Anspruch aus Reiserücktrittskostenversicherung bei unerwartet schwerer Erkrankung

Gericht

AG München


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

11. 09. 2008


Aktenzeichen

275 C 90001/08


Tenor

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 644,96 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über der Basiszinssatz hieraus seit 31.12.2007 zu bezahlen.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klagepartei 30 Prozent und die Beklagtenpartei 70 Prozent.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Zwangsvollstreckung kann von der beklagten Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

  4. Der Streitwert wird auf 919,20 EUR festgesetzt.

Tatbestand


Tatbestand

Der Kläger macht einen Anspruch aus einer zwischen den Parteien abgeschlossenen Reiserücktrittskostenversicherung geltend.

Der Kläger buchte am 22.01.2007 für sich und seine Familie, darunter seinen damals elfjährigen Sohn ... für die Zeit vom 24.09.2007 bis zum 08.10.2007 eine Reise auf die Insel D./Tunesien. Für diese Reise schloss der Kläger bei der Beklagten eine Reiserücktrittskostenversicherung auf der Grundlage der Versicherungsbedingungen 2006 der Beklagten (Anlage B 1) ab. Am 19.09.2007 erlitt der am ... 1995 geborene Sohn des Klägers ... eine Nasenbeinfraktur. Diese wurde in der ... ambulant versorgt. Am 24.09.2007 wurde eine operative Begradigung des Nasenbeinbruches durchgeführt. Der Kläger stornierte die gebuchte Flugreise nach D. unmittelbar vor Reiseantritt am 24.09.2007. Die Firma ... stellte dem Kläger folgende Stornogebühren am 04.10.2007 in Rechnung: 889,00 EUR, 889,00 EUR, 558,00 EUR und 558,00 EUR sowie 113,00 EUR Versicherungspreis. Auf die Anlage K 2 wird Bezug genommen. Die Beklagte erstattete dem Kläger lediglich 1.670,24 EUR Stornokosten.

Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, am 19.09.2007 sei er davon ausgegangen, dass die Durchführung der Flugreise nach Abschwellung der Gesichtsschwellung möglich gewesen wäre. Bei der Versorgung der Nasenbeinfraktur am 19.09.2007 sei die Blutung gestillt worden, weitere operative Maßnahmen seien zunächst nicht erforderlich erschienen. Bei einer Kontrolluntersuchung am 21.09.2007 habe die behandelnde Ärztin Frau Dr. ... keine Auffälligkeiten festgestellt, welche einen Reiseantritt in Frage gestellt hätten. Die Ärztin habe erklärt, so wie das jetzt aussehe, könnte der Kläger mit seinem Sohn in den Urlaub fahren. Er solle aber am 24.09.2007 zu einer Abschlussuntersuchung vorbeikommen. Erst anlässlich der am 24.09.2007 durchgeführten Untersuchung habe sich ergeben, dass der Nasenbeinbruch operativ begradigt werden müsse. Die behandelnde Ärztin Frau Dr. ... habe am 24.09.2007 gegen 07:00 Uhr festgestellt, dass der Nasenbeinbruch „versetzt“ gewesen sei. Die vorgenannte Ärztin habe dem Kläger erklärt, dass eine Reise auch trotz der Operation noch durchgeführt werden könne, wenn die Nase nicht einbluten würde und der Anästhesist den Sohn freigeben würde. Erst nach der Operation sei festgestellt worden, dass aufgrund der vorgenommenen Ausrichtung der Nase die Nasescheidenwand eingerissen sei, so dass aufgrund des Einreißens der Nasenscheidewand und des damit verbundenen Einblutens die Reise hätte nicht mehr angetreten werden können. Es habe vor dem 24.09.2007 keine schwere Erkrankung vorgelegen. Ursache der Reiseunfähigkeit sei der durch die Aufrichtung der Nase eingetretene Riss in der Nasescheidewand mit Einblutung gewesen. Der 20-prozentige Selbstbehalt in § 5 der Versicherungsbedingungen sei als überraschende Klausel unwirksam, da in der Reisebestätigung der Firma ... vom 22.01.2007 ein Selbstbehalt nicht erwähnt worden ist. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, nicht nur 65 Prozent des Reisepreises abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung, sondern vielmehr 90 Prozent des Reisepreises als Stornokosten abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung in Höhe von 20 Prozent zu erstatten, so dass die Beklagte bei einem Gesamtreisepreis von 3.063,00 EUR verpflichtet gewesen wäre, insgesamt 2.589,44 EUR zu erstatten, so dass die Kosten des Klägers noch eine Differenz von 919,20 EUR zur Zahlung ausstehe.

