Was versteht man unter einer „Beschwerde”?

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

21. 03. 2002


Aktenzeichen

IX ZB 18/02


Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluß des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe in Freiburg i.Br. vom 2. Januar 2002 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Streitwert für das Beschwerdeverfahren: 2.070,83.

Entscheidungsgründe


Gründe:

I.

Auf Antrag der Gläubiger hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe angeordnet, daß ein Beschluß des Handelsgerichts Wien - mit welchem die Schuldnerin verpflichtet wurde, den Gläubigern jeweils öS 14.241,60 an Kosten zu ersetzen - mit der deutschen Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das Oberlandesgericht durch Beschluß vom 2. Januar 2002 zurückgewiesen. Gegen diesen ihr am 29. Januar 2002 zugestellten Beschluß hat die Schuldnerin mit einem an das Oberlandesgericht gerichteten Schreiben vom selben Tage "Beschwerde" eingelegt und darin u.a. ausgeführt: "... bitte ich die sofortige Beschwerde zuzulassen, und den oben näher bezeichneten Beschluß mit sofortiger Wirkung aufzuheben." Auf den Hinweis des Senats auf den beim Bundesgerichtshof bestehenden Anwaltszwang hat die Schuldnerin u.a. erwidert: "Wir haben den BGH nicht eingeschaltet, sondern das OLG. Karlsruhe, weil wir gegen eine unsinnige und nicht nachvollziehbare Entscheidung (Beschluß) Beschwerde eingelegt haben. Ein Beschluß der mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, nicht in Einklang zu bringen ist."

II.

Das Rechtsmittel ist unzulässig.

1. Gemäß § 15 Abs. 1 AVAG findet gegen den Beschluß des Beschwerdegerichts - nur - die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 ZPO statt.

Das Schreiben der Schuldnerin vom 29. Januar 2002 ist als Rechtsbeschwerde anzusehen. Die Schuldnerin hat darin uneingeschränkt und vorbehaltlos gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts vom 2. Januar 2002 "Beschwerde" eingelegt. Ein solches förmliches Rechtsmittel zielt entsprechend allgemeinem Sprachgebrauch auf eine Überprüfung der Entscheidung durch das im Instanzenzug übergeordnete Gericht ab. Diese Auslegung der Rechtsmittelerklärung stimmt zudem mit dem in der Begründung bezeichneten Ziel des Schreibens überein, den angegriffenen Beschluß aufheben zu lassen. Ein solches Ziel wäre nach geltendem Recht allenfalls mit der Rechtsbeschwerde zu erreichen.

Das spätere Schreiben der Schuldnerin vom 26. Februar 2002 ändert an dieser Auslegung nichts. Die Schuldnerin erklärt darin nur, daß sie sich an das Oberlandesgericht - nicht an den Bundesgerichtshof - gewandt habe. Sie läßt aber nicht erkennen, daß sie ihr zuvor erklärtes Rechtsschutzbegehren etwa nicht vor dem Bundesgerichtshof weiterverfolgen wolle. Im Gegenteil hält sie ihre Kritik an dem angefochtenen Beschluß als vermeintlich grundgesetzwidrig aufrecht.

2. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt ist. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 15 Abs. 2 und § 16 Abs. 1 AVAG innerhalb eines Monats durch Einreichen der Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof einzulegen. Dies ist wirksam nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt möglich (Zöller/Gummer, ZPO 23. Aufl. vor § 574 Rn. 3; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 24. Aufl. § 575 Rn. 3, 7; Kirchhof ZInsO 2001, 1073; a.M. Pukall/Kießling WM 2002 Sonderbeilage 1, S. 38). Gemäß § 78 Abs. 1 ZPO müssen sich die Parteien vor allen Gerichten des höheren Rechtszuges durch einen bei dem Prozeßgericht zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Eine Ausnahme hiervon, wie sie in § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. i.V.m. § 78 Abs. 3 ZPO durch die Möglichkeit der Einlegung zu Protokoll der Geschäftsstelle vorgesehen war, kennt das neue Rechtsbeschwerderecht nicht. Im übrigen bestand sie auch schon nach früherem Recht gerade für Verfahren aufgrund des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes nicht. Im Gegenteil war für diese Verfahren bereits von Anfang an vorgesehen, daß sie wirksam nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden konnten (Senatsbeschl. v. 25. November 1993 - IX ZB 78/93, NJW-RR 1994, 320 im Anschluß an die amtliche Begründung in BT-Drucks. 11/351, S. 24, zu § 18 AVAG a.F.). Denn sie waren "entsprechend der Revision im Erkenntnisverfahren" ausgestaltet (amtliche Begründung, aaO zu § 17).

