Bestattung im Wege der Ersatzvornahme

Gericht

OVG Münster


Art der Entscheidung

Berufungsbeschluss


Datum

02. 02. 1996


Aktenzeichen

19 A 3802/95


Leitsatz des Gerichts

1. Zum notwendigen Mindestaufwand für eine Bestattung im Wege der Ersatzvornahme (hier: Friedhofsgebühren, Feuerbestattung bzw. Erdbestattung).
  1. § 14 II NWKostO, der die Inrechnungstellung von Kosten in Fällen unbilliger Härte in das Ermessen der Behörde stellt, ist auf Kosten aus einer Vollstreckung wegen Handlungspflichten nach dem Zweiten Abschnitt des Nordrhein-Westfälischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes anzuwenden.

  2. Zur Interpretation des Begriffs der "unbilligen Härte" in § 14 II NWKostO können die in §§ 1611 I, 1579 BGB getroffenen Bestimmungen herangezogen werden.

  3. Sind die Voraussetzungen für eine grobe Unbilligkeit der Inanspruchnahme nach § 1579 BGB erfüllt, so führt dies nach den Grundsätzen des § 1611 I 2 BGB zum Wegfall durch Verwandtschaft begründeter Zahlungspflichten und begründet in entsprechender Anwendung dieser Rechtsgrundsätze bei der Interpretation des Begriffs der unbilligen Härte gem. § 14 II NWKostO eine Verpflichtung der Behörde, von der Inrechnungstellung der Kosten für die Bestattung (hier: des Vaters) ganz abzusehen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. lehnte die Bestattung ihres verstorbenen Vaters, zu der sie seitens des Bekl. aufgefordert worden war, ab mit der Begründung, sie habe ihren Vater nie gesehen und dieser habe nie Unterhalt für sie gezahlt. Daraufhin beauftragte der Bekl. ein Bestattungsunternehmen mit der Durchführung einer Erdbestattung und stellte der Kl. durch Leistungsbescheid die nicht durch das Sterbegeld gedeckten Friedhofsgebühren in Rechnung. Das VG gab ihrer nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage statt. Die dagegen eingelegte Berufung des Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das VG hat den Leistungsbescheid des Bekl. vom 7. 3. 1991 zu Recht aufgehoben, denn er ist rechtswidrig und verletzt die Kl. in ihren Rechten (§ 113 I 1 VwGO).

Zwar werden nach § 77 I 1 NWVwVG für Amtshandlungen nach diesem Gesetz nach näherer Bestimmung einer Kostenordnung von dem Vollstreckungsschuldner oder dem Pflichtigen Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben. Zu den Auslagen gehören gem. § 11 II 2 Nr. 7 NWKostO die Beträge, die u.a. bei der Ersatzvornahme an Beauftragte oder Hilfspersonen zu zahlen sind, sowie Kosten, die der Vollzugsbehörde durch die Ersatzvornahme entstehen.

Der Bekl. hat - als Ordnungs- und Vollzugsbehörde - die Bestattung des verstorbenen Vaters der Kl. auch im Wege der Ersatzvornahme durch einen Bestatter ausführen lassen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen von §§ 55 II , 59 I , 63 I 3, 64 S. 2 NWVwVG für die Ersatzvornahme im Wege des Sofortvollzugs lagen vor, da die Kl. als einzige Angehörige ihres verstorbenen leiblichen Vaters entgegen § 2 I der Ordnungsbehördlichen Verordnung über das Leichenwesen vom 7. 8. 1980 (NWGV, 756), zuletzt geändert durch Verordnung vom 6. 11. 1984 (NWGV, 670) - VOL - dessen Bestattung nicht besorgt hat und die Bestattung im Wege der Ersatzvornahme zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr - vgl. § 4 VOL - notwendig war.

Der Bekl. hat jedoch zu Unrecht von der Kl. die Zahlung der aus Anlass der Beisetzung ihres verstorbenen Vaters im Wege der Ersatzvornahme entstandenen Kosten als Auslagen im Sinne von § 11 II Nr. 7 NWKostO gefordert.

