Meinungs- und Kunstfreiheit vor Schutz des Abgebildeten?
Gericht
OLG Dresden
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
16. 04. 2010
Aktenzeichen
4 U 127/10
1. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil
des Landgerichts Dresden vom 3.12.2009 - 3 O 2782/09 EV -
aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Verfügung abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfügungsverfahrens trägt die Verfügungsklägerin.
3. Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 20.000,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540a
Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
II.
Die Berufung der Verfügungsbeklagten (künftig: Beklagte) hat
in der Sache Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen
Urteils zur Abweisung des auf Erlass einer einstweiligen
Verfügung gerichteten Antrages. Zwar liegt die für eine
einstweilige Verfügung erforderliche Eilbedürftigkeit vor,
weil die Beklagte mit den im Verfügungsverfahren zulässigen
Beweismitteln nicht nachweisen konnte, dass die Verfügungsklägerin
(künftig: Klägerin) von dem streitgegenständlichen
Gemälde und dessen Verbreitung im Internet bereits im Juli
2009 Kenntnis hatte. Ein Verfügungsanspruch aus §§ 823
Abs. 2, 1004 BGB (analog) i.V.m. §§ 22, 23 KUG besteht jedoch
nicht.
1. Das dort vorausgesetzte Recht am eigenen Bild ist eine
besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts,
dessen Verletzung einen Unterlassungsanspruch begründet.
Nach § 22 KUG dürfen Bildnisse einer Person
grundsätzlich nur mit deren Einverständnis veröffentlicht
werden. Ein Bildnis in diesem Sinne stellt auch das
streitgegenständliche Gemälde dar. Dem Bildnisschutz unterliegen
sämtliche Darstellungsformen, d.h. neben Fotografien
auch die Darstellung von Personen auf Gemälden,
wie sie hier gegeben ist (Wenzel/von Strobel-Albeg Das
Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 8.20
m.w.N.). Eine Verbreitung ist hier durch die Ausstellung
des Gemäldes und die Einstellung auf der von der Beklagten
betriebenen Homepage erfolgt, wobei der Senat ebenso
wie das Landgericht davon ausgeht, dass der durchschnittliche
und mit den lokalen Verhältnissen vertraute Betrachter
in dem Gemälde unschwer ein Bildnis der Klägerin
erkennen wird, zumal diese im Bildtitel, der auch auf der
o.a. Homepage einsehbar ist, namentlich erwähnt wird.
2. Das streitgegenständliche Gemälde ist aber ein Bildnis
aus dem Bereich der Zeitgeschichte, dessen Verbreitung
und Schaustellung kein berechtigtes Interesse der Klägerin
verletzt (§ 23 Abs. 2 KUG) und daher nach § 23 Abs. 1
Nr. 1 KUG auch ohne ihre Einwilligung verbreitet und präsentiert
werden darf. Ein Bildnis aus dem Bereich der
Zeitgeschichte umfasst nicht nur Vorgänge von historischpolitischer
Bedeutung, sondern liegt immer dann vor, wenn
es einen Bezug zu Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem
Interesse aufweist (st. Rspr., vgl. nur BGH NJW
2009, 3032; NJW 2009, 754). Ein derartiges Interesse besteht
freilich nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch
in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt (statt aller
BGH, Urteil vom 9.2.2010, VI ZR 243/08 - juris). Nach
der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH
aaO) und des Bundesverfassungsgerichts (AfP 2008, 163)
erfordert die Anwendung des § 23 Abs. 1 KUG dabei eine
Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten nach
Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG und
den entgegenstehenden Grundrechten, vorliegend mithin der
Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG und der Kunstfreiheit
aus Art. 5 Abs. 3 GG. Diese Abwägung braucht nicht
dem § 23 Abs. 2 KUG vorbehalten zu werden, sondern kann
auch schon im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzungen des
§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG erfolgen (vgl. BGH NJW 1985, 1617 -
Nacktfoto). Der Beurteilung ist ein normativer Maßstab
zugrunde zu legen, der den widerstreitenden Interessen
ausreichend Rechnung trägt (BGHZ 178, 275 ff.; 178, 213
ff.; BGH GRUR 2009, 86 ff.).
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin scheidet eine solche
Abwägung hier nicht bereits deswegen aus, weil sie auf
dem streitgegenständlichen Bildnis nackt dargestellt
wird. Allerdings berührt die Verbreitung von Nacktaufnahmen
grundsätzlich die Intimsphäre des Abgebildeten. Diese
umfasst den letzten, unantastbaren Bereich menschlicher
Freiheit und schafft die Distanz zum Mitmenschen, die
Voraussetzung und Kennzeichnung jeder Kultur ist (Wenzel-
Burkhardt, aaO. 5.47 m.w.N.). Trotz einer erheblichen
Veränderung in der Wahrnehmung von Sexualität und Nacktheit
in den vergangenen Jahrzehnten, die dazu geführt
hat, dass heute die Zurschaustellung nackter Personen in
nur noch wenigen Fällen noch als Provokation angesehen,
ja ihr mitunter sogar mit einem gewissen Desinteresse begegnet
wird, ist daher die Verbreitung von Nacktaufnahmen
ohne Einwilligung der Abgebildeten grundsätzlich unzulässig
(BGH NJW 1985, 1617; NJW 1974, 1947; KGR Berlin 2002,
171; OLG Frankfurt NJW 2000, 594; OLG Hamburg NJW 1996,
1151; Wenzel/v. Strobl-Albeg aaO. 8.56; Götting/
Schertz/Seitz, Handbuch des Persönlichkeitsrechts
§ 12 Rn 83). Dies gilt auch für Personen der Zeitgeschichte,
die ebenfalls die Verbreitung von Nacktaufnahmen,
die regelmäßig ihre berechtigten Interessen im Sinne
des § 23 Abs. 2 KUG verletzt, nicht dulden müssen (Götting/
Schertz/Seitz aaO). Die Weiterverbreitung von Nacktfotos
kann abhängig von den Umständen des Einzelfalles
selbst dann untersagt werden, wenn die abgebildete Person
in anderem Zusammenhang in die Erstellung der Bilder eingewilligt
hatte. Dies bedeutet indes nicht, dass die
Verbreitung von Nacktaufnahmen in jedem Einzelfall einer
Abwägung entzogen und ohne Ausnahme als Verletzung des
absolut geschützten Intimbereichs unzulässig wäre (vgl.
etwa den von OLG Hamburg aaO. entschiedenen Fall; zur Abwägung
bei der Darstellung von Vorgängen aus dem Intimbereich
auch BVerfG WRP 2009, 948 - Rotenburg). Erst recht
gilt dies für Bildnisse, die - wie das hier streitgegenständliche
Gemälde - nicht unter Einbruch in den höchstpersönlichen
Lebensbereich und unter Verletzung eines
auch durch § 201 StGB geschützten Geheimhaltungsinteresses
gewonnen wurden, sondern allein der Phantasie eines
Künstlers entspringen. Dies unterscheidet ein Gemälde
auch von einer Fotomontage, die dem Betrachter regelmäßig
den Eindruck vermittelt, durch ein derartiges Eindringen
in den auch räumlich geschützten letzten Intimbereich
entstanden zu sein. Ob die Verbreitung eines solchen
Bildnisses zulässig ist, bleibt vielmehr einer eingehenden
Abwägung der widerstreitenden Belange vorbehalten, in
die auch die Art der Darstellung mit einzubeziehen ist.
b) Vor diesem Hintergrund greift die Annahme des Landgerichts,
die in der Veröffentlichung des streitgegenständlichen
Bildes liegende Beeinträchtigung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts der Klägerin sei allein mit der zugunsten
der Beklagten streitenden Kunstfreiheit nach Art.
