Ist ein traditioneller Weihnachtsmarkt eine „Pflichtaufgabe der Gemeinde“?
Gericht
BVerwG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
27. 05. 2009
Aktenzeichen
8 C 10.08
Aus der bundesverfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung folgt, dass sich eine Gemeinde im Interesse einer wirksamen Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft nicht ihrer gemeinwohlorientierten Handlungsspielräume begeben darf. Eine materielle Privatisierung eines kulturell, sozial und traditionsmäßig bedeutsamen Weihnachtsmarktes, der bisher in alleiniger kommunaler Verantwortung betrieben wurde, widerspricht dem. Eine Gemeinde kann sich nicht ihrer hierfür bestehenden Aufgabenverantwortung entziehen. Ihr obliegt vielmehr auch die Sicherung und Wahrung ihres Aufgabenbereichs, um eine wirkungsvolle Selbstverwaltung und Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu gewährleisten.
Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. April 2008 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
I
Der Kläger, Inhaber eines Imbissstandes, den er im März 2004 von einem anderen Marktbeschicker erwarb, wendet sich mit einer Feststellungsklage gegen die 1997 erfolgte „Privatisierung“ des Offenbacher Weihnachtsmarktes.
Die Beklagte hatte bis zu diesem Zeitpunkt über Jahrzehnte den Weihnachtsmarkt in Offenbach selbst veranstaltet. Ausweislich einer Presseinformation zum Weihnachtsmarkt 1996 fand u.a. ein Rahmenprogramm auf dem Weihnachtsmarktgelände statt. So traten der Nikolaus, eine Puppenbühne an verschiedenen Tagen mit Puppentheaterstücken, ein Posaunenchor sowie ein Musikverein und andere Musikanten sowie ein Zauberer und Gaukler an verschiedenen Tagen auf.
Unter dem 12. September 1996 beschloss die Stadtverordnetenversammlung der Beklagten, den Magistrat der Stadt zu beauftragen, die Vergabe des Weihnachtsmarktes ab 1997 an einen Dritten vorzubereiten. Die abschließende Auswahl sollte durch den Magistrat erfolgen unter der Maßgabe, dass der Einfluss des Magistrats auf die Gestaltung des Weihnachtsmarktes sicherzustellen sei.
Nach Durchführung verschiedener Bewerbergespräche übertrug der Magistrat der Beklagten die Vergabe des Offenbacher Weihnachtsmarktes an den Beigeladenen zu 1 mit Vertrag vom 26. September 1997. Noch am Tage des Vertragsschlusses übertrug der Beigeladene zu 1, ein Verein mit ca. 100 Mitgliedern, die schwerpunktmäßig aus dem Kreise des örtlichen Einzelhandels stammen, der Beigeladenen zu 2 vertraglich die Ausrichtung des Weihnachtsmarktes.
Der Vertrag sah u.a. vor, dass die Beigeladene zu 2 den Weihnachtsmarkt zu den in dem mit der Beklagten geschlossenen Vertrag enthaltenen Bedingungen organisieren und durchführen müsse. Die Beigeladene zu 2 zahlte an den Beigeladenen zu 1 pro Weihnachtsmarkt einen Betrag von 5 000 DM. In der Folgezeit verpflichtete die Beigeladene zu 2 die von ihr ausgewählten Marktbeschicker u.a. dazu, bestimmte Waren in den Ständen zu vermarkten.