Dabei kann offen bleiben, ob bzw. in welchem Umfang es sich bei den vom Bekl. durch den Leistungsbescheid vom 7. 3. 1991 allein geforderten Friedhofsgebühren überhaupt um Kosten i.S. von § 11 II Nr. 7 NWKostO handelt, die dem Bekl. als Vollzugsbehörde durch die Ersatzvornahme tatsächlich "entstanden" sind. Zweifel könnten insofern angebracht sein, weil es sich um Friedhofsgebühren handelt, die der Bekl. selbst erhebt. In der Rechtsprechung (BVerwG, Buchholz 445.5 § 28 WassStrG Nr. 2 = NJW 1981, 1571; vgl. auch VGH Kassel, NVwZ-RR 1995, 925 = DVBl 1995, 370) und der Literatur (vgl. Erlenkämper, VwVG, 3. Aufl., § 77 Anm. 5, S. 233) wird die Ansicht vertreten, dass die Erhebung von Gebühren nach einem festen Gebührensatz für Leistungen, die von der Behörde im Rahmen der Ersatzvornahme selbst erbracht worden sind, nicht zulässig ist, sondern allein die durch eine Inanspruchnahme Dritter bei der Ersatzvornahme angefallenen Auslagen und Materialkosten ersatzfähig sind, nicht aber der Verwaltungs-, Sach- und Personalkostenaufwand, der auch bei Tätigwerden der Pflichtigen, also auch ohne die Ersatzvornahme entstanden wäre und zu dem hier wohl der in der Bestattungsgebühr enthaltene Anteil der Kosten der Benutzung der Kapelle und der Leichenzelle zu rechnen ist.

Dies bedarf jedoch letztlich ebenso wenig der Klärung wie die Frage, ob die in Rechnung gestellten Friedhofsgebühren der Höhe nach möglicherweise noch aus anderen Gründen nicht gerechtfertigt sind. Da gem. § 14 I NWKostO durch unrichtige Sachbehandlung entstandene Kosten nicht erhoben werden und daher im Falle einer Bestattung im Wege der Ersatzvornahme - wie hier - einem nicht beisetzungswilligen Angehörigen - wie der Kl. - gem. § 58 I 2 NWVwVG nur ein notwendiger Mindestaufwand für die Bestattung in Rechnung gestellt werden darf, der ihn kostenmäßig "am wenigsten beeinträchtigt" (vgl. dazu im einzelnen: OVG Münster, Beschl. v. 29. 8. 1995 - 19 E 617/95) ergeben sich hinsichtlich der Berechtigung der Höhe der geforderten Friedhofsgebühren Zweifel aus folgenden Gründen. Es ist nicht ersichtlich, dass die für Orgel- bzw. Harmoniumbenutzung in Rechnung gestellten 24 DM zum notwendigen Mindestaufwand für eine Bestattung im Wege der Ersatzvornahme ohne Beisein bestattungswilliger Angehörigen gehört. ... Schließlich erscheint es fraglich, ob der Bekl. im Wege der Ersatzvornahme eine Erdbestattung des Verstorbenen in Auftrag geben durfte oder ob er sich für die - auch hinsichtlich der Friedhofsgebühren für die Grabstätte - kostengünstigere Feuerbestattung hätte entscheiden müssen, bei der - ohne Kapellen- und Orgelbenutzung - nur Friedhofsgebühren in Höhe von 969 DM entstanden wären. § 2 V des in Nordrhein-Westfalen noch geltenden Gesetzes über die Feuerbestattung vom 15. 5. 1934 (RGBl I, 380) - GFB - dürfte einer Entscheidung des Bekl. für die Feuerbestattung nicht entgegengestanden haben, wenn - wie hier - weder eine Willensbekundung des Verstorbenen noch eine Willensbekundung von Angehörigen über die Bestattungsart vorliegt. Ein Fall des genehmigungsbedürftigen Antrags eines Dritten (§ 2 V GFB) dürfte nämlich nicht vorliegen, wenn - wie hier - die Ordnungsbehörde anstelle von bestattungspflichtigen Angehörigen im Wege der Ersatzvornahme die Bestattung ausführt bzw. in Auftrag gibt. Durch die Weigerung, ihrer Bestattungspflicht nachzukommen, verzichten die bestattungspflichtigen Angehörigen auf ihr Recht, die Bestattungsart zu bestimmen und zwischen der Feuerbestattung und der Erdbestattung zu wählen, die einander gem. § 1 GFB grundsätzlich gleichgestellt sind. Mit der Ersatzvornahme "ersetzt" die Ordnungsbehörde das pflichtwidrig unterlassene Handeln des Pflichtigen - und damit hier die Wahl der Bestattungsart - durch eigenes Handeln und tut damit etwas, was einer Auftragserteilung (bzw. hier einer Antragstellung) im Namen des Pflichtigen entspricht (vgl. BVerwG, Buchholz 345 § 10 VwVG Nr. 4 = NJW 1984, 2591 = DVBl 1994, 1192 = NVwZ 1984, 793 L). Hinzu kommt, dass die Ordnungsbehörde die gem. § 3 I GFB vorgesehene Genehmigung der Polizeibehörde von dieser in Form der Vollzugshilfe zur Durchsetzung der ihr obliegenden Maßnahme gem. § 47 I NWPolG fordern kann.

All dies bedarf jedoch letztlich keiner Klärung bzw. Entscheidung, denn der Bekl. durfte der Kl. unbeschadet des Vorliegens der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen von § 2 I 2 VOL und §§ 77 I i.V. mit 59 I NWVwVG die Friedhofsgebühren - falls bzw. soweit sie überhaupt Auslagen i.S. von § 11 II Nr. 7 NWKostO sein sollten - nicht auferlegen. Zwar ist der Erlass eines Leistungsbescheides, durch den die Kosten der Ersatzvornahme geltend gemacht werden, keine ordnungsbehördliche Maßnahme, auf die die ein Ermessen einräumende Vorschrift des § 16 NWOBG Anwendung finden würde. Vielmehr waren die ordnungsbehördlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr (§§ 11 I , 14 I NWOBG) mit der Bestattung des Verstorbenen abgeschlossen. Für die Geltendmachung der Kosten der Ersatzvornahme als Auslagen i.S. von § 77 I NWVwVG i.V. mit § 11 II 2 Nr. 7 NWKostO gilt § 11 II 1 NWKostO, wonach diese Auslagen vom Vollstreckungsschuldner oder vom Pflichtigen zu erstatten "sind" und der Vollstreckungsbehörde bei der Anforderung solcher Auslagen - grundsätzlich - kein Ermessen eingeräumt ist.

Eine Ausnahme von der Pflicht zur Erhebung der Kosten ist jedoch in § 14 II NWKostO vorgesehen, wonach die Vollstreckungs- oder Vollzugsbehörde von der Berechnung und Beitreibung der Gebühren und Auslagen u.a. dann ganz oder teilweise absehen kann, wenn nach Begleichung der Hauptschuld die Beitreibung der Kosten für den Schuldner eine unbillige Härte bedeuten würde. Das ist bei der Kl. in einem solchen Ausmaß der Fall, dass das dem Bekl. durch § 14 II NWKostO eingeräumte Ermessen bis hin zu einer Verpflichtung des Bekl. reduziert ist, von der Inrechnungstellung der Friedhofsgebühren für die Bestattung des Vaters der Kl. ihr gegenüber abzusehen.

Obgleich die Formulierung des § 14 II NWKostO wegen der Bezugnahme auf die Begleichung der Hauptschuld nur für eine Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf Kosten aus einer Vollstreckung wegen Geldforderungen im Sinne des ersten Abschnittes des NWVwVG sprechen könnte, ist § 14 II NWKostO auch auf die Inrechnungstellung und Beitreibung von Gebühren und Auslagen aus einer Vollstreckung wegen Handlungspflichten nach dem zweiten Abschnitt des NWVwVG anzuwenden.

§ 14 II NWKostO ist nämlich ebenso wie die vergleichbaren Vorschriften der §§ 163 , 227 I AO 1977 und des § 12 I Nr. 5a NWKAG i.V. mit § 227 I AO 1977 Ausdruck des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, dass die Anwendung gesetzlicher Vorschriften nicht zu nach Lage des Falles unbilligen Härten führen soll. Die Anwendung dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes auf das Abgaben- und Vollstreckungsrecht führt zu dem in den oben genannten Vorschriften zum Ausdruck kommenden Grundsatz, dass die Festsetzung und Beitreibung einer Geldforderung, deren Einziehung im Einzelfall unbillig wäre, unterbleiben kann (zur Geltung dieses Grundsatzes s. Tipke/Kruse, AO, 15. Aufl. (1994), § 227 Tz. 2; Koch/Scholz, AO, 4. Aufl. (1993), Rdnr. 7; vgl. auch BVerfG, NVwZ 1995, 989 (990)). Angesichts der allgemeinen Geltung dieses Rechtsgrundsatzes - das Prinzip der Gerechtigkeit im Einzelfall hat Verfassungsrang (BVerfGE 7, 194 (196) = NJW 1958, 97) - wäre es nicht gerechtfertigt, § 14 II NWKostO nur bei der Geltendmachung von Kosten aus der Vollstreckung wegen Geldforderungen anzuwenden. Die Formulierung "Begleichung der Hauptschuld" in § 14 II NWKostO ist daher so zu verstehen, dass darunter auch die Erfüllung der Verpflichtung i.S. des § 59 I NWVwVG fällt.