5 Abs. 3 GG abzuwägen, zu kurz. Bei dem Bild "Frau O….
wirbt für das Welterbe" handelt es sich allerdings um
Kunst im verfassungsrechtlichen Sinne, weil es eine freie
schöpferische Gestaltung darstellt, in der Eindrücke, Erfahrungen
und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium
einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung
gebracht werden und in der die individuelle Persönlichkeit
der Künstlerin ihren unmittelbaren Ausdruck findet
(vgl. hierzu BVerfG NJW 1971, 1645; Gounalakis NJW
1995, 109). Zugleich liegt hierin jedoch eine satirische
Darstellung eines aktuellen politischen Geschehens, die
dem Schutz der allgemeinen Meinungsfreiheit unterfällt.
Die Auffassung des Landgerichts, das Bild erfülle die Anforderungen
an eine Satire nicht, weil es an einer hinreichenden
ästhetischen Verfremdung fehle und der Betrachter
eher eine reelle Person assoziiere, verengt die
Satire in unzutreffender Weise auf den Begriff der Karikatur
und verfehlt dadurch die Reichweite des verfassungsrechtlichen
Schutzes der Meinungsfreiheit. Für die
Frage, ob eine Darstellung satirisch gemeint ist und als
solche dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfällt,
kommt es nicht maßgeblich darauf an, ob durch die Darstellung
einer Person deren wesentliche Charakterzüge von
ihrem bloßen Abbild abgelöst und sodann in übertriebener
und vergröberter Weise zeichnerisch zum Ausdruck gebracht
werden. Maßgeblich ist vielmehr, ob sich hierin der an
einer Norm orientierte Spott über Erscheinungen der Wirklichkeit
nicht direkt, sondern indirekt durch die ästhetische
Nachahmung eben dieser Wirklichkeit ausdrückt (OLG
Düsseldorf NJW-RR 1990, 1116; v. Becker, GRUR 2004,
908ff.). Diese Absicht kann der Beklagten, die in dem
streitgegenständlichen Gemälde die Klägerin nackt vor der
als bedrohlich empfundenen Kulisse der ……………brücke präsentiert
und sie damit dem Spott der Öffentlichkeit
preisgeben will, nicht abgesprochen werden. Satirische
Darstellungen genießen aber einen besonders weiten Freiraum
bis zur Grenze der Schmähkritik, da ihnen wesenseigen
ist, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen
zu arbeiten (BVerfG NJW 1987, 2661). Die Abwägung mit
dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen erfordert
zunächst die Trennung zwischen dem Aussagegehalt
und dem vom Verfasser gewählten satirischen Gewand, damit
ihr eigentlicher Inhalt ermittelt wird (BVerfGE 75, 369;
86, 1, 12; BVerfG NJW 1998, 1386). Sowohl der Aussagekern
als auch seine Einkleidung sind sodann daraufhin zu überprüfen,
ob sie sich als Beitrag zum geistigen Meinungskampf
verstehen oder ob es sich hierbei um Schmähkritik
oder eine Kundgabe der Missachtung handelt oder hierdurch
die Menschenwürde angetastet wird (BVerfGE 86, 1; 82,
272; 75, 369; BVerfG NJW 1995, 3303; 1993, 1462; BGHZ
143, 199ff.).
Nach diesen Grundsätzen ist der Aussagekern des streitgegenständlichen
Bildes als zulässige Meinungsäußerung anzusehen.
Wie ausgeführt, ist das Gemälde erkennbar in den
Kontext der Diskussion über Planung und Streit um den Bau
der ……………brücke in ……. gerückt; es knüpft an die der
Streichung aus der Liste des "Unesco-Weltkulturerbes" vorausgehenden
Bemühungen der Klägerin an, trotz der bereits
begonnenen Bauarbeiten die zuständigen Unesco-
Gremien für den Verbleib des Elbtals auf dieser Liste
einzunehmen. Die Klägerin erscheint dabei als Befürworterin
der Brücke, für die sie "wirbt". Dies gibt im Ausgangspunkt
die politische Position der Klägerin zutreffend
wieder, die sich sowohl in ihrer vorherigen Position
als Mitglied der Staatsregierung als auch nach Antritt
ihres jetzigen Amtes als Oberbürgermeisterin für den Bau
der ……………brücke eingesetzt und auch gegenüber den maßgeblichen
Unesco-Gremien hierfür geworben hat. Dieses "Werben"
wird auf dem Gemälde in erkennbar satirischer Absicht
durch die Platzierung der Klägerin mit geöffneten
Armen und auf die Brücke hindeutender Pose verdeutlicht
und zugleich ins Lächerliche gezogen. Dass sich die Klägerin
dem Betrachter dabei nackt präsentiert, legt freilich
die Interpretation nahe, sie sei bereit, für die
……………brücke bis zum äußersten zu gehen und sich gänzlich
zu entblößen. Die Nacktheit der Klägerin kann in diesem
Kontext aber auch als allegorische Darstellung der Unmöglichkeit
oder Unfähigkeit der Klägerin gesehen werden,
auf das Verfahren vor der Unesco über die Aberkennung
dieses Titels noch Einfluss nehmen zu können. Wie die
weiteren auf der o.a. Homepage abgebildeten Porträts verdeutlichen,
in deren Kontext das Abbild der Klägerin
steht und die daher zu dessen Interpretation herangezogen
werden können, ist der weibliche oder männliche Akt das
zentrale Thema im künstlerischen Schaffen der Beklagten,
wobei die Nacktheit den Distanz schaffenden Rahmen des
Ölgemäldes durchbricht, die Personen ungeschützt dem
Blick des Betrachters preisgibt und diese damit nicht
länger als Herrscherpersönlichkeiten erscheinen, sondern
der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Damit wird malerisch
ein Motiv aufgegriffen, wie es etwa literarisch in
Hans Christian Andersens Märchen "Des Kaisers neue Kleider"
auftaucht und von der Beklagten im Schreiben vom
16.11.2009 (Ast 6) in die Worte gefasst wurde, im Kontext
des Themas bringe die Nacktheit zum Ausdruck, dass die
Klägerin "nichts in der Hand habe". In der gleichen Weise
ist die Beklagte auf dem hier streitgegenständlichen Gemälde
der Klägerin verfahren, der sie von ihrer Amtswürde
lediglich die Bürgermeisterkette belässt. Dieser Aussagekern
hält sich im Rahmen dessen, was die Klägerin als in
der Öffentlichkeit stehende Politikerin hinnehmen muss.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es der Sinn jeder
zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung
ist, Aufmerksamkeit zu erregen. Angesichts der heutigen
Reizüberflutung aller Art sind einprägsame, auch starke
Formulierungen hinzunehmen (so bereits BVerfGE 24, 278).
