Ein aktuelles, hier erstmals veröffentlichtes Beispiel, das vermutlich die EU selbst noch nicht kennt: Die Verabschiedung der so überaus wichtigen und umstrittenen Richtlinie 2003/33/EG über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen.
Diese Richtlinie ist im „Mitentscheidungsverfahren” erlassen worden. In ihm müssen sich Parlament und Rat einigen. Als verbindlich veröffentlicht wurde die Richtlinie jedoch mit einem Text, der - neben einer Vielzahl von weniger wichtigen sprachlichen Abweichungen - in drei gravierenden Passagen vom Parlament überhaupt nicht beschlossen wurde!
Beschlossen hatte das Parlament einen Text für „Printmedien”, in der bekanntgemachten Richtlinie heißt es stattdessen: „gedruckte Veröffentlichungen”. Werden von der Richtlinie nun beispielsweise Plakate erfasst?
Artikel 10 der als Richtlinie veröffentlichten Fassung enthält einen Absatz 2, den das Parlament nie gesehen, geschweige denn beschlossen hat. Absatz 2 verpflichtet die Mitgliedsstaaten, der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mitzuteilen, welche die Mitgliedsstaaten auf dem Gebiet der Richtlinie erlassen.
Die dritte Abweichung: Das Parlament hatte beschlossen, dass die Richtlinie am zwanzigsten Tag nach der Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft tritt; die veröffentlichte Richtlinie legt dagegen fest, dass die Richtlinie bereits ab dem Tag der Veröffentlichung gilt.
Zu der Nichtigkeitsklage, welche die Bundesrepublik Deutschland Ende dieses Monats, spätestens in den ersten Septembertagen einreichen wird, muss der Europäische Gerichtshof demnach vorab beurteilen, ob die Richtlinie überhaupt beschlossen worden ist. Bislang hat der EuGH - obwohl solche Fehler laufend vorkommen - die Veröffentlichung eines Textes, den das Parlament gar nicht beschlossen hat, noch nie beurteilt. Dieses Mal muss er Stellung nehmen.