Der Begriff der unbilligen Härte in § 14 II NWKostO ist ein unbestimmter Gesetzesbegriff, der in dieser Vorschrift ebenso wie in § 227 I AO 1977 und dessen Vorgänger, § 131 I RAO, mit einer Ermessensentscheidung gekoppelt ist. Die Entscheidung der Behörde darüber, ob die Berechnung und Beitreibung der Geldforderung nach Lage des Einzelfalles unbillig ist, ist nach der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Oberen Bundesgerichte zu § 131 I RAO von den Gerichten zwar prinzipiell nach den für die Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätzen zu prüfen, wobei es aber zu einer weitgehenden Nachprüfbarkeit kommt, weil der Maßstab der Billigkeit Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens bestimmt (BVerwGE 39, 355 = BGHZ 58, 399 = Gem. SOBG, NJW 1972, 1411 = BStBl II 1972, 603). Die unbillige Härte kann in der Person des Pflichtigen bzw. Schuldners oder in der Sache liegen. Hier ist letzteres der Fall.

Regelungen zu der Frage, in welchen Fällen eine aus dem familiären Verhältnis herrührende Zahlungspflicht nach der Rechtsordnung eingeschränkt ist oder vollständig entfällt, finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch. Gem. § 1611 I 2 i.V. mit S. 1 BGB entfällt die - aus § 1601 BGB herrührende, zwischen Verwandten in gerader Linie wie hier der Kl. und ihrem verstorbenen Vater bestehende - Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung ganz, wenn die Inanspruchnahme des Pflichtigen grob unbillig wäre. Beispiele für die grobe Unbilligkeit der Inanspruchnahme eines Unterhaltsverpflichteten sind in § 1579 BGB normiert. Demnach liegt grobe Unbilligkeit u.a. vor, wenn der Berechtigte sich eines schweren Vergehens gegen den Verpflichteten schuldig gemacht hat (Nr. 2) oder der Berechtigte längere Zeit hindurch seine Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, gröblich verletzt hat.

Eine - über die einfache Unbilligkeit hinausgehende - grobe Unbilligkeit der finanziellen Inanspruchnahme der Kl. aufgrund der durch die familiäre Beziehung zu ihrem verstorbenen Vater prinzipiell begründeten Zahlungspflichten im Sinne dieser Bestimmungen ist hier festzustellen. Der Vater der Kl. hat seine Unterhaltspflicht ihr gegenüber nicht nur gröblich vernachlässigt - was dem Bekl. gem. § 14 II NWKostO i.V. mit den Grundsätzen von § 1611 I 1 BGB noch eine Ermessensausübung ermöglicht hätte -, sondern hat sich seiner Unterhaltspflicht fast von Anfang an vollständig entzogen. Nach den Angaben der im März 1953 geborenen Kl. ist es alsbald nach ihrer Geburt zu einer Trennung ihrer Eltern gekommen mit der Folge, dass sie ihren Vater nie kennen gelernt und dieser für sie keinen Unterhalt gezahlt hat. Diese Angaben hat ihre Mutter in der mündlichen Verhandlung vor dem VG bestätigt. Der Aussage ihrer Mutter zufolge hat diese versucht, von dem Vater Unterhalt zu bekommen, und Zahlungsbefehle erwirkt, die jedoch ohne Erfolg blieben, weil der Vater entweder laufend die Arbeitsstellen gewechselt oder überhaupt nicht gearbeitet hat. Nachdem die Mutter im Dezember 1956 das alleinige Sorgerecht für die Kl. erhalten hatte, weil der Vater unbekannten Aufenthalts war, hat sie die Bemühungen um Unterhaltszahlungen 1957 eingestellt und in der Folgezeit auch nie wieder etwas von dem Vater der Kl. gehört.

