Durch eine umfassende Justizreform sollte im Jahr 2000 der Zivilprozess bürgernäher, transparenter und effizienter gestaltet werden. Ein gutes Ziel, denkt man. Bei den Juristen und Politikern sieht dieses Ziel jedoch im Klartext so aus:
Die sogenannte Einzelfallgerechtigkeit wird im Übermaß bewusst geopfert. Es wird bewusst akzeptiert, dass der einzelne Fall schwerwiegend falsch entschieden und ein unerträgliches Urteil rechtskräftig wird. Selbst wenn sich der Bundesgerichtshof ohnehin mit einem Urteil befasst und sofort erkennt, dass die Vorinstanz nicht nur irgendwie falsch, sondern indiskutabel gegen das Recht entschieden hat, greift der BGH nicht allein schon wegen einer solchen Ungerechtigkeit ein. Er sieht sich nicht veranlasst - so drücken sich sich die Rechtsmethodiker aus -, teleologisch zu reduzieren oder für Extremfälle verfassungskonform auszulegen. Nein, das Kind wird prinzipiengetreu mit dem Bade ausgeschüttet. Der BGH entscheidet selbst dann den Einzelfall ungerecht, wenn er sich mit dem Fall bereits beschäftigt hat und es ihn keine Zeit kostete, die offensichtlich falsche Entscheidung aus der Welt zu schaffen. Der BGH hat sogar ausdrücklich als amtlichen Leitsatz bekannt gegeben:
Die offensichtliche Unrichtigkeit eines Urteils ist allein kein hinreichender Grund für die Zulassung einer Revision”. Az.: VII ZR 101/02.
Wer annimmt, Juristen und Politiker würden bei dieser Entwicklung unisono aufschreien, täuscht sich. Als Studenten hatten sie sich noch geschworen, sich auch im Eizelfall für Gerechtigkeit einzusetzen und gegenläufige Interessen maßvoll abzuwägen. Bestenfalls wird heute irgendwo vornehm fachmännisch über die Tatsache berichtet, - wie im Editorial des neuesten Heftes (50/2003) der Neuen Juristischen Wochenschrift.
Es fehlen FOCUS, SPIEGEL und BILD für spezielle juristische Themen. Warum? Schon deshalb, weil es für ein solches Projekt an Lesern und Inserenten mangelt. Vielleicht beginnt aber einmal eine schon vorhandene juristische Fachzeitschrift, dort richtig aufzuwiegeln, wo es sein muss. Würde eine solche Rubrik Mißstände anprangern, würde sich dort nach und nach auch die Publikumspresse als Stammkunde informieren.