Vermutung für wettbewerbsrechtliche Passivlegitimation von Vorständen und Geschäftsführern
Gericht
OLG Köln
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
24. 08. 2007
Aktenzeichen
6 U 92/07
Tenor:
Die Berufung der Antragsgegner gegen das am 27.04.2007 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln – 81 O 55/07 – wird zurückgewiesen. Klarstellend wird das Urteil wie folgt neu gefasst:
Die einstweilige Verfügung der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 22.01.2007 – 31 O 47/07 – wird bestätigt, soweit die Antragsgegner es zu unterlassen haben,
im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Lotteriedienstleistungen mit der Aussage „Online LOTTO für 12 Wochen Euro 19,99“ unter gleichzeitiger Einblendung eines mit zwölf Feldern versehenen und vollständig ausgefüllten Lottoscheins zu bewerben und/oder bewerben lassen,
wie nachstehend wiedergegeben:
pp.
Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens tragen die Antragstellerin zu ¼ und die Antragsgegner zu ¾. Die Kosten des Verfahrens im Übrigen tragen die Antragstellerin zu ¾ und die Antragsgegner zu ¼.
GRÜNDE
Die Berufung ist zulässig. Nachdem die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihren auf das Verbot zu Ziffer 1 b) der einstweiligen Verfügung vom 22.01.2007 gerichteten Unterlassungsantrag insgesamt und das mit dem Antrag zu 1 a ) verfolgte Begehren teilweise, nämlich hinsichtlich der Handlungsalternativen des Vertriebs (bzw. vertreiben zu lassen), zurückgenommen hat, stellt sich das Rechtsmittel der Antragsgegner in der Sache im noch zu entscheidenden Umfang als unbegründet dar. Die mit dem angefochtenen Urteil erfolgte Bestätigung der einstweiligen Verfügung ist zu Recht und mit zutreffender Begründung erfolgt, soweit die Antragsgegner nach Maßgabe des Tenors dieses Urteils zur Unterlassung des Bewerbens (bzw. bewerben zu lassen) von Lotteriedienstleistungen verpflichtet worden sind.
1.
Der Einwand mangelnder Vollziehung der einstweiligen Verfügung i.S. der §§ 929, 922 Abs. 2, 936 i.V. mit § 172 ZPO ist unbegründet.
Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass die Antragstellerin nur hinsichtlich der Antragsgegner zu 1) und 2) gehalten war, Zustellungen nach Maßgabe des § 172 Abs. 1 ZPO (auch) an deren Verfahrensbevollmächtigten vorzunehmen, nicht aber hinsichtlich der Antragsgegner zu 3) bis 7). Allein in dem auf die Abmahnung der Antragstellerin hin erfolgten Antwortschreiben von Rechtsanwalt K. für die Antragsgegner zu 1) und 2) vom 11.01.2007 (Anlage CBH 13, Anlagenband Bl. 13) ist nämlich eine Erklärung über eine Zustellungsbevollmächtigung enthalten ("… zeigen wir ... die außergerichtliche und gerichtliche Vertretung … an"). In dem entsprechenden Schreiben für die Antragsgegner zu 3) bis 7) vom 11.01.2007 (Anlagenband Bl. 109 f) fehlt eine derartige Erklärung. Im anschließenden Verfügungsverfahren erfolgte erst mit dem Widerspruchsschriftsatz vom 13.02.2007 die anwaltliche Bestellung von Rechtsanwalt K. für die Antragsgegner zu 3) bis 7), von der die Antragstellerin sodann erst mit der Zustellung am 16.02.2007 erfahren hat. Die schon zuvor, nämlich Ende Januar 2007 an diese Antragsgegner persönlich bewirkten Zustellungen der Beschlussverfügung reichten deshalb jedenfalls aus.
Hinsichtlich der Antragsgegner zu 1) und 2) nimmt der Senat im Übrigen die Begründung des Landgerichts als zutreffend in Bezug, dass eine ordnungsgemäße Vollziehung vorliegt, wenn wie im Streitfall dem gemeinsamen Verfahrensbevollmächtigten mehrerer Antragsgegner nur eine Ausfertigung der Beschlussverfügung zugestellt wird und den vertretenen Personen unmittelbar jeweils eine weitere.
2.
Dem Vorgehen der Antragstellerin stehen keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs entgegen.
