BGH beseitigt eine Hürde zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit Einwillgung des Gegners

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

09. 07. 2009


Aktenzeichen

VII ZB 111/08


Leitsatz des Gerichts

Grundsätzlich darf eine Partei darauf vertrauen, dass ihrem lediglich mit der Einwilligung des Gegners begründeten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 6. November 2008 aufgehoben.

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 2.027,17 €

Entscheidungsgründe


Gründe:


I.

Der Kläger hat gegen das klageabweisende, am 3. Juni 2008 zugestellte Urteil des Amtsgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung ist auf seinen begründeten Antrag von der Kammervorsitzenden bis zum 3. September 2008 verlängert worden. Mit Schriftsatz vom 3. September 2008 hat der Kläger unter Hinweis auf das Einverständnis des Beklagtenvertreters beim Landgericht eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um sieben Tage beantragt. Das hat die Kammervorsitzende durch Verfügung vom 4. September 2008 abgelehnt, weil der Fristverlängerungsantrag nicht begründet worden sei. Daraufhin hat der Kläger mit einem am gleichen Tag per Telefax beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 17. September 2008 die Berufung begründet und in einem weiteren Schriftsatz vom gleichen Tage wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er geltend gemacht, der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom 3. September 2008 habe, wie sich eindeutig aus § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO ergebe, wegen der hinreichend dargelegten Einwilligung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten in die Fristverlängerung keiner weiteren Begründung bedurft. Weil er demnach auf die rechtzeitig beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist habe vertrauen dürfen, sei er ohne Verschulden an der Einhaltung der am 3. September 2008 abgelaufenen Frist verhindert gewesen, zumal die Ablehnung der Fristverlängerung erst am 4. September 2008 und damit nach Ablauf der bis dahin geltenden Frist erfolgt sei.

Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 6. November 2008 die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und zugleich die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erstrebt und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist anträgt.


II.

1. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht dem Kläger zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Es hat dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Das Berufungsgericht hat eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung verweigert, der Kläger sei nicht unverschuldet an der Einhaltung der am 3. September 2008 abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist verhindert gewesen. Auf die Bewilligung der am Tage des Fristablaufs erbetenen zweiten Fristverlängerung habe der Kläger nicht vertrauen dürfen, weil er seinen dahingehenden Antrag nicht ordnungsgemäß begründet habe. Der Berufungsführer müsse auch im Falle des § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO erhebliche Gründe vorbringen, die eine Fristverlängerung rechtfertigen könnten. Der Hinweis auf das Einverständnis des Gegners mit der Fristverlängerung reiche insoweit nicht aus, weil eine Parteivereinbarung nach allgemeinen, sich aus § 224 Abs. 2, § 227 Abs. 1 Satz 2 ZPO ergebenden Grundsätzen kein erheblicher Grund für eine Fristverlängerung sei und das Gericht das ihm gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingeräumte Ermessen nur dann ausüben könne, wenn solche Gründe vorgebracht seien.

b) Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.

aa) Der Kläger war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert, § 233 ZPO. Denn er durfte darauf vertrauen, dass seinem rechtzeitig gestellten Antrag, die bereits bis zum 3. September verlängerte Berufungsbegründungsfrist um weitere sieben Tage bis zum 10. September 2008 zu verlängern, entsprochen würde. Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts, wonach der Kläger über die Mitteilung der Einwilligung des Beklagten hinaus erhebliche Gründe für die erneute Fristverlängerung hätte darlegen müssen, ist unzutreffend. Sie überspannt die sich aus § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO ergebenden Anforderungen an einen bewilligungsfähigen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung.

Allerdings ist der Rechtsmittelführer generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer deshalb nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (BGH, Beschluss vom 4. Juli 1996 - VII ZB 14/96, NJW 1996, 3155; Beschluss vom 21. Februar 2000 - II ZB 16/99, NJW-RR 2000, 947, jeweils m.w.N.). Das wiederum ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist der Fall, sofern dieser auf erhebliche Gründe im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wurde (BGH, Beschluss vom 15. August 2007 - XII ZB 82/07, NJW-RR 2008, 76 m.w.N.; zu § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO a.F.: BGH, Beschluss vom 11. November 1998 - VIII ZB 24/98, NJW 1999, 430 m.w.N.). Eine strengere Gerichtspraxis, die solche erheblichen Gründe generell nicht für ausreichend hält, bewegt sich nicht im Rahmen zulässiger, am Einzelfall orientierter Ermessensausübung; auf eine solche Praxis braucht sich der Anwalt nicht einzustellen (BVerfG, NJW 1989, 1147; BGH, Beschluss vom 11. November 1998 - VIII ZB 24/98, NJW 1999, 430).

Bei Anwendung dieser Grundsätze kann eine Partei auf eine Fristverlängerung auch dann vertrauen, wenn diese unter Hinweis auf das erteilte Einverständnis des Gegners erstmalig beantragt wird, ohne dass erhebliche Gründe im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO dargetan sind. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO bedarf es für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keiner erheblichen Gründe im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO, wenn der Gegner einwilligt. Mit der Neueinführung dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber eine im Vergleich zu der früheren Regelung des § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO a.F. vereinfachte Möglichkeit für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist schaffen wollen (BT-Drucks. 14/4722, S. 95). Die Vereinfachung besteht nach dem Regelungszusammenhang zwischen § 520 Abs. 2 Satz 2 und § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO darin, dass allein die Einwilligung des Gegners die vom Gericht zu treffende Ermessensentscheidung eröffnet. Die Bewilligung der Fristverlängerung hängt dann nicht davon ab, dass der Berufungsführer hierfür erhebliche Gründe geltend machen kann, die er folglich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht darlegen muss (Musielak/Ball, ZPO, 6. Aufl., § 520 Rdn. 8). Vielmehr sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für die vom Gericht gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu treffende Ermessensentscheidung auch ohne solche erheblichen Gründe erfüllt.

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht daraus, dass der Kläger hier um eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nachgesucht hatte. Allerdings hat der Bundesgerichtshof für das frühere Recht (§ 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO a.F.) grundsätzlich in Zweifel gezogen, ob der Rechtsmittelführer auch darauf vertrauen darf, dass einem zweiten ordnungsgemäß begründeten Verlängerungsantrag stattgegeben wird (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2000 - II ZB 16/99; NJW-RR 2000, 947; vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. März 2004 - IX ZB 121/03, NJW 2004, 1742; offengelassen von BGH, Beschluss vom 4. Juli 1996 - VII ZB 14/96, NJW 1996, 3155). Er hat diese Frage nur in einem besonders gelagerten Einzelfall bejaht, in dem der Anwalt des Rechtsmittelführers erst mit erheblicher Verspätung die mehrfach erbetene Akteneinsicht erhalten hatte. Ob diese Zweifel auch für die Geltung des neuen Rechts fortbestehen, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Berufungsbegründungsfrist wegen "erheblicher Gründe" jetzt nur noch um höchstens einen Monat verlängert werden. Eine solche zeitliche Beschränkung besteht gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht, wenn der Gegner einwilligt. Diese Regelung lässt es grundsätzlich zu, dass der Berufungsführer mit Einwilligung des Gegners eine zweite, über einen Monat hinausgehende Verlängerung der erstmalig bereits wegen erheblicher Gründe verlängerten Berufungsbegründungsfrist erreichen kann. Die amtliche Gesetzesbegründung sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor (BT-Drucks. 14/4722, S. 95). Jedenfalls für den vorliegenden Fall, in dem der Kläger mit Einverständnis des Gegners eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist von lediglich sieben Tagen beantragt hatte, durfte er deshalb darauf vertrauen, dass seinem Verlängerungsantrag stattgegeben wird.

bb) Der Wiedereinsetzungsantrag und die Berufungsbegründung sind rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen. Das Hindernis zur Einhaltung der Frist entfiel am Montag, den 8. September 2008, als der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei zu unterstellender normaler Postlaufzeit die gerichtliche Mitteilung vom 4. September erhielt, dass die beantragte zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht in Betracht komme. Von diesem Tag an lief die Frist von einem Monat, um Wiedereinsetzung zu beantragen und die Berufungsbegründung einzureichen, § 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Diese Frist hat der Kläger gewahrt; Wiedereinsetzungsantrag und Berufungsbegründung gingen am 17. September 2008 und damit rechtzeitig beim Berufungsgericht ein.

cc) Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass der Kläger um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur bis zum 10. September 2008 nachgesucht und diese sich selbst gesetzte Frist überschritten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April 2009 - VII ZB 66/08 und VII ZB 67/08 m.w.N., in juris).

3. Dem Kläger war somit unter Aufhebung des Beschlusses des Berufungsgerichts vom 6. November 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren. Damit sind die mit jenem Beschluss ebenfalls ausgesprochene Verwerfung der Berufung und die auch dagegen vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde des Klägers gegenstandslos (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2006 - XII ZB 99/06, NJW 2007, 1455 und vom 15. Januar 2008 - XI ZB 11/07, NJW 2008, 1164).


Kniffka Bauner Safari Chabestari
Halfmeier Leupertz

Vorinstanzen

AG Soltau, 4 C 6/08, 27.05.2008; LG Lüneburg, 2 S 67/08, 06.11.2008

Rechtsgebiete

Verfahrens- und Zwangsvollstreckungsrecht

Normen

ZPO §§ 233 Ff, 520 Abs. 2