Der 1997 zwischen dem Beigeladenen zu 1 und der Beklagten geschlossene Vertrag sah u.a. vor, dass der private Betreiber in eigener Verantwortung, für eigene Rechnung und unabhängig von Einzelfallanweisungen der Beklagten tätig sein soll. Die Übertragung geschah zunächst für einen Zeitraum von zwei Jahren. Zum Umfang der Übertragung ist geregelt, dass der Betreiber in eigener Verantwortung die Auswahl der Marktbeschicker, die Marktordnung und die Werbung und Marktdurchführung übernimmt. Die Auswahl der Marktbeschicker wurde an bestimmte Vorgaben geknüpft; so sollten bestimmte Anbietergruppen nach Anzahl und Verhältnis zu der Gesamtzahl der Anbieter berücksichtigt werden, so etwa eine bestimmte Anzahl von Ausschank-, Verköstigungs- und Süßwarenverkaufsbetriebe sowie Kunsthandwerksanbieter und Weihnachtsschmuckanbieter sowie mindestens ein Kinder- und/oder Nostalgiefahrgeschäft ohne Jahrmarktscharakter. Im Einzelnen wird auf den Inhalt des Vertrages vom 24. Juli und 26. September 1997 Bezug genommen.
Mit Änderungsvertrag vom 5. und 10. September 2002 ist der Zeitraum für die Ausrichtung des Weihnachtsmarktes um weitere sieben Jahre verlängert worden. Weiterhin ist eine automatische Verlängerung des Vertrages um jeweils ein weiteres Jahr vorgesehen, sofern nicht eine Kündigung mit einer 12-monatigen Frist zum jeweiligen Vertragsende erfolgt.
Unter dem 30. März und 6. April 2006 schlossen die Beklagte und die Beigeladenen zu 1 und 2 eine Änderungsvereinbarung, wonach nunmehr die Auswahl der Weihnachtsmarktbeschicker durch die Betreiberin in eigener Verantwortung auf der Grundlage eines öffentlichen Bewerbungsverfahrens unter privatrechtlichen Grundsätzen erfolge. In diesem Vertrag ist zugleich das Ausscheiden des Beigeladenen zu 1 aus dem bisherigen Vertrag vereinbart worden.
Mit einem am 2. und 26. März 2009 geschlossenen Vertrag über die Sondernutzung von Flächen in der Offenbacher Fußgängerzone zur Durchführung eines Weihnachtsmarktes wurde nunmehr nach Kündigung des vorausgegangenen Vertragsverhältnisses bestimmt, dass die Stadt der Beigeladenen zu 2 die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis für Flächen in der Fußgängerzone zur Durchführung eines Weihnachtsmarktes in den Jahren 2009 bis 2011 zusichert. Im Einzelnen ist die Veranstaltungsfläche näher festgelegt worden, ebenso der Beginn des Weihnachtsmarktes. Zugleich sollte die Beigeladene zu 2 „zur Sicherung der innenstadtverträglichen Gestaltung des Weihnachtsmarktes und zur Qualitätssicherung und -steigerung“ die Einhaltung des von ihr vorgelegten Veranstaltungskonzepts sichern. In der Vereinbarung ist auch eine Sonderregelung für außergewöhnliche Beschickerstände vorgesehen sowie die Zusicherung seitens der Beklagten zur Erteilung aller weiteren, für die Durchführung des Weihnachtsmarktes erforderlichen Genehmigungen.
Für den 2004 veranstalteten Weihnachtsmarkt erstritt der Kläger eine Zulassung durch die Beigeladene zu 2 mit Hilfe eines einstweiligen Verfügungsverfahrens vor dem Landgericht Darmstadt. Die Bewerbung des Antragstellers für die Teilnahme am Weihnachtsmarkt 2005 lehnte die Beigeladene zu 2 ebenfalls ab. Dagegen erhob der Kläger bei der Beklagten Widerspruch, den die Beklagte für unzulässig hielt, da kein Bescheid seitens der Beklagten erlassen worden sei. Im danach angestrengten einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt lehnte das Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Beklagte ab. Die dagegen erhobene Beschwerde hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 11. November 2005 zurückgewiesen.
Im September 2005 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Klage erhoben. Zu ihrer Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, verbindliche Entscheidungen über Zulassungsanträge von Bewerbern hinsichtlich der Vergabe von Standplätzen auf dem Weihnachtsmarkt durch die Beigeladene zu 2 treffen zu lassen. Es sei auch nicht zulässig, über die Zulassung zu vormals öffentlichen Einrichtungen, die für bestimmte Zwecke gewidmet seien, nunmehr Privatrechtssubjekte entscheiden zu lassen. Die Stadt sei vielmehr gehalten, diese Entscheidung selbst zu treffen. Bei den Geschäftsführern der Beigeladenen zu 2 handele es sich um befangene Konkurrenten des Klägers, weshalb die Übertragung der Zulassungsentscheidung ermessensfehlerhaft sei. Die geschäftsführenden Gesellschafter der Beigeladenen zu 2 seien persönlich involviert, da sie selbst Beschicker bzw. Dienstleister des Weihnachtsmarktes seien.
Nach Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht hat der Kläger die vom Berufungsgericht zugelassene Berufung im Wesentlichen damit begründet, dass der Weihnachtsmarkt nach wie vor eine öffentliche Einrichtung sei, da er jahrzehntelang als traditionelles bzw. traditionsbildendes Volksfest durch die Beklagte ausgerichtet worden sei und immer auf gemeindlichen Grundstücken stattgefunden habe, die die Beklagte selbst hergerichtet habe. Mit der Bereitstellung der notwendigen Versorgungs- und Erschließungseinrichtungen durch die Beklagte werde ein wesentlicher Beitrag zur Veranstaltung des Marktes erbracht. Mit der Durchführung des Marktes erfülle die Beklagte freie Selbstverwaltungsaufgaben und damit eine Daseinsvorsorge klassischer Prägung.
Der Kläger hat beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, rechtsverbindliche Entscheidungen über Zulassungsanträge von Bewerbern hinsichtlich der Vergabe von Standplätzen bei Stadt- und Volksfesten der Beklagten durch die Beigeladene zu 2 treffen zu lassen, sondern dass die Beklagte die Entscheidung selbst zu treffen habe.
Die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren nicht zur Sache geäußert. Die Beigeladenen zu 1 und 2 haben sinngemäß beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie haben bestritten, dass die Beklagte selbst Versorgungs- und Erschließungseinrichtungen für den Weihnachtsmarkt bereitstelle. Auch stehe die Ausrichtung des Weihnachtsmarktes nicht unter der Kontrolle der Stadt. Vielmehr sei die Stadt lediglich Vermieterin der Fläche für den Weihnachtsmarkt und erlasse einen Sondernutzungsbescheid.
Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Feststellungsklage sei unbegründet, da der Beklagten kein Entscheidungsrecht bezüglich der Zulassung von Marktbeschickern oder deren Ausschluss zustehe. Infolge der Übertragung der Durchführung des Marktes auf den Beigeladenen zu 1 sei der Weihnachtsmarkt keine öffentliche Einrichtung mehr. Es bestehe auch kein rechtliches Hindernis an einer vollen Privatisierung des ursprünglich von der Beklagten selbst veranstalteten Weihnachtsmarktes. Die Ausrichtung eines traditionellen Volksfestes gehöre zu den freien Selbstverwaltungsangelegenheiten einer Gemeinde. Derartige Veranstaltungen könnten zwar, müssten aber nicht als öffentliche Einrichtung betrieben werden. Ebenso wie es im Ermessen der Gemeinde stehe, derartige Selbstverwaltungsaufgaben zu übernehmen, sei es ihr auch jederzeit möglich, sich dieser Aufgaben wieder zu entledigen. Die Beklagte habe mittels des Vertrages u.a. die Auswahl der Marktbeschicker übertragen und sich auch aller übrigen Aufgaben eines Marktveranstalters entledigt. Zwar habe sie in einigen Vertragsbestimmungen Mindeststandards für die künftige Verhaltensweise des Veranstalters festgelegt, sich aber keine Entscheidung im Einzelfall vorbehalten, sondern in Nummer 11 des Vertrages nur ein Recht zur Vertragskündigung bei erheblichen Pflichtverletzungen des Vertragspartners.
