Haftung für Dachlawinen bei Tauwetter

Gericht

OLG Jena


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

18. 06. 2008


Aktenzeichen

2 U 202/08


Leitsatz des Gerichts

Im Einzelfall kann eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten des Hauseigentümers darin gesehen werden, dass dieser bei besonders gefährlichen Wetterlagen ortsübliche Maßnahmen zur Verhinderung des Abgangs von Schneelawinen (Abschlagen von Schnee und Eis, Räumen des Daches) nicht trifft. Dies gilt auch dann, wenn Schneefanggitter bauordnungsrechtlich nicht vorgeschrieben oder nicht ortsüblich sind.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 04.02.2008, Az. 3 O 875/06, abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin € 4.943,16 nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 02.09.2006 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits insgesamt haben die Klägerin 3/10, die Beklagten als Gesamtschuldner 7/10 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe


Gründe:

I.

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche wegen der Beschädigung ihres (fahrenden) Kraftfahrzeugs durch vom Dach des Hauses der Beklagten herabstürzende Schnee- bzw. Eisplatten geltend. Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen, weil eine Pflicht der Beklagten zur Anbringung von Schneefanggittern am Dach nicht bestanden habe und die Beklagten auch sonst Verkehrssicherungspflichten nicht verletzt hätten. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Von der Darstellung des weiteren Sach- und Streitstandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.


II.

Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB wegen schuldhafter Verletzung von Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagten nicht in der geltend gemachten Höhe, sondern nur in Höhe von € 4.943,16 zu.

1. a) Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten wegen Nichtanbringung von Schneefanggittern scheidet aus. Die Beklagten waren bauordnungsrechtlich nicht zur Anbringung von Schneefanggittern verpflichtet, weil eine entsprechende Vorschrift unstreitig für die Gemeinde L1. nicht bestand bzw. besteht. Enthält die Ortssatzung kein solches Gebot, dann ist bei der Beurteilung der Erforderlichkeit von Schneefanggittern oder sonstigen Schutzmaßnahmen auf die örtlichen Gegebenheiten abzustellen. Sind Schneefanggitter insoweit nicht allgemein üblich, dann stellt es auch keinen Pflichtverstoß dar, wenn entsprechende Schutzmaßnahmen fehlen (vgl. OLG Jena, 4. Zivilsenat, OLG Report 2007, 173. Die Gemeinde L1. gehört zwar zu den Gemeinden, in denen aufgrund ihrer geografischen Lage mit größeren Schneemengen gerechnet werden muss. Die insoweit darlegungspflichtige Klägerin hat zur Ortsüblichkeit von Schneefangeinrichtungen nichts Detailliertes vorgetragen. Auf den vorgelegten Lichtbildern ist vielmehr zu sehen, dass Nachbarhäuser keine Schneefanggitter besitzen. Das mit der Berufung vorgenommene bloße Rügen der Feststellung des Landgerichts zur Ortsunüblichkeit reicht deshalb nicht aus. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Dachneigung beim Haus der Beklagten nach deren unbestritten gebliebenen Vortrag nur 24 Grad beträgt. Bei einer so geringen Dachneigung kann eine Pflicht zur Abringung von Schneefangeinrichtungen trotz fehlender bauordnungsrechtlicher Vorschrift nicht angenommen werden.

b) Dass eine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten in einem Unterlassen von Warnhinweisen (Schilder, Stangen) liegen könnte, vertritt die Klägerin, wie sie in der Berufungsbegründung ausführt, selbst nicht mehr.

c) Allerdings besteht zur Überzeugung des Senats aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls eine Verkehrssicherungspflichtverletzung, die darin liegt, dass die Beklagten sonstige erforderliche und ortsübliche Maßnahmen zur Verhinderung des Abgangs von Schneelawinen (Besondere Beobachtung, Abschlagen von Schnee und Eis) schuldhaft nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße ergriffen haben. Dies steht nach der Beweisaufnahme fest.

Grundsätzlich besteht zwar eine Pflicht zur Räumung des Hausdaches von Schnee und Eis nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen, weil die Maßnahme selbst mit erheblichen Gefahren verbunden ist (so auch Hugger/Stallwanger DAR 2005, 665, 667). Ein Hauseigentümer kann jedoch gerade dann, wenn es an seinem Haus keine Schneefangeinrichtungen gibt, die Pflicht obliegen, bei besonderen Wetterlagen das Dach und den darauf befindlichen Schnee, insbesondere auch überhängenden Schnee und überhängendes Eis im Auge zu behalten, um evtl. notwendige Schutzmaßnahmen, ggf. auch durch Einschaltung von Fachleuten, ergreifen zu können (vgl. OLG Celle VersR 1982, 979; OLG Zweibrücken OLG Report 2000, 7; LG Aschaffenburg DAR 1981, 57). Die Nichtbeobachtung dieser Pflichten in solchen besonderen Gefahrensituationen ist dann zumindest eine fahrlässige Verletzung von Verkehrssicherungspflichten.

So liegt es im vorliegenden Fall. Zum einen bestand aufgrund der ausnahmeartigen, extremen Wettersituation eine besondere Gefahrensituation. Denn die Wetterlage zeichnete sich unstreitig dadurch aus, dass dem Niedergang von ungewöhnlich großen Schneemengen während des Winters 2005/2006 rasch ein Tauwetter folgte. Insoweit war es unstreitig sogar zu Wetterwarnmeldungen im Rundfunk gekommen. Aber nicht nur die Wettersituation war besonders gefährlich, sondern auch die örtliche Lage des Hauses ist trotz der relativ geringen Dachneigung unstreitig dergestalt, dass herabstürzende Schnee- und Eismengen unmittelbar in den öffentlichen Verkehrsraum fallen, weil kein Vorgarten und kein separater Fußgängerweg vorhanden sind. Zum anderen ist die Durchführung eigener Schutzmaßnahmen in solchen Fällen im örtlichen Umfeld der Beklagten ortsüblich. Dies folgt aus der glaubhaften Aussage des Zeugen S. So hat der Zeuge geschildert, eine geeignete Stange zum Herunterziehen von Eis gebaut zu haben, die auch in der Nachbarschaft verborgt und dann allgemein eingesetzt wird. Auch die anderen Zeugen haben bekundet, dass es in der Ortslage L1. durchaus üblich ist, dass Hauseigentümer, auch die Beklagten, ihr Haus von überhängendem oder sonst gefährlichem Schnee und Eis befreien, wenn dies die Wetterlage erforderlich macht.

2.) Die Beklagten haben diese besonderen Schutzpflichten nicht bzw. nicht ausreichend erfüllt. Auch dies steht nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Sentas fest.

a) Dies Zeugin W hat zwar ausgesagt, dass ihr Sohn am Tag vor dem Unfall gegen Abend das Eis vom Dach „runtergemacht“ habe. Das Eis sei locker gewesen und es sei „alles“, also Eisplatten und nicht nur Eiszapfen, abgefallen. Der Sohn habe das aus einem Fenster heraus mit einer Stange gemacht. Der Zeuge S hat bekundet, dass der Beklagte zu 2) zwar gewöhnlich Eis mit einer Stange entfernt, wenn es überhängt sowie möglich bzw. nötig ist. Er konnte aber nicht sagen, ob der Beklagte zu 2) dies auch am 25.03.2006 gemacht habe. Die Zeugin D hat lediglich bekundet, dass das Eis vor dem Unfall etwa 30 bis 40 cm über das Dach hinaus geragt habe. Zu einem Abschlagen durch den Beklagten hat sie nichts ausgesagt. Der Zeuge H hat bekundet, dass er am 24.03.2006 gegen 17 Uhr gesehen habe, wie der Beklagte zu 2) auf dem Dach seines Hauses stand und Schnee herunter geschaufelt habe; er habe aber nur zugeschaut, bis es etwa die vorderen zwei bis drei Meter des Daches zur Dachrinne schneefrei gewesen seien. Ansonsten sei es üblicherweise der Ehemann der Zeugin W gewesen, der alle zwei Tage mit einer Stange aus dem Fenster Eis abgeschlagen hätte. Der Zeuge K wiederum hat bekundet, dass der Ehemann der Zeugin W „in der Zeit vor dem Unfall“, etwas zeitlich Genaueres konnte er nicht sagen, versucht habe, aus dem Fenster mit einer Stange Eis vom Dach abzuschlagen. Ein oder zwei Tage vor dem Unfall, vermutlich am Wochenende gegen 15.30 oder 16.00 Uhr, habe der Beklagte zu 2) Schnee mit einer Schaufel vom Dach geräumt, wobei der Zeuge K nicht sagen konnte, welchen Umfang diese Räumung gehabt habe.

Die Zeugin G hat bekundet, dass sie am Tage vor dem Unfall nachmittags noch Eis vom Dach des Hauses der Beklagten etwa 30 cm habe überhängen sehen. Auf ihrem Rückweg spät abends habe sie wegen der Dunkelheit nichts mehr sehen können; es habe allerdings auch kein Schnee und Eis auf der Straße gelegen. Der Zeuge R hat bekundet, er habe am 25.03.2006 abends gesehen, wie Schnee und Eis vom Dach der Beklagten übergehangen habe und herunterzufallen drohte. Er wollte aber nicht ausschließen, dass vorher bereits schon einmal das Dach beräumt worden war und lediglich Schnee und Eis nachgerutscht sei.

b) Das Ergebnis der Beweisaufnahme geht zulasten der Beklagten. Grundsätzlich hat zwar der Geschädigte die Beweislast in Bezug auf Rechtsgutsverletzung, Verschulden, Schaden und Ursächlichkeit. Der Schädiger, hier also die Beklagten, haben die Beweislast jedoch in Bezug auf den Ausschluss der Widerrechtlichkeit (Palandt/Sprau § 823 BGB Rn. 80). Obliegt danach die Beweislast in Hinblick auf die ordnungsgemäße Erfüllung der Schutzpflichten den Beklagten, so haben sie diesen Beweis nach der vor dem Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme nicht erbringen können. Denn entweder ist davon auszugehen, dass die Aussagen der Zeugen W und S bereits widersprüchlich sind, oder aber es muss angenommen werden, dass sich die Aussagen der Zeugen W und S sowie K zur Beräumung des Daches sowie die Aussagen der Zeugen R und G dazu, dass das Dach vor dem Unfall nicht beräumt war, sondern noch Schneeplatten herunterhingen, unvereinbar gegenüberstehen, so dass die non-liquet Situation zulasten der Beklagten geht. Danach haben die Beklagten die Erfüllung der ihnen obliegenden Verkehrssicherungspflicht, jedenfalls am Sonnabend (25.03.2006) und am Unfalltag (26.03.2006) das Dach zu beräumen bzw. Eisplatten so abzuschlagen, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht, nicht beweisen können. Die Pflicht haben die Beklagten, wie sich aus der Aussage des Zeugen R ergibt, auch deshalb nicht erfüllt, weil sie am Unfalltag, am Sonntag dem 26.03.2006 zumindest vormittags gar nicht zu Hause waren und trotz der prekären Wetterlage keine Schutzvorkehrungen z. B. auch gegen nachrutschenden Schnee bzw. nachrutschendes Eis getroffen haben.

3.) Ein mitwirkendes Mitverschulden braucht sich die Klägerin nicht entgegen zu halten lassen. Es handelt sich um ein Unfallereignis, bei dem herabfallender Schnee bzw. herabfallendes Eis das Fahrzeug der Klägerin im Fahren getroffen hat. Die Straße, an der das Hausanwesen der Beklagten liegt, aufgrund der Wettermeldungen oder der tags zuvor erkannten überhängenden Eisteile gänzlich zu meiden, konnte von der Klägerin nicht verlangt werden. Die Straße war nicht gesperrt und das Fahren eines Umweges war deshalb nicht zu erwarten und nicht zumutbar. Außerdem war ein solcher Umweg nach der Aussage der Zeugin D auch gar nicht ohne weiteres möglich.

4.) Der ersatzfähige Schaden besteht jedoch nicht in der geltend gemachten Höhe.

a) Die Klägerin hat selbst vorgetragen, dass sie ein Ersatzfahrzeug angeschafft habe. Eine Reparatur hat also nicht stattgefunden. Die Klägerin rechnet aber auf Gutachtenbasis ab. Dies ist so nicht möglich. Vorliegend handelt es sich (unstreitig) um einen wirtschaftlichen Totalschaden, weil die Reparaturkosten mehr als 130% der Wiederbeschaffungskosten abzüglich Restwert betragen. Selbst den 30%igen Integritätszuschlag könnte die Klägerin aber nur verlangen, wenn sie tatsächlich repariert hat. Wird auf Gutachtenbasis abgerechnet, dann muss eine postengenaue Vergleichsberechnung vorgenommen werden (vgl. BGHZ 115, 364). Danach kann die Klägerin also nur den vom Sachverständigen festgestellten Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungskosten abzüglich Restwert) verlangen, weil dies wirtschaftlich vernünftiger ist als die Reparatur. In Zahlen ausgedrückt heißt das, dass die Klägerin insoweit wegen des Sachschadens nur € 7.500,00 abzüglich € 2.950,00 verlangen kann, mithin € 4.550,00.

b) Nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB kann Umsatzsteuer nur als Schadensersatz verlangt werden, wenn sie tatsächlich angefallen ist. Da die Klägerin nicht näher zu ihrem Ersatzfahrzeugkauf vorgetragen hat, ist deshalb die in den vom Sachverständigen errechneten Wiederbeschaffungskosten enthaltene Mehrwertsteuer nicht ersatzfähig. Die Differenzbesteuerung ist wie von den Beklagten vorgetragen (vgl. auch Sanden/Völtz Rn. 56) daher herauszurechnen. Abzuziehen sind vom Sachschaden demnach € 150,00.

c) Nutzungsausfall kann die Klägerin ebenfalls nicht verlangen. Sie hat einen Reparaturnachweis ebenso wenig geführt wie vorgetragen, dass sie schadensbedingt bis zur Anschaffung des Ersatzfahrzeugs ihren „alten“ Pkw nicht nutzen konnte. Wenigstens ein solcher Vortrag ist aber bei Abrechnung auf Gutachtenbasis erforderlich.

d) Unproblematisch erstattungsfähig sind die Gutachterkosten in (unstreitiger) Höhe von € 523,16 sowie die Schadenspauschale über € 20,00. Es ergibt sich daher ein ersatzfähiger Gesamtschaden von € 4.943,16.

e) Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem Gesetz (§§ 291, 288 BGB).

5.) Daher war das landgerichtliche Urteil entsprechend abzuändern. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713, 543 Abs. 2 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO. Die Rechtssache betrifft einen Einzelfall unter Berücksichtigung von besonderen örtlichen Umständen im Lichte der durchgeführten Beweisaufnahme. Auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich.

Rechtsgebiete

Schnee und Glatteis; Schadensersatzrecht

Normen

BGB § 823 I