Aufwendungen für ein sog. Erststudium nach abgeschlossener Berufsausbildung können als Werbungskosten abgezogen werden
Gericht
BFH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
18. 06. 2009
Aktenzeichen
VI R 14/07
§ 12 Nr. 5 EStG bestimmt in typisierender Weise, dass bei einer erstmaligen Berufsausbildung ein hinreichend veranlasster Zusammenhang mit einer bestimmten Erwerbstätigkeit fehlt. Die Vorschrift enthält jedoch kein Abzugsverbot für erwerbsbedingte Aufwendungen.
In verfassungskonformer Auslegung steht § 12 Nr. 5 EStG einem Abzug von Aufwendungen als Werbungskosten für ein Erststudium nach abgeschlossener Berufsausbildung nicht entgegen.
Gründe
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.
Der Kläger ist als Lehrer tätig. Die 1967 geborene Klägerin besitzt eine abgeschlossene Ausbildung als Buchhändlerin. Nach Abschluss der Ausbildung begann sie zunächst ein Sonderschulpädagogik-Studium, welches sie allerdings aufgrund einer Schwangerschaft nicht beendete. Im Jahr 2002 begann die Klägerin ein Studium zur Grund-, Haupt- und Realschullehrerin.
Bis einschließlich 2004 berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die im Zusammenhang mit dem Studium geltend gemachten Kosten der Klägerin, für 2002 nach Durchführung eines finanzgerichtlichen Klageverfahrens, als Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit.
Auch für das Streitjahr (2005) machte die Klägerin den Abzug der Aufwendungen für das Studium geltend, und zwar in Höhe von 6 424 €. Das FA sah diese Ausgaben nunmehr als Berufsausbildungskosten i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an und ließ sie nur in Höhe von 4 000 € zum Abzug zu.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage unter Hinweis auf § 12 Nr. 5 EStG ab. Das Urteil ist in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2007, 951 veröffentlicht.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sie machen vornehmlich die Verfassungswidrigkeit des § 12 Nr. 5 EStG geltend.
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer-Veranlagung 2005, zuletzt geändert durch Bescheid vom 27. April 2009, dahingehend zu ändern, dass die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 6 214 € insgesamt als vorweggenommene Werbungskosten berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Am 27. April 2009 hat das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid geändert.
II.
Die Revision der Kläger ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Der Aufhebung des Urteils aus verfahrensrechtlichen Gründen gemäß § 127 FGO bedarf es nicht (vgl. dazu etwa Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. März 2007 VI R 29/05, BFH/NV 2007, 1076).
Die Aufwendungen der Klägerin für das Studium sind als (vorweggenommene) Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Sie sind keine Kosten der Berufsausbildung i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
1. Die frühere Rechtsprechung des BFH unterschied zwischen den als Werbungskosten abziehbaren Kosten einer Fortbildung in einem bereits ausgeübten Beruf und den als Sonderausgaben begrenzt abziehbaren Kosten einer Ausbildung zu einem künftigen Beruf. Als Fortbildungskosten erkannte der BFH nur Ausgaben an, die ein Steuerpflichtiger tätigt, um in dem ausgeübten Beruf auf dem Laufenden zu bleiben und den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden.
Dagegen nahm der BFH Berufsausbildungskosten bereits dann an, wenn die Aufwendungen dem Ziel dienen, Kenntnisse zu erwerben, die als Grundlage für einen künftigen Beruf notwendig sind oder welche die Grundlage dafür bilden sollen, um von einer Berufs- oder einer Erwerbstätigkeit zu einer anderen überzugehen, die also einen Berufswechsel vorbereiten sollen. Derartige Aufwendungen stünden noch nicht mit einer konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus fließenden Einnahmen im Zusammenhang. Ausgaben dieser Art erwüchsen grundsätzlich jedem Steuerpflichtigen; sie gehörten daher zu den Kosten der Lebensführung und seien deshalb nach § 12 Nr. 1 EStG nicht als Werbungskosten abziehbar.