Die Beklagte sei auch rechtlich nicht gehindert gewesen, sich der Möglichkeit einer Einflussnahme auf das Marktgeschehen zu begeben. Zwar fielen die Betätigungen der Gemeinde im Rahmen der Daseinsvorsorge in den Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Das der Gemeinde zustehende Ermessen bei der Frage, ob eine Aufgabe der Daseinsvorsorge durch sie selbst oder durch eine andere Person wahrgenommen werden soll, werde aber nicht für alle Zukunft dadurch gebunden, dass sich die Gemeinde einmal dafür entschieden habe, die Aufgabe durch eine öffentliche Einrichtung wahrzunehmen. Bestehe bei freien Selbstverwaltungsaufgaben kein öffentliches Interesse an der eigenen Aufgabenwahrnehmung mehr, weil ein Privater die Aufgabe ebenso gut oder besser wahrnehmen könne, so sei es nicht ermessensfehlerhaft, sondern unter Umständen sogar geboten, sich zu einer Privatisierung der Aufgabenwahrnehmung zu entschließen. Dafür spreche auch der im Februar 2005 neu in Kraft getretene § 121 Abs. 1 HGO n.F. Er habe zwar zum Zeitpunkt der Privatisierung im Jahre 1997 noch nicht gegolten, aber schon vor seinem Inkrafttreten habe ein Grundsatz der Subsidiarität gemeindewirtschaftlicher Betätigung zugunsten privater Unternehmer gegolten. Nunmehr seien die Gemeinden durch die Neuregelung zu einer Überprüfung eigener Aufgabenwahrnehmung gezwungen.
Im Übrigen sei der Kläger durch die Privatisierung des Weihnachtsmarktes nicht rechtswidrig in seiner Rechtsposition betroffen, denn er habe mit der Privatisierung keine schwerwiegenden Nachteile erlitten. Dies würden die von ihm gegen die Beigeladene zu 2 erwirkten rechtskräftigen Urteile der Zivilgerichte belegen. Bei einer Wiederholung einer nicht immer korrekten Behandlung des Klägers bei der Vergabe von Standplätzen durch die Beigeladene zu 2, „was durchaus an einem Interessenkonflikt der für diese Beigeladene handelnden Personen liegen könnte“, könne er entsprechende gerichtliche Maßnahmen einleiten. Dass infolge der zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 2 nicht die Bestimmungen über die Befangenheit im Verwaltungsverfahrensgesetz anwendbar seien, liege in der Natur der Sache. Gegen sachlich ungerechtfertigte Entscheidungen der Beigeladenen zu 2 könne jedoch auch künftig angemessener zivilrechtlicher Rechtsschutz erlangt werden.
Das Berufungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, da bisher weder durch das Bundesverwaltungsgericht noch durch die Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte geklärt sei, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine Privatisierung bisheriger öffentlicher Einrichtungen von Gemeinden zulässig sei.
Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. April 2008 und des Urteils des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 13. März 2007 festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, Entscheidungen über Zulassungsanträge von Bewerbern um einen Standplatz auf dem Offenbacher Weihnachtsmarkt selbst zu treffen.
Der Beklagte und die Beigeladenen verteidigen das ergangene Urteil und stellen jeweils den Antrag,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist zulässig und mit dem Ergebnis der Zurückverweisung begründet.
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs beruht auf der Verletzung von Bundesrecht, § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Die entscheidungstragende Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs, die Beklagte sei rechtlich nicht gehindert gewesen, die Veranstaltung des traditionellen Weihnachtsmarktes vollständig an Private zu übertragen und sich der Möglichkeit jeder Einflussnahme auf das Marktgeschehen zu begeben, entspricht nicht der Rechtslage.
1. Mit dem Verwaltungsgerichtshof ist davon auszugehen, dass die vorliegende Feststellungsklage zulässig ist. Der Kläger hat ein Interesse an der begehrten Feststellung. Hierzu genügt jedes nach Sachlage anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art (stRspr; vgl. nur Beschluss vom 4. März 1976 BVerwG 1 WB 54.74 BVerwGE 53, 134 [137]).
