Kein Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude durch fehlendes Reisegepäck
Gericht
Oberster Gerichtshof Österreich
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
23. 01. 2007
Aktenzeichen
2Ob79/06s
Der Revision wird nicht Folge gegeben:
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 399,74 (darin EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin macht als ein Verband im Sinn des § 29 KSchG einen an sie abgetretenen Anspruch geltend. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr das Begehren auf Zahlung von EUR 320,-- sA als Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude; Preisminderung von EUR 408,55 sA (30 % des anteiligen „Tagespreises" für vier Tage) wurde bereits rechtskräftig zuerkannt.
Die späteren Zedenten, ein Ehepaar, buchten bei der Beklagten eine Mexiko-Rundreise vom 26. bis 29. 9. 2003 mit anschließendem Badeaufenthalt bis 9. 10. 2003 zum Pauschalpreis von EUR 4.426,--. Die Reiseleistungen wurden insoweit mangelhaft erbracht, als das Reisegepäck während der Rundreise nicht zur Verfügung stand, sondern den Reisenden erst zu Beginn des Badeaufenthalts ausgehändigt wurde. Die (viertägige) Rundreise war vor allem dadurch beeinträchtigt, dass den Reisenden einerseits Medikamente - die Zedentin leidet an Neurodermitis und benötigte ein spezielles Sonnenschutzmittel -, andererseits Bekleidung und Schuhwerk fehlten. Darüber hinaus wurde ihnen vorerst mitgeteilt, das Gepäck würde noch am Abend des Ankunftstags, spätestens am nächsten Morgen, da sein, weshalb sich die Reisenden (nur) mit den nötigen Bedarfsartikeln versorgen sollten. Sie kauften sich daher vorerst nur Zahnbürsten und Zahnpasta. Als klar war, dass das Reisegepäck erst später eintreffen würde, besorgten sich die Reisenden T-Shirts, Unterhosen und eine Short. Medikamente gegen Durchfall waren erst am letzten Tag der Rundreise zu erhalten, für den Zedenten passende (festere) Turnschuhe waren nicht zu finden. Er musste daher die am ersten Tag der Rundreise gebotene Wanderung über ca 10 km - bergauf und bergab auf teilweise unbefestigten Wegen - mit Halbschuhen absolvieren, seine Frau mit Textil-Tennisschuhen. Am ersten Abend versäumte das Ehepaar wegen der notwendigen Besorgungen das Abendessen. Im Übrigen machte es das vorgesehene Programm zwar mit, hatte jedoch (am zweiten Reisetag) oft nicht Zeit, die Tempel anzuschauen, weil es in der freien Zeit unterwegs war, um zu telefonieren und Bekleidung einzukaufen. Bei diesen Telefonaten mit Verwandten in Deutschland wurde versucht, Erkundigungen über den Verbleib des Reisegepäcks einzuholen. Der an die Rundreise anschließende Badeaufenthalt selbst war „Spitze". Nach Diskussionen mit der Reiseleitung erhielten die Zedenten ihre Aufwendungen von EUR 240,-- ersetzt.
Die Klägerin begehrte neben einer Preisminderung von EUR 681,-- für den Reiseteil Rundreise auch Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude, wobei für die viertägige Rundreise EUR 320,-- (EUR 40,-- pro Person und Tag) sowie für den anschließenden Badeaufenthalt EUR 240,-- (EUR 120,--/Person) gefordert wurden (letzteres Teilbegehren wurde rechtskräftig abgewiesen). Die Zedenten hätten die Rundreise in unzureichender Kleidung und mit ungeeignetem Schuhwerk absolvieren müssen. Jede freie Zeit sei für den Kauf von Bedarfsartikeln aufgegangen. Die Reisenden hätten unter diesen Umständen und dem Fehlen ihrer Medikamente gelitten, was beim Ehegatten zu einer psychischen Anspannung und bei der Ehegattin zu einem Kreislaufkollaps und zu Weinkrämpfen geführt habe. Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, die Reisenden hätten ausreichend Gelegenheit gehabt, sich mit der notwendigen Ausrüstung für die Rundreise einzudecken. Ihre Kleidung und ihr Schuhwerk seien für die Rundreise ausreichend gewesen. Dass notwendige Medikamente nicht im Handgepäck mitgenommen worden seien, falle nicht in die Sphäre der Beklagten. Von nutzloser oder vertaner Urlaubszeit könne keine Rede sein. Die als Anspruchsgrundlage herangezogene Norm des § 31e Abs 3 KSchG sei mangels gesetzlich angeordneter Rückwirkung auf das Vertragsverhältnis nicht anwendbar.
Das Erstgericht wies das Begehren auf Ersatz ideellen Schadens ab. § 31e Abs 3 KSchG sei mangels ausdrücklicher Rückwirkungsanordnung nicht anzuwenden. Auch im Falle einer Anwendbarkeit dieser Norm wäre deren Tatbestand nicht erfüllt, weil das verspätete Eintreffen des Reisegepäcks nicht den Ausfall eines erheblichen Teils der vertraglich vereinbarten Leistung darstelle. Dass sich dieser Mangel möglicherweise subjektiv stärker auf die Psyche der Reisenden ausgewirkt habe, sei kein objektiv zu beachtendes Kriterium. Das Berufungsgericht schloss sich dieser Auffassung im Ergebnis an. Nach Art 5 der Pauschalreiserichtlinie bestehe grundsätzlich ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens, der auf der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung der „eine Pauschalreise ausmachenden" Leistungen beruhe. Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen habe, gebiete es die richtlinienkonforme Interpretation nationalen Rechts, den Ersatz derartiger Schäden nach den in einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs dargelegten Grundsätzen auch für Schadensfälle zu gewähren, die sich vor der Novellierung des § 31e KSchG durch das ZivRÄG 2004 ereignet haben. In Fällen schwerwiegender Mängel sei daher ein solcher Anspruch als gerechtfertigt anzusehen. Die erwähnte Novellierung sei erfolgt, um die Rechtslage klar zu stellen und jeden Zweifel an der Vereinbarkeit des österreichischen Reiserechts mit den Vorgaben der Pauschalreiserichtlinie zu beseitigen. Bei der Beurteilung, ob ein „erheblicher Teil" der geschuldeten Leistung im Sinne des § 31e Abs 3 KSchG gefehlt habe, komme es auf den Zweck der Reise an, der sich aus der Vereinbarung oder ihrer Natur ergebe. Tatbestandsmäßig wären etwa das Ausbleiben einer für die Reise zentralen Einzelleistung oder mehrere leichte Mängel, die sich zu einer insgesamt schwerwiegenden Leistungsstörung summierten. Hingegen komme es nicht darauf an, inwieweit einzelne Erwartungen geweckt und in der Folge enttäuscht oder erfüllt worden seien, sondern inwieweit die Pauschalreise insgesamt von dem abgewichen sei, was die Vertragspartner der Beklagten nach dem Vertragsinhalt erwarten durften. Davon, dass die fehlende adäquate Ausstattung zu einem Neurodermitisschub der Zedentin geführt hätte, könne schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil die Ursachen für einen solchen Schub ganz unterschiedliche sein könnten. Beim Zedenten seien allfällige psychische Strapazen im Zusammenhang mit der Sorge um das Reisegepäck offenbar nicht in einem besonderen Maße vorgelegen und daher durch die zugesprochene Preisminderung ausreichend berücksichtigt. Ein Schadenersatzanspruch wegen entgangener Urlaubsfreude bestehe somit nicht.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist zulässig (§ 502 Abs 1 iVm Abs 5 Z 3 ZPO), jedoch nicht berechtigt.
Auch wenn es zutrifft, dass in den Gesetzesmaterialien zum ZivRÄG 2004 ausgeführt wurde, die Novellierung des § 31e KSchG sei erfolgt, „um die Rechtslage klar zu stellen und jeden Zweifel an der Vereinbarkeit des österreichischen Reiserechts mit den Vorgaben der Pauschalreiserichtlinie zu beseitigen", kann doch der Auffassung des Berufungsgerichts und der Revisionswerberin nicht gefolgt werden, die davon ausgehen, dass auch für die Zeit zwischen dem für die Umsetzung der Pauschalreise-Richtlinie festgesetzten Zeitpunkt und dem Inkrafttreten der Neuregelung für die Beurteilung allfälliger Ansprüche auf Ersatz ideellen Schadens wegen Reisemängeln einfach der Wortlaut des § 31e Abs 3 KSchG anzuwenden wäre. Richtig ist allerdings, dass der Oberste Gerichtshof im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu C-168/00 wiederholt ausgesprochen hat, es sei schon vor der vollständigen Umsetzung der Pauschalreise-Richtlinie in Österreich ein Gebot der richtlinienkonformen Interpretation nationalen Rechts gewesen, den Ersatz derartiger Schäden nach den vom EuGH dargelegten Grundsätzen zu gewähren (5 Ob 242/04f, 10 Ob 20/05x). Der EuGH hatte aber nun nicht etwa eine Auslegung des Art 5 der genannten Richtlinie in einem Sinn vorgenommen, der im Wortlaut des § 31e Abs 3 KSchG unverändert Ausdruck fände, sondern nur ausgeführt, die Richtlinie anerkenne einen „grundsätzlichen" Schadenersatzanspruch für Nicht-Körperschäden, weshalb dem Verbraucher „grundsätzlich" ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens, der auf der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung der eine Pauschalreise ausmachenden Leistungen