Zu den Berufsausbildungskosten gehörten stets die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für ein Erststudium an einer Hochschule (Universität oder Fachhochschule), weil es dem Steuerpflichtigen eine andere (höherrangige) berufliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung eröffne (BFH-Urteil vom 4. Dezember 2002 VI R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403, m.w.N.).
Der Senat hat, beginnend mit der Entscheidung in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403, diese Rechtsprechung aufgegeben und von der strikten Unterscheidung zwischen Aus- und Fortbildung Abstand genommen. Nach der geänderten Rechtsprechung können auch Aufwendungen für ein erstmaliges Hochschulstudium Werbungskosten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sein. Ob das Studium eine Basis für andere Berufsfelder schafft oder einen Berufswechsel vorbereitet, ist unerheblich (vgl. etwa BFH-Urteile vom 17. Dezember 2002 VI R 137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407; vom 22. Juli 2003 VI R 50/02, BFHE 202, 563, BStBl II 2004, 889; vom 4. November 2003 VI R 96/01, BFHE 203, 500, BStBl II 2004, 891; vom 20. Juli 2006 VI R 26/05, BFHE 214, 370, BStBl II 2006, 764). Maßgeblich ist das Veranlassungsprinzip. Dieses Prinzip ist auch im Streitfall anzuwenden.
2. Der Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG steht dem ebenso wenig entgegen wie das Abzugsverbot in § 12 Nr. 5 EStG.
a) Nach dem Einleitungssatz des § 10 Abs. 1 i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine eigene Berufsausbildung nur dann Sonderausgaben, "wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind". Danach hat der Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenabzug Vorrang vor dem Abzug von Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung als Sonderausgaben, so dass § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG keine Sperrwirkung für erwerbsbedingte Aufwendungen entfalten kann (vgl. im Einzelnen BFH-Urteile vom 27. Mai 2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884; in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; in BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407; vom 13. Februar 2003 IV R 44/01, BFHE 201, 495, BStBl II 2003, 698).
b) Nach Auffassung des Senats steht aber auch § 12 Nr. 1 EStG einem Abzug von Bildungsaufwendungen im Allgemeinen und Kosten für ein Studium im Besonderen nicht entgegen (s. etwa BFH-Urteil in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403). Die aus beruflichen Gründen entstandenen Kosten sind nicht zugleich Aufwendungen für die private Lebensführung, welche die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG). Das die Aufwendungen auslösende, maßgebliche Moment entstammt in diesen Fällen der beruflichen und nicht der privaten Sphäre (s. etwa BFH-Urteile in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; in BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884; zur Veranlassung von Bildung s. Pfab, Die Behandlung von Bildungsaufwendungen im deutschen Einkommensteuerrecht, Frankfurt/Main, 2008, 191 ff., 205 ff.).
c) Die durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1753, BStBl I 2005, 343) rückwirkend in Kraft getretene (s. Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes) Bestimmung des § 12 Nr. 5 EStG hindert die Abziehbarkeit von beruflich veranlassten Kosten für ein sog. Erststudium zumindest dann nicht, wenn diesem --wie im Streitfall-- eine abgeschlossene Berufsausbildung vorausgegangen ist.
Nach § 12 Nr. 5 EStG dürfen Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Die Vorschrift bestimmt in typisierender Weise, dass Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung (und ein Erststudium) --von dem in Halbsatz 2 der Vorschrift genannten Fall abgesehen-- noch nicht mit einer konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus fließenden Einnahmen im Zusammenhang stehen.
