Anrechnung der Geschäftsgebühr: Kammergericht beginnt einzulenken
Gericht
KG
Art der Entscheidung
Beschluss über sofortige Beschwerde
Datum
05. 02. 2009
Aktenzeichen
2 W 253/08
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 27. Oktober 2008 - 27 O 972/08 - abgeändert:
Die nach dem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 16. September 2008 - 27 O 972/08 - von der Antragsgegnerin an den Antragsteller zu erstattenden Kosten werden auf 735,19 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Oktober 2008 festgesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Der Gegenstandswert wird auf 697,70 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller nahm die Antragsgegnerin auf Unterlassung einer Wortberichterstattung in Anspruch. Das Landgericht Berlin gab dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 16. September 2008 statt und auferlegte der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens.
Auf das Gesuch des Antragstellers hat das Landgericht Berlin die zu erstattenden Kosten mit dem angefochtenen Beschluss auf 1.432,88 € festgesetzt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie geltend macht, dass die vorprozessual entstandene Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen sei.
II.
Das Rechtsmittel der Antragsgegnerin ist als sofortige Beschwerde zulässig. In der Sache hat es auch Erfolg, denn die von dem Antragsteller geltend gemachte Verfahrensgebühr nach Nummer 3100 VV RVG war anteilig um die Geschäftsgebühr nach Nummer 2300 VV RVG zu kürzen.
Die Geschäftsgebühr war auf die Verfahrensgebühr anteilig anzurechnen. Die Frage, wie die Anrechnungsvorschrift in Anlage 1, Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG (im Folgenden: Vorbemerkung 3 Abs. 4 W RVG) in der Praxis im Einzelnen zu handhaben ist, war in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 - (NJW 2008, 1323) zu den Streitfragen umfassend Stellung genommen. Danach ist die Vorschrift Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG so zu verstehen, dass eine entstandene Geschäftsgebühr unter der Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand handelt, teilweise auf die spätere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist. Durch diese Anrechnung verringert sich die erst später nach Nummer 3100 VV RVG angefallene Verfahrensgebühr, während die zuvor bereits entstandene Geschäftsgebühr von der Anrechnung unangetastet bleibt. Dieses folgt unmittelbar aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Anrechnungsvorschrift. Dabei ist es gleichgültig, ob die vom Prozessgegner ggf. auf materiellrechtlicher Grundlage zu erstattende Geschäftsgebühr unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist. Insbesondere ist die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG unmittelbar im Kostenfestsetzungsverfahren zu beachten und anzuwenden.
Dieser Rechtsauffassung hat sich der Senat in Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung angeschlossen und nimmt für die weitere Begründung dieser Rechtsauffassung auf den zitierten Beschluss des Bundesgerichtshofes Bezug. Inzwischen haben sich dieser Rechtsauffassung der 3. Zivilsenat (Beschluss vom 30.4.2008 - III ZB 8/08 - MDR 2008, 886), der 6. Zivilsenat (Beschluss vom 3.6.2008 - VI ZB 55/07), der 4. Zivilsenat (Beschluss vom 16.7.2008 - IV ZB 24/07) und nun auch der 1. Zivilsenat (Beschluss vom 2.10.2008 - I ZB 30/08) des Bundesgerichtshofes angeschlossen. Der 8. Zivilsenat hat seine Auffassung in einem weiteren Beschluss (3.6.2008 - VIII ZB 3/08) bekräftigt. Maßgebend ist dabei, dass § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO, auf den allein abzustellen ist, für eine Kostenerstattung an die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts und darüber unmittelbar an die Anrechnungsbestimmung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nummer 3100 VV RVG anknüpft, sodass diese Bestimmung auch unmittelbar im Kostenfestsetzungsverfahren zu beachten ist. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der unmissverständlichen Formulierungen des Gesetzes vermochte sich der Senat auch nicht der abweichenden Auffassung des 1. Zivilsenat des Kammergerichts (Beschluss vom 31.3.2008 - 1 W 111/08 - AGS 2008, 216) anzuschließen. In Anbetracht der insoweit eindeutigen Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes erscheint es auch nicht mehr erforderlich, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in derartigen Fällen die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Die mit Schreiben vom 8. September 2008 durch die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers erfolgte Abmahnung der Antragsgegnerin hat nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragsgegnerin eine Geschäftsgebühr gemäß Nummer 2300 VV RVG ausgelöst. Diese ist wegen desselben Gegenstandes im Sinne der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG entstanden. Dies ist dann der Fall, wenn zwischen den Gegenständen der anwaltlichen Tätigkeit ein innerer und äußerer Zusammenhang besteht (Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 18. Auflage, VV 2300, 2301, Rn. 40). Folgt auf die Abmahnung ein Verfügungsverfahren, so stellt dieses bei ungezwungener und natürlicher Betrachtungsweise denselben Gegenstand im Sinne dieser Vorschrift dar (OLG München, WRP 1982, 542, zu § 118 Abs. 2 BRAGO). Zwar hat die Abmahnung zum einen die Funktion, eine Streitbeilegung in der Hauptsache ohne Inanspruchnahme der Gerichte zu erreichen. Sie soll aber zugleich die Möglichkeit ausschließen, dass der Gegner ohne vorherige Abmahnung die Möglichkeit hat, den gerichtlich geltend gemachten Anspruch mit der Kostenfolge aus § 93 ZPO anzuerkennen (BGH, Beschluss vom 6.12.2007 - I ZB 16/07- NJW 2008, 2040). Insoweit bereitet die Abmahnung zumindest auch ein mögliches einstweiliges Verfügungsverfahren vor. Es ist grundsätzlich gleichgültig, welcher Art das gerichtliche Verfahren ist, das sich der Abmahnung anschließt (Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 18. Auflage, VV 2300, 2301, Rn. 41). Die durch das Abmahnschreiben ausgelöste Gebühr ist daher auf das nachfolgende Verfahren (Verfügungsverfahren oder Hauptverfahren) anzurechnen. Nach dem Grundgedanken der Anrechnungsvorschrift ist dafür entscheidend, dass die vom Rechtsanwalt geleistete Vorarbeit im anschließenden Gerichtsverfahren verwertet wird (BGH, Beschluss vom 22.01.2008 - VIII ZB 57/07 - Rn. 11 des juris-Ausdruckes, NJW 2008, 1323). Dies trifft auch auf das Verfügungsverfahren zu (OLG Hamburg, WRP 1981, 470, 472, zu § 118 Abs. 2 BRAGO).
Zwar hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts (Urteil vom 13.6.2006 - 9 U 251/05 - AfP 2006, 369) die Auffassung vertreten, dass das Abmahnschreiben und ein späteres Abschlussschreiben eine einheitliche Angelegenheit darstellen, für die der Rechtsanwalt nur eine Geschäftsgebühr geltend machen kann, die auf die Gebühren des Hauptsacheverfahrens zu verrechnen seien. Dies hat das Landgericht Hamburg, das in einem vergleichbaren Fall zwei verschiedene Angelegenheiten angenommen und die Abmahnung dem einstweiligen Verfügungsverfahren zugeordnet hat (Urteil vom 18.5.2007 - 324 S 6/06 - dokumentiert bei juris), veranlasst, die Revision zuzulassen. In seiner Revisionsentscheidung hat der Bundesgerichtshof (Urteil vom 4. März 2008 - VI ZR 176/07 - NJW 2008, 1744) das Landgericht Hamburg in seiner Auffassung bestätigt und ausgeführt, dass nach allgemeiner Auffassung das Abschlussschreiben zum Hauptsacheverfahren gehört und sich im Verhältnis zum Eilverfahren, dem die Abmahnung zuzuordnen ist, als eigenständige Angelegenheit darstellt. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat keine Veranlassung, wegen der hier erfolgten Zuordnung der Abmahnung zum einstweiligen Verfügungsverfahren die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Unter Anwendung der dargelegten Grundsätze war die unstreitig entstandene Geschäftsgebühr mit einem Satz von 0,65 auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Zwar haben die Parteien sich zu der Höhe der entstandenen Gebühr im Kostenfestsetzungsverfahren nicht ausdrücklich geäußert. Die Antragsgegnerin hat sich darauf beschränkt vorzutragen, dass die angefallene Geschäftsgebühr mit einem Satz von 0,65 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen sei. Der Senat geht davon aus, dass für das als Anlage Ast 3 und 4 in Fotokopie eingereichte Schreiben zumindest eine Geschäftsgebühr in Höhe von 1,3 angefallen ist, was dem Gebührenrahmen der Nummer 2300 W RVG (Regelgebühr, vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 - Tz. 12; NJW 2008, 1323; BPatG, RVGreport 2008, 230) und in Pressesachen der unteren Grenze des Üblichen entspricht. Demnach war von dem bereits festgesetzten Betrag in Höhe von 1.432,88 € die Hälfte der Geschäftsgebühr in Höhe von 697,70 € (0,65 x 902,00 € = 586,30 € zuzüglich 19% Mehrwertsteuer von 111,40 €) abzusetzen, so dass sich der neue Festsetzungsbetrag mit 735,19 € ergab.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Steinecke
Richter am Kammergericht
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