Es besteht auch die notwendige Klagebefugnis beim Kläger. Über das in § 43 Abs. 1 VwGO geforderte berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung hinaus ist nach ständiger Rechtsprechung § 42 Abs. 2 VwGO entsprechend anzuwenden (BVerfG, Beschluss vom 5. November 1986 1 BvR 706/85 BVerfGE 74, 1 [4]; BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1996 BVerwG 8 C 19.94 BVerwGE 100, 262 [264] = NJW 1996, 2046 [2048]). Eine Feststellungsklage ist damit nur zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, in seinen Rechten verletzt zu sein, entweder weil er an dem feststellenden Rechtsverhältnis selbst beteiligt ist oder weil von dem Rechtsverhältnis eigene Rechte abhängen. Im vorliegenden Fall erscheint es aber nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise als unmöglich, dass dem Kläger ohne die seinerseits angegriffene Übertragung der Vergabe im Jahre 1997 ein Anspruch gegen die Beklagte auf Zulassung zu dem genannten Weihnachtsmarkt zustehen könnte. Bei Rechtswidrigkeit der von ihm gerügten Privatisierung kann ihm ein Anspruch auf Zulassung zur Nutzung öffentlicher Einrichtungen der Gemeinde eröffnet sein.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bei seiner Sachentscheidung die bundesverfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht hinreichend beachtet. Gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG haben die Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Den Gemeinden ist damit durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ein grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassender Aufgabenbereich zugesichert und damit auch die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte in diesem Bereich (BVerfG, Beschluss vom 23. November 1988 2 BvR 1619/83 u.a. BVerfGE 79, 127 [142]; auch Urteil des Senats vom 25. Januar 2006 BVerwG 8 C 13.05 BVerwGE 125, 68 [72] = Buchholz 415.1 Allg. KommunalR Nr. 156).
Die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind nach ständiger Rechtsprechung dabei diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder zu ihr einen spezifischen Bezug haben. Sie sind den Gemeindeeinwohnern gemeinsam, indem sie das Zusammenleben und das Zusammenwohnen der Menschen in der politischen Gemeinschaft betreffen. Auf die Verwaltungskraft der Gemeinde kommt es hierfür nicht an (BVerfG, Beschluss vom 23. November 1988 2 BvR 1619/83 u.a. a.a.O. [148]). Der bundesrechtliche Rechtsbegriff der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ist dabei kein inhaltsloser disponibler Begriff, sondern er ist vom Sinne der grundgesetzlichen Selbstverwaltungsgarantie her zu verstehen und auch zu interpretieren (vgl. Püttner, Kommunale Selbstverwaltung, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, S. 1151).
Die Gemeinden sind infolge der Selbstverwaltungsgarantie nicht nur vor Eingriffen durch den Bund und die Länder in dem Kernbestand ihres Aufgabenbereichs geschützt, sondern aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt sich auch eine Bindung der Gemeinden hinsichtlich der Aufrechterhaltung dieses Bestandes und damit die grundsätzliche Pflicht der gemeindlichen Wahrung und Sicherung ihres eigenen Aufgabenbestandes, wenn dieser in den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft wurzelt.
Auf die gemeindliche Aufgabenwahrnehmung bezogene inhaltliche Vorgaben des Gesetzgebers bedürfen eines rechtfertigenden Grundes, etwa um eine ordnungsgemäße Erledigung sicherzustellen. Diese Vorgaben müssen beschränkt bleiben „auf dasjenige, was der Gesetzgeber zur Wahrung des jeweiligen Gemeinwohlbelangs für erforderlich halten kann, wobei er angesichts der unterschiedlichen Ausdehnung, Einwohnerzahl und Struktur der Gemeinden typisieren darf und auch im Übrigen einen weiten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum hat“ (BVerfG, Beschluss vom 7. Februar 1991 2 BvL 24/84 BVerfGE 83, 363 [382 f.]). Dementsprechend hat der Gesetzgeber in § 19 Abs. 1 HGO festgelegt, dass die Gemeinde die Aufgabe hat, in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die für ihre Einwohner erforderlichen wirtschaftlichen, sozialen, sportlichen und kulturellen Einrichtungen bereitzustellen. Die Einwohner der Gemeinden sind im Rahmen der bestehenden Vorschriften berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen, und verpflichtet, die Gemeindelasten zu tragen, § 20 Abs. 1 HGO. Die gesetzliche Regelung in Hessen trägt somit den Anforderungen, die sich aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ergeben, Rechnung.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht es nicht im freien Ermessen einer Gemeinde, „freie Selbstverwaltungsangelegenheiten“ zu übernehmen oder sich auch jeder Zeit wieder dieser Aufgaben zu entledigen. Gehören Aufgaben zu den Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises, so darf sich die Gemeinde im Interesse einer wirksamen Wahrnehmung dieses örtlichen Wirkungskreises, der ausschließlich der Gemeinde, letztlich zum Wohle der Gemeindeangehörigen, anvertraut ist, nicht ihrer gemeinwohlorientierten Handlungsspielräume begeben. Der Gemeinde steht es damit nicht grundsätzlich zu, sich ohne Weiteres der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu entledigen. Anderenfalls hätten es die Gemeinden selbst in der Hand, den Inhalt der kommunalen Selbstverwaltung durch Abstoßen oder Nichtwahrnehmung ihrer ureigenen Aufgaben auszuhöhlen. Um ein Unterlaufen des ihr anvertrauten Aufgabenbereichs zu verhindern, muss sich die Gemeinde grundsätzlich zumindest Einwirkungs- und Steuerungsmöglichkeiten vorbehalten, wenn sie die Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises anderen übertragen will. Sie kann sich damit nicht ihres genuinen Verantwortungsbereichs für die Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises entziehen. Will sie Dritte bei der Verwaltung bestimmter Bereiche ihres eigenen Aufgabenbereichs einschalten, die gerade das Zusammenleben und das Zusammenwohnen der Menschen in der politischen Gemeinschaft betreffen, so muss sie ihren Einflussbereich über die Entscheidung etwa über die Zulassung im Grundsatz behalten. Der Gemeinde ist es verwehrt, gewissermaßen den Inhalt der Selbstverwaltungsaufgaben selbst zu beschneiden oder an Dritte abzugeben.
Geht es allein um eine wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde, bei der von vornherein zweifelhaft sein kann, ob es sich um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft handelt, die das Zusammenleben und Zusammenwohnen der Menschen in der politischen Gemeinschaft betrifft, so wird die Frage einer Pflicht der gemeindlichen Wahrung und Sicherung ihres eigenen Aufgabenbestandes anders zu beantworten sein, als wenn es sich um öffentliche Einrichtungen mit kulturellem, sozialen und traditionsbildenden Hintergrund handelt, die schon lange Zeit in der bisherigen kommunalen Alleinverantwortung lagen. Je länger die kommunale Verantwortung für derart geprägte öffentliche Einrichtungen dauerte, umso mehr ist die Gemeinde zu einer wirksamen Wahrnehmung dieser Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft verpflichtet. Eine Gemeinde kann sich damit nicht der Aufgabenverantwortung für die so geprägten eigenen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft entziehen. Vielmehr obliegt ihr auch die Sicherung ihres Aufgabenbereichs, um eine wirkungsvolle Selbstverwaltung und die effektive Wahrnehmung der ureigenen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sicherzustellen.
Aus dem Gebot der Sicherung und Wahrung des Aufgabenbestandes der Gemeinden ergibt sich, dass eine vollständige Übertragung von Aufgaben besonderer sozialer, kultureller und traditioneller Prägung wie ein Weihnachtsmarkt, an Dritte nicht zulässig ist. In welcher Weise die Gemeinde ihren Einflussbereich auf die Wahrnehmung für derartige Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises sich vorbehält, etwa durch eine funktionale oder formelle Privatisierung ist dabei eine Frage ihres Ermessens.