Erfolgt die Meinungsäußerung in Form eines Gemäldes gilt
dies für die malerische Umsetzung dieses Aussagekerns
entsprechend. Verfolgt der Äußernde nicht eigennützige
Ziele, sondern dient sein Beitrag dem geistigen Meinungskampf
in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden
Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit
der Äußerung; eine Auslegung der die Meinungsfreiheit beschränkenden
Gesetze, die an die Zulässigkeit öffentlicher
Kritik überhöhte Anforderungen stellt, ist mit Artikel
5 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Für die Beurteilung der
Reichweite der Grundrechtsschutzes aus Artikel 5 Abs. 1
Satz 1 GG kommt es ferner maßgeblich darauf an, ob und in
welchem Ausmaß der von den Äußerungen Betroffene seinerseits
an dem von Artikel 5 Abs. 1 GG geschützten Prozess
öffentlicher Meinungsbildung teilgenommen, sich damit aus
eigenem Entschluss den Bedingungen des Meinungskampfes
unterworfen und sich durch dieses Verhalten eines Teils
seiner schützenswerten Privatsphäre begeben hat (BVerfGE
54, 129). Erst wenn bei einer Äußerung nicht mehr die
Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung
der Person im Vordergrund steht, hat die Äußerung - auch
wenn sie eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende
Frage betrifft - als Schmähung regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht
des Betroffenen zurückzutreten (BVerfGE
82, 272; BGH NJW 1999, 2358; NJW 1995, 3303; OLG Köln AfP
2009, 156). Dies ist indes nach Auffassung des Senats
nicht der Fall. Hierbei spielt eine Rolle, dass das Gemälde
mit dem Bau der ……………brücke einen Vorgang illustriert,
der in ……. und darüber hinaus großes öffentliches
Interesse erregt und zumindest die …….. Öffentlichkeit
erheblich polarisiert hat sowie Gegenstand zahlreicher
Gerichtsentscheidungen war. Trotz der zwischenzeitlich
gefallenen Entscheidung für den Bau der Brücke und der in
dem Bild thematisierten Aberkennung des Weltkulturerbes
dauert diese Diskussion bis zum heutigen Tage an. Bei
dieser Sachlage stellt sich das streitgegenständliche Gemälde,
das für jeden erkennbar die ablehnende Haltung der
Beklagten zum Ausdruck bringt, als Beitrag zur Auseinandersetzung
in dieser Frage dar. Zu berücksichtigten ist
ferner, dass auch die Klägerin sich kraft Amtes an der
Kontroverse um den Bau der Brücke beteiligt und in der
zugrunde liegenden Diskussion ihre Position offensiv vertreten
hat, indem sie etwa - dies ist gerichtsbekannt -
die Gegner des Brückenbaues u.a. als "politisch scheinheilig"
und Alternativvorschläge zu dem beabsichtigten
Brückenbau als "olle Kamellen" bezeichnet hat (Tagesspiegel
vom 21.6.2009, zitiert nach www.tagesspiegel.de).
Nach alledem handelt es sich bei der in dem Gemälde für
einen durchschnittlichen Betrachter zum Ausdruck kommenden
Aussage um eine zulässige Meinungsäußerung, die die
Klägerin hinnehmen muss.
c) Auch die Einkleidung dieser Aussage, d.h. die malerische
Darstellung des Kopfes der Klägerin mit einem nachempfundenen
nackten Körper, den Requisiten wie Strapse und
Schärpe und der leuchtend-aufdringlichen Farbgestaltung,
muss die Klägerin bei einer Abwägung mit den entgegenstehenden
Grundrechten der Beklagten hinnehmen. Der Senat
hält es allerdings für ohne weiteres glaubhaft und nachvollziehbar,
dass die Klägerin sich durch die Darstellung
ihrer Person in ihrem Schamgefühl verletzt und in ihrer
Amtsautorität beeinträchtigt sieht, wie sie im Verhandlungstermin
vom 8.4.2010 dargelegt hat. Ihrer Auffassung,
zuletzt im Schriftsatz vom 12.4.2010, die Nacktdarstellung
eines Prominenten sei als "Abschaffung der Gürtellinie
in der politischen Auseinandersetzung" stets unzulässig,
weil die Nacktheit der dargestellten Person regelmäßig
keinen Sachbezug zu der dahinterstehenden Aussage
aufweise, kann er sich gleichwohl nicht anschließen.
