter Form (§§ 651 d Abs. 1, 638 Abs. 3 BGB) ist der fehlende Balkon von eher geringer Bedeutung und mit einer Minderung von 20% angemessen berücksichtigt.
Damit wird die nunmehrige Grenze für eine Indizwirkung für eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne des § 651 e I 1 BGB von 35% nicht erreicht.
Es liegen nach einer Gesamtbetrachtung aller Umstände aber auch keine sonstigen Gründe vor, die es rechtfertigen, allein aufgrund des fehlenden Balkons die Zumutbarkeit des Verbleibens im Hotel zu verneinen.
Auch wenn die Klägerin und ihr Mitreisender dem Balkon eine besondere Bedeutung beigemessen haben, ist dennoch nicht davon auszugehen, dass dieser gerade die zentrale Reiseleistung gewesen ist, bei deren Fehlen der Zweck der Reise nicht erreicht werden konnte.
Der Schwerpunkt der Reise liegt in dem Erleben der Natur durch Ausflüge und in dem Genießen der guten Küche, weniger im Aufenthalt in dem Zimmer. Auch ein Aufenthalt tagsüber auf dem Balkon verleiht diesem keine zentrale Bedeutung, da eine besondere Lage des Balkons nicht zugesichert wurde.
Eine weitergehende Minderung wegen anderer Mängel steht der Klägerin nicht zu. Soweit die Klägerin einen Buchungswunsch nach einem großen Fenster geäußert hat, ist dieser Wunsch nicht Vertragsinhalt geworden, denn in die Buchungsbestätigung wurde nur der Balkon aufgenommen, nicht ein großes Fenster. Die Möglichkeit, große Fenster zu buchen, sieht auch der Prospekt nicht vor.
Weitere Mängel des Zimmers sind in der Berufungsbegründung nicht vorgebracht worden. Soweit die Klägerin in dem Schriftsatz vom 4.11.2009 als ungepflegt bezeichnet wurde, werden konkrete Anhaltspunkte nicht genannt. Das in erster Instanz vorgelegte Lichtbild vermittelt auch nicht den Eindruck, dass das Zimmer ungepflegt ist.
War die Klägerin damit nicht zur Kündigung des Reisevertrages berechtigt, stellen die Übernachtungs- und Verpflegungskosten keinen adäquat-kausalen Schaden des Mangels dar, den sie gemäß § 651 f Abs. 1 BGB ersetzt verlangen könnte.
Für Entschädigungsansprüche ist kein Raum, weil die für § 651 f Abs. 2 BGB notwendige Minderungsquote von 50% nicht erreicht ist.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos war (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung besteht nicht, nachdem die Beschwer für eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO in der Fassung des 2. JuMoG vom 22.12.2006 nicht erreicht wird.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Vielmehr berücksichtigt diese Entscheidung die Rechtsprechung des BGH.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen