Wer frei über die Annahme oder Ablehnung von Aufträgen entscheiden und zugleich für Konkurrenzunternehmen tätig sein kann, ist kein Arbeitnehmer

Gericht

OLG Zweibrücken


Art der Entscheidung

Beschluss über sofortige Beschwerde


Datum

12. 10. 2009


Aktenzeichen

4 W 67/09


Leitsatz des Gerichts

Zur ausschließlichen Zuständigkeit der Arbeitsgerichte im Rechtsstreit zur Rückforderung von Honorarzahlungen für die Durchführung von Interviews.
Zur Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters.

Tenor

  1. Der angefochtene Beschluss und die Nichtabhilfeentscheidung vom 15. September 2009 werden aufgehoben.

    Die Sache wird zur weiteren Behandlung und erneuten Entscheidung über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs sowie über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Landgericht Frankenthal (Pfalz) zurückverwiesen.

  2. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4 000,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe


Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 17 a Abs. 4 S. 3 GVG statthaft, wahrt die gesetzliche Frist und Form (§ 569 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) und ist auch im Übrigen verfahrensrechtlich bedenkenfrei. In der Sache führt das Rechtsmittel zu einem jedenfalls vorläufigen Erfolg.

Die Frage, ob - wie das Landgericht meint - für die Entscheidung des Rechtsstreits nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig sind, ist nicht entscheidungsreif.

Allerdings war die Beklagte nach Aktenlage nicht Arbeitnehmerin der Klägerin. Ob sie wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit von der Klägerin bei ihrer Tätigkeit als Interviewerin als arbeitnehmerähnliche Person (§ 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG) anzusehen war, hätte das Landgericht durch Maßnahmen der materiellen Prozessleitung weiter aufklären müssen. Das ist nicht geschehen. Deshalb macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zwecks weiterer Klärung im Tatsächlichen an das Erstgericht zurückzuverweisen (vgl. Musielak/Ball, ZPO, 7. Aufl., § 572 Rdnrn. 16 ff).

Im Einzelnen gilt dazu Folgendes:

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters unterscheiden sich diese durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet.

a) Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit und im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation verpflichtet ist. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht (hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit) seines Vertragspartners (Arbeitgebers) unterliegt. Arbeitnehmer ist danach derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Selbständig ist dagegen, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, § 84 Abs. 1 S. 2 HGB (vgl. zum Ganzen: BAG NJW 2008, 2872, 2873 m.w.N.).

b) Mit der schriftlichen "Bestätigung" über die Zusammenarbeit der Parteien vom 15. Juni 2007 (in Kopie Bl. 11 d.A.) ist kein Arbeitsverhältnis im Sinne des vorstehend Dargestellten beschrieben. Denn danach soll die Tätigkeit der Beklagten als Interviewerin "auf der Grundlage eines freien Mitarbeiterverhältnisses" erfolgen, wobei die Beklagte die "Einzelaufträge ... in freier Entscheidung annehmen oder ablehnen kann und ... auch für andere Unternehmen und Marktforschungsinstitute tätig werden (darf)".

c) Allerdings ergibt sich die zutreffende rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien aus dem wirklichen Geschäftsinhalt, sodass, wenn sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung widersprechen, das Letztere maßgebend ist (BAG, NJW 2008, aaO m. w. N.).

Die Beklagte hat indes keinen in Einzelheiten aufgegliederten Sachvortrag dazu gehalten, dass im Rahmen der Erbringung der Dienste als Interviewerin ihre persönliche Freiheit abweichend von der schriftlich fixierten Tätigkeitsbeschreibung insbesondere in räumlicher und zeitlicher Hinsicht eine Begrenzung erfahren habe, die sich nicht allein aus der Natur der übernommenen Aufträge ergab, sondern aufgrund konkret erteilter Weisungen der Beklagten. Allein die allgemeinen Vorgaben zur Durchführung der Interviews genügen dafür nicht.

Gegen ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien sprechen im Streitfall weiter die für ein solches untypische (vgl. § 60 HGB) Gestattung einer Konkurrenztätigkeit, das Fehlen eines Urlaubsanspruchs der Beklagten und die ihr nicht eröffnete Möglichkeit, bei Krankheit oder Auftragsausfall eine Vergütung zu erhalten. Gerade das Fehlen eines garantierten Mindestverdienstes belegt, dass - entgegen der Meinung des Landgerichts - die Beklagte durchaus ein dem Bild eines Selbständigen entsprechendes eigenes unternehmerisches Risiko (hier: in der Form des Vergütungsrisikos) zu tragen hatte (vgl. in diesem Zusammenhang Fischer, jurisPR-SteuerR, 38/2008, Anm. 4 und jurisPR-SteuerR, 13/2009, Anm. 4, jew.m.w.N.).