Nach der zitierten Rechtsprechung des Senats sind Aufwendungen für Bildungsmaßnahmen Werbungskosten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG, wenn ein erwerbsbezogener Veranlassungszusammenhang besteht, d.h. wenn der erforderliche Veranlassungszusammenhang mit der späteren beruflichen Tätigkeit gegeben ist. Diese Rechtsprechung soll grundsätzlich auch nach der durch die Einfügung des § 12 Nr. 5 EStG beabsichtigten "Neuordnung" der Ausbildungskosten maßgebend sein (BTDrucks 15/3339, 10). Insoweit konsequent sind von der Neuregelung grundsätzlich die Steuerpflichtigen nicht betroffen, denen im Anschluss an eine erstmalige Berufsausbildung Kosten für eine weitere Berufsausbildung oder sonstige Bildungsmaßnahmen entstehen. Es soll dabei bleiben, dass jede berufliche Umschulung --d.h. auch eine berufliche Neuorientierung-- zum Abzug der hierfür geleisteten Aufwendungen als Werbungskosten führen kann. Auch soweit Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden, wird der Werbungskostenabzug zugelassen. In diesen Fällen geht das Gesetz offenkundig von einem erwerbsbezogenen Veranlassungszusammenhang aus; Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung sind hingegen im Regelfall nicht ausreichend beruflich veranlasst. Insoweit fehlt es, wie beim Besuch von allgemeinbildenden Schulen, an der konkreten Berufsbezogenheit (s. dazu BFH-Urteil vom 22. Juni 2006 VI R 5/04, BFHE 214, 250, BStBl II 2006, 717). Diese Sicht gibt die typisierende Regelung des § 12 Nr. 5 EStG wieder.
d) Diese Typisierung erfasst auch Aufwendungen für ein Studium, sofern es sich dabei um eine Erstausbildung handelt. Nach Auffassung des Senats erstreckt sie sich jedoch nicht auf Steuerpflichtige, die ein Studium im späteren Berufsleben berufsbegleitend oder in sonstiger Weise als Zweitausbildung aufnehmen.
Zwar erfasst § 12 Nr. 5 EStG im ersten Halbsatz dem Wortlaut nach unterschiedslos alle Steuerpflichtigen, die ein Erststudium absolvieren, unabhängig davon, ob sie zuvor bereits eine nichtakademische Berufsausbildung durchlaufen haben oder nicht. Dies würde jedoch in gleichheitswidriger Weise Steuerpflichtige, die nach abgeschlossener Berufsausbildung erstmalig ein Studium aufnehmen, gegenüber den Steuerpflichtigen benachteiligen, die eine zweite nichtakademische Ausbildung, ein Zweitstudium oder ein Erststudium im Rahmen eines Dienstverhältnisses absolvieren.
Bei der hiernach gebotenen verfassungskonformen Auslegung der §§ 10 Abs. 1 Nr. 7 und 12 Nr. 5 EStG erfasst das Abzugsverbot des § 12 Nr. 5 EStG allenfalls die Fälle des Erststudiums, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt und nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet.
3. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen des FG, dass die Aufwendungen der Klägerin für das Lehramtsstudium dem Grunde nach beruflich veranlasst sind. Es besteht ein hinreichend konkreter Zusammenhang dieser Ausgaben mit späteren Einnahmen aus der angestrebten Tätigkeit als Lehrerin. Mit dem Studium wollte sie die erforderlichen Fachkenntnisse und Fähigkeiten für den angestrebten Beruf erwerben. Da das Lehramtsstudium auch konkret und berufsbezogen auf die spätere Berufstätigkeit vorbereitet, nicht "ins Blaue hinein" betrieben oder aus anderen privaten Gründen aufgenommen worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 1. Februar 2007 VI R 62/03, BFH/NV 2007, 1291, m.w.N.) und damit auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet ist, sind die damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen dem Grunde nach als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar.
§ 12 Nr. 5 EStG steht einem Werbungskostenabzug nicht entgegen, weil die Klägerin vor Aufnahme ihres Studiums bereits eine abgeschlossene Ausbildung als Buchhändlerin absolviert hatte. Auf die Frage, ob das im Jahr 2002 aufgenommene Studium im Hinblick auf das bereits vorher durchgeführte, aber nicht abgeschlossene Studium der Sonderpädagogik überhaupt die Voraussetzungen eines "Erststudiums" erfüllte, kommt es nicht an. Ebenso wenig sind die von den Klägern geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit des § 12 Nr. 5 EStG entscheidungserheblich.
4. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Da das FG --aus seiner Sicht zu Recht-- zu den einzelnen von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen keine Feststellungen getroffen hat, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
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