Ausgleichsanspruch bei Verspätung von Flügen

Gericht

EuGH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

19. 11. 2009


Aktenzeichen

C-402/07


Entscheidungsgründe

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung des Art. 2 Buchst. l sowie der Art. 5, 6 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46, S. 1).

Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zum einen zwischen Herrn Sturgeon und seiner Familie (im Folgenden: Mitglieder der Familie Sturgeon) und der Fluggesellschaft Condor Flugdienst GmbH (im Folgenden: Condor) (C‑402/07) und zum anderen zwischen Herrn Böck und Frau Lepuschitz und der Fluggesellschaft Air France SA (im Folgenden: Air France) (C‑432/07) wegen der Weigerung dieser Fluggesellschaften, den genannten Fluggästen, die zu ihren Zielflughäfen mit einer Verspätung von 25 bzw. 22 Stunden gegenüber der geplanten Ankunftszeit befördert wurden, Ausgleich zu leisten.


Rechtlicher Rahmen

Die Erwägungsgründe 1 bis 4 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:

„(1) Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

(2) Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.

(3) Durch die Verordnung (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 4. Februar 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr [ABl. L 36, S. 5] wurde zwar ein grundlegender Schutz für die Fluggäste geschaffen, die Zahl der gegen ihren Willen nicht beförderten Fluggäste ist aber immer noch zu hoch; dasselbe gilt für nicht angekündigte Annullierungen und große Verspätungen.

(4) Die Gemeinschaft sollte deshalb die mit der genannten Verordnung festgelegten Schutzstandards erhöhen, um die Fluggastrechte zu stärken und um sicherzustellen, dass die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in einem liberalisierten Markt harmonisierten Bedingungen unterliegt.“

Im 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:

„Vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände sollte ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern.“

Art. 2 der Verordnung Nr. 261/2004 („Begriffsbestimmungen“) sieht vor:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

l) ‚Annullierung‘ die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war.“

Art. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 („Annullierung“) bestimmt: „(1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen

a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,

c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,

iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

…“

Art. 6 der Verordnung Nr. 261/2004 („Verspätung“) hat folgenden Wortlaut:

„(1) Ist für ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nach vernünftigem Ermessen absehbar, dass sich der Abflug

a) bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger um zwei Stunden oder mehr oder

b) bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km um drei Stunden oder mehr oder

c) bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen um vier Stunden oder mehr

gegenüber der planmäßigen Abflugzeit verzögert, so werden den Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen

i) die Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 angeboten,

ii) wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit erst am Tag nach der zuvor angekündigten Abflugzeit liegt, die Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben b) und c) angeboten und,

iii) wenn die Verspätung mindestens fünf Stunden beträgt, die Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a) angeboten.

(2) Auf jeden Fall müssen die Unterstützungsleistungen innerhalb der vorstehend für die jeweilige Entfernungskategorie vorgesehenen Fristen angeboten werden.“

Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 („Ausgleichsanspruch“) bestimmt:

„(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,

b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,

c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.

Bei der Ermittlung der Entfernung wird der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt.

(2) Wird Fluggästen gemäß Artikel 8 eine anderweitige Beförderung zu ihrem Endziel mit einem Alternativflug angeboten, dessen Ankunftszeit

a) bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger nicht später als zwei Stunden oder

b) bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 und 3 500 km nicht später als drei Stunden oder

c) bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen nicht später als vier Stunden

nach der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges liegt, so kann das ausführende Luftfahrtunternehmen die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 um 50 % kürzen.

…“

Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 sieht vor, dass die Fluggäste, wenn auf diesen Artikel Bezug genommen wird, zwischen der Erstattung der Flugscheinkosten und einem Rückflug zum ersten Abflugort gemäß Abs. 1 Buchst. a oder anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen gemäß Abs. 1 Buchst. b und c wählen können.

