Kein vorbeugender Unterlassungsanspruch gegen angekündigten „offenen Brief“

Gericht

OLG Dresden


Art der Entscheidung

Beschluss über sofortige Beschwerde


Datum

23. 10. 2008


Aktenzeichen

4 W 1003/08


Leitsatz des Gerichts

  1. Der von dem Angehörigen eines Patienten mitgeteilten Absicht, in einem „offenem Brief” auf Missstände in einem Krankenhaus hinzuweisen und für dessen „Boykott” zu werben, kann nicht mit einer vorbeugenden Unterlassungsklage begegnet werden, wenn der Wortlaut dieses Briefes nicht bekannt ist.

  2. Die Bewertung einer Behandlung als „unmenschlich” stellt für sich genommen noch keine Schmähkritik der Krankenhausverantwortlichen dar.

Tenor


Tenor:

  1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des LG Leipzig vom 10.9.2008 – 8 O 2922/08 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

  2. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20.000 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe


Gründe:

I. Die Antragstellerin begehrt, dem Antragsgegner durch einstweilige Verfügung zu untersagen, deren Behandlung seiner Schwester im Jahre 2004 in einem „offenen Brief” an verschiedene Botschaften und Kliniken im arabischen Raum zu schildern und ihnen zu empfehlen, künftig davon abzusehen, Patienten an die Klinik der Antragstellerin zu überweisen.

Das LG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt. Der Beschluss ist der Antragstellerin am 16.9.2008 zugestellt worden. Mit der am 30.9.2008 eingegangenen sofortigen Beschwerde hält sie ihren Antrag aufrecht und vertritt die Auffassung, eine einstweilige Verfügung sei wegen der Befürchtung gerechtfertigt, dass der Antragsgegner eine verzerrte und teilweise unwahre Sachdarstellung in den „offenen Brief” aufnehmen werde, was schwere wirtschaftliche Nachteile für sie haben könne. Die Bezeichnung ihrer Einrichtung als „unmenschlich” stelle eine Schmähkritik dar, die sie nicht hinzunehmen habe. Die Meinungsfreiheit des Antragsgegners habe zurückzutreten. Er habe durch die Erstellung einer Homepage zur Eskalation beigetragen und keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Entschuldigung ihres kaufmännischen Vorstands. Darin liege zugleich der Versuch einer Nötigung i.S.d. § 240 StGB.

II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die auf Unterlassung der inkriminierten Äußerungen gerichteten Verfügungsansprüche bestehen nicht. Wie das LG zutreffend ausgeführt hat, hat die Antragstellerin die hinreichend konkrete Gefahr einer zukünftigen Rechtsbeeinträchtigung durch rechtswidrige Aufstellung unwahrer Tatsachenbehauptungen nicht glaubhaft gemacht.

1. Es ist allgemein anerkannt, dass für einen Unterlassungsanspruch trotz des Wortlautes des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB („weitere”) auch eine erstmals ernsthaft drohende Beeinträchtigung genügt (vgl. BGH NJW 2004, 3101). Hierfür reicht indes die bloße Befürchtung oder die Möglichkeit einer Rechtsbeeinträchtigung nicht aus. Für die Erstbegehungsgefahr streitet – anders als für die Wiederholungsgefahr – keine Vermutung (OLG Hamm v. 15.5.1995 – 13 U 16/95, OLGReport Hamm 1995, 141 = NJW-RR 1995, 1399). Sie muss jeweils anhand der Umstände des Einzelfalls positiv festgestellt werden (vgl. BGH v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86, MDR 1987, 1015 = NJW 1987, 2225) und wird nur im Ausnahmefall anzunehmen sein (Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, 3. Aufl. 2008, Rz. 805; BGH NJW 1975, 1882). Es sind nicht nur die Schwere des Eingriffs und die Umstände der Verletzungshandlung, sondern auch die Motivation des Verletzers und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines drohenden Eingriffs sowie die entgegenstehende Meinungsfreiheit des Äußernden zu berücksichtigen. Die bloße Aussicht, dass es zu einer Veröffentlichung kommen wird, begründet erst dann eine Begehungsgefahr, wenn diese im Entwurf vorgelegt oder glaubhaft gemacht werden kann, welche tatsächlichen Angaben sie im Einzelnen enthält (Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. Kap. 12 Rz. 35).

2. Vorliegend ist aufgrund des Schreibens des Antragsgegners vom 1.7.2008 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dieser sich – wie er dort ankündigt – in einem „offenen Brief” an die Botschaften verschiedener arabischer Staaten wenden wird, in dem die Umstände der Behandlung seiner Schwester im Klinikum der Antragstellerin geschildert werden sollen. An keiner Stelle hat der Antragsgegner indes angekündigt, sich in gleicher Weise auch an Krankenhäuser im arabischen Raum, wie sie in Ziff. 1 des Verfügungsantrages bezeichnet werden, zu wenden. Eine Erstbegehungsgefahr in Bezug auf die Veröffentlichung gegenüber diesen Einrichtungen wird hieraus nicht ersichtlich. Ob sich aus dem Inhalt der vom Antragsgegner betriebenen Homepage Umstände ergeben, die gleichwohl die ernsthafte Gefahr begründen, dass sich der Antragsgegner über den Kreis von Botschaften hinaus auch gegenüber weiteren Dritten in vergleichbarer Weise in „offenen Briefen” äußern will, kann dahinstehen. Die Antragstellerin hat nämlich nicht glaubhaft gemacht, dass durch einen solchen offenen Brief in ihre grundrechtlich geschützten Rechtspositionen, namentlich ihr Unternehmerpersönlichkeitsrecht oder ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen würde.

a) Weder dem Schreiben des Antragstellers vom 1.7.2008 (Anlage ASt 10) noch dem Schreiben vom 22.5.2008 (ASt 5) lässt sich entnehmen, welchen konkreten Inhalt der angekündigte offene Brief haben wird. Insbesondere ist die Annahme der Antragstellerin, der Antragsgegner werde die Vorgänge um die Behandlung seiner Schwester „verzerrt” und unter Verwendung unwahrer Tatsachen darstellen, spekulativ und weder durch die o.a. Schreiben noch durch die vom Antragsgegner zwischenzeitlich auf seiner Homepage eingestellten Inhalte gerechtfertigt. In dem Schreiben vom 1.7.2008 vertritt der Antragsgegner zwar die Auffassung, es sei „von Anfang an klar” gewesen, dass den Ärzten der Antragstellerin bei der Behandlung seiner Schwester ein Behandlungsfehler unterlaufen sei. Ersichtlich geht es hier jedoch allein um die Bewertung der Behandlung durch den Antragsgegner, die auf ein Gespräch mit den verantwortlichen Anästhesisten unmittelbar nach der Erstoperation gestützt wird, dessen Inhalt die Antragstellerin nicht bestreitet. An keiner Stelle wird hingegen deutlich, dass ihr unterstellt werden soll, wider besseres Wissen über längere Zeit einen Behandlungsfehler ihrer Ärzte geleugnet und die Entschädigung der Patientin verschleppt zu haben, wie es der Vortrag der Antragstellerin nahe legen soll. Auch die weitere in dem Schreiben vom 1.7.2008 enthaltene Tatsachenbehauptung, der kaufmännische Leiter der Antragstellerin, Herr Wokittel, habe die Fortsetzung der notwendigen Behandlungen und die Niederschlagung der Behandlungskosten abgelehnt und stattdessen eine Teilforderung ggü. dem Antragsgegner gerichtlich, nämlich mittels eines „Haftbefehls” geltend gemacht, wird von der Antragstellerin nicht bestritten und findet sich in gleicher Weise in ihrem Schreiben vom 3.6.2008, auch wenn dort die Bewertung dieses Vorgehens als „unmenschlich” zurückgewiesen wird. Dass eine derartige Darstellung bewusst unvollständig und damit einer unwahren Tatsachenbehauptung gleichzustellen wäre, hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, selbst wenn man – wofür sich dem Schreiben vom 1.7.2008 allerdings keine Anhaltspunkte entnehmen lassen – davon ausgeht, dass in der beabsichtigten Veröffentlichung die Bereitschaft der Antragstellerin, der Schwester des Antragsgegners ein „wissenschaftliches Freibett” zur Verfügung zu stellen, unterschlagen würde. Wie sich aus dem zur Glaubhaftmachung vorgelegten Schreiben vom 1.10.2004 (Anlage ASt 3) ergibt, sollten hiermit nämlich nur die nach der Erstbehandlung offenstehenden Behandlungskosten teilweise verrechnet werden, nicht hingegen der Schwester des Antragsgegners eine Weiterbehandlung ermöglicht werden. Vor diesem Hintergrund ist das LG zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragstellerin kein Unterlassungsanspruch nach §§ 823, 1004 BGB wegen eines auf die Aufstellung unwahrer Tatsachenbehauptungen gestützten Eingriffes in ihr Unternehmerpersönlichkeitsrecht zusteht.

b) Auch ein eingeschränkter Unterlassungsanspruch, der sich auf einzelne dem Schreiben vom 1.7.2008 entnommene Wendungen bezieht, kommt nicht in Betracht. Selbst wenn der – weit gefasste – Verfügungsantrag dahin auszulegen sein sollte, dass dem Antragsgegner die Bezeichnung der Vorgänge als „unmenschlich” untersagt werden soll, scheitert ein solcher hierauf beschränkter Anspruch bereits aus den unter Ziff. 1. dargestellten Gründen. Der Ausdruck, den der Antragsgegner in den beiden Schreiben vom 22.05. und 1.7.2008 sowie quasi als „Leitmotiv” auf seiner nach wie vor im Aufbau begriffenen homepage verwendet, unterliegt als eindeutige Wertung in besonderem Maß dem Schutz des Art. 5 GG, der bis zur Grenze der Schmähkritik reicht. Die Grenze ist erst überschritten, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, was nicht schon bei herabsetzender Wirkung oder auch bei polemischer, überspitzter Kritik zu bejahen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH VersR 2008, 357 m.w.N.). Um eine solche Grenzüberschreitung feststellen zu können, bedarf es naturgemäß einer Auslegung des inkriminierten Begriffs aus dem Gesamtzusammenhang des Textes heraus, in dem er steht, während sich eine isolierte Betrachtung ohne Kenntnis des genauen Wortlauts des Kontextes verbietet.

c) Ein Unterlassungsanspruch kann auch nicht auf §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 240 StGB gestützt werden. Das Schreiben vom 1.7.2008 enthält keine rechtswidrige Drohung mit einem empfindlichen Übel im Sinne dieser Vorschrift. Allerdings kann die Drohung, mit bestimmten Äußerungen an die Öffentlichkeit oder Teile der Öffentlichkeit treten zu wollen, ein empfindliches Übel darstellen. Vorliegend hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass ihr durch einen „offenen Brief” und das in der Folge zu befürchtende Ausbleiben von Patienten aus dem arabischen Raum ein jährlicher Schaden von mehr als 70.000 € entstehen könnte. Ob dem Schreiben vom 22.5.2008 eine Verknüpfung zwischen dem angedrohten offenen Brief und der begehrten Entschuldigung des kaufmännischen Leiters entnommen werden kann, kann indes dahinstehen, weil es an einer Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation fehlt. Angesichts der Weite der Tatbestandsbeschreibung in § 240 Abs. 1 StGB ist eine wertende Betrachtung geboten, weil andernfalls zahlreiche als sozialadäquat empfundene Verhaltensweisen erfasst würden, ohne dass eine die Rechtswidrigkeit ausschließende Gegennorm entgegenstünde. Deshalb bestimmt § 240 Abs. 2 StGB, dass erst die Verquickung eines Nötigungsmittels mit der angestrebten Verhaltensweise des Genötigten den Schluss auf tatbestandsmäßig-rechtswidriges Verhalten begründen kann. Soweit – wie hier – als Nötigungsmittel die Androhung der Bekanntgabe von Informationen eingesetzt wird, ist aber zu berücksichtigen, dass der verfassungsrechtliche Schutzbereich der Grundrechte auf Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und auf Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) berührt ist. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Meinungsfreiheit sowohl im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen, mit der sie eng verbunden ist, als auch im Interesse des demokratischen Prozesses, für den sie eine konstitutive Bedeutung hat. Es ist der Sinn von Meinungsäußerungen, geistige Einflüsse auf die Umwelt zu bewirken, meinungsbildend und überzeugend zu sein. Deshalb sind Werturteile von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG durchweg geschützt, ohne dass es darauf ankäme, ob die Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, begründet oder grundlos, emotional oder rational ist. Schon aus diesem Grunde kann der Antragsgegner nicht daran gehindert werden, das Verhalten der Antragstellerin in einem offenen Brief gegenüber verschiedenen Botschaften zu bewerten. Gleiches gilt für die Mitteilung derjenigen wahren Tatsachen, die Grundlage für diese Meinungsbildung sind und die daher ebenfalls den Schutz der Meinungsfreiheit genießen.