Vielmehr kommt auch der Nacktdarstellung einer Person als
malerischem und satirischem Ausdrucksmittel regelmäßig
und auch im vorliegenden Fall ein eigenständiger Aussagegehalt
zu (s.o.), der bei einer stark sexualisierenden
oder eine Schmähkritik darstellenden Darstellungsweise
unzulässig, im übrigen aber nach Maßgabe des Einzelfalles
zulässig sein kann, ohne dass hierdurch eine "Republik
von nackten Amtsträgern" zu befürchten wäre. Die Darstellung
der Klägerin stellt trotz der auf den ersten Blick
aufreizenden Gestik auf dem Bild auch keine Formalbeleidigung
im Sinne des § 185 StGB dar. Zwar stellt eine Behauptung,
durch die eine Person sinngemäß einer Prostituierten
gleichgestellt oder deren sexuelle Verfügbarkeit
aus rein finanzieller Motivation unterstellt wird, eine
Missachtung der Ehre der solcherart bezeichneten Person
und damit eine tatbestandsmäßige Beleidigung dar (BGH
NStZ 1992, 33; NJW 1989, 3089; OLG Hamm NStZ-RR 2008,
108). Die Behauptung, die Klägerin habe sich im wörtlichen
oder übertragenen Sinne gegenüber dem Welterbekomitee
prostituieren wollen, wird der Betrachter dem Gemälde
jedoch nicht entnehmen können, weil die Pose, in der sie
dargestellt wird, weder bewusst aufreizend wirkt noch die
ihr beigegebenen Utensilien allegorisch und nach allgemeinem
Verständnis als Symbole für Prostitution angesehen
werden. Einen Vorgang aus dem Sexualbereich bebildert das
Gemälde ebenfalls ersichtlich nicht. Auch das Landgericht
hat daher die ausgebreiteten Arme der Klägerin selbst in
Verbindung mit der Nacktdarstellung nicht als Andeutung
eines freizügigen Sexualverhaltens, sondern als "Ohnmachts-
und Werbepose" interpretiert. In diesem Sinne ist
das Bild auch in der Öffentlichkeit verstanden worden,
wie die zu den Gerichtsakten gelangten Presseausschnitte
dokumentieren. Zwar wird der Blick des Betrachters durch
die "offene" Pose und die durch die eingesetzten Farben
erzeugte grelle Ausleuchtung des Gemäldes auf den unbekleideten
Körper der Klägerin gerichtet. Weder wird die
Klägerin hierdurch jedoch in reißerischer Manier zur
Schau gestellt noch als Objekt männlicher Begierde dargestellt.
Vielmehr soll hierdurch ersichtlich die satirische
Absicht verdeutlicht werden, die vom Schutzbereich
sowohl der Meinungs- als auch der Kunstfreiheit umfasst
ist. Dem streitgegenständlichen Gemälde ist auch eine
frauenfeindliche oder sexistische Tendenz nicht zu entnehmen,
zumal die Beklagte in ihrem sonstigen Schaffen
auch Männer in gleicher Weise dargestellt hat. Ersichtlich
wird die Klägerin zudem nicht in ihrem privaten Umfeld,
sondern - symbolisiert durch die Amtskette - bei
ihrer politischen Tätigkeit als Oberbürgermeisterin abgebildet,
in deren Ausübung sie weitergehenden Einschränkungen
ihrer Privatsphäre unterworfen ist (vgl. EGMR vom
25.1.2007 Vereinigung bildender Künstler v. Austria Nr.
34).
Dass sich die Beklagte bei der Darstellung der Klägerin
nicht um eine Verfremdung bemüht und sich für die Einkleidung
ihrer Kritik einer gegenständlichen Maltechnik
bedient hat, ändert an dieser Bewertung nichts. Für die
Zulässigkeit einer satirischen Darstellung in Gemäldeform
kann es nicht darauf ankommen, ob die dargestellte Person
in größtmöglichem Umfang verfremdet und damit für den
Betrachter nicht mehr erkennbar wird. Vielmehr ist gerade
die Erkennbarkeit der abgebildeten Person Voraussetzung
dafür, dass der Betrachter die in dem Gemälde liegende
Meinungsäußerung erkennen und bewerten kann. Es würde damit
den Grundrechtsschutz des Künstlers verfehlen, wenn
man die Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits in der
Erkennbarkeit einerseits und in der Zuschreibung negativer
Züge andererseits sähe (BVerfG NVwZ 2008, 549 - Ehrensache).
