Arzneimittelpreisbindung im grenzüberschreitenden Versandhandel
Gericht
OLG Frankfurt am Main
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
29. 11. 2007
Aktenzeichen
6 U 26/07
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.12.2006 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Darmstadt abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an ihrem Geschäftsführer, für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen,
gegenüber Endverbrauchern mit einem Bonus in Höhe von 3% auf verschreibungspflichtige Arzneimittel auf Kassenrezept, immer mindestens
2,50 € und maximal 15 € pro verordneter Packung, zu werben und/oder werben zu lassen und/oder einen solchen Bonus anzukündigen und/oder ankündigen zu lassen und/oder zu gewähren.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 58.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
I.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Verstoß gegen § 7 HWG liege nicht vor, weil es an dem erforderlichen Produktbezug der Werbemaßnahme fehle. Die Tatsache, dass die Gewährung eines Rabattes zwangsläufig mit dem Erwerb eines Medikaments verknüpft sei, begründe noch keinen Produktbezug im Sinne des § 7 HWG. Schließlich stelle das Bonussystem auch keinen Fall der unangemessenen unsachlichen Beeinflussung im Sinne von § 4 Nr. 1 UWG dar, weil durch diese Verkaufsfördermaßnahme die Rationalität der Nachfrageentscheidung nicht ausgeschaltet werde.
Ein Verstoß gegen § 78 AMG in Verbindung mit der Arzneimittelpreisverordnung liege nicht vor, weil es sich bei dem Verkauf eines rezeptpflichtigen Medikaments durch die in den Niederlanden ansässige Beklagte nach Deutschland um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt handele, auf den die Arzneimittelpreisverordnung nicht anwendbar sei. Auf die Frage, ob bei Geltung der Preisbindungsvorschriften diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar wären, komme es mithin nicht an.
Es liege auch kein Fall einer unangemessenen, unsachlichen Beeinflussung im Sinne des § 4 Nr. 1 UWG vor; eine solche sei allein in der Gewährung eines Rabatts nicht zu sehen, weil hierdurch die Rationalität der Nachfrageentscheidung nicht derart in den Hintergrund gedrängt würde, das sie praktisch ausgeschaltet wäre.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Zur Begründung führt sie aus, das Bonussystem der Beklagten verstoße gegen § 7 HWG; die Vorschrift sei anwendbar, weil es sich bei dem Bonussystem keineswegs nur um eine Imagewerbung handele, sondern eindeutig der Absatz von Arzneimitteln im Vordergrund stehe. Der Zweck des § 7 HWG, zu verhindern, dass die Verbraucher bei der Entscheidung, ob und welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, unsachlich durch die Aussicht auf Zugaben und Werbegaben beeinflusst werden, gebiete ein
Verbot nach dieser Vorschrift. Gemeinschaftsrechtliche Einwände dagegen, dass sich die Werbung der niederländischen Beklagten am Maßstab des § 7 HWG messen lassen müsse, bestünden nicht. Auch könne die Beklagte sich nicht auf das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG berufen, da bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln der Weg des E-Commerce nicht offenstehe. Außerdem wende sie sich mit ihrem Unterlassungsantrag nicht nur gegen die Bewerbung des Bonussystems der Beklagten im Internet, sondern auch gegen ihre Werbung in Printmedien. Als Beispiel hierfür legt die Klägerin Seiten aus dem Prospekt der Beklagten „Sommer 07 – gültig vom 01. Juni bis 31. August 2007“ vor (Anlage BK 3 zum Schriftsatz vom 22.11.2007, Bl. 508 ff. d. A.).
Gleichzeitig verstoße das von der Beklagten angewendete Bonussystem gegen § 78 Abs. 2 Satz 2 AMG. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei diese Norm auf grenzüberschreitende Sachverhalte anzuwenden. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, die Absicht zu verfolgen, die eigenen Bürger gegenüber Gewerbetreibenden aus anderen Mitgliedsstaaten zu benachteiligen. Vor allem aber spreche der Schutzzweck der Preisvorschriften für die Anwendbarkeit auf den grenzüberschreitenden Versandhandel, weil die Regelungen über die Festpreise vor allem dazu dienten, einen ruinösen Preiswettbewerb unter den
Apotheken zu verhindern und damit eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen. Die Anwendung der Preisvorschriften auf den grenzüberschreitenden Handel mit Arzneimitteln sei auch europarechtskonform; wie der EuGH wiederholt festgestellt habe, dürften die Mitgliedsstaaten im Rahmen ihrer Zuständigkeit für den Gesundheitsbereich darauf hinwirken, dass zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen die Arzneimittel zu angemessenen Preisen verkauft werden.