Der Kläger beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 919,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins der Europäischen Zentralbank seit dem 31.12.2007 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, der Reisepreis habe sich auf insgesamt 3.212,00 EUR belaufen. Die Stornokosten betrügen nicht 3.700,00 EUR, sondern 2.984,00 EUR, da die Versicherungsprämie nicht zu den Stornokosten zähle. Hätte die Klagepartei entsprechend den versicherungsvertraglichen Obliegenheiten spätestens am 23.09.2007 storniert, wären Stornokosten lediglich in Höhe von 65 Prozent des Reisepreises angefallen. Bei einem Reisepreis von 3.212,00 EUR ergäben sich Stornokosten von 2.087,80 EUR; abzüglich eines 20-prozentigen Selbstbehalts von 417,56 EUR habe sich der bereits erstattete Betrag von 1.670,24 EUR ergeben. Der Kläger habe entgegen § 4 Nr. 1 AVB RR06 die Reise nicht unverzüglich nach Eintritt der schweren Unfallverletzung seines Sohnes storniert. Der Kläger habe damit in grob fahrlässiger Weise gegen seine versicherungsvertragliche Schadensminderungspflicht verstoßen. Der versicherte Rücktrittsgrund sei bereits am 19.09.2007 eingetreten. Der Kläger hätte die Reise unverzüglich stornieren müssen. Das Risiko einer rechtzeitigen Wiedergenesung und eines günstigen und komplikationslosen Heilverlaufs sei nicht vom Versicherungsschutz erfasst. Bei operativen Eingriffen müsse aus verständiger Sicht stets mit ernsthaften Komplikationen gerechnet werden.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die bis zum 14.08.2008 eingereichten Schriftsätze und das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte aus der abgeschlossenen Reiserücktrittskostenversicherung einen Anspruch auf Zahlung von 644,96 EUR. Ein weitergehender Anspruch besteht nicht.

Gemäß § 2 der AVB RR06 der Beklagten besteht Versicherungsschutz, wenn die planmäßige Durchführung der Reise nicht zumutbar ist, weil die versicherte Person selbst oder eine Risikoperson während der Dauer des Versicherungsschutzes von einer unerwarteten schweren Erkrankung betroffen ist.

Die Voraussetzung der schweren Erkrankung ist dann gegeben, wenn die Krankheit einen Grad erreicht hat, dass der Antritt der Reise objektiv nicht zumutbar ist (vgl. Prölls/Martin, 27. Auflage, ABRV § 1 Randziffer 13 m. w. N.). Die Schwere der Erkrankung muss objektiv gegeben sein (vgl. Prölls/Martin, a. a. O.). Bei einem Nasenbeinbruch ist in der Regel eine operative Behandlung nicht erforderlich, so dass einem Reisenden, der fünf Tage vor Beginn einer Flugreise nach Tunesien einen Nasenbeinbruch erleidet der Reiseantritt zumutbar ist. Damit kann im Regelfall bei einem Nasenbeinbruch keine schwere Erkrankung angenommen werden.

Anders verhält es sich jedoch, wenn aufgrund der konkreten Umstände im Einzelfall ein operativer Eingriff notwendig ist. In einem solchen Fall wäre der Antritt der Reise objektiv nicht zumutbar und somit eine schwere Erkrankung im Sinne des § 2 der AVB RR06 der Beklagten anzunehmen. Hierfür trägt die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast.

Die Beklagtenpartei bestritt lediglich die Behauptung der Klagepartei, erst am 24.09.2007 habe sich ergeben, dass eine operative Begradigung des Nasenbeinbruches durchgeführt werden müsse. Dieses Bestreiten genügt nicht. Die Beklagte hat nicht vorgetragen und nicht bewiesen, dass seitens der behandelnden Ärzte bereits vor dem 24.09.2008 die operative Begradigung des Nasenbeinbruches als erforderlich erachtet worden war und diese vor dem 24.09.2008 notwendig war.

Da es schon am Vorliegen einer schweren Erkrankung vor dem 24.09.2007 fehlt, kommt es nicht auf das weitere Erfordernis der unerwartenden Erkrankung und der Pflicht zur unverzüglichen Rüge gemäß § 4 Nr. 1 der AVB RR06 an.

Die Klagepartei kann die Erstattung von weiteren Stornokosten in Höhe von 644,96 EUR verlangen. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht nicht. Gemäß der vorgelegten Abrechnung der Stornokosten durch die Firma ... (Anlage K 3) betragen die Stornokosten ohne Versicherungsbeitrag 2.894,00 EUR.

Hiervon ist ein 20-prozentiger Selbstbehalt in Höhe von 578,80 EUR sowie die unstreitige Zahlung der Beklagten von 1.670,24 EUR in Abzug zu bringen, so dass sich ein restlicher Zahlungsanspruch von 644,96 EUR ergibt.

Die Klausel über die Tragung eines Selbstbehaltes durch den Versicherungsnehmer in § 5 der AVB RR06 ist nicht als überraschende Klausel im Sinne von § 305 c BGB anzusehen. Eine solche Klausel ist bei Reiserücktrittskostenversicherungen nicht unüblich.

Der Kläger kann Verzugszinsen aufgrund der Mahnung vom 18.12.2007 gemäß § 286, 288, 280 II BGB verlangen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 I ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Rechtsgebiete

Reiserecht

Normen

AVB §§ 2, 4 Nr. 1, 5; BGB § 305c