Kommentar

"Größere Nähe zum Sachverhalt wurde im Presserecht nicht erreicht."

Fliegender Gerichtsstand

Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags hat angeregt zu prüfen, ob gesetzgeberisch die Chancengleichheit zwischen Antragsteller und Antragsgegner im einstweiligen Verfügungsverfahren verbessert werden muss. Das Bundesministerium der Justiz beginnt gegenwärtig, von ihm eingeholte Stellungnahmen zu sichten. "Anlass sind Beschwerden über Missbrauch insbesondere im Bereich des Presse- und Verlagswesens wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts " , heißt es in der
Aufforderung des Bundesjustizministeriums, Stellung zu nehmen.

Im Mittelpunkt steht, jedenfalls für die Presse, der "fliegende Gerichtsstand". Nach § 32 der Zivilprozessordnung "ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist." Wird wegen eines Presseartikels gestritten, kann nach § 32 jeder Betroffene in jedem Bezirk gerichtlich den Verlag angreifen, in welchem der Artikel vom Verlag verbreitet worden ist. Ein Betroffener darf sich demnach bei bundesweit vertriebener Presse das Gericht aussuchen, bei dem er sich die besten Chancen ausrechnet. Ausgesucht werden von den Betroffenen in Pressesachen weit überwiegend die Hamburger und die Berliner Pressegerichte.

Wer denkt, jeder Verlag würde sich für eine Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes aussprechen, täuscht sich. Für die Beibehaltung setzen sich einige - auch große ¬- Verlage ein und argumentieren: Die Betroffenen würden sich auf verhältnismäßig wenige, wenn auch für die Verlage prinzipiell ungünstigere Gerichte konzentrieren; die Verlage könnten so vor erfahrenen Gerichten, deren Rechtsprechung sie kennen, streiten. Könnten die Betroffenen dagegen nach einer neuen Regelung nur am Verlagssitz oder - womöglich ausschließlich - am Wohnsitz des Betroffenen gerichtlich vorgehen, so bestünde die Gefahr von "Ausreißern", vor allem bei Geldentschädigungen. Überhaupt sei dann stärker damit zu rechnen, dass kenntnisarme, schlecht ausgestattete "Dornröschengerichte" entscheiden.

Ich meine dagegen - rechtsmethodisch: Bei der gegenwärtigen Prüfung durch das Bundesjustizministerium handelt es sich um eine "Nachkontrolle" des Gesetzes. Der angestrebte Sinn und Zweck des § 32 - nämlich: vor allem größere Nähe zum Sachverhalt – wurde im Presserecht nicht erreicht. Im Gegenteil: Erreicht wurde, dass die Betroffenen die für sie meist günstigen Gerichte aussuchen. So werden beim Landgericht Hamburg siebenmal mehr Presseverfahren geführt als bei den beiden Münchener Landgerichten zusammen. Zudem werden neben dem LG und dem OLG Hamburg, wie erwähnt, die Berliner Pressegerichte aus den gleichen Gründen bevorzugt. Für die im Presserecht
notwendige Abwägung zwischen Presse- und Informationsfreiheit einerseits und Persönlichkeitsrechten andererseits ist jedoch eine derart einseitige dezisionistische Rechtsprechung unerwünscht.

Und politisch wie rechtlich: Es ist falsch, sich für die Lösung zu entscheiden, welche in der Praxis von vornherein die Presse- und Informationsfreiheit am stärksten gefährdet. Folglich wäre es richtig, den fliegenden Gerichtsstand jedenfalls für Presseangelegenheiten abzuschaffen. Ergänzend könnte ein Kompromissvorschlag der Abschaffungsgegner aufgegriffen werden; nämlich: In Anlehnung an § 140 Abs. 2 des Markengesetzes müssen die Flächenländer für mehrere Gerichtsbezirke zusammen die Pressesachen einem Landgericht zuweisen.

Prof. Dr. Robert Schweizer

Prof. Dr. Robert Schweizer

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

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