Die Gemeinde hat die Möglichkeit, durch die sog. „formelle Privatisierung“ bei der Veranstaltung etwa von Märkten, Messen, aber auch von Weihnachtsmärkten, die unmittelbare Veranstaltungszuständigkeit der Gemeinde einer kommunalen Eigengesellschaft zu übertragen. Die Verantwortlichkeit der Gemeinde für die Angelegenheit des örtlichen Wirkungskreises bleibt damit vollständig erhalten.
Weiterhin ist der Gemeinde die Möglichkeit einer sog. „funktionellen Privatisierung“ eröffnet. Dabei kommt es zu einem Zusammenwirken von Privatrechtsträgern und der Gemeinde, so etwa in Form von Betreiber- und Betriebsführungsmodellen. Die Gemeinde kann etwa einen privaten Unternehmer als Erfüllungsgehilfen im sog. Submissionsmodell mit der Durchführung der Veranstaltung in ihrem Namen betrauen. Damit bleibt die Gemeinde aber in rechtlicher Hinsicht der Veranstalter des Marktes. Ebenso kann das sog. Konzessionsmodell zugrunde gelegt werden, wonach eine öffentliche Einrichtung verpachtet werden und die Wahrnehmung an private Unternehmer weitergegeben werden kann. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die Rechtspflichten der Gemeinden gegenüber Beschickern, Besuchern und Dritten fortbestehen müssen. Die Gemeinde muss sich in diesem Fall jedenfalls Kontroll- und Einwirkungsrechte vorbehalten.
Die Veranstaltung eines Weihnachtsmarktes mit kulturellem, sozialem und traditionsbildendem Charakter gehört zur Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang übersehen, dass bei der Veranstaltung eines solchen Marktes keine vorrangige wirtschaftliche Betätigung einer Gemeinde vorliegt und deshalb auch die Subsidiaritätsbestimmung des Landesrechts zur Bevorzugung privater Wahrnehmung von wirtschaftlicher Tätigkeit nicht eingreift. Denn bei einem Weihnachtsmarkt mit dem umschriebenen Charakter treten die wirtschaftlichen Belange eindeutig zurück.
Seine Würdigung allein aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten verkennt das Vorliegen der sozialen, kulturellen und traditionellen, gemeinschaftsbezogenen Gemeinwohlbelange, das örtliche Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Gemeindebürgern, die Wahrung von Tradition und religiösen und historischen ortsbezogenen Gebräuchen. Eine Reduzierung dieser gemeinwohlorientierten Belange auf eine wirtschaftliche Betätigung im Zusammenhang mit der Veranstaltung eines Weihnachtsmarktes verkennt den Begriff der Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises.
Es wird zudem übersehen, dass die Gerichte seit jeher bei der Ausrichtung von traditionellen und traditionsbildenden Volksfesten und Weihnachtsmärkten den Charakter der freien Selbstverwaltungsaufgabe und der Daseinsvorsorge hervorgehoben haben (BayVGH, Urteil vom 23. März 1988 4 B 86.02336 GewArch 1988, 245). Die sozialen Gesichtspunkte wie Veranstaltung von Altennachmittagen, das Auftreten von Musikkapellen und das Bestehen von Kindernachmittagen spielen bei derartigen Veranstaltungen eine erhebliche Rolle (vgl. BayVGH, a.a.O. S. 246). Es ist auch seit Langem anerkannt, dass für einen traditionsbildenden und traditionellen Weihnachtsmarkt mit kommunalpolitischer Relevanz das Besucherinteresse, vertraute und beliebte Darbietungen aus früheren Veranstaltungen wieder zu finden und den Kontakt mit den Bürgern untereinander sicherzustellen, eine wesentliche Rolle spielt (vgl. BayVGH, Urteil vom 3. März 1980 22.B 1297/79 GewArch 1980, 299).