2. Unbeschadet der vorstehenden Ausführungen ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten auch dann eröffnet, wenn die Beklagte ihre Interviewtätigkeit für die Klägerin als arbeitnehmerähnliche Person i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG ausgeübt haben sollte.

a) Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbständige. An die Stelle der das Arbeitsverhältnis prägenden persönlichen Abhängigkeit durch Weisungsgebundenheit tritt die wirtschaftliche Abhängigkeit. Wirtschaftliche Abhängigkeit ist regelmäßig gegeben, wenn der Dienstverpflichtete seiner gesamten sozialen Stellung nach in vergleichbarer Weise wie ein Arbeitnehmer schutzbedürftig ist und die geleisteten Dienste nach ihrer sozialen Typik mit denen eines Arbeitnehmers vergleichbar sind. Die dem Gesetz zugrunde liegende Schutzbedürftigkeit der arbeitnehmerähnlichen Person folgt aus der Höhe der ihr vertraglich eingeräumten Vergütung und ist dann anzunehmen, wenn der Beschäftigte auf die Verwertung seiner Arbeitskraft und die bei dem Vertragspartner erzielten Einkünfte zur Sicherung seiner Existenzgrundlage angewiesen war (vgl. Senat, Beschluss vom 5. Mai 2009 - 4 W 25/09, 4 W 26/09 -, in juris; LAG Hamm, NZA-RR 2008, 324; LAG Köln, Beschluss vom 18.05.2009, - 4 Ta 72/09 -, in juris; BAG, NJW 2007, 1709, jew.m.w.N.).

b) Ob die Beklagte in einem so beschriebenen wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu der Klägerin stand, ist bislang nicht geklärt. Die von dem Landgericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung angestellte Erwägung, die Tätigkeit als Interviewerin für die Klägerin habe die ausschließliche Existenzgrundlage für die Beklagte dargestellt, findet in dem bisherigen Parteivortrag keine Grundlage. Der Akte ist nur zu entnehmen, dass die Beklagte nach eigenen Angaben studierte Diplom-Ingenieurin ist (Absenderangabe auf dem Schreiben vom 19.11.2008, in Kopie Bl. 25 d.A.) und von Januar bis September 2008 von der Klägerin 14 355,40 € an Honorar erhalten hat. Im Übrigen bleibt nach dem Vorbringen der Parteien offen, ob über den mit der Klage zurückverlangten Betrag hinaus seit Beginn der Zusammenarbeit im Juni 2007 weitere Zahlungen (etwa für nicht beanstandete Interviewtätigkeit) geleistet wurden.

Im Fortgang des Verfahrens wird den Parteien deshalb aufzugeben sein (§ 572 Abs. 3 ZPO), unter Beifügung von Belegen im Einzelnen dazu vorzutragen, in welcher Höhe die Beklagte während ihrer Tätigkeit für die Klägerin von dieser insgesamt honoriert worden ist. Ferner wird sich die Beklagte dazu zu erklären haben, ob und ggf. in welcher Höhe sie in der fraglichen Zeit Einnahmen auch aus anderen Quellen erzielt und wie sie ihren Lebensbedarf bestritten hat.

Erst auf dieser noch zu schaffenden Tatsachengrundlage können dann die Fragen nach der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Beklagten von der Klägerin sowie, daran anknüpfend, nach der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte beantwortet werden.

3. Wegen des nur vorläufigen Erfolgs des Rechtsmittels ist die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Landgericht vorzubehalten.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren ist nach einem Bruchteil des Hauptsachewertes zu bemessen, wobei Schwankungen in einer Größenordnung von etwa 1/3 bis 1/5 denkbar sind (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2005, - 3 Zb 66/05 -, in juris). Da die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 14 355,40 € verlangt, setzt der Senat den Wert des Beschwerdeverfahrens auf 4 000,00 € fest (§ 3 ZPO, § 48 Abs. 1 GKG).


Petry

Vorinstanzen

LG Frankenthal (Pfalz), 4 O 73/09

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht