Aufsichtspflicht von Eltern auf einem Spielplatz

Gericht

LG Bochum, 65 C 305/05


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

29. 01. 2008


Aktenzeichen

9 S 80/07


Leitsatz des Gerichts

Eltern genügen grundsätzlich ihrer Aufsichtspflicht, wenn sie ihr 5-jähriges Kind auf einem Spielplatz über einen Zeitraum von bis zu einer Stunde, verbunden mit der Belehrung, diesen nicht zu verlassen, unbeaufsichtigt spielen lassen, sofern das Kind nicht schon in der Vergangenheit durch üble Streiche auffällig wurde.

Tenor


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 13.03.2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bochum – Aktenzeichen 65 C 305/05 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

(abgekürzt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO)


I.

Der Kläger nimmt die Beklagten wegen Verletzung der Aufsichtspflicht über ihren Sohn Q, geboren am ... 1998, in Anspruch.

Am 09.07.2003 zerkratze Q gemeinsam mit seinem Freund X, geboren am ... 1995, insgesamt 17 auf dem Parkplatz der Häuser G-straße 21-25 in Bochum abgestellte Pkw. Unter den beschädigten Pkw befand sich u. a. auch das Fahrzeug des Klägers. Die Kosten für die Instandsetzung des klägerischen Pkw beliefen sich auf 757,05 €. Der Kläger macht weiterhin eine Wertminderung in Höhe von 100,- €, Sachverständigenkosten in Höhe von 168,20 € sowie eine Unkostenpauschale von 25,- €, insgesamt mithin 1.050,25 € geltend.

Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagten hätten die Aufsichtspflicht über ihren am Schadentag fünfjährigen Sohn verletzt. Hierzu haben sie behauptet, bereits in den Monaten vor dem Schadensereignis habe sich Q häufig über einen längeren Zeitraum bis in die Abendstunden hinein ohne Aufsicht draußen aufgehalten. Dies sei auch am Tag des Schadensereignisses der Fall gewesen. Die Beklagten hätten deshalb Anlass zu einer besonderen, insbesondere lückenlosen, Aufsicht über Q gehabt, da dieser bereits zuvor zu „üblen Streichen“ geneigt habe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldnern zu verurteilen, an ihn 1.050,25 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.08.2003 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben behauptet, Q sei altersgerecht entwickelt und ein normales, folgsames Kind. Erteilte Anweisungen habe Q vor dem hier streitgegenständlichen Ereignis immer eingehalten. Wenn er sich draußen aufgehalten habe, sei eine Aufsicht durch Erwachsene immer gewährleistet gewesen. An dem hier streitigen Tag habe die Beklagte zu 2) Q auf einem Spielplatz vor dem Wohnhaus beaufsichtigt. Als sie die Toilette habe aufsuchen müssen, habe sie Q angewiesen, den Spielplatz nicht zu verlassen. Bei ihrer Rückkehr sei Q zu ihrer Überraschung verschwunden gewesen.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es angeführt, eine Schadensersatzpflicht der Beklagten sei nicht gegeben, da diese den Entlastungsbeweis hätten führen können, ihrer Aufsichtspflicht genügt zu haben, § 832 Absatz 1 Satz 2 BGB. Bei einem fünfjährigen Kind mit normaler Entwicklung sei es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn dieses auch außerhalb der elterlichen Wohnung nur gelegentlich beaufsichtigt wird. Die Beweisaufnahme habe keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es sich bei Q nicht um ein normal entwickeltes, folgsames Kind gehandelt habe, welches einer besonderen Aufsicht bedurft habe. Die Behauptung des Klägers, Q habe zu Streichen geneigt, sei zu pauschal und damit unbeachtlich. Das einzige vom Kläger insoweit angeführte Beispiel – Aufstellen der Hauseingangstür – stelle keinen „Streich“ dar.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

Er rügt, das Amtsgericht habe sein Urteil allein auf die unmittelbare Aufsicht vor dem Schadensereignis am Schadenstage selbst gestützt. Bei der Interpretation der Aufsichtspflicht habe es die von der Rechtsprechung geforderte Pflicht zur mittelbaren Beaufsichtigung in Form der vorverlagerten Erziehung völlig unberücksichtigt gelassen. Bei Q habe es sich um ein Kleinkind „weit“ unterhalb des Schulalters gehandelt, bei dem eine besondere Pflicht zur Beaufsichtigung bestanden habe. Die Beaufsichtigung müsse in einem solchen Fall lückenlos erfolgen. Dies gelte erst Recht angesichts der Spielsituation – Spielplatz mit direktem Zugang zu einem öffentlichen Parkplatz – und der Tatsache, dass beim gemeinsamen Spiel mit Spielkameraden die Möglichkeit bestanden habe, sich gefährliche Gegenstände heimlich zu beschaffen. Das Amtsgericht habe dabei auch die Darlegungs- und Beweislast des § 832 BGB verkannt. Die Beklagten hätten den ihnen obliegenden Entlastungsbeweis nicht einmal angetreten und nicht ansatzweise dargelegt, welche Maßnahmen im einzelnen von ihnen unternommen worden seien, um ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen. Die gesetzliche Vermutung des § 832 BGB sei nicht widerlegt. Das Amtsgericht habe ferner Beweisanträge des Klägers zu seinen Lasten unberücksichtigt gelassen. So habe der Kläger behauptet, Q habe am Tattage nicht unter ständiger Aufsicht gespielt. Auch hinsichtlich des Verhaltens der Beklagten zu 2) nach dem Vorfall habe das Amtsgericht den abweichenden Sachvortrag des Klägers unberücksichtigt gelassen und die Vernehmung der hierzu benannten Polizeibeamten C und X1 fehlerhaft übergangen. Schließlich habe das Amtsgericht auch hinsichtlich des „Nachtatverhaltens“ des Q den Sachvortrag des Klägers übergangen. Aus der Tatsache, dass dieser gegenüber den Polizeibeamten die „schadensstiftenden“ Handlungen wahrheitswidrig geleugnet habe, ergebe sich, dass Q nicht altersgerecht erzogen worden sei. Soweit das Amtsgericht Beweis durch Vernehmung der Beklagten zu 2) als Partei sowie der Zeuginnen B und M erhoben habe, sei die vorgenommene Beweiswürdigung fehlerhaft. Vor allem die Aussage der Beklagten zu 2) sei offenkundig widersprüchlich. Bei zutreffender Würdigung hätte das Amtsgericht Q nicht als normal entwickeltes, folgsames Kind einordnen dürfen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Bochum vom 13.03.2007, Az. 65 C 305/05, die Beklagten als Gesamtschuldnern zu verurteilen, an ihn 1.050,25 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.08.2003 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.


II.

Die gemäß § 511 ZPO statthafte Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagten aus § 832 Absatz 1 BGB – der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage – ist nicht gegeben.

1. Allerdings sind die objektiven Voraussetzungen des § 832 Absatz 1 BGB erfüllt. Der Sohn der Beklagten hat rechtswidrig eine unerlaubte Handlung i. S. des § 823 BGB begangen, indem er das Fahrzeug des Klägers zerkratzt hat. Die mangelnde Deliktsfähigkeit des Q (vgl. § 828 Absatz 1 BGB) ist insoweit ohne Bedeutung (Palandt, Rn. 10 zu § 832 BGB).

2. Die widerrechtliche Schadensverursachung beruht jedoch nicht auf einer Aufsichtspflichtverletzung der Beklagten. Diese haben vielmehr ihrer Aufsichtspflicht im Sinne des § 832 Absatz 1 Satz 2 BGB genügt.

Insoweit enthält § 832 Absatz 1 BGB eine Beweislastumkehr zulasten des Aufsichtspflichtigen, in dem die Norm zwei Vermutungen aufstellt: Zum einen, dass der Aufsichtspflichtige seine Aufsichtspflicht schuldhaft verletzt hat, zum anderen, dass die Verletzung der Aufsichtspflicht für den entstandenen Schaden ursächlich ist. Der Aufsichtspflichtige muss also darlegen und beweisen, was er zur Erfüllung der Aufsichtspflicht unternommen hat, oder aber, dass der Schaden auch bei gehöriger Erfüllung der Aufsichtspflicht entstanden wäre.

Das Amtsgericht hat den Entlastungsbeweis dahingehend als geführt angesehen, dass die Beklagten ihrer Aufsichtspflicht genügt haben.

An diese Feststellungen ist die Kammer gebunden. Denn Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Amtsgerichts bestehen nicht.

a) Bei Kindern bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter, weiterhin nach der Voraussehbarkeit des schädigenden Verhaltens sowie danach, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation an zumutbaren Maßnahmen treffen müssen, um Schädigungen Dritter zu verhindern. Ob insoweit allgemeine Belehrungen und Verbote ausreichen, oder deren Beachtung auch ständig überwacht werden muss, hängt vornehmlich vom Erziehungsstand des Kindes ab. Der Erziehungserfolg und das Maß der anzuwendenden Aufsicht stehen in einer Wechselbeziehung: Je geringer der Erziehungserfolg, desto intensiver muss die Aufsicht und Überwachung sein (BGH NJW 1984, 2574). Eine gesteigerte Aufsichtspflicht besteht grundsätzlich in Situationen mit erhöhtem Gefahrenpotential sowie bei Kindern die zu „üblen Streichen“ oder sogar zu „Straftaten“ neigen. Andererseits ist bei normal entwickelten Kindern knapp unterhalb des Schulalters (4 bis 6 Jahre) eine ständige Beaufsichtigung selbst dann nicht erforderlich, wenn diese außerhalb der elterlichen Wohnung spielen (vgl. z. B. OLG Karlsruhe, VersR 1979, 58). Ausreichend kann hierbei die gelegentliche Beobachtung sein, wenn das Kind zuvor belehrt und das „Alleinspielen“ außer Haus geübt wurde (Palandt/Sprau, Rn. 8 und 9 zu § 832 BGB m. w. N.).

b) Auf der Basis dieser Grundsätze sowie der amtsgerichtlichen Feststellungen ist die Wertung des Amtsgerichts, die Beklagten seien ihrer Aufsichtspflicht hier in genügendem Maße nachgekommen, nicht zu beanstanden.

Dabei ist in der hier maßgeblichen konkreten Situation zunächst davon auszugehen, dass für die Beklagten eine „normale“, nicht durch gefahrerhöhende Umstände gesteigerte Aufsichtspflicht bestand.

Der Grad des Aufsichtsanlasses bestimmt maßgeblich die Erforderlichkeit und Zumutbarkeit von Aufsichtsmaßnahmen. Entscheidend für das Gewicht des Aufsichtsanlasses ist die Gefahr, die Dritten durch den Aufsichtsbedürftigen droht. Dieses wird bestimmt durch die Eigenschaften des Aufsichtsbedürftigen und die Schadensgeneigtheit des Umfeldes, in dem er sich konkret befindet (Staudinger, Neubearbeitung 2002, Rn. 58 zu § 832 BGB). Die Tatsachen, die für einen über das normale Maß erhöhten Aufsichtsanlass sprechen, muss der Verletzte darlegen und beweisen (Scheffen/Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, 2. Auflage, Rn. 244; OLG Celle, VersR 1979, 476).

Derartige Umstände hat der Kläger hier nicht bewiesen.

aa) Zutreffend kommt das Amtsgericht zu dem Ergebnis, dass es sich bei Q um ein für sein Alter normal entwickeltes Kind gehandelt habe.

Diese Wertung ergibt sich ohne weiteres unter Zugrundelegung der Aussagen der Zeuginnen M und B sowie aus der Bescheinigung des von Q besuchten Kindergartens. Die Zeugin M hat Q als ein „lebendiges Kind“ bezeichnet, welches aber nicht zu Streichen oder Unsinn neige. Nach den Angaben der – vom Kläger benannten – Zeugin B ist Q ein „normales Kind, so wie Jungen eben sind“. Diese Angaben werden durch die Bescheinigung des Katholischen Kindergartens T vom 15.05.2006 gestützt, den Q von 2001 bis 2004 besucht hat. Danach soll es sich bei Q um ein „ruhiges und unauffälliges Kind“ gehandelt haben. Soweit der Kläger gegen die Aussagekraft der Bescheinigung des Katholischen Kindergartens T einwendet, diese sei gering, weil unter dem „Zwang“ einer solchen Einrichtung „gefährliche Unarten“ eines Kindes nur selten hervortreten, mag dies für sich genommen zutreffend sein. Das Amtsgericht hat seine Auffassung jedoch unter zusammenfassender Würdigung der Bescheinigung und der Zeugenaussagen gewonnen. Die Bescheinigung ist damit nur „ein Baustein“ in einer Gesamtbetrachtung. Die Kammer hält die Wertung des Amtsgerichts für richtig; sie schließt sich ihr ausdrücklich an.

Soweit der Kläger zum Erziehungsstand Q behauptet hat, dieser sei kein folgsames Kind, er habe vielmehr häufig Streiche getrieben, war eine Beweiserhebung entbehrlich. Denn der Kläger hat für seine Behauptung keine geeigneten Beweismittel benannt. Das einzige vom Kläger hierzu angeführte Beispiel – „Offenstellen“ der Haustür im Sinne der Blockade des Schließmechanismus – ist auch nach Auffassung der Kammer zur Begründung einer schädlichen Neigung Q ungeeignet. Bei dieser Verhaltensweise handelt es sich nicht um einen „üblen Streich“, sondern um ein nachvollziehbares kindliches Verhalten. Auch wenn dieses Verhalten nach der Hausordnung verboten sein mag, führt es nicht zu einer spürbaren Schädigung anderer Personen. Vielmehr dient es zunächst einmal ausschließlich der Erleichterung des Zugangs zum elterlichen Haus. Auch der Umstand, dass Q in der Vergangenheit derartige Handlungen der Wahrheit zuwider abgestritten haben soll, führt zu keiner anderen Bewertung. Selbst Kinder ohne Erziehungsdefizite neigen ohne weiteres dazu, die Verwirklichung verbotenen Verhaltens abzustreiten, wenn sie von Dritten zur Rede gestellt werden. Es kann deshalb im Ergebnis als Wahr unterstellt werden, dass Q in der Vergangenheit häufiger die Haustür „offengestellt“ hat, obwohl dies nach der Hausordnung verboten war.

Aus dem gleichen Grund ist auch die Behauptung des Klägers, Q habe bei seiner Befragung durch den ermittelnden Polizeibeamten – POM C – die Tatbeteiligung zunächst geleugnet, unbeachtlich. Das gegenüber einem Polizeibeamten erfolgte Leugnen der Tatbeteiligung kann erst recht als für ein fünfjähriges Kind typisches Verhalten gewertet werden. Es ist absolut nachvollziehbar, dass Q die „Tat“ in der ungewohnten Situation angesichts der Befragung durch einen Polizeibeamten zunächst abgestritten hat. Auch aus diesem Verhalten lassen sich jedenfalls keine negativen Rückschlüsse auf den Erziehungsstand des Jungen schließen. Die diesbezügliche Behauptung des Klägers kann deshalb ebenfalls als wahr unterstellt werden.

Soweit der Kläger schließlich aus den streitgegenständlichen Handlungen selbst Rückschlüsse auf den Erziehungsstand Q und bei ihm vorliegende schädliche Neigungen ziehen will, greift diese Argumentation nach Auffassung der Kammer nicht durch. Denn bei der Bewertung des Aufsichtsanlasses bleiben „Exzesse“ des Aufsichtsbedürftigen außer Betracht, sofern der Aufsichtspflichtige damit wegen ihrer Außergewöhnlichkeit unter keinen Umständen hätte rechnen müssen (Staudinger, a. a. O., Rn. 66 zu § 832 BGB). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Aufsichtsbedürftige bereits zuvor durch ähnliche Verhaltensweisen in Erscheinung getreten ist. So hat beispielsweise das OLG Oldenburg im Falle eines Kindes, das schon durch „kokeln“ aufgefallen war, aus dem anschließenden Inbrandsetzen eines Spielkameraden Rückschlüsse auf eine unzureichende Belehrung dahingehend gezogen, welche Auswirkungen Feuer beim Menschen anrichten kann (OLG Oldenburg, FamRZ 1994, 833, insbesondere 834 rechte Spalte). Im vorliegenden Fall mussten die Beklagten dagegen mit einem Exzess dieses Ausmaßes nicht rechnen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass Q bereits in der Vergangenheit durch die mutwillige Beschädigung fremden Eigentums aufgefallen war. Angesichts der dargestellten Beweislastverteilung wäre es Sache des Klägers gewesen, derartige individuelle gefahrsteigernde Eigenarten des Aufsichtsbedürftigen darzulegen und ggf. zu beweisen.

bb) Ein besonderer Aufsichtsanlass ergab sich vorliegend auch nicht aus der konkreten Ausgestaltung des Umfeldes, in dem sich Q vor dem Schadensereignis aufgehalten hat. Bei einem Spielplatz handelt es sich nicht um ein besonders schadensgeneigtes Umfeld. Dieser weist – im Gegensatz etwa zum Spielen auf einem Bürgersteig an einer verkehrsreichen Straße oder auf einer Baustelle – keine über das normale Maß hinausgehenden Gefahrenquellen auf. Die Tatsache, dass der Spielplatz an einen Parkplatz angrenzt, führt zu keiner anderen Bewertung. Würde allein das Vorhandensein einer Gefahrenquelle in der Nähe des Spielplatzes den Spielplatz selbst zu einem „gefährlichen Ort“ machen, wäre jedenfalls im städtischen Raum das „allein spielen lassen“ von Kindern auf Spielplätzen quasi unmöglich, weil dort nahezu jeder Spielplatz in mehr oder weniger großer Entfernung an „gefährliche Orte“ – Parkplätze, Straßen, etc. – angrenzt. Es gäbe dann in der Stadt praktisch keine Möglichkeit mehr, Kindern „Freiräume“ zur Entwicklung zu bieten, wenn dies nicht einmal auf einem Spielplatz der Fall sein soll.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist ein Spielplatz auch nicht deshalb grundsätzlich ein gefährlicher Ort, weil dort regelmäßig mehrere Kinder anzutreffen sind. Dass die Gefahr derartig gravierender Sachbeschädigungen zunimmt, wenn mehrere Kinder gemeinsam spielen, ist nicht ersichtlich. Das Maß an „sozialer Kontrolle“ durch Dritte ist auf einem Spielplatz tendenziell sogar eher höher zu bewerten, weil sich dort häufig eine gewisse Anzahl von Eltern aufzuhalten pflegt.

cc) Ausgehend von dem bestehenden Aufsichtsanlass hat die Beklagte zu 2) in der fraglichen Situation – am Nachmittag des 09.07.2003 – ihrer Aufsichtspflicht in ausreichendem Maße genügt.

Dabei ist nach den amtsgerichtlichen Feststellungen zu unterstellen, dass Q am fraglichen Tag zunächst von der Beklagten zu 2) auf den Spielplatz begleitet wurde und diese den Spielplatz dann verlassen hat, um in ihrer Wohnung die Toilette aufzusuchen. Vor dem Toilettengang hat die Beklagte zu 2) Q angewiesen, den fraglichen Spielplatz nicht zu verlassen. Diese Feststellungen sind für die Kammer ebenfalls bindend, weil auch insoweit keine begründeten Zweifel an der Richtigkeit bestehen. Die Beklagte zu 2) hat im Rahmen ihrer Parteivernehmung das Geschehen am fraglichen Nachmittag nachvollziehbar geschildert. Einer Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen N, Frau und Herr X1 sowie POM X zu der Behauptung, Q habe nicht nur „fünf Minuten“ unbeaufsichtigt gespielt, bedurfte es nicht. Schon aus den eigenen Angaben der Beklagten zu 2) ergibt sich, dass Q „nicht nur 5 Minuten“, sondern mindestens über einen Zeitraum von 40 Minuten unbeaufsichtigt war. Dies lässt sich ohne weiteres mit den Feststellungen der Polizei in Einklang bringen, die als Tatzeit den Zeitraum von 13.25 Uhr bis 14.15 Uhr angegeben hat. Die diesbezügliche Behauptung des Klägers konnte damit ebenfalls als wahr unterstellt werden.

Unter Berücksichtigung des oben dargestellten Entwicklungsstandes Q sowie der weiteren gefahrbestimmenden Umstände der hier fraglichen Situation ist das unbeaufsichtigte „spielen lassen“ auf einem Spielplatz über einen Zeitraum von bis zu einer Stunde in Verbindung mit der Belehrung, den Spielplatz nicht zu verlassen, unter dem Gesichtspunkt der Aufsichtspflicht nicht zu beanstanden.

Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich bei einem fünfjährigen Kind nicht um „ein Kleinkind weit unterhalb des Schulalters“, bei dem eine Pflicht zur lückenlosen Beaufsichtigung bestanden habe. Die Einschulung von Kindern erfolgt heute überwiegend bereits im Alter von fünf Jahren. Viele Kinder in diesem Alter müssen deshalb beispielsweise den Schulweg alleine zurücklegen. Das zeitweise „allein spielen lassen“ außer Haus – auch über längere Zeiträume – ist deshalb zur Erlangung einer gewissen Selbstständigkeit nicht nur nicht zu beanstanden, sondern geradezu wünschenswert. Sinn und Zweck der Kindeserziehung ist es vor allem, das Kind möglichst bald zur Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zu führen. Dazu bedarf es eines Freiraumes, ohne den die dementsprechende Persönlichkeitsentwicklung unmöglich ist. Ein solcher Freiraum bringt es zwangsläufig mit sich, dass ein sofortiges Eingreifen des Aufsichtspflichtigen nicht zu jedem Zeitpunkt möglich sein kann und muss. Eine Verpflichtung zur besonderen – lückenlosen – Beaufsichtigung besteht deshalb nach allgemeiner Auffassung bei Kindern im Alter von 5 bis 6 Jahren nicht mehr (Staudinger, a. a. O., Rn. 61 zu § 832 BGB mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Dies gilt jedenfalls, wenn das Kind – wie vorliegend – zuvor nicht durch Verhaltensweisen aufgefallen ist, die eine Schädigung anderer als wahrscheinlich vermuten lässt. Bei der hier gegebenen Spielsituation auf einem Spielplatz hält die Kammer im Ergebnis eine stichprobenartige Überwachung bereits bei einem fünfjährigen Kind für ausreichend (vgl. auch OLG Karlsruhe, a. a. O.). Aus diesem Grunde ist es insbesondere unerheblich, ob die Beklagte zu 2) sich nach dem Toilettengang sofort, oder erst – wie der Kläger behauptet – nach dem „Besuch“ der Polizeibeamten auf die Suche nach Q begeben hat. Sieht man nämlich eine stichprobenartige Überwachung Q als ausreichend an, war die Beklagte zu 2) ohne weitere Hinweise nicht gehalten, Q nach dem Toilettengang unverzüglich wieder zu überwachen. Eine Beweiserhebung durch das Amtsgericht zu diesem Punkt war deshalb entbehrlich; auch diese Behauptung des Klägers kann als wahr unterstellt werden.

Aus dem vom Kläger behaupteten Umstand, Q habe sich vor dem hier fraglichen Tag bereits häufig – teilweise auch ganze Tage – allein draußen aufgehalten, lassen sich dagegen keine negativen Rückschlüsse auf die Erfüllung der Aufsichtspflicht durch die Beklagte zu 2) am Nachmittag des 09.03.2003 ziehen. Für die Führung des Entlastungsbeweises ist entscheidend, was der Aufsichtspflichtige in der konkreten Situation zur Beaufsichtigung unternommen hat. Allerdings spricht die im allgemeinen verständige Aufsicht indiziell für die Erfüllung der konkret wesentlichen Aufsicht (Scheffen/Pardey, a. a. O., Rn. 243). Umgekehrt spielt es dagegen nach Auffassung der Kammer für die Erfüllung der Aufsichtspflicht in einer bestimmten Situation keine Rolle, dass der Aufsichtsbedürftige möglicherweise zuvor nicht immer ausreichend beaufsichtigt wurde, soweit es früher zu keinen Schadensfällen gekommen ist. Im Übrigen spricht der vom Kläger behauptete Umstand nach Auffassung der Kammer eher dafür, dass eine lückenlose Beaufsichtigung Q gerade nicht notwendig war. Konnte Q nämlich bereits ganze Tage unbeaufsichtigt im Außenbereich spielen, ohne dass es zu Schadensfällen kam, zeugt dies bereits von einem erheblichen Maß an Selbständigkeit, bei dem eine stichprobenartige Überwachung des kindlichen Verhaltens ohne weiteres als ausreichend angesehen werden kann.

Schließlich war eine besondere Belehrung Q durch die Beklagten dahingehend, nicht mit Glasscherben oder anderen Gegenständen fremde Pkw zu beschädigen, nicht erforderlich. Zwar ist eine Glasscherbe ohne weiteres ein gefährlicher Gegenstand, mit dem nicht nur Sachbeschädigungen, sondern insbesondere auch schwerwiegende Verletzungen hervorgerufen werden können. Es versteht sich allerdings auch für Kinder im Vorschulalter von selbst, dass damit keine fremden Pkw beschädigt werden dürfen. Einer besonderen Belehrung Q hätte es insoweit allenfalls dann bedurft, wenn die Beklagten Grund zu der Annahme gehabt hätten, dass ein schadensstiftendes Ereignis bevorsteht. Dies war hier indes – wie bereits ausgeführt – nicht der Fall.

Eine Haftung der Beklagten gemäß § 832 Absatz 1 Satz 1 BGB scheidet damit aus, weil sich die Beklagten gemäß § 832 Absatz 1 Satz 2 BGB entlastet haben.


III.

Die Kostenentscheidung findet ihre gesetzliche Grundlage in § 97 Absatz 1 ZPO.


IV.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11 analog, 711 ZPO.


V.

Die Kammer hat die Revision zugelassen, weil es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites auf die Rechtsfrage ankommt, welche Anforderungen an die Aufsicht über ein fünfjähriges Kind zu stellen sind und der Rechtsstreit damit grundsätzliche Bedeutung hat, § 543 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO.

Vorinstanzen

AG Bocum

Rechtsgebiete

Garten- und Nachbarrecht

Normen

BGB § 823 I