Die Voraussetzungen einer missbräuchlichen Mehrfachverfolgung liegen schon deshalb nicht vor, weil sich die Lotteriedienstleistungen, die im Bundesland T.-B. über auch dort von den Antragsgegnern angebotene Gutscheine eingelöst werden konnten, von den im Streitfall relevanten unterschieden haben mit der Folge, dass hinsichtlich des jeweils beanstandeten Irreführungspotentials verschiedene Sachverhalte zu beurteilen waren. Allein schon im Hinblick auf diese Unterschiedlichkeit der Streitgegenstände war das gleichzeitige Vorgehen sowohl der Antragstellerin als auch der Lotto-V. GmbH T.-B. unbedenklich, ohne dass es eines Eingehens auf den Umstand der Identität ihrer anwaltlicher Vertreter oder die Frage einer Verbindung und Koordinierung der beiden voneinander rechtlich unabhängigen Gläubiger ankäme.
Auf den von den Antragsgegnern betonten Umstand, dass die vorgenannten Sachunterschiede den einheitlich abmahnenden Anwälten gar nicht bewusst gewesen seien, kommt es nicht an. Eine objektiv gebotene Maßnahme wird nicht allein durch Fehlvorstellungen der handelnden Personen rechtsmissbräuchlich (vgl. insoweit auch BGH WRP 2007, 951, 954 Rn. 21 a. E. Außendienstmitarbeiter).
3.
Die in der im Tenor dieses Urteils abgebildeten konkreten Verletzungsform angegriffene Bewerbung für "U.-Lotto" ist irreführend i.S. der §§ 3, 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG, das Unterlassungsbegehren deshalb gemäß § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG begründet. Die Werbung ist geeignet, bei den angesprochenen Teilnehmern des allgemeinen Verkehrs den Irrtum hervorzurufen, mit dem für 19,99 € angebotenen Gutschein könne über 12 Wochen hinweg mittels eines vollständig ausgefüllten Lottoscheins, d.h. mit 12 Einzeltipps, an der Lottoveranstaltung "6 aus 49" teilgenommen werden. Der Senat macht sich die Begründung des Landgerichts zu Eigen und wiederholt nachfolgend die wesentlichen Feststellungen.
Blickfang der Werbung, nämlich im Vordergrund und eher mittig angebracht, ist ein Lottoschein für das Spiel "6 aus 49". Der allein schon aufgrund seiner Platzierung nicht nur wie eines von mehreren symbolhaften Bildelementen wirkende Spielschein ist zur Gänze ausgefüllt, d.h. mit 12 Tipps. Unmittelbar darüber befindet sich ein Button mit der in großen Buchstaben gehaltenen Aussage "Online LOTTO für 12 Wochen 19,99 €". In ihrem Zusammenwirken sind diese beiden Gestaltungsbestandteile geeignet, den durchschnittlichen Betrachter ohne weiteres zu der – falschen – Annahme zu verleiten, er könne über die ausdrücklich beworbenen 12 Wochen hinweg jeweils 12 Einzeltipps abgeben.
Dieser Eindruck wird nicht durch sonstige Elemente korrigiert, welche die notwendige Aufklärung über die tatsächlichen Spielmöglichkeiten bieten würden, dass nämlich über 12 Wochen hinweg nur jeweils ein 1 individueller Tipp sowie jeweils 12 nicht wählbare Tipps als Teil einer 29-köpfigen Spielgemeinschaft abgegeben werden können. Im Gegenteil zeichnet sich die Werbung dadurch aus, dass nahezu sämtliche Informationen über den eigentlichen Spielablauf nach "Einlösen" des Gutscheins im Internet fehlen. Es erfolgt insbesondere kein ausreichender Hinweis darauf, dass gerade auch die Beteiligung an einer Spielgemeinschaft beworben wird: Wie die Senatsmitglieder als von der Werbung grundsätzlich angesprochene Verkehrsteilnehmer selbst beurteilen können, werden erhebliche Teile der angesprochenen Durchschnittsverbraucher nicht allein schon aus der Nennung der Unternehmensbezeichnung der Antragsgegnerin zu 1) am untersten Anzeigenrand folgern können, dass es in irgendeiner Weise um die Teilnahme mittels Spielergemeinschaften gehen könnte bzw. dass 12 Tipps über 12 Wochen nur als Teil einer solchen abgegeben werden können.
Aufklärung leistet aus den von der Kammer erörterten Gründen im Übrigen auch nicht die Höhe des Preises für den Lotto-Gutschein von 19,99 €.
Der durch das fragliche Irreführungspotential bedingte Wettbewerbsverstoß ist erheblich i.S. des § 3 UWG, und zwar allein schon deshalb, weil die Werbung in einer der auflagenstärksten Zeitungen Deutschlands erschienen ist.
4.
Neben den Antragsgegnern zu 1) und 3) sind deren gesetzliche Vertreter, die Antragsgegner zu 2) sowie zu 4 bis 7), zur Unterlassung verpflichtet.
Auch im Bereich des Wettbewerbsrechts haften die Organe juristischer Personen grundsätzlich nur dann, wenn sie entweder persönlich die Rechtsverletzung begangen oder die eines anderen gekannt und pflichtwidrig nicht verhindert haben (Hefermehl/Bornkamm/Köhler, Wettbewerbsrecht, 25. Aufl. 2007, § 8 Rn. 2.20; BGH GRUR 1986, 248, 251 - Sporthosen; BGH GRUR 2005, 1061, 1064 - Telefonische Gewinnauskunft). Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Stellung als Geschäftsführer einer GmbH oder Vorstand einer AG die widerlegliche Vermutung begründet, über die fragliche Wettbewerbshandlung im vorhinein unterrichtet gewesen zu sein, sofern es sich daher um eine zentrale Produkt- oder Marketingentscheidung handelt. Im Streitfall ging es um eine bundesweit durchgeführte und in der Bild-Zeitung prominent beworbene, originelle Lottogutschein-Aktion, die mutmaßlich nicht unterhalb der Leitungsebene eigenverantwortlich initiiert und verwirklicht worden ist. Die deshalb für einen entsprechenden Informationsstand der Mitglieder der Unternehmensführung sprechende Vermutung ist nicht entkräftet worden. Die Antragsgegner zu 2) und 4) bis 7) haben sich auf eine pauschale Rüge ihres Erachtens nicht schlüssiger Darlegungen der Gegenseite beschränkt, ohne in der gebotenen Weise konkret vorzutragen und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass sie auf Grund der internen Geschäftsverteilungen generell oder jedenfalls im hier betroffenen Fall für den Bereich der Werbung nicht zuständig seien und deshalb keine Kenntnis von dem angegriffenen Wettbewerbsverstoß hätten. Anlass zu entsprechendem Sachvortrag bestand im Streitfall umso mehr, als der Antragsgegner zu 2) unstreitig jedenfalls gegenwärtig für den fraglichen Produktbereich bei der Antragsgegnerin zu 1) zuständig ist; bei den Antragsgegnern zu 4) bis 7) handelt es sich um sämtliche Geschäftsführer der Antragsgegnerin zu 3), welche kaum ernstlich behaupten will, dass innerhalb ihres Unternehmens keiner der Geschäftsführer für Produktwerbung verantwortlich zeichnen soll.
5.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.
Bei der Verteilung der im Berufungsverfahren angefallenen Gerichtskosten hat der Senat sich entsprechend seiner ständigen Praxis in vergleichbaren Fällen von folgender Überlegung leiten lassen: Die Antragstellerin hat auf Hinweis des Senats hin ihre Berufung überwiegend, nämlich mit Ausnahme des geringeren und allein Erfolg versprechenden Teils zurückgenommen. Die in Urteilsform ergangene Berufungsentscheidung in der Hauptsache geht deshalb ausschließlich zu Lasten der Antragsgegner. Da indes nur bei einer vollständigen Zurücknahme des Rechtsmittels die Ermäßigung der Gerichtskosten von vier Gebühren auf eine Gebühr vorgesehen ist, vgl. Nr. 1414 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG, die der Antragstellerin im Streitfall nicht zu Gute kommen kann, entspricht es sachgemäßem Ermessen, die Antragsgegner mit den überwiegenden Gerichtskosten der zweiten Instanz zu belasten.
Es bedarf im Übrigen keiner Erörterung, ob in der von der zunächst befassten Zivilkammer initiierten Antragsmodifizierung eine teilweise Rücknahme gelegen hatte. Unter Anwendung des Rechtsgedankens des § 92 Abs. 2 ZPO würde dies nämlich ohnehin an dem erfolgten Kostenausspruch nichts zum Vorteil der Antragsgegner ändern.
Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
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