Verpasster Anschlussflug

Gericht

OLG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

29. 05. 2008


Aktenzeichen

16 U 39/08


Entscheidungsgründe


Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Zahlung einer Ausgleichsleistung wegen Nichtbeförderung nach Art. 4 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 261/2004.

Der Kläger buchte für sich und seine Lebensgefährtin, die ihre Ansprüche an ihn abgetreten hat, bei der Beklagten für den …. September 2006 eine Flugreise von O3 nach 02. Der Flug ... von O3 nach O1 sollte planmäßig um 7:25 Uhr starten und um 8:45 Uhr ankommen. Der Weiterflug ... von O1 nach O2 war planmäßig für 10:35 Uhr vorgesehen. Tatsächlich startete der Flug in O3 wegen überfüllten Luftraums und Nebels in O1 erst um 8:35 Uhr. Die Landung in O1 erfolgte um 9:43 Uhr; der Transferbus kam um 10:10 Uhr am Terminal an. Der Kläger und seine Lebensgefährtin erreichten zu Fuß um 10:18 Uhr das Abflugterminal und um 10:20 Uhr den Check-in-Schalter, wo sie die Mitteilung erhielten, dass das Boarding bereits abgeschlossen sei. Der Kläger und seine Lebensgefährtin wurden erst mit der Maschine des nächsten Tages nach O2 geflogen.

Der Flug ... von O1 nach O2 vom .... September 2006 war ausweislich eines von der Beklagten vorgelegten Computerausdrucks nur zu 71,3 % ausgebucht. Der Kläger und seine Lebensgefährtin hatten ihr Gepäck in O3 bis nach O2 aufgegeben, allerdings noch keinen boarding-pass für den Flug nach 02 erhalten.

Der Kläger ist der Auffassung, es habe sich um eine Nichtbeförderung im Sinne von Art. 4 VO (EG) Nr. 261/2004 gehandelt, so dass ihm und seiner Lebensgefährtin eine Ausgleichszahlung von 600,- € pro Person zustünde.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 65 - 67 d. A.) Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, bei dem Nichterreichen des Flugs ... von O1 nach O2 handele es sich nicht um einen Fall der willentlichen Nichtbeförderung im Sinne des Art. 4 der VO (EG) Nr. 261/2004. Der Kläger und seine Lebensgefährtin hätten den Flug einfach nicht erreicht, weil das check-in tatsächlich nicht mehr möglich gewesen sei. Es könne dahin stehen, ob das check-in bereits in O3 hätte durchgeführt werden können oder ob bereits dort eine Boardingkarte hätte ausgehändigt werden müssen. Auf ein Verschulden komme es nicht an, da über Art. 4 der VO lediglich Fälle der Überbuchung entschädigungspflichtig seien. Ein solcher Fall habe hier nicht vorlegen; der Kläger hätte angesichts des substantiierten Vortrags der Beklagten darlegen müssen, warum der von ihr vorgelegte Computerausdruck nicht der Wahrheit entspräche. Zudem habe der Grund für die Nichtbeförderung nicht in einer etwaigen Überbuchung, sondern in dem nicht rechtzeitigen Erreichen des Check-In-Schalters gelegen.

Die vorliegende Verspätung habe sich auch im Rahmen der nicht ausgleichspflichtigen Entschädigung gehalten. Schließlich sei die Beklagte auch nicht verpflichtet gewesen, auf das Problem der Karenzzeiten hinzuweisen.

Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 67 - 69 d. A.) verwiesen.

Gegen dieses ihm am 23. November 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 5. Dezember 2007 bei Gericht eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz Berufung eingelegt, die er nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 24. Februar 2008 mit einem am 12. Februar 2008 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel weiter. Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass ein entschädigungspflichtiger Fall einer Nichtbeförderung vorläge. Die VO (EG) Nr. 261/2004 unterscheide in der Legaldefinition des Art. 2 nicht wegen des Grundes der Nichtbeförderung. Zudem sei nach Art. 3 Abs. 2 b) der VO (i.V.m. Art. 2 j) eine Bedingung für die Anwendung der Verordnung, dass die Fluggäste von einem Luftfahrtunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchung besaßen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür. Auch aus dieser Formulierung sei zu schließen, dass die einschränkende Auslegung des Art. 4 durch das Amtsgericht nicht vom Willen des Verordnungsgebers getragen sei, der vielmehr einen umfassenden Schutz der Passagiere vor Nichtbeförderung / Annullierung der Flüge habe schaffen wollen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 7. November 2007, Az. 32 C 110/07 - 90, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.200,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 16. November 2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die VO (EG) Nr. 261/2004 habe mit Art. 4 den bereits durch die VO (EG) 295/91 geregelten Sachverhalt einer „denied boarding compensation“ übernommen und lediglich durch zwei weitere entschädigungspflichtige Tatbestände, die Annullierung und die Verspätung, ergänzt. Zudem stelle Art. 3 Abs. 2 b) der VO keine Generalklausel dar, die Art. 3 Abs. 2 a) überflüssig machen würde.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.


II.

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 4 Abs. 3 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 S. 1 c) der VO (EG) Nr. 261/2004 (im Folgenden: EuFlugVO) zu. Zwar ist die EuFlugVO gemäß Art. 3 Abs. 2 b) anwendbar. Nach Auffassung des Senats liegt jedoch keine „Nichtbeförderung“ im Sinne des Art. 4 der EuFlugVO vor.

Nach der Definition des Begriffs in Art. 2 j) EuFlugVO setzt die „Nichtbeförderung“ die Weigerung voraus, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Art. 3 Abs. 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z.B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen.

Nach Auffassung des Senats reicht eine rein faktische „Nicht-Weiter-Beförderung“ z.B. wegen Verspätung des Zubringerflugs nicht aus, eine „Nichtbeförderung“ im Sinne des Art. 2 j) anzunehmen.

Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, da der Begriff der „Weigerung“ ein bewusstes Zurückweisen des Passagiers impliziert, der sich mit einer bestätigten Buchung und rechtzeitig zur Flugabfertigung eingefunden hat.

Darüber hinaus spricht auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift dagegen, Art. 4 Abs. 3 der VO auf die Fälle anzuwenden, in denen es aufgrund einer verspäteten Ankunft am Zwischenziel zu einem Nichterreichen des Anschlussflugs kommt; vielmehr regelt Art. 4 Abs. 3 EuFlugVO lediglich die Ausgleichsleistung bei Nichtbeförderung wegen Überbuchung. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Die EuFlugVO hat die VO (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 4. Februar 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleitungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr abgelöst, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut ausschließlich die Fälle der Nichtbeförderung wegen Überbuchung erfasst hat (vgl. dazu auch BGH, NJW-RR 2006, 1719). Sie hat dabei den Anwendungsbereich der alten Verordnung erweitert, ihn jedoch nicht auf die Fälle des Nichterreichens des Anschlussflugs wegen verspäteten Eintreffens des Zubringerflugs ausgedehnt. Zwar wird in der EuFlugVO der Begriff der „Überbuchung“ nicht mehr ausdrücklich genannt; aus den Erwägungsgründen ist jedoch auf den Willen des Verordnungsgebers zu schließen, es bei den Anwendungsfällen der Überbuchung zu belassen. In dem 3. Erwägungsgrund wird nämlich darauf hingewiesen, dass durch die VO (EWG) Nr. 295/91 zwar ein grundlegender Schutz für die Fluggäste geschaffen worden sei, die Zahl der gegen ihren Willen nicht beförderten Fluggäste aber immer noch zu hoch sei. Nach Erwägungsgrund 4 sollte die Gemeinschaft deshalb die mit der genannten Verordnung festgelegten Schutzstandards erhöhen, um die Fluggastrechte zu stärken. Dementsprechend sieht Erwägungsrund 9 vor, dass die Zahl der gegen ihren Willen nicht beförderten Fluggäste dadurch verringert werden sollte, dass von den Luftfahrtunternehmen verlangt wird, Fluggäste gegen eine entsprechende Gegenleistung zum freiwilligen Verzicht auf ihre Buchungen zu bewegen, anstatt Fluggästen die Beförderung zu verweigern, und denjenigen, die letztlich nicht befördert werden, eine vollwertige Ausgleichsleistung zu erbringen. Diese Erwägung ist dann mit der Vorschrift des Art. 4 umgesetzt worden, nach dessen Abs. 1 ein Luftfahrtunternehmen zunächst versuchen muss, Fluggäste gegen eine entsprechende Gegenleistung zum freiwilligen Verzicht auf ihre Buchung zu bewegen, und Fluggästen nach Abs. 2 gegen ihren Willen die Beförderung verweigern kann, wenn sich nicht genügend Freiwillige finden, wobei nach Abs. 3 diesen unverzüglich eine Ausgleichsleistung zu erbringen ist.

Anhaltspunkte dafür, dass der Tatbestand der „Nichtbeförderung“ neu definiert und eine Ausgleichsleistung nicht nur im Fall der Überbuchung, sondern auch bei Nichterreichung des Anschlussflugs wegen Verspätung des Zubringerflugs gezahlt werden sollte, finden sich hingegen in den Erwägungsgründen nicht. Soweit in Erwägungsgrund 4 auf die Stärkung der Fluggastrechte verwiesen wird, ist diese durch Einführung von Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie dadurch erreicht worden, dass nunmehr auch Charterflüge in den Anwendungsbereich einbezogen sind und dieser um zwei weitere entschädigungspflichtige Tatbestände, die „Annullierung“ und „Verspätung“, erweitert worden ist. Zudem wäre es - bei einem entsprechenden Willen des Verordnungsgebers - ohne weiteres möglich gewesen, die Nichtbeförderung neu und anders, und zwar als jede Form des misslungenen (Weiter-) Transports der Fluggäste zur ursprünglich gebuchten Flugzeit zu definieren. Das aber wollte der Verordnungsgeber offensichtlich nicht, wie gerade auch die Systematik des Art. 4 verdeutlicht, dessen Absätze in ihrem Regelungsgehalt aufeinander aufbauen. Da die Absätze 1 und 2 unmissverständlich die Fälle der Überbuchung im Blick haben, muss sich auch der Regelungsgehalt von Abs. 3, der die Konsequenzen aus dem Verhaltenskodex der Absätze 1 und 2 beinhaltet, auf die Fälle der Überbuchung beschränken.

Der Senat verkennt nicht, dass die Frage der Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 3 EuFlugVO überwiegend anders bewertet wird (so z.B. OLG Hamburg, RRa 2008, 139 ff.; LG Berlin, RRa 2008, 42 ff. , AG Bremen, Urteil vom 8. Mai 2007, 4 C 7/07 [juris], Führich, RRa 2007, 58 ff., 59; Schmid, NJW 2006, 1841 ff., 1842; wohl auch Müller-Rostin, NZV 2007, 221 ff., 223). Aufgrund des Wortlauts und der Entstehungsgeschichte der Verordnung verbietet es sich jedoch, allein aus dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes und der Erwägung, dass der Fluggast bei jeder faktischen Nichtbeförderung keine Wahlfreiheit genießt und ohne eigenes Verschulden nicht - wie geplant - weitertransportiert wird, eine Nichtbeförderung im Sinne des Art. 4 EuFlugVO anzunehmen. Denn entscheidend ist, dass nach Auffassung des Senats aus den genannten Gründen der Regelungsgehalt von Art. 4 Abs. 3 EuFlugVO diese über den Fall der Überbuchung hinausgehenden Fälle der unterbliebenen Beförderung nicht erfasst und nicht erfassen sollte, mag dies aus Sicht des Verbrauchers auch zu beklagen sein.

Da vorliegend der Kläger und seine Lebensgefährtin den Flug von O1 nach O2 deshalb nicht mehr erreicht haben, weil der Zubringerflug Verspätung hatte und das Boarding bei Erreichen des Check-ins bereits abgeschlossen war, liegt kein Fall der „Nichtbeförderung“ im Sinne des Art. 4 Abs. 3 EuFlugVO vor, so dass ein Anspruch auf Ausgleichsleistung nicht gegeben ist.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.


III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.

Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und angesichts gegenteiliger, auch obergerichtlicher Entscheidungen (vgl. OLG Hamburg, RRa 2008, 139 ff.) die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO.

Vorinstanzen

AG Frankfurt am Main, 32 C 110/07-90

Rechtsgebiete

Reiserecht