An dieser Rechtslage hat die Neufassung des Rechtsbeschwerderechts nichts geändert. Die neue Rechtsbeschwerde ist nach der amtlichen Begründung der Bundesregierung zum Zivilprozeßreformgesetz ebenfalls bewußt revisionsähnlich ausgestaltet (BR-Drucks. 536/00 S. 294 zu § 574). Auf die in § 571 Abs. 4 Satz 1 ZPO für die (erste) Beschwerde vorgesehene Möglichkeit, sich auch durch einen beim Amts- oder Landgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, verweist der die Form der Rechtsbeschwerde regelnde § 575 ZPO n.F. nicht. Es handelt sich auch nicht um eine versehentliche Lücke, die im Wege der Analogie zu füllen wäre. Denn bei der Rechtsbeschwerde steht - im Gegensatz zur (Erst-)Beschwerde - nicht die individuelle Bedeutung des Verfahrens für die Parteien im Vordergrund, sondern die Fortbildung des Rechts und die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (amtliche Begründung der Bundesregierung, BR-Drucks. 536/00 S. 294). Nach § 574 Abs. 2 ZPO n.F. dient die Rechtsbeschwerde dem Ziel, entweder Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung klären zu lassen oder zur Rechtsfortbildung oder -vereinheitlichung beizutragen. Zur Filterung und Strukturierung dieser Verfahren bedarf es der besonderen Kenntnis und des Sachverstandes der Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof. Dementsprechend ist die Form der Rechtsbeschwerde in Anlehnung an die Revisionsvorschriften geregelt (amtliche Begründung der Bundesregierung, BR-Drucks. 536/00 S. 296 zu § 575).

3. Soweit die Schuldnerin in ihrem Schriftsatz vom 26. Februar 2002, der am 27. Februar 2002 - dem Tage vor Ablauf der Rechtsmittelfrist - eingegangen ist, darauf hingewiesen hat, sie sei aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage, einen Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof zu beauftragen, bedurfte es eines ergänzenden Hinweises auf die förmlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe gemäß § 117 ZPO nicht. Denn das Vorbringen der Schuldnerin läßt nicht erkennen, daß zugleich die Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO erfüllt wären, insbesondere daß die Unterlassung der Rechtsverteidigung in ihrem Fall allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.

4. Soweit die Schuldnerin sich während des Rechtsbeschwerdeverfahrens auf ein zu ihren Gunsten ergangenes Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 3. Januar 2002 berufen hat, wird ihr durch den vom Senat nunmehr erlassenen Beschluß nicht die Möglichkeit einer Vollstreckungsgegenklage genommen. Die durch § 12 Abs. 1 AVAG eröffneten Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch selbst können nur vor dem Gericht der Erstbeschwerde geltend gemacht werden. Im Rechtsbeschwerdeverfahren können neu entstandene Einwendungen im Sinne des § 767 Abs. 1 ZPO ohnehin nicht eingeführt werden. Deren Geltendmachung wird dem Schuldner dadurch umgekehrt auch nicht abgeschnitten.

Stodolkowitz
Kirchhof
Fischer
Ganter
Kayser

Rechtsgebiete

Verfahrens- und Zwangsvollstreckungsrecht