Nach Art. 9 der Verordnung Nr. 261/2004 sind den Fluggästen, wenn auf diesen Artikel Bezug genommen wird, gemäß Abs. 1 Buchst. a Mahlzeiten und Erfrischungen und gemäß Abs. 1 Buchst. b und c Hotelunterbringung und Beförderung zum Ort der Unterbringung unentgeltlich anzubieten, und gemäß Abs. 2 wird ihnen angeboten, unentgeltlich zwei Telefongespräche zu führen oder zwei Telexe oder Telefaxe oder E-Mails zu versenden.


Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Rechtssache C‑402/07

Die Mitglieder der Familie Sturgeon buchten bei Condor einen Flug von Frankfurt am Main (Deutschland) nach Toronto (Kanada) und zurück.

Der Rückflug von Toronto nach Frankfurt am Main war für den 9. Juli 2005 mit der Abflugzeit 16.20 Uhr geplant. Nach der Abfertigung wurde den Fluggästen dieses Fluges mitgeteilt, dass der Flug annulliert sei; so stand es auch auf der Anzeigetafel des Flughafens. Ihnen wurde ihr Gepäck wieder ausgehändigt, anschließend wurden sie in ein Hotel gebracht, wo sie die Nacht verbrachten. Am folgenden Tag wurden die Fluggäste am Schalter einer anderen Fluggesellschaft für einen Flug mit der auf ihrer Buchung angegebenen Flugnummer eingecheckt. Condor hatte für diesen Tag keinen neuen Flug unter der gleichen Flugnummer geplant. Den Fluggästen wurden andere Sitzplätze zugeteilt als am Vortag. Die Fluggäste wurden auch nicht auf einen von einer anderen Fluggesellschaft geplanten Flug umgebucht. Der Flug erreichte Frankfurt am Main am 11. Juli 2005 gegen 7 Uhr, d. h. rund 25 Stunden später als geplant.

Nach Ansicht der Mitglieder der Familie Sturgeon war der Flug angesichts aller oben angeführten Umstände, insbesondere der Verzögerung von mehr als 25 Stunden, nicht verspätet, sondern wurde annulliert.

Sie erhoben daher beim Amtsgericht Rüsselsheim (Deutschland) Klage gegen Condor auf Zahlung von Ausgleich in Höhe von 600 Euro pro Person und auf Schadensersatz, da der erlittene Schaden ihrer Auffassung nach nicht auf eine Verspätung, sondern auf eine Annullierung eines Fluges zurückzuführen war.

Condor beantragte die Abweisung dieser Klage, da der fragliche Flug verspätet gewesen und nicht annulliert worden sei. Nachdem Condor die Verspätung vorgerichtlich mit dem Durchzug eines Hurrikans über dem Karibischen Meer erklärt hatte, gab sie im Prozess technische Defekte am Flugzeug und eine Erkrankung der Besatzung als Ursachen an.

Das Amtsgericht Rüsselsheim kam zu dem Ergebnis, dass keine Annullierung, sondern eine Verspätung vorgelegen habe, und wies deshalb die Ausgleichsansprüche der Mitglieder der Familie Sturgeon zurück. Diese legten gegen diese Entscheidung beim Landgericht Darmstadt Berufung ein, das das in erster Instanz ergangene Urteil bestätigte.

Die Mitglieder der Familie Sturgeon legten daraufhin Revision beim Bundesgerichtshof ein.

In der Annahme, dass die Entscheidung über dieses Rechtsmittel von der Auslegung des Art. 2 Buchst. l und des Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 abhänge, hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist bei der Auslegung des Begriffs „Annullierung“ entscheidend darauf abzustellen, ob die ursprüngliche Flugplanung aufgegeben wird, so dass eine Verzögerung unabhängig von ihrer Dauer keine Annullierung darstellt, wenn die Fluggesellschaft die Planung des ursprünglichen Fluges nicht aufgibt?

2. Falls die Frage zu 1 verneint wird: Unter welchen Umständen ist eine Verzögerung des geplanten Fluges nicht mehr als Verspätung, sondern als Annullierung zu behandeln? Hängt die Beantwortung dieser Frage von der Dauer der Verspätung ab?

Rechtssache C‑432/07

Herr Böck und Frau Lepuschitz buchten bei Air France einen Linienflug von Wien (Österreich) über Paris (Frankreich) nach Mexico City (Mexiko) und zurück.

Die planmäßige Abflugzeit des Fluges von Mexico City nach Paris, den Herr Böck und Frau Lepuschitz nehmen sollten, war am 7. März 2005 um 21.30 Uhr. Bei der geplanten Abfertigung wurde ihnen, ohne dass sie überhaupt abgefertigt worden wären, sogleich mitgeteilt, dass ihr Flug annulliert sei. Die Annullierung beruhte auf einer Änderung der Planung der Flüge zwischen Mexico City und Paris infolge eines technischen Defekts eines Flugzeugs, das für die Verbindung zwischen Paris und Mexico City vorgesehen war, und wegen der Beachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeit des Flugpersonals.

Um ihr Ziel früher zu erreichen, akzeptierten Herr Böck und Frau Lepuschitz das ihnen von Air France gemachte Angebot, einen Flug der Fluggesellschaft Continental Airlines mit geplanter Abflugzeit am nächsten Morgen, dem 8. März 2005, um 12.20 Uhr zu nehmen. Ihre Flugscheine wurden zunächst annulliert, bevor ihnen neue Flugscheine am Schalter der letztgenannten Fluggesellschaft ausgestellt wurden.

Die anderen Fluggäste des genannten Fluges von Mexico City nach Paris, die nicht auf den Flug von Continental Airlines auswichen, verließen Mexiko City zusammen mit einigen zusätzlichen Fluggästen am 8. März 2005 um 19.35 Uhr. Dieser Flug mit der um den Buchstaben „A“ ergänzten ursprünglichen Flugnummer fand zusätzlich zu dem ebenfalls von Air France am selben Tag durchgeführten regulären Flug statt.

Herr Böck und Frau Lepuschitz erreichten Wien mit fast 22 Stunden Verspätung gegenüber der vorgesehenen Ankunftszeit.

Herr Böck und Frau Lepuschitz erhoben beim Bezirksgericht für Handelssachen Wien (Österreich) Klage gegen Air France auf Zahlung von 600 Euro pro Person gemäß Art. 5 und Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 als Ausgleich wegen der Annullierung ihres Fluges. Das genannte Gericht wies diese Klage mit der Begründung ab, dass die Verordnung Nr. 261/2004 trotz der erheblichen Verspätung des Fluges nicht den Schluss auf dessen Annullierung zulasse. Herr Böck und Frau Lepuschitz erhoben gegen diese Entscheidung Berufung beim Handelsgericht Wien.

Unter diesen Umständen hat das Handelsgericht Wien beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Sind Art. 5 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. l und Art. 6 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin gehend auszulegen, dass eine Abflugverzögerung von 22 Stunden eine „Verspätung“ im Sinne des Art. 6 darstellt?

2. Ist Art. 2 Buchst. l der Verordnung Nr. 261/2004 dahin gehend auszulegen, dass Fälle, in denen Fluggäste zu einem erheblich späteren Zeitpunkt (22 Stunden) unter ergänzter Flugnummer (ursprüngliche Flugnummer mit Zusatz „A“) befördert werden, wobei nur ein – wenn auch großer – Teil der ursprünglich gebuchten Fluggäste, zusätzlich aber weitere, ursprünglich nicht gebuchte Fluggäste befördert werden, anstelle einer „Verspätung“ eine „Annullierung“ darstellen?

Im Fall der Bejahung der Frage 2:

3. Ist Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin gehend auszulegen, dass ein technisches Gebrechen des Flugzeugs und die dadurch hervorgerufenen Flugplanänderungen außergewöhnliche Umstände darstellen (die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären)?

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 19. Oktober 2007 sind die Rechtssachen C‑402/07 und C‑432/07 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.


Zu den Vorlagefragen

Vor den vorlegenden Gerichten beanspruchen die Kläger der Ausgangsverfahren von Condor und Air France die in Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichszahlungen, da diese Gesellschaften sie zu ihrem jeweiligen Zielflughafen mit einer Verspätung von 25 bzw. 22 Stunden gegenüber der vorgesehenen Ankunftszeit befördert hätten. Condor und Air France machen geltend, dass die Kläger keinen Ausgleichsanspruch hätten, da die fraglichen Flüge nicht annulliert worden, sondern verspätet gewesen seien und die Verordnung Nr. 261/2004 nur im Fall der Annullierung eines Fluges einen Ausgleichsanspruch vorsehe. Zudem tragen diese Fluggesellschaften vor, dass die verspätete Ankunft der genannten Flüge auf technische Defekte des jeweiligen Flugzeugs zurückzuführen gewesen sei, die unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 fielen, was sie von der Pflicht zur Ausgleichszahlung befreie.

Unter diesen Umständen sind die vorgelegten Fragen, um den vorlegenden Gerichten eine sachdienliche Antwort zu geben, so zu verstehen, dass damit gefragt wird,

– ob eine Verspätung eines Fluges als Annullierung eines Fluges im Sinne von Art. 2 Buchst. l und Art. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 anzusehen ist, wenn es sich um eine große Verspätung handelt;

– ob die Art. 5, 6 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und

– ob ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 fällt.

Zum ersten Teil der Vorlagefragen, betreffend den Begriff der Verspätung

Die Verordnung Nr. 261/2004 enthält keine Definition der „Verspätung eines Fluges“. Dieser Begriff kann jedoch anhand seines Kontexts bestimmt werden.

Dazu ist erstens darauf hinzuweisen, dass ein „Flug“ im Sinne der Verordnung Nr. 261/2004 ein Beförderungsvorgang im Luftverkehr ist, der von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, das die entsprechende Flugroute festlegt (Urteil vom 10. Juli 2008, Emirates Airlines, C‑173/07, Slg. 2008, I‑5237, Randnr. 40). Die Flugroute ist somit ein wesentliches Element des Fluges, der nach einem von dem Luftfahrtunternehmen im Voraus aufgestellten Flugplan durchgeführt wird.

Zudem ergibt sich aus Art. 6 der Verordnung Nr. 261/2004, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber einen Begriff der „Verspätung eines Fluges“ gewählt hat, der nur auf die planmäßige Abflugzeit abstellt und damit impliziert, dass nach der Abflugzeit die anderen den Flug betreffenden Umstände unverändert bleiben müssen.

Ein Flug ist demnach „verspätet“ im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 261/2004, wenn er entsprechend der ursprünglichen Planung durchgeführt wird und sich die tatsächliche Abflugzeit gegenüber der planmäßigen Abflugzeit verzögert.

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Annullierung nach Art. 2 Buchst. l der Verordnung Nr. 261/2004 im Gegensatz zur Verspätung eines Fluges Folge der Nichtdurchführung eines geplanten Fluges ist. Daraus folgt, dass annullierte und verspätete Flüge insoweit zwei klar getrennte Kategorien von Flügen darstellen. Somit lässt sich aus dieser Verordnung nicht ableiten, dass ein verspäteter Flug allein deshalb, weil die Verspätung von – und sei es auch erheblich – längerer Dauer ist, als „annullierter Flug“ qualifiziert werden kann.

Folglich kann ein verspäteter Flug unabhängig von der Dauer der Verspätung, auch wenn es sich um eine große Verspätung handelt, nicht als annulliert angesehen werden, wenn der Abflug entsprechend der ursprünglichen Flugplanung stattfindet.

Wenn daher die Fluggäste mit einem Flug befördert werden, dessen Abflugzeit sich gegenüber der ursprünglich geplanten Abflugzeit verzögert, kann der Flug nur dann als „annulliert“ angesehen werden, wenn das Luftfahrtunternehmen die Fluggäste mit einem anderen Flug befördert, dessen ursprüngliche Planung von der des ursprünglich geplanten Fluges abweicht.

Demnach kann grundsätzlich von einer Annullierung ausgegangen werden, wenn der ursprünglich geplante und verspätete Flug auf einen anderen Flug verlegt wird, d. h., wenn die Planung des ursprünglichen Fluges aufgegeben wird und die Fluggäste dieses Fluges zu den Fluggästen eines anderen, ebenfalls geplanten Fluges stoßen, und zwar unabhängig von dem Flug, für den die so umgebuchten Fluggäste gebucht hatten.

Dagegen kann auf der Grundlage der Anzeige einer „Verspätung“ oder einer „Annullierung“ auf der Anzeigetafel des Flughafens oder entsprechender Angaben des Personals des Luftfahrtunternehmens grundsätzlich nicht auf das Vorliegen einer Verspätung oder einer Annullierung eines Fluges geschlossen werden. Ausschlaggebend ist grundsätzlich auch nicht, dass den Fluggästen ihr Gepäck wieder ausgehändigt wird oder dass sie neue Bordkarten erhalten. Diese Umstände stehen nämlich in keinem Zusammenhang mit den objektiven Merkmalen des Fluges als solchen. Sie können Fehlbeurteilungen oder Faktoren zuzuschreiben sein, die auf dem entsprechenden Flughafen vorherrschen, oder angesichts der Wartezeit und der Notwendigkeit, dass die betroffenen Fluggäste eine Nacht im Hotel verbringen, geboten sein.

Entscheidend ist grundsätzlich auch nicht, dass die Zusammensetzung der Gruppe von Fluggästen, die ursprünglich gebucht hatten, mit der der später beförderten Gruppe im Wesentlichen übereinstimmt. Denn in dem Maß, in dem sich die Verspätung gegenüber der ursprünglich geplanten Abflugzeit verlängert, kann die Zahl der Fluggäste, die die erste dieser Gruppen bilden, abnehmen, weil einige Fluggästen eine ihnen angebotene Umbuchung auf einen anderen Flug angenommen und andere Fluggäste aus persönlichen Gründen darauf verzichtet haben, den verspäteten Flug zu nehmen. Umgekehrt ist das Luftfahrtunternehmen – soweit für den ursprünglich geplanten Flug Plätze freigeworden sind – durch nichts daran gehindert, vor dem Abheben des Flugzeugs, dessen Flug verspätet ist, zusätzliche Fluggäste aufzunehmen.

Nach alledem ist auf den ersten Teil der vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 2 Buchst. l sowie die Art. 5 und 6 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden kann, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.

Zum zweiten Teil der vorgelegten Fragen, betreffend den Ausgleichsanspruch bei Verspätung

Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 sieht vor, dass den betroffenen Fluggästen bei Annullierung eines Fluges ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 dieser Verordnung gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen zusteht.

Dagegen ergibt sich aus dem Wortlaut der Verordnung Nr. 261/2004 nicht unmittelbar, dass den Fluggästen verspäteter Flüge ein solcher Anspruch zusteht. Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung hervorgehoben hat, sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts allerdings nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteile vom 19. September 2000, Deutschland/Kommission, C‑156/98, Slg. 2000, I‑6857, Randnr. 50, und vom 7. Dezember 2006, SGAE, C‑306/05, Slg. 2006, I‑11519, Randnr. 34).

Der verfügende Teil eines Gemeinschaftsrechtsakts ist insoweit untrennbar mit seiner Begründung verbunden und erforderlichenfalls unter Berücksichtigung der Gründe auszulegen, die zu seinem Erlass geführt haben (Urteil vom 29. April 2004, Italien/Kommission, C‑298/00 P, Slg. 2004, I‑4087, Randnr. 97 und dort angeführte Rechtsprechung).

Die Möglichkeit der Berufung auf „außergewöhnliche Umstände“, unter denen die Luftfahrtunternehmen von der Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 frei werden können, ist zwar nur in Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung vorgesehen, der die Annullierung eines Fluges betrifft, doch heißt es im 15. Erwägungsgrund dieser Verordnung, dass dieser Rechtfertigungsgrund auch dann geltend gemacht werden kann, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es zu „einer großen Verspätung [oder] einer Verspätung bis zum nächsten Tag“ kommt. Da der Begriff der großen Verspätung im Kontext der außergewöhnlichen Umstände genannt wird, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch ihn mit dem Ausgleichsanspruch verknüpft hat.

Implizit wird dies durch das Ziel der Verordnung Nr. 261/2004 bestätigt, da sich aus den ersten vier Erwägungsgründen und insbesondere aus dem zweiten Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt, dass sie darauf abzielt, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste unabhängig davon sicherzustellen, ob sie von einer Nichtbeförderung oder einer Annullierung oder Verspätung eines Fluges betroffen sind, da sie alle von vergleichbaren Ärgernissen und großen Unannehmlichkeiten in Verbindung mit dem Luftverkehr betroffen sind.

Das gilt umso mehr, als die Vorschriften, mit denen den Fluggästen Ansprüche eingeräumt werden, einschließlich derjenigen, die einen Ausgleichsanspruch vorsehen, weit auszulegen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2008, Wallentin-Hermann, C‑549/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 17).

Unter diesen Umständen kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass die Fluggäste verspäteter Flüge keinen Ausgleichsanspruch haben und im Hinblick auf die Anerkennung eines solchen Anspruchs nicht den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können.

Sodann ist darauf hinzuweisen, dass ein Gemeinschaftsrechtsakt nach einem allgemeinen Auslegungsgrundsatz nach Möglichkeit so auszulegen ist, dass seine Gültigkeit nicht in Frage steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2001, Italien/Kommission, C‑403/99, Slg. 2001, I‑6883, Randnr. 37). Auch ist bei verschiedenen möglichen Auslegungen einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts derjenigen der Vorzug zu geben, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet ist (vgl. u. a. Urteile vom 22. September 1988, Saarland u. a., 187/87, Slg. 1988, 5013, Randnr. 19, und vom 24. Februar 2000, Kommission/Frankreich, C‑434/97, Slg. 2000, I‑1129, Randnr. 21).

Jeder Gemeinschaftsrechtsakt ist insoweit im Einklang mit dem gesamten Primärrecht auszulegen, darunter auch mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung, der verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist (Urteile vom 14. Dezember 2004, Swedish Match, C‑210/03, Slg. 2004, I‑11893, Randnr. 70, und vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA, C‑344/04, Slg. 2006, I‑403, Randnr. 95).

Angesichts des Ziels der Verordnung Nr. 261/2004, den Schutz der Fluggäste dadurch zu verstärken, dass ihnen Ausgleich für bei der Beförderung im Luftverkehr entstandene Schäden geleistet wird, sind die von dieser Verordnung erfassten Sachverhalte insbesondere anhand der Art und der Bedeutung der verschiedenen Unannehmlichkeiten und Schäden, die den betroffenen Fluggästen entstehen, zu vergleichen (vgl. in diesem Sinne Urteil IATA und ELFAA, Randnrn. 82, 85, 97 und 98).

Im vorliegenden Fall ist die Situation von Fluggästen verspäteter Flüge mit der von Fluggästen annullierter Flüge zu vergleichen.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 261/2004 darauf abzielt, Schäden standardisiert und sofort zu beheben, und zwar durch verschiedene Formen von Maßnahmen, die Gegenstand von Regelungen sind, die an die Nichtbeförderung oder die Annullierung oder große Verspätung eines Fluges anknüpfen (vgl. in diesem Sinne Urteil IATA und ELFAA, Randnr. 43).

Mit diesen Maßnahmen soll die Verordnung Nr. 261/2004 u. a. den Schaden ausgleichen, der in einem Zeitverlust der betroffenen Fluggäste besteht und der angesichts seines irreversiblen Charakters nur mit einer Ausgleichszahlung ersetzt werden kann.

Dieser Schaden entsteht sowohl den Fluggästen annullierter Flüge als auch den Fluggästen verspäteter Flüge, wenn diese vor dem Erreichen ihres Zielorts eine längere Beförderungszeit als die ursprünglich von dem Luftfahrtunternehmen angesetzte hinnehmen müssen.

Demzufolge ist festzustellen, dass die Fluggäste, deren Flug annulliert wurde, und diejenigen, die von der Verspätung eines Fluges betroffen sind, einen ähnlichen Schaden in Form eines Zeitverlusts erleiden und sich somit im Hinblick auf die Anwendung des in Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs in einer vergleichbaren Lage befinden.

Die Lage der Fluggäste verspäteter Flüge unterscheidet sich, genauer gesagt, kaum von derjenigen der Fluggäste annullierter Flüge, die entsprechend Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. iii der Verordnung Nr. 261/2004 anderweitig befördert werden und denen die Annullierung des Fluges im äußersten Fall erst beim Eintreffen auf dem Flugplatz mitgeteilt werden kann (vgl. Urteil vom 9. Juli 2009, Rehder, C‑204/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 19).

Zum einen werden nämlich diese beiden Kategorien von Fluggästen grundsätzlich zur gleichen Zeit von dem Vorfall informiert, der ihre Beförderung im Luftverkehr erschwert. Zum anderen erreichen sie, auch wenn sie bis an ihr Endziel befördert werden, dieses nach der ursprünglich vorgesehenen Zeit und erleiden damit einen ähnlichen Zeitverlust.

Unter diesen Umständen wird den entsprechend Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. iii der Verordnung Nr. 261/2004 anderweitig beförderten Fluggästen der in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehene Ausgleichsanspruch gewährt, wenn das Luftfahrtunternehmen sie nicht anderweitig mit einem Flug befördert, der nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit startet und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit erreicht. Diese Fluggäste erlangen somit einen Ausgleichsanspruch, wenn sie gegenüber der ursprünglich von dem Luftfahrtunternehmen angesetzten Dauer einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden.

Wenn demgegenüber die Fluggäste verspäteter Flüge keinen Ausgleichsanspruch erlangten, würden sie schlechter gestellt, obwohl sie gegebenenfalls bei ihrer Beförderung einen entsprechenden Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden.

Eine solche unterschiedliche Behandlung kann offensichtlich durch keine objektive Erwägung gerechtfertigt werden.

Da die von den Fluggästen im Fall einer Annullierung und einer Verspätung erlittenen Schäden einander entsprechen, können die Fluggäste verspäteter Flüge und die annullierter Flüge nicht unterschiedlich behandelt werden, ohne dass gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen würde. Das gilt erst recht angesichts des mit der Verordnung Nr. 261/2004 verfolgten Ziels, den Schutz aller Fluggäste zu erhöhen.

Daher ist festzustellen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge den in Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Anspruch auf Ausgleich geltend machen können, wenn sie wegen solcher Flüge einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.

Dieses Ergebnis entspricht im Übrigen dem 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004. Wie in Randnr. 43 des vorliegenden Urteils dargelegt, ist nämlich davon auszugehen, dass der Gesetzgeber durch diesen Erwägungsgrund auch den Begriff „große Verspätung“ mit dem Ausgleichsanspruch verknüpft hat. Dieser Begriff entspricht einer Verspätung, an die der Gesetzgeber bestimmte Rechtsfolgen knüpft. Da Art. 6 dieser Verordnung solche Rechtsfolgen bereits im Fall bestimmter um zwei Stunden verspäteter Flüge zulässt, erfasst der 15. Erwägungsgrund zwingend Verspätungen von drei Stunden oder mehr.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die einem Fluggast nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 geschuldete Ausgleichszahlung um 50 % gekürzt werden kann, wenn die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 dieser Verordnung vorliegen. Auch wenn in dieser letztgenannten Vorschrift nur auf den Fall der anderweitigen Beförderung des Fluggasts Bezug genommen wird, ist festzustellen, dass die Kürzung der vorgesehenen Ausgleichszahlung allein von der Verspätung abhängig ist, der die Fluggäste ausgesetzt sind, so dass einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift auf Ausgleichszahlungen an Fluggäste verspäteter Flüge nichts entgegensteht. Daraus folgt, dass die Ausgleichszahlung, die dem Fluggast eines verspäteten Fluges geschuldet wird, der sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreicht, nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 um 50 % gekürzt werden kann, wenn die Verspätung bei einem Flug, der nicht Art. 7 Abs. 2 Buchst. a und b unterliegt, unter vier Stunden bleibt.

Die in Randnr. 61 des vorliegenden Urteils dargelegte Schlussfolgerung wird nicht dadurch widerlegt, dass Art. 6 der Verordnung Nr. 261/2004 für die Fluggäste verspäteter Flüge verschiedene Formen von Unterstützungsleistungen nach den Art. 8 und 9 dieser Verordnung vorsieht.

Wie der Gerichtshof bereits ausgeführt hat, sieht die Verordnung Nr. 261/2004 nämlich verschiedene Formen von Maßnahmen vor, damit standardisiert und sofort die verschiedenen Schäden wieder gutgemacht werden, die in den Unannehmlichkeiten bestehen, die durch Verspätungen bei der Beförderung von Fluggästen verursacht werden (vgl. Urteil IATA und ELFAA, Randnrn. 43 und 45).

Es handelt sich dabei um eigenständige Maßnahmen in dem Sinn, dass sie verschiedenen Zielen entsprechen und unterschiedliche Schäden beseitigen sollen, die die Verspätungen nach sich ziehen.

Nach diesen Feststellungen ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber mit dem Erlass der Verordnung Nr. 261/2004 auch die Interessen der Fluggäste und diejenigen der Luftfahrtunternehmen zum Ausgleich bringen wollte. Im Zuge der Gewährung bestimmter Rechte zugunsten der Fluggäste hat er im 15. Erwägungsgrund und in Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung zugleich vorgesehen, dass die Luftfahrtunternehmen nicht zur Ausgleichszahlung verpflichtet sind, wenn sie nachweisen können, dass die Annullierung oder die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.

Im Übrigen sind die Verpflichtungen gemäß der Verordnung Nr. 261/2004 unbeschadet des Rechts der Luftfahrtunternehmen zu erfüllen, bei anderen Schadensverursachern, auch Dritten, Regress zu nehmen, wie es Art. 13 dieser Verordnung vorsieht. Ein solcher Regress kann daher die finanzielle Belastung dieser Beförderungsunternehmen aus diesen Verpflichtungen mildern oder sogar beseitigen. Außerdem erscheint es nicht unangemessen, dass diese Verpflichtungen, vorbehaltlich des erwähnten Regressanspruchs, ohne Weiteres von den Luftfahrtunternehmen getragen werden, an die die betroffenen Fluggäste durch einen Beförderungsvertrag gebunden sind, der ihnen einen Anspruch auf einen weder annullierten noch verspäteten Flug verschafft (Urteil IATA und ELFAA, Randnr. 90).

Nach alledem ist auf den zweiten Teil der Vorlagefragen zu antworten, dass die Art. 5, 6 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Eine solche Verspätung führt allerdings dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.

Zur dritten Frage in der Rechtssache C‑432/07, betreffend außergewöhnliche Umstände aufgrund eines bei einem Flugzeug aufgetretenen technischen Problems

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind (Urteil Wallentin-Hermann, Randnr. 34).

Gleiches muss gelten, wenn Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 im Fall der Verspätung eines Fluges geltend gemacht wird.

Somit ist auf die dritte Frage in der Rechtssache C‑432/07 zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung oder Verspätung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.


Kosten

Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidungen sind daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

  1. Art. 2 Buchst. l sowie die Art. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden kann, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.

  2. Die Art. 5, 6 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Eine solche Verspätung führt allerdings dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.

  3. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung oder Verspätung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.

Rechtsgebiete

Reiserecht