Die vom Landgericht zitierten Grundsätze der
"Esra-Entscheidungen" von BGH und BVerfG (BVerfG NJW
2008, 39; BGH EBE/BGH 2010, 13-15; VersR 2008, 1080;
VersR 2005, 1403) knüpfen zudem ausdrücklich an die "Besonderheiten
erzählender Kunstformen" an und sind auf die
Beurteilung der Zulässigkeit von Gemälden auch unabhängig
von den hier verfolgten satirischen Absichten nicht in
dem vom Landgericht angenommenen Umfang übertragbar.
Auch das "Unterschieben" eines fremden Körpers führt
schließlich nicht zu einer Unzulässigkeit der Bildveröffentlichung.
Allerdings unterliegt die Manipulation von
Fotographien verschärften verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Sofern derartige Fotomontagen dem Betrachter keinen
Anhaltspunkt für die Manipulation geben, sondern Authentizität
suggerieren und den Eindruck eines realen Geschehens
vermitteln, das tatsächlich nicht wie abgebildet
stattgefunden hat, kann es - wie auch bei unwahrer Wortberichterstattung
- an einem legitimen Informationsinteresse
fehlen (BVerfG GRUR 2005, 500; AfP 1999, 57; NJW
1992, 1439 - Bayer; BGH VersR 2006, 374; Wandtke/
Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009 § 23 KUG Rn
42). Auch bei satirischen Darstellungen, die für sich beanspruchen,
eine fotographische Abbildung zu sein, dürfen
einzelne Bildelemente nicht über solche Veränderungen
hinaus manipuliert werden, die für den Aussagegehalt unbedeutend
sind (BVerfG GRUR 2005, 500 - Ron Sommer). Von
einer Fotomontage unterscheidet sich ein weiblicher Akt
auf einem Gemälde jedoch dadurch, dass dessen Herstellung
auch bei naturalistischer Darstellung stets nur eine Interpretation
der abgebildeten Person durch den Künstler
darstellt. Dies prägt auch die Erwartungshaltung des Betrachters.
Dieser wird unabhängig von der Frage, ob er
Kopf und Körper als Einheit wahrnimmt (wovon das Landgericht
in Anlehnung an die als Anlage Ast 7, Anlagenband,
vorgelegte Entscheidung des LG Hamburg ausgeht) oder den
Körper gedanklich "vom Kopf trennt", nicht davon ausgehen,
dass es sich bei dem abgebildeten Akt um eine authentische
Abbildung der Klägerin handelt, weil offensichtlich
ist, dass die Klägerin der Beklagten niemals
Modell gestanden hat. Auch angesichts der flüchtigen und
an Kulissenmalerei erinnernden Ausführung des Gemäldes
wird er nicht annehmen können, dass der Körper der Klägerin
in Wirklichkeit so aussieht, wie er auf dem streitgegenständlichen
Gemälde abgebildet ist. Hierin liegt der
Unterschied zu einer Fotomontage, bei der es sich ebenfalls
um ein manipuliertes Bild handelt, auf dem der Abgebildete
nicht so gezeigt wird, wie er in Wirklichkeit
aussieht, bei der aber zugleich der Betrachter über diesen
Umstand getäuscht wird. Das streitgegenständliche Gemälde
enthält nach alledem bereits keine unwahre Tatsachenbehauptung
über den Körper der Klägerin, deren Untersagung
schon im Hinblick auf diese Unwahrheit geboten wäre.
Bei dieser Sachlage tritt das Persönlichkeitsrecht der
Klägerin hinter die Meinungs- und Kunstfreiheit der Beklagten
zurück. Die hilfsweise von der Klägerin begehrte
Anordnung nach § 938 ZPO auf Abdeckung des Intimbereichs
scheidet schon deswegen aus, weil auch eine solche Anordnung
einen Verfügungsanspruch voraussetzen würde, der
hier aber infolge der zugunsten der Beklagten streitenden
Abwägung nicht besteht.
III.
Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 91 ZPO. Die
Entscheidung über den Streitwert hat ihre Grundlage in §§ 3
ZPO, 48 Abs. 1 GKG.
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