Durch sein Verhalten hat der Vater der Kl. sich eines schweren vorsätzlichen Vergehens i.S. von § 170b StGB gegen sie schuldig gemacht. Er hat sich nämlich - über viele Jahre hinweg - seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht ihr gegenüber entzogen, so dass ihr Lebensbedarf in ihrer Kindheit gefährdet gewesen wäre ohne die Hilfe ihrer Mutter, die als "andere" i.S. von § 170b StGB gilt, soweit sie über ihre gleichrangige Unterhaltsverpflichtung hinaus der Kl. Unterhalt geleistet hat, weil der Vater seiner Pflicht nicht nachkam (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 23. Aufl., § 170b Rdnr. 30).

Den unterhaltspflichtigen Vater traf auch eine erhöhte Pflicht, zur Begründung seiner Leistungsfähigkeit seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt voll auszunützen (vgl. BVerfGE 68, 256ff. = NJW 1985, 1211; Schönke/Schröder, Rdnr. 21 m.w. Nachw.).

Mit der Erfüllung des Straftatbestandes nach § 170b StGB durch ihren Vater sind im Hinblick auf die oben dargestellten besonderen Umstände des vorliegenden Falles die Voraussetzungen für die grobe Unbilligkeit der Inanspruchnahme der Kl. nach der Definition in § 1579 Nr. 2 BGB erfüllt (vgl. Palandt, BGB, 54. Aufl., § 1579 Rdnrn. 15, 22). Dies führt nach den Grundsätzen des § 1611 I 2 BGB zum Wegfall durch Verwandtschaft begründeter Zahlungsverpflichtungen der Kl. (vgl. Palandt, § 1611 Rdnrn. 4, 5 m.w. Nachw.) und begründet gem. § 14 II NWKostO eine Verpflichtung des Bekl., von der Inrechnungstellung der Kosten für die Bestattung des Vaters gegenüber der Kl. ganz abzusehen, weil dies für sie eine grob unbillige Härte bedeuten würde.

Dem Bekl. kann auch nicht gefolgt werden, soweit er geltend macht, die familienrechtlichen Bestimmungen des § 1611 BGB über den Wegfall der Unterhaltspflicht seien hier nicht heranzuziehen, weil die in § 2 I VOL geregelte Bestattungspflicht auch Angehörige treffe, die nicht unterhaltspflichtig seien. Die Heranziehung der in §§ 1611 I , 1579 BGB getroffenen Bestimmungen bezweckt hier nicht die Anknüpfung der Bestattungs- bzw. Bestattungskostentragungspflicht an eine zivilrechtliche Unterhaltspflicht, sondern dient lediglich der Interpretation des Begriffs der "unbilligen Härte" in § 14 II NWKostO und der Bestimmung der in § 14 II NWKostO vorgesehenen Folgen im Falle dieser - gesteigerten - grob unbilligen Härte der Kostentragung für den Schuldner.

Aber auch wenn davon auszugehen wäre, dass der Bekl. aufgrund des hier vorliegenden Sachverhalts nicht verpflichtet war, von der Inrechnungstellung der Friedhofsgebühren als Kosten der Ersatzvornahme gegenüber der Kl. ganz oder teilweise abzusehen, weil keine grob unbillige, sondern (nur) eine unbillige Härte vorliegt und ihm damit bei der Entscheidung gem. § 14 II NWKostO über die Folgen der - von der Kl. gegenüber dem Bekl. bereits vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides geltend gemachten - Härtegründe ein Ermessen eingeräumt war, hat das VG den angefochtenen Leistungsbescheid zu Recht aufgehoben. Weder dieser Leistungsbescheid noch der Widerspruchsbescheid lassen erkennen, dass die von der Kl. vorgetragenen Härtegründe gewürdigt worden sind und eine demnach erforderliche Ermessensentscheidung im Rahmen von § 14 II NWKostO getroffen worden ist. Vielmehr geht der Bekl. noch im Berufungsverfahren davon aus, dass es keine Vorschrift gebe, die es ermögliche, in besonderen Fällen etwa aus Gründen der Verhältnismäßigkeit die Bestattungskostenersatzpflicht zu begrenzen. Daraus folgt, dass der Bekl. die ihm durch § 14 II NWKostO eingeräumte Möglichkeit einer Ermessensentscheidung verkannt hat, die hier aufgrund der rechtzeitigen Geltendmachung von Unbilligkeits- bzw. Härtegründen durch die Kl. geboten gewesen wäre. Die Nichtausübung gebotenen Ermessens - wie hier - führt zur Rechtswidrigkeit und damit zur Aufhebung der getroffenen Entscheidung.

Rechtsgebiete

Sozialrecht