Die Entledigung von Aufgaben wie traditionsreichen, kulturellen und sozialen Weihnachtsmärkten, die zu den Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises gehören, führt damit inhaltlich zu einer unzulässigen Selbstbeschränkung der kommunalen Selbstverwaltung. Zu Recht wird in der Literatur (vgl. Gröpl, Privatisierung von Messen, Märkten und Volksfesten, GewArch 1995, 367 [370 f.]) darauf hingewiesen, dass bei einer privaten Veranstaltung von sozial, kulturell und traditionsgeprägten Weihnachtsmärkten mit einer erhöhten Gewinnerzielung der privaten Veranstalter zu rechnen ist und deshalb die Standvergütungen von den Beschickern erhöht und auf die Besucher umgelegt werden. Ein erhöhtes Preisniveau schließt aber gerade sozialschwächere Gemeindeeinwohner vom Marktgeschehen aus, erschwert die gesellschaftliche Kommunikation im örtlichen Bereich und trägt darüber hinaus zur Kommerzialisierung des gesamten kommunalen Lebens mit bei.
Zusammenfassend folgt somit aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG auch eine Pflicht der Gemeinde zur grundsätzlichen Sicherung und Wahrung des Aufgabenbestandes, der zu den Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises gehört. Zu diesem Bestand gehört auch die Veranstaltung eines traditionsbildenden und traditionellen Weihnachtsmarktes mit kommunalpolitischer Relevanz, der zugleich das Besucherinteresse an vertrauten und beliebten Darbietungen aus früheren Veranstaltungen beachtet und zur Förderung der Kontakte der Gemeindebürger untereinander beiträgt, bei dem damit soziale und kulturelle Gesichtspunkte prägend sind. Der Gemeinde ist es bei einem derartigen Aufgabenbereich verwehrt, sich der Verantwortung für die Durchführung von Veranstaltungen dieser Art endgültig zu entledigen. Sie muss sich Steuerungs- und Einwirkungsmöglichkeiten zu einer dem Wohl der Gemeindeeinwohner verpflichteten Durchführung von traditionellen Weihnachtsmärkten vorbehalten. Wie wichtig ein derartiger neutraler, „unbefangener“, auch einen fairen Wettbewerb sichernder Einfluss des Hoheitsträgers ist, zeigt gerade der vorliegende Fall, bei dem die „Befangenheit“ der Marktveranstalter im Verhältnis zu den Marktbeschickern offensichtlich ist, wovon auch der Verwaltungsgerichtshof ausgeht. Auch ein weiterer fallbezogener Umstand zeigt die Notwendigkeit des Bestehens einer Steuerungsmöglichkeit durch die Gemeinde selbst. Die Durchführung des Weihnachtsmarktes wurde ursprünglich dem Beigeladenen zu 1 übertragen, der dann seinerseits noch am Tage des Vertragsschlusses die Beigeladene zu 2 als Veranstalter einschaltete, ohne dass die Gemeinde als Träger des Vergabeverfahrens Einfluss auf diese Weiterleitung hatte.
3. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO). Nach Ergehen des Berufungsurteils sind verschiedene andere vertragliche Veränderungen eingetreten, deren Auswirkungen auf den vorliegenden Fall das Berufungsgericht auch in tatsächlicher Hinsicht noch zu überprüfen hat. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil kann der Senat nicht entscheiden, ob hier eine zulässige Privatisierung vorliegen kann. Diese Prüfung wird der Verwaltungsgerichtshof anhand der oben genannten Kriterien nachholen müssen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen nicht die zum Zeitpunkt seiner Urteilsfindung bereits vorliegende Vereinbarung vom 6. April 2006/30. März 2006 gewürdigt. Ferner wird der Verwaltungsgerichtshof den Vertrag über die Sondernutzung von Flächen in der Offenbacher Fußgängerzone zur Durchführung des Weihnachtsmarktes vom 2./26. März 2009 in seine Überlegungen einzubeziehen haben.
Gödel Dr. Pagenkopf Krauß
Dr. von Heimburg Dr. Hauser
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren und das Berufungsverfahren, insoweit in Abänderung des Streitwertbeschlusses des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Juni 2007, auf je 5 000 € festgesetzt.
Gödel Dr. Pagenkopf Krauß
Dr. von Heimburg Dr. Hauser
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen