Elterliche Aufsichtspflicht

Gericht

OLG Hamm


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

13. 01. 1995


Aktenzeichen

30 U 194/94


Tatbestand


Tatbestand:

Die Kl., eine Gebäudevers., macht gegen den Bekl. einen Schadenersatzanspruch aus übergegangenem Recht wegen Verletzung der Aufsichtspflicht geltend.

Am 5.8.92 gegen 10.15 Uhr entstand in der von dem Bekl. gemieteten Dachgeschoßwohnung in N. ein Brand. Dieser Brand wurde von dem damals vierjährigen Sohn des Bekl. dadurch verursacht, daß er im Bereich der Loggia mit einer von ihm angezündeten Kerze gespielt hat. Die Kerze hatte das Kind mit Hilfe eines aus der Hosentasche des Bekl. entnommenen Feuerzeuges angezündet. Der Bekl., der das Kind gemeinsam mit seiner mit ihm zusammenlebenden Ehefrau erzieht, schlief zu diesem Zeitpunkt im Schlafzimmer. Seine Ehefrau war zur Arbeit gegangen. Die Hose, in der sich das Feuerzeug befand, hatte er in seiner Nähe offen im Schlafzimmer liegen gelassen.

Das Feuerzeug hatte der Bekl. bewußt in seiner Hosentasche belassen, weil er bis zu diesem Zeitpunkt davon ausging, daß sein Kind so nicht in Besitz des Feuerzeuges kommen würde.

Durch den Brand wurde ein Teil des Gebäudes beschädigt. Zum Zwecke der Regulierung des Schadens hat die Kl. insgesamt 40.316 DM an die Geschädigten gezahlt. Hierzu war sie gegenüber ihren VersNehmern vertraglich verpflichtet.

Das LG hat die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe


Aus den Entscheidungsgründen:

... Die Berufung hat Erfolg. Der Bekl. schuldet der Kl. Ersatz des der Höhe nach unstreitigen Brandschadens von 28.221,20 DM. Seine Verpflichtung ergibt sich sowohl aus sog. positiver Vertragsverletzung in bezug auf seinen Mietvertrag mit der VersNehmerin W. als auch aus § 832 Abs. 1 BGB, jeweils i.V.m. § 67 VVG.

Der Bekl. (ist und) war gem. §§ 1626 ff. BGB zur Aufsicht über seinen zur fraglichen Zeit vierjährigen Sohn M. verpflichtet. Dieser hat den Schaden widerrechtlich verursacht. Damit sind die Voraussetzungen nicht nur des Anspruchs nach § 832 Abs. 1 S. 1 BGB, sondern auch eines Anspruchs aus Verletzung der mietvertraglichen Obhutspflicht des Bekl. erfüllt. Daß er seiner Aufsichtspflicht genügt hat oder der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde - in diesem Fall wäre der Bekl. gem. § 832 Abs. 1 S. 2 BGB von der Haftung aus unerlaubter Handlung frei und, da sein Verhalten dann rechtmäßig und damit vertragsgerecht (bzw. nicht schadenursächlich) gewesen wäre, entfiele gem. § 548 BGB (bzw. nach allgemeinen schadenrechtlichen Grundsätzen) auch eine vertragliche Haftung -, vermag der Senat im Gegensatz zum LG nicht festzustellen.

Der Umfang der Aufsichtspflicht bestimmt sich, wovon das LG zutreffend ausgeht, nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie Vorhersehbarkeit seines Tuns, ferner danach, was dem Aufsichtspflichtigen zumutbar ist bzw. was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall tun müßten (vgl. Palandt/Thomas, BGB, 54. Aufl., § 832 Rdnr. 8; MünchKomm-Mertens, 2. Aufl., § 832 Rdnr. 25; je m.w.N.). Speziell bei Brandschäden legt die Rspr. insoweit strenge Maßstäbe an, sowohl hinsichtlich der Pflicht zur vorbeugenden Belehrung über die Gefährlichkeit des Feuers, als auch hinsichtlich der Überwachungspflicht. Da eine lückenlose Überwachung praktisch kaum möglich ist, sind Streichhölzer und Feuerzeuge vor kleinen Kindern sicher zu verwahren (vgl. etwa BGH NJW 83, 2821; OLG Düsseldorf VersR 92, 310 und 82, 89; MünchKomm aaO Rdnr. 25).

Vorliegend ist nach dem vorgetragenen Sachverhalt und in Ermangelung anderer Erkenntnisse davon auszugehen, daß M. normal entwickelt war, also der bei einem vierjährigen Kind normalerweise erforderlichen Aufsicht bedurfte. Nach den Angaben des Bekl. und der Zeugen ist auch anzunehmen, daß der Bekl. es an der nötigen erzieherischen Einwirkung auf das Kind nicht hat fehlen lassen. Offenbar ungenügend war aber die Überwachung, die bei einem Kind dieses Alters noch in hohem Maße angebracht ist.

Legt man den bis zum Senatstermin unstreitig gewesenen Sachverhalt zugrunde, dann war der Junge an jenem Vormittag - weil die Mutter zur Arbeit war und der Bekl. nach der nächtlichen Tätigkeit als Wirt schlief - seit Stunden sich selbst überlassen, als er gegen 10.15 Uhr den Brand verursachte. Er war also nicht nur nicht gut, sondern im Grunde überhaupt nicht beaufsichtigt. Diesen Mangel hätte der Bekl. durch eine besonders sichere Verwahrung des Feuerzeugs ausgleichen müssen, die es dem Zugriff des Jungen zuverlässig entzog. Beließ er es in der Hosentasche, also an der gewöhnlichen und dem Kinde nicht unzugänglichen Stelle, dann war der Mißbrauch möglich und vom Bekl. in Betracht zu ziehen. Erzieherische Maßnahmen allein feien ein kleines Kind nicht zuverlässig gegen die verbotene Handlung, sondern können es auch neugierig machen und zur Übertretung reizen.

Folgt man der jetzigen Behauptung des Bekl., er habe bereits wach im Bett gelegen und ferngesehen, ist das Ergebnis nicht anders. Wenn ihm in diesem Fall das Tun des Kindes verborgen geblieben ist, kann er nicht richtig aufgepaßt haben.

Der Senat betont, daß er in beiden Fällen das Verschulden des Bekl. nicht für schwer hält. Er meint aber, daß es zur Bejahung seiner Haftung ausreicht. Stattdessen das Schadenopfer leer ausgehen zu lassen, wäre nicht zuletzt deshalb unbilliger, weil der Bekl. sich gegen die Folgen seiner Versäumnisse durch eine Haftpflichtvers. schützen konnte, was er ja offensichtlich auch getan hat.

Rechtsgebiete

Garten- und Nachbarrecht; Haftungsrecht; Zivilrecht, Sonstiges

Normen

BGB § 832