Da, wie ausgeführt, keine wahrheitswidrigen Tatsachen über die Antragstellerin behauptet werden, die ggf. geeignet wären, deren Kredit zu gefährden oder sonstige Nachteile für deren Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen, gelangt auch die Vorschrift des § 824 BGB nicht zur Anwendung. Schließlich kann auch nicht angenommen werden, dass der Antragstellerin der geltend gemachte Schadensersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gem. § 823 Abs. 1 BGB zusteht. Dabei ist im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BGH davon auszugehen, dass es sich bei dem Eingriff in einen durch §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB geschützten Gewerbebetrieb um einen Auffangtatbestand handelt, der im Hinblick auf seine Funktion nur subsidiären Charakter hat und deshalb nicht in Betracht kommt, wenn das Gesetz für den konkret zu beurteilenden Eingriffstatbestand in anderen Vorschriften spezifische Haftungsmaßstäbe aufstellt (vgl. etwa BGH v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91, MDR 1992, 852 = NJW 1992, 1312 f. m.w.N.). Geht man zugunsten der Antragstellerin davon aus, dass der offene Brief durch eine „verzerrte” Darstellung der Behandlung der Schwester des Antragsgegners in rechtserheblicher Weise in das Recht der Antragstellerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingreift, kommt gleichwohl ein Unterlassungsanspruch erst in Betracht, wenn die Rechtswidrigkeit aufgrund einer Güter- und Pflichtenabwägung festgestellt werden kann (vgl. etwa BGH NJW 1976, 620 f.; Wenzel, a.a.O., Kap. 5 Rz. 117). Aus den vorstehend genannten Gründen gebührt jedoch bei einer Abwägung der Meinungsfreiheit des Antragsgegners ggü. dem Gewerbebetrieb der Antragstellerin der Vorrang. Etwas anderes kann auch nicht gelten, wenn man berücksichtigt, dass mit dem angekündigten offenen Brief erreicht werden soll, dass vermögende arabische Patienten das Klinikum der Antragstellerin künftig meiden, was einem Boykottaufruf nahekommt. Auch wenn unter gewissen Voraussetzungen der Meinungsfreiheit bei Boykottaufrufen ein deutlich engerer Rahmen gesetzt wird (vgl. OLG Hamburg v. 21.4.1998 – 7 U 237/97, VersR 1999, 1252), ist vorliegend zu berücksichtigen, dass es sich nicht um einen direkten Boykottaufruf handelt, sondern durch die Information potentieller Patienten über das „Behandlungsmanagement” im Klinikum der Antragstellerin allenfalls mittelbar erreicht werden soll, dass diese nicht mehr das Klinikum der Antragstellerin aufsuchen. Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit des Antragsgegners ist bei dieser Sachlage auch deswegen nicht geboten, weil mit dem „offenen Brief” keine Wettbewerbszwecke verfolgt, sondern die persönliche Entschuldigung des kaufmännischen Vorstands der Antragstellerin erreicht werden soll.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt den §§ 47, 48 GKG, 3 ZPO.

Vorinstanzen

LG Leipzig, 8-O-2922/08, 10.9.2008

Rechtsgebiete

Äußerungsrecht