beruhe, verliehen werde. Das Gebot richtlinienkonformer Interpretation nationalen Rechts, führt also hier keineswegs zu einer klar abgrenzbaren - exakt dem nunmehrigen § 31e Abs 3 KSchG entsprechenden - Regelung des Schadenersatzanspruchs von Pauschalreisenden für ihnen durch die Mangelhaftigkeit der Reiseleistungen zugefügte immaterielle Nachteile. Eine Lösung dieser Frage kann sich vielmehr nur aus der (richtlinienkonformen) Interpretation der allgemeinen Schadenersatzregeln des ABGB ergeben, für die die gemeinschaftsrechliche Vorgabe zu beachten ist, dass ein derartiger Schadenersatzanspruch „grundsätzlich" in Betracht kommt. Dies bedeutet nun aber keineswegs, dass jedes durch eine mangelhafte Reiseleistung beim Reisenden hervorgerufene Unlustgefühl schon den Zuspruch von Schadenersatz rechtfertige. Vielmehr ist auch ein solcher Schadenersatzanspruch - ohne wesentliche Wertungswidersprüche - in das Gesamtsystem jener Normen des österreichischen Rechts einzubetten, die Geldersatz für ideelle Schäden vorsehen. Dies ist im Allgemeinen nur bei solchen immateriellen Nachteilen der Fall, die über bloße Unlustgefühle hinausgehen und denen nicht nur unerhebliches Gewicht zukommt. Auch in den Gesetzesmaterialien zu § 31e Abs 3 KSchG wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Neuregelung nicht dazu nötige, die bisherige Zurückhaltung der Rechtsprechung bei der Zuerkennung immaterieller Nachteile aufzugeben; es wäre auch unangemessen und sachlich nicht gerechtfertigt, im Bereich des Schadenersatzes bei Pauschalreisen auf eine „Erheblichkeitsschwelle" zu verzichten, in anderen Fällen des ideellen Schadenersatzes dagegen auf diesem Erfordernis aus guten Gründen zu bestehen (173 BlgNr 22. GP, 23).
Diese Gedanken sind vor allem auch für die Beurteilung der Rechtslage vor Umsetzung der entsprechenden Vorgaben der Pauschalreise-Richtlinie zu beachten, zumal auch der Gerichtshof der europäischen Gemeinschaften den dort verwendeten Schadensbegriff nur „grundsätzlich" als immaterielle Nachteile umfassend versteht, sodass die Ausgestaltung eines derartigen Anspruchs im Einzelnen den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen vorbehalten bleibt. Dass eine nicht zu niedrig anzusetzende „Erheblichkeitsschwelle" auch dem österreichischen Schadenersatz immanent ist, wurde bereits dargelegt und ergibt sich auch aus einem Vergleich mit anderen Normen, die den Ersatz ideeller Nachteile regelmäßig von einer intensiven Beeinträchtigung abhängig machen. Bedenkt man für den Bereich des Pauschalreisevertrags, dass Reisemängel in erster Linie durch die Gewährung einer Preisminderung ausgeglichen werden, deren Höhe davon abhängt, inwieweit die Gesamtleistung durch das Zurückbleiben des Geleisteten vom Geschuldeten abweicht, so ist zu erkennen, dass damit in weniger gravierenden Fällen auch die mit mangelhaften Reiseleistungen typischerweise verbundenen Unlustgefühle mitabgegolten sind, haben diese doch in die Beurteilung des Grads der Entwertung miteinzufließen. Nur für darüber hinausgehende ideelle Beeinträchtigung kann ein zusätzlicher (verschuldensabhängiger) Ersatzanspruch in Betracht kommen.
Nach Auffassung des erkennenden Senats ist die dem österreichischen Schadenersatzrecht immanente „Erheblichkeitsschwelle" im vorliegenden Fall nicht überschritten worden. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen haben die Reisenden das vorgesehene Reiseprogramm im Wesentlichen absolvieren können; lediglich die eingehendere Besichtigung von Tempeln an einem Reisetag, „Freizeit" ohne spezielles Programm und ein Abendessen sind ausgefallen, weil sich die Reisenden um die Beschaffung von Bedarfsartikeln und Bekleidungsstücken kümmern mussten. Die damit verbundenen Unannehmlichkeiten sind durch die zuerkannte Preisminderung von mehr als EUR 400,-- abgegolten. Die in der Revision aufgestellte Behauptung, die Reisenden hätten die Wanderungen und Besichtigungen in Bezug auf das Schuhwerk nur unter erschwerten Bedingungen absolvieren können, ist im Übrigen durch die Feststellungen der Vorinstanzen nicht gedeckt. Selbst wenn man davon ausginge, dass eine Wanderung auf teilweise unbefestigten Wegen mit festen Sportschuhen bequemer zu absolvieren wäre als mit Textil-Tennisschuhen bzw Halbschuhen, kann auch darin keine Beeinträchtigung erblickt werden, die nicht schon durch die gewährte Preisminderung abgegolten wäre. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO, § 10 Z 6b RATG.
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