Schließlich verstoße die Gewährung von Rabatten in Höhe von bis zu 15,-- € pro Arzneimittel gegen §§ 3, 4 Nr. 1 UWG, da die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers durch unangemessene unsachliche Beeinflussung beeinträchtigt werde.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung von Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 250.000,-- € - ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu untersagen,
gegenüber Endverbrauchern mit einem Bonus in Höhe von 3% auf verschreibungspflichtige Arzneimittel auf Kassenrezept, immer mindestens 2,50 € oder maximal 15,-- € pro verordneter Packung zu werben und/oder werben zu lassen und/oder einen solchen Bonus anzukündigen und/oder ankündigen zu lassen und/oder zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie ist der Auffassung, ein Verstoß gegen das Heilmittelwerberecht liege nicht vor, weil es sich bei der angegriffenen Werbemaßnahme um eine unternehmensbezogene Werbung handele. Ihr Bonusmodell beziehe sich nicht allein auf verschreibungspflichtige Arzneimittel, sondern erstrecke sich auch auf solche Artikel, die in der Apotheke der Beklagten angeboten, aber nicht über Rezept bei ihr eingelöst würden.
Entgegen der Auffassung der Berufungsklägerin finde die deutsche Arzneimittelpreisverordnung auf den Vertrieb von Arzneimitteln über eine niederländische Versandapotheke in Deutschland keine Anwendung. Denn ein Gestaltungswille des Gesetzgebers, der Arzneimittelpreisverordnung eine internationale Geltung zu verleihen, sei hierfür notwendig, aber nicht erkennbar. Die Anwendbarkeit wäre nach Auffassung der Beklagten auch nicht europarechtskonform, weil es ausländischen Versandapotheken schwerer gemacht würde, Zugang zum Markt der verschreibungspflichtigen Medikamente zu bekommen.
Schließlich liege kein Verstoß gegen § 4 Nr. 1 UWG vor, weil eine unsachliche Beeinflussung nicht stattfinde. Es sei im Ergebnis lebensfremd, dass das
Bonussystem Patienten geradezu dazu auffordere, sich von ihren Ärzten medizinisch unsinnige Arzneimittel aufschreiben zu lassen und damit die Solidargemeinschaft zu schädigen.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat auch in der Sache Erfolg.
Allerdings ist zweifelhaft, ob ein Unterlassungsanspruch bereits aus §§ 3, 4 Nr. 1 UWG folgt. Das wäre der Fall, wenn das Bonussystem der Beklagten geeignet wäre, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher durch unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen. Der von der Klägerin beanstandete Bonus in Höhe von 3% auf verschreibungspflichtige Arzneimittel auf Kassenrezept, immer mindestens 2,50 € und maximal 15,-- € pro verordneter Packung, dürfte mit Rücksicht auf das nicht mehr gültige Rabattgesetz jedenfalls so lange keine unsachliche Beeinflussung darstellen, wie der gewährte Bonus die Höhe der gesetzlichen Zuzahlung lediglich vermindert. Jedoch liegt der mit dem Bonussystem der Beklagten erzielbare Einspareffekt bei Arzneimitteln zu einem Preis von mehr als 335,-- € bei über 100%, da die maximale gesetzliche Zuzahlung bei 10,-- € liegt, der Kunde der Beklagten jedoch bei Arzneimitteln, die teurer als 335,-- € sind, einen Bonus erhält, der zwischen 10,-- und 15,-- € liegt. Ob dieser Gesichtspunkt der Klage mit Rücksicht auf die Erwägungen des OLG München in seinem Urteil vom 22.03.2007 (GRUR-RR 2007, 297 – Geldverdienen auf Rezept) zu einem Teilerfolg verhelfen könnte, kann jedoch offen bleiben, weil die Klage aus einem anderen Grund in vollem Umfang Erfolg hat.
Zwar liegt auch kein Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 7 HWG vor, obwohl es sich bei dem beanstandeten Verhalten der Beklagten um Werbung für Arzneimittel im Sinne von § 1 Abs. 1 HWG handelt, das heißt um eine produktbezogene Absatzwerbung, nicht um eine reine Imagewerbung (vgl. Senat,
GRUR-RR 2005, 393). Denn durch das Bonussystem wird eine gewisse Gefahr der unsachlichen Beeinflussung der Auswahlentscheidung des Kunden begründet. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass sich das Bonussystem auf verschreibungspflichtige Arzneimittel bezieht, denn beeinträchtigt werden kann die Therapiefreiheit des Arztes, der von seinem Patienten bedrängt wird, ein bestimmtes Arzneimittel zu verschreiben. § 7 HWG setzt jedoch weiter voraus, dass die Werbung aufgrund ihrer Eignung, die Kunden unsachlich zu beeinflussen, zumindest eine mittelbare Gesundheitsgefährdung bewirkt. Hiervon ist nach der Entscheidung „Krankenhauswerbung“ des Bundesgerichtshofes (WRP 2007, 1088) auszugehen, wenngleich sich die Entscheidung auf den Tatbestand des § 11 HWG bezieht. Denn die Begründung, dass diese Vorschrift die Berufsausübungsfreiheit einschränkt und daher mit Rücksicht auf Artikel 12 GG einschränkend im Sinne eines konkreten Gefährdungstatbestandes ausgelegt werden muss, gilt gleichermaßen für § 7 HWG. Das heißt, auch diese Vorschrift setzt voraus, dass die Werbung geeignet ist, den Abnehmer in der Weise unsachlich zu beeinflussen, dass dadurch zumindest eine mittelbare Gesundheitsgefährdung bewirkt wird. Dies kann nicht angenommen werden. Da sich das hier zu beurteilende Rabattsystem allein auf verschreibungspflichtige Arzneimittel bezieht, ist nicht ersichtlich, dass es zum Absatz von Arzneimitteln führen könnte, die nicht durch eine entsprechende Krankheit indiziert wären.
Die Klage ist allerdings begründet wegen eines Verstoßes gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit §§ 78 Abs. 2 Satz 2 AMG, 1, 3 Arzneimittelpreisverordnung.
Nicht zu folgen ist nach Meinung des Senats der Auffassung des Oberlandesgerichts Hamburg (WRP 2007, 1377, 1380), die Arzneimittelpreisverordnung und § 78 AMG enthielten keine eigenständige Verbotsnorm bezüglich der Gewährung von Rabatten, einschlägig sei insoweit ausschließlich § 7 HWG. Vielmehr sind beide Vorschriften nebeneinander anwendbar. Während § 7 HWG die Fälle unzulässiger, weil den Abnehmer unsachlich beeinflussender und eine mittelbare Gesundheitsgefährdung auslösende Wertreklame regelt, zielt § 78 AMG darauf, bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel auf der letzten Handelsstufe einen Preiswettbewerb auszuschließen (Senat, WRP 2006, 613, 616 – Family-Taler).
Mit ihrem Rabattsystem verstößt die Beklagte gegen §§ 78 Abs. 2 Satz 2 AMG in Verbindung mit §§ 1, 3 Arzneimittelpreisverordnung.
Die Anwendung deutschen Rechts auf den Internet-Auftritt der Beklagten ist nicht nach dem Telemediengesetz (TMG) ausgeschlossen. Zweifelhaft ist bereits, ob der Sachverhalt nicht dem Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 5 Nr. 2 TMG unterfällt (befürwortend für die inhaltsgleiche Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. 3 TDG: Mand, GRUR Int. 2005, 637, 643). Jedenfalls findet das TMG keine Anwendung, soweit eine Internet-Apotheke verschreibungspflichtige Arzneimittel anbietet. Denn mit Rücksicht auf die Rezeptpflicht besteht keine unmittelbare Bestellmöglichkeit, weil der Vertragsschluss die Zusendung des Original-Rezepts per Post verlangt. Das Erfordernis des „Angebots von Waren und Dienstleistungen… mit … unmittelbarer Bestellmöglichkeit“ war früher in § 2 Abs. 2 Nr. 5 TDG ausdrücklich normiert. Das TMG enthält keine ausdrückliche Regelung des Geltungsbereichs. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich allerdings, dass an dem Erfordernis der unmittelbaren Bestellmöglichkeit für Online-Angebote festgehalten werden soll (Bundestagsdrucksache 16/3078, Seite 13 rechte Spalte). Die Gründe für die Nichtübernahme des § 2 TDG in das TMG liegen in der technischen Entwicklung begründet (vgl. Bundestagsdrucksache 16/3078, Seite 13 linke Spalte). Das bedeutet, dass ein „Medienbruch“ (Übersendung des Rezepts per Post) nach wie vor aus dem Anwendungsbereich des TMG herausführt (Mand, GRUR-Int. 2005, 637, 643).
§§ 78 Abs. 2 Satz 2 AMG, 1, 3 Arzneimittelpreisverordnung sind auch beim grenzüberschreitenden Arzneimittelversand anwendbar. Allerdings vertritt das Oberlandesgericht Hamm (Az. 4 U 74/04, Entscheidung vom 21.09.2004, zitiert nach juris) in diesem Zusammenhang die Auffassung, die Arzneimittelpreisverordnung solle nach dem Willen des Gesetzgebers für den grenzüberschreitenden Arzneimittelversand nicht gelten. Ausdrücklich habe der Gesetzgeber eine solche Erstreckung der Preisbindung nicht vorgesehen. § 73 Abs. 1 Nr. 1 a AMG regele lediglich, dass der Versand entsprechend den deutschen Vorschriften zum Versandhandel oder zum elektronischen Handel erfolgen müsse; zu den Preisen der versandten Medikamente sei in der Vorschrift nichts gesagt. Ebensowenig könne § 73 Abs. 4 AMG entnommen werden, dass § 78 AMG ohne ausdrückliche Regelung für den grenzüberschreitenden Versandhandel gelten solle. Auch nach Sinn und
Zweck der Arzneimittelpreisverordnung nach Aufhebung des Versandhandelsverbots sei eine Erstreckung auf den grenzüberschreitenden Versandhandel nicht gewollt. Der Gesetzgeber habe eine solche erkennbar nicht für zwingend notwendig gehalten, um das bewährte deutsche Gesundheitssystem und die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu sichern (Rn. 57 ff. bei juris). Selbst wenn man von einer grundsätzlichen Geltung der Preisbindung beim grenzüberschreitenden Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ausgehen wollte, so wäre darin ein Verstoß gegen Artt. 28, 30 EG zu sehen (Rn. 63 bei juris).
Dieser Argumentation vermag sich der Senat nicht anzuschließen. § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG ordnet auch für den Versand von Arzneimitteln an Endverbraucher durch eine versandberechtigte ausländische Apotheke an, dass der Versandhandel entsprechend den deutschen Vorschriften zum Versandhandel oder zum elektronischen Handel erfolgt. Zu den deutschen Vorschriften zum Versandhandel im Sinne von § 73 Abs. 1 Nr. 1 a AMG zählt auch § 11 a ApoG, wonach der Versand aus einer Apotheke zusätzlich zu dem üblichen Apothekenbetrieb und nach den dafür geltenden Vorschriften erfolgen muss, mithin auch unter Beachtung der im üblichen Geschäftsbetrieb geltenden Festpreise nach der Arzneimittelpreisverordnung (Mand, a. a. O. S. 640 f.; ihm ebenfalls folgend LG Hamburg, Az. 315 O 340/06, Urt. v. 17.08.2006, zitiert nach juris).
Auch Sinn und Zweck der Arzneimittelpreisverordnung sprechen für eine Anwendung auf den grenzüberschreitenden Versandhandel ausländischer Apotheken nach Deutschland. Sie will mit der Schaffung von Festpreisen verhindern, dass die hohe Versorgungsdichte selbst in ländlichen Gegenden durch Ausschluss eines – eventuell ruinösen – Preiswettbewerbs sichergestellt bleibt. Für die Gefährdung dieses Regelungszwecks spielt es keine Rolle, ob die Festpreise von einer Apotheke im Inland oder im Ausland unterboten werden.
Schließlich liegt kein Verstoß gegen übergeordnete europarechtliche primäre Vorschriften (Artt. 28, 30 EG) vor.
Die einheitlichen Apothekenverkaufspreise regeln eine Verkaufsmodalität. Es handelt sich nicht um eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige
Beschränkung gemäß Art. 28 EG. Ihre Anwendung auf Arzneimittellieferungen ausländischer Versandapotheken an Verbraucher in Deutschland erschwert den Marktzutritt ausländischer Apotheken im Verhältnis zu den in Deutschland niedergelassenen Apotheken nicht, sondern verhindert lediglich Sondervorteile ausländischer Versandapotheken nach Marktzutritt.
Das OLG Hamm (a.a.O. Rn. 67) argumentiert in diesem Zusammenhang, die deutschen Festpreise nähmen ausländischen Versandapotheken die Möglichkeit, im Ausfuhrstaat erzielte Preisvorteile im Endverkaufspreis weiterzugeben. Im vorliegenden Fall ist jedoch zunächst nicht ersichtlich, welche spezifischen Preisvorteile die Beklagte als niederländische Versandapotheke beim Absatz verschreibungspflichtiger und in Deutschland zugelassener Arzneimittel haben könnte. Überdies gewährt das beanstandete Rabattsystem einen Preisnachlass auf alle Arzneimittel; die Beklagte gibt also gerade nicht selbst erzielte Preisvorteile beim Erwerb bestimmter Arzneimittel weiter, sondern gewährt Preisnachlässe auf alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel.
Überdies sind einheitliche Verkaufspreise für verschreibungspflichtige Arzneimittel zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gemäß Art. 30 EG gerechtfertigt. Wie bereits dargelegt, dient das Festpreissystem dem Zweck, eine ortsnahe Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten. Hierfür ist die Geltung der Arzneimittelpreisverordnung auch für den grenzüberschreitenden Handel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verhältnismäßig. Unter den in Art. 30 EG geschützten Gütern und Interessen nimmt die Gesundheit und das Leben von Menschen den ersten Rang ein (EuGH, GRUR 2004, 174, Tz. 103 - Grenzüberschreitende Tätigkeit von Apotheken). Der Schutz der Gesundheit ist gefährdet, wenn ausländische Apotheken dem für inländische Apotheken verbindlichen Festpreissystem nicht unterliegen und deshalb günstigere Preise anbieten können. Das gilt auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel, wenn der Preisnachlass, wie im vorliegenden Fall, auf die gesetzliche Zuzahlung gewährt wird und diese bei Arzneimitteln zum Preis von 335 EUR oder mehr sogar um über 100% vermindert, der Kunde mit anderen Worten ein Guthaben erzielt. Es bedarf nach Auffassung des Senats keiner weiteren Substantiierung durch die Klägerin, dass der Einsatz solcher Preisnachlasssysteme durch ausländische Apotheken die Absatzchancen inländischer Apotheken erheblich beeinträchtigt und ihre Rentabilität
in Frage stellt. Nicht erforderlich ist es für eine Rechtfertigung nach Art. 30 EG, dass ein Schaden bereits eingetreten ist. Ein wirksamer Schutz der öffentlichen Gesundheit durch Sicherstellung einer ortsnahen – und erforderlichenfalls raschen – Versorgung mit Arzneimitteln erfordert präventive Maßnahmen. Hierfür ist die Anwendung der Arzneimittelpreisverordnung auf den grenzüberschreitenden Handel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sowohl erforderlich als auch verhältnismäßig. Denn es ist – etwa im Vergleich zu einem Vertriebsverbot – ein mildes Mittel, das lediglich dazu führt, ausländische Apotheken bei der Preisgestaltung den inländischen Apotheken gleichzustellen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 710 Nr. 8 ZPO.
Die Revision war mit Rücksicht auf die abweichenden Entscheidungen des Oberlandesgerichts Hamm und des Oberlandesgerichts